vonDetlef Berentzen 25.09.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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In einer internen E-Mail empfiehlt das Innenministerium in Wien den Polizeidirektionen, die Kommunikation mit bestimmten kritischen Medien „auf das nötigste (…) Maß zu beschränken“. Hintergrund sei eine „sehr einseitige und negative Berichterstattung“ über das Ressort in diesen Publikationen. (Süddeutsche Zeitung)

 

Lieber Detlef,

erinnerst du dich noch an den regnerischen Tag, als wir beim großen Seelenforscher Erwin Ringel zu Besuch waren in seinem Institut? Kaum einer kannte das Wesen dieses Landes so gut wie er, kaum einer hat die österreichische Psyche so klug analysiert. Lange Jahre liegt das nun zurück und doch sind seine Analysen so aktuell.

Österreich im Herbst 2018 ist ein traumatisiertes Land,…möchte man meinen, wenn man die Boulevardblätter liest. Genau das tut die Mehrheit der Bevölkerung. Die „Kronenzeitung“ und die beiden Gratisblätter erreichen mehr als die Hälfte aller Menschen in Österreich. Jeden Tag. Und leider glauben diese Leser und Leserinnen auch, was ihnen da aufgetischt wird. Österreich, vor allem Wien, erscheint da als Zentrum des Verbrechens! Die aktuelle Kriminalitätsstatistik sagt zwar etwas ganz anderes, doch wer liest schon Statistiken, wenn man sich bei den täglichen Schauergeschichten in knallbunt mit großen Überschriften so wunderbar fürchten kann?

 

 

Und was macht ein vernünftiger Innenminister in so einem Fall? Naja, er könnte sich vor die Presse stellen und sagen: „Liebe Leute, fürchtet euch nicht. Wir sind ein sicheres Land. Nirgendwo sonst in einer europäischen Millionenstadt lebt es sich sicherer als Wien. Hier sind die Statistiken, die beweisen, dass die Zahl der Delikte zurückgegangen ist. Seid versichert: Unsere Polizei arbeitet gut. Die soziale Lage ist stabil. Niemand muss hier Angst haben.“ Das könnte ein besonnener Innenminister angesichts der täglichen Panikmache am Boulevard tun. Tja, könnte. Doch wir haben ja Herbert Kickl. Genau, das ist derjenige, der Asylsuchende in Lagern konzentrieren will. Derjenige, dessen schnelle Eingreiftruppe ins Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismus gestürmt ist (!) und dort wahllos Unterlagen, zum Bespiel über Rechtsextremismus in Österreich, beschlagnahmt hat. Derjenige, der eine neue berittene Polizeieinheit aufstellen lässt und in dessen Ministerium die Pressefreiheit demnächst komplett abgeschafft wird. Und was macht Herr Kickl noch? Er informiert das Land mithilfe einer kleinen Karte, die unlängst auf das Gratisblatt „Österreich“ geklebt wurde. Titel der Karte: „Schutz der eigenen Sicherheit bei Amok und Terror“. Untertitel: „Atmen Sie durch und bewahren Sie Ruhe. Machen Sie sich ein Bild von der Situation.“ Dazu gibt es drei nette Piktogramme. 1) Flüchten (laufendes Männchen), 2) Verstecken (Männchen unter dem Tisch), 3) Notruf (die Notrufnummern von Polizei und Feuerwehr), 4) Letzte Konsequenz: Verteidigung (Boxermännchen).

 

Zu Erinnerung: Es gab in Österreich in den vergangenen Jahren drei Amokläufe. Im heurigen Jahr verletzte ein psychopathischer junger Mann eine zufällig vorbeikommenden Familie mit einem Messer. 2015 fuhr ein Mann im Wahn mit dem Auto durch eine Fußgängerzone. Dabei kamen drei Menschen ums Leben. 2013 erschoss ein Wilderer drei Polizisten und einen Sanitäter. Schlimm genug. Aber keine Rede von permanenten Amokgefahren. Terrorangriffe gab es seit Jahrzehnten keine mehr in Österreich. Trotzdem haben wir Angst. Viel Angst. Und die fördert der Innenminister mit Steuergeldern.

Doch nicht nur vor Amok und Terror fürchtet man sich hierzulande gern. Nein, auch vor’m bösen Wolf. Vorzugsweise vor dem ausländischen Wolf. Genaueres weiß der niederösterreichische Tierschutz-Landesrat Gottfried Waldhäusl von der FPÖ: „Fast alle Tiere, die in unserem Land derzeit Schaden anrichten, kommen aus Deutschland bzw. Polen!“ Sein Lösungsvorschlag: „Diese sollen entnommen werden dürfen!“ Im Klartext: Wölfe, die keinen österreichischen Pass bei sich tragen, werden künftig „entnommen“, also abgeknallt. Das dafür nötige Gesetz hat der niederösterreichische Landtag diese Woche beschlossen. Also bei Ausflügen in Niederösterreichs Wälder künftig besser auf Pelzkappen verzichten und lieber mit roten Ohren durch den Tann streifen. Ach ja, einen deutschen Pass sollte man vielleicht auch nicht bei sich tragen. Man weiß ja nie.

In diesem Sinne schöne Herbsttage
Michael

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