vonDetlef Berentzen 31.10.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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Lieber Detlef,

du erinnerst dich vielleicht: „Unser Geld für unsere Leut“, so plakatierte Jörg Haider vor etlichen Jahren. Mag sein, der nationalistische Slogan stammte von seinem damaligen Adlatus und jetzigen Innenminister Herbert Kickl. Was Haider mit „unserem Geld“ gemacht hat, wissen wir aber inzwischen. Die Riesenpleite der Kärntner „Hypo Alpe Adria“ hat nicht nur die BayernLB fast in den Abgrund gerissen, sondern „unsere Leut“, also die österreichischen Bürgerinnen und Bürger, je nach Lesart zwischen 6 und 7,5 Milliarden Euro gekostet – also rund 1000 Euro pro Person, Säuglinge eingerechnet. Nun aber wird endlich gespart: Stolz plakatieren die Freiheitlichen Arbeitnehmer der FPÖ (freiheitliche Arbeitnehmerinnen sind eher rar): „Regierung kürzt Geld für Kinder im Ausland“. In anderen Worten: „Unser Geld nur für unsere Kinder.“ Worum geht`s?

Der Anteil ausländischer Staatbürger und Staatsbürgerinnen in Österreich beträgt rund 15%. Die meisten leben hier mit ihren Familien. Ein Teil ist aber nur zum Arbeiten da. Deren Kinder leben in den Herkunftsländern. Vorzugsweise in Osteuropa. Die sogenannte Familienbeihilfe beziehen sie in Österreich, sie zahlen hier ja auch Steuern und Sozialversicherung. Nun sind Lebenshaltungskosten in Rumänien oder der Ostslowakei natürlich niedriger als in Österreich. Ideal für eine kleine Neiddebatte. Tenor: Wir finanzieren den rumänischen Kindern ein luxuriöses Leben. Was macht man da?

Türkis-Blau hat eine einfache Lösung. Wir kürzen die Familienbeihilfe, wenn die Kinder nicht in Österreich leben. Damit auch nicht alle gleich an die Slowakei denken, schließlich hat die ja einmal zu Österreich gehört, bildet man symbolisch in der Facebook-PR eine farbige Kopftuchfrau (s.o.) ab. Mit Balken über den Augen, das erleichtert die Assoziation mit Kriminellen. Und die Kronenzeitung freut sich: „100 Millionen € Ersparnis“. In der Summe geht es um rund 130.000 Kinder vornehmlich in osteuropäischen Ländern.

Etwa 80.000 Pflegerinnen aus Osteuropa arbeiten in Österreich. Ohne sie bräche das gesamte Pflegesystem hierzulande sofort zusammen, denn nur knapp 2% aller Pflegekräfte kommen aus dem Inland. Für diese osteuropäischen Pflegerinnen ist die Familienbeihilfe ein wesentlicher Bestandteil ihres Einkommens. Wenn sie die Beihilfe nicht mehr bekommen, können sie nicht mehr hier arbeiten, es sei denn die Gepflegten und ihre Angehörigen füllen die Gehaltslücke auf. Das wiederum können sich nur wenige leisten. Also keine Pflege mehr daheim, sondern ab in’s Pflegeheim. Abgesehen davon, dass es die nötigen Heimplätze in Österreich gar nicht gibt, stiegen bei einer solchen Lösung die Kosten exorbitant.

Allerdings könnten die Pflegerinnen ihre Kinder auch nach Österreich holen. Fragt sich nur, wo dann die Schulen und Lehrkräfte für rund 100.000 neue Schülerinnen und Schüler herkommen. Und wer das alles bezahlt? In der niederösterreichischen Gemeinde Gloggnitz wird gerade eine neue Schule für 400 Schülerinnen und Schüler errichtet. Geplante Kosten: 18 Millionen €. Aha. Für 100.000 Kids bräuchte es dann 250 Schulen wie diejenige in Gloggnitz. Kostet rund 4,5 Milliarden. Ohne Lehrpersonal.

Es könnte sein, dass die vermeintliche Einsparung bei der Familienbeihilfe für Kinder im Ausland noch richtig teuer wird. Abgesehen davon, dass die EU die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme nun doch erst einmal prüfen möchte. Willkommen in Kakanien!

Auf bald
Michael

 

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