vonDetlef Berentzen 19.12.2018

Dr. Feelgood

Detlef Berentzen, Ex-tazler, Autor für Funk und Print, verbreitete hier „News“ der anderen Art. Gute zum Beispiel. Machte die Welt hör-und lesbar.

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„Mach Dir meine Erinnerungen selber. Aber so, daß die Funken sprühen“, hat er gelacht, noch ein paar letzte Fakten auf den Tisch geworfen und mußte dann schon wieder weiter. Also erfand ich mir meinen Schlund. Auch. Man erfuhr zu seinen Lebzeiten längst nicht alles von ihm. Und spürt doch heute noch all das, was ihn bewegte. Schließlich sind da seine Bilder, die Zeichnungen, die Bücher, die Materialien. Die erzählen. Von einem Leben, in dem einer suchte und auch fand. Auch Farben. Und Freunde. Die ihn nicht vergessen.

 
UM DIESE ZEIT war noch niemand am Strand zu sehen. Wer steht schon so früh auf und noch dazu im Urlaub? „Ich brauche nicht viel Schlaf“, sagt er, „nur meinen Kaffee am Morgen“, der muss schwarz, schwarz wie seine Seele sein, schwarz wie die Nacht zuvor, schwarz wie die Tusche, die er im gekorkten Glas bei sich trägt, auch Federn und Halter und einen großen Skizzenblock auf dem Schoß. Sitzt da auf einem Holzstuhl mit Rückenlehne, trägt einen weißen Strohhut auf dem Kopf. So gefällt er mir und ich sage ihm das, die nackten Füße im kühlen Sand. Er nickt.

 

Der Morgen graut und zieht hauchdünne weiße Nebelbänke über die Wasser der Bucht – meine Güte, ja, klar doch, das liest sich zwar kitschig, aber so ist es eben und auch die glühenden Alpen, die Du nach der Wanderung mit Weh in den Füßen vor der Hütte lagernd bewunderst, sogar Caspars Abtei im Walde, die du im Grunde nie verlassen hast, all das ist wunderbar elende Romantik, ist wahr und schön und meint auch dich. Wir waren jedenfalls voller Ehrfurcht und ziemlich still, als die rote Sonne gestern abend per slow motion im Meer versank.

Die Morgennebel werden sich heben, später, aber jetzt ist der Moment, in dem Schlund wie ein kleiner dicker Neptun zu all dem Morgen gehört, all das aufsaugt, was er sieht und die Nebel hinter seine Stirn ziehen läßt, gegen alle kruden Gedanken und Erinnerungen und dabei aussschaut wie betäubt vor Glück. Wie gut, daß er sich diesen Wohnwagen geleistet hat. Der steht weiter hinten auf dem Campingplatz und da steht er schon lange, Kiefernnadeln auf dem Dach, grüne, braune. Freunde haben das Ding hier auf die Insel geschleppt, und ich habe mein Zelt daneben aufgestellt.
Nur ihm zuliebe. Ich schlafe nicht gern in Zelten, ich liebe Federbetten, Kopfkissen, Latexmatratzen, bin eben ein alter Sack und bequem. Aber ihm zuliebe. Und nach Sardinien wollte ich ohnehin einmal.

 

Auf der Fähre hat der alte Schlund sich in den Wind gestellt, sich an die Reling gelehnt und den Möwen zugerufen: Jetzt reicht’s! Die Möwen haben nichts kapiert, aber dann hat er seinen Krückstock genommen – braun war der, massiv, mit Gummistopper – und das Ding ins blaue Meer geworfen. Wollte einfach nicht mehr alt sein, lieber jung und all die Tabletten in den Orkus. So trieb er es immer noch wild und stemmte sich dem entgegen, was ihn manchmal tiefdrinnen ergrauen ließ.
Sardinien ist ihm ein Jungbrunnen. „Hier kann ich atmen“, flüstert der Schlund auf das Papier seines Skizzenblocks, zeichnet, tuscht die Feder, zeichnet und als die Sonne auf Vormittag steht, fällt er plötzlich vom Stuhl und lacht: Lass uns gehen!

Er will noch einmal diese schmale Treppe erklimmen und braucht tatsächlich keine Krücke. Das Keuchen ist normal. In Cagliari war er noch nie behindert, sondern immer froh. Jeder Schritt in der Via Corte d’Apello ist ihm Vorfreude auf Farben, Stoffe, Fantasie. “Den Pietro musst Du Dir anschauen“, dessen Sonne, die große Nährerin, all sein Lila, das Gelb, das Giftgrün, all diese Ölfarben und voller Kraft. Pietro ist einer, den man hier kennt, der schon lange malt, in den letzten Jahren nie aufgehört hat zu malen, dabei Menschen über Gitter und Mauern steigen lässt, zumindest versuchen sie zu entkommen, sind unterwegs und überall diese Symbole.

„Ich kenne ihn, kenne ihn genau“, schmunzelt der Schlund und hat ihn doch nie gesehen. Fast berührt er mit der Fingerspitze den Schwung der Linien, ihr Kreisen um das, was werden soll, werden will und vielleicht doch nicht. „Er träumt, wie ich“ und dann erstaunt: “Du träumst wie ich!“, nimmt den Jüngeren, der plötzlich auftaucht, in den Arm, der versteht nicht, ist doch Sarde, sieht dem Schlund aber im Leuchten der Augen an, dass auch der in Farben lebt und in seinen Bildern, einfach weil es dort warm ist und die Hoffnung nie vergeht.

 


Am Abend, ich erspare Ihnen den wundervollen Sonnenuntergang, kochen Schlunds große Frau und die fast ebenso große Tochter, viel Rot hat die im Haar, Sommersprossen auf der Nase, sie kochen ein Ragù, reiben den Käse, schneiden das Brot. Wir dürfen faul sein, sitzen bei einem dunklen Rosso am Campingtisch. Die Gaslampe wird entzündet, ein weißes Licht kegelt über den Skizzenblock, der auf unseren Morgen verweist.

„Genauso war’s“, schaut der Schlund mir ins Gesicht, „Genau! So!“ Der Kaffee, die Nebel, das Raunen des Meers und die Füße im Sand.
„ACH“, hat er geschrieben.
Kleine organische Dreifaltigkeiten umkreisen dieses ACH, tasten mit ihren Tentakeln in eine nahe Ferne. „In Kontakt bleiben“, steht darunter. In kleinen Druckbuchstaben. Ganz groß.

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