In Brandenburg und Sachsen wird die rechtskonservative und rechtsradikale AfD zweitstärkste Kraft in den Landesparlamenten. Bürgerliche Journalisten ziehen umgehend die übliche These von der „Andersartigkeit der Ostdeutschen“ aus ihren Schubladen. Dabei lenken sie, weniger bewusst als unbewusst, von den sozialen Konflikten und Missständen ab, die Folge der Enteignungsmanöver des Privatisierungsfonds ab 1990 sind. Wie ich schon vor zwei, drei Jahren schrieb, ist es nur eine Frage der wirtschaftlichen Entwicklung, bis die CDU/CSU mit der AfD ins Bett steigt, und letztere die NPD offen zu ihrem Stoßtrupp macht. (In der CDU/CSU-Basis findet das schon im Übrigen nicht selten statt und gerade bahnt sich eine gewaltige Wirtschaftskrise in Deutschland an, ausgehend von der Eurokrise, die nie wirklich überwunden wurde.)
Gleichzeitig erfahre ich aus der Zeitung, dass in einer kleinen, hessischen Gemeinde namens Altenstadt mit ca. 2500 Einwohnern ein 33-jähriger Neonazi einstimmig von CDU, SPD und FDP Beiratsmitgliedern zum Ortsvorsteher gewählt wurde. Stefan Jagsch, Vize-Vorsitzender der hessischen NPD, hat zuletzt bei der Wahl des Bürgermeisters 6% erreicht und im benachbarten Büdingen erhielt die mit der NSDAP wesensverwandte NPD bei der letzten Kommunalwahl 10,2%. Für die, die an die „Ostdeutschen“-These aus der Schublade wie an biblische Psalmen glauben: Hessen ist kein Land der „Ossis“! Die Prominenz von CDU, SPD und FDP reagierten prompt mit Unverständnis und Empörung zur Wahl des Ortsvorstehers. Was sollen sie auch anderes tun, wenn Heuchelei zum politischen Programm ihrer Parteien und Opportunismus zum Ehrenkodex eines erfolgreichen Berufspolitikers gehören?
Indes verkennen diese Führungen: Die Basis ist zwar nicht der Kopf einer Partei, aber sie ist der Darm einer Partei, und bekanntlich ist der Darm das zweite Gehirn des Körpers. Die Erklärungen der Beiratsmitglieder für ihr Verhalten zeigen mit aller Naivität und Einfachheit die Miniatur dessen, was 1933 auf höherer Ebene, in komplexen Verschleierungsmechanismen umhüllt, ebenfalls geschah. Das Verhalten der Beiratsmitglieder ist nicht dumm, wie viele behaupten, und fassungslos macht es nur jene, denen die Gegenwart die Sicht auf die Zukunft versperrt. Sie haben keine Zukunft. Das, was in Altenstadt geschieht, ist charakteristisch für die herrschenden Zustände heute. Damals, 1933, haben Granden der Politik auch gesagt, dass man „das Ganze im Vorfeld nicht so ernst genommen“ habe und „da wir keinen anderen haben – vor allem keinen Jüngeren, der sich mit Computern auskennt, der Mails verschicken kann“, haben wir uns für einen Faschisten entschieden. („Computer“ und „Mails“ lassen sich übersetzen in Überblick/Orientierung und Führungswillen.)
Dasselbe, was in Altenstadt „nur fünf Minuten gedauert“ hat, kann heute ebenso auf Bundesebene geschehen. Dagegen helfen weder Tweets von Bundespolitikern noch ein nachträglicher Abwahlantrag, der nebenbei rechtlich absurd ist und politisch die Faschisten von der NPD zu Opfern macht, obwohl sie doch „gewählte Demokraten“ seien, wie sie sich nun inszenieren werden. Es ist beschämend und widerlich, dass solche Vorgänge in einem Land stattfinden, wo einst die herrschenden Klassen das dunkelste Kapitel der Barbarei in der Menschheitsgeschichte eingeleitet und geschrieben haben. Das sollte niemals vergessen werden.
Gerade bin ich in Spanien, in einem Land also, wo die Herrschenden ebenso beharrlich welthistorische Episoden der Kämpfe der Unterdrückten gegen die Barbarei mit dem Märchen von der nationalen Volkseinheit verschweigen wollen. Im ganzen Land gibt es nicht ein offizielles Museum zum Spanischen Bürgerkrieg. Meine Erfahrung vom Spanischen Bürgerkrieg vor Ort ist vor allem die, dass man nichts darüber erfährt. Doch trotz dieses Paktes des Schweigens erschallt in vielen Gassen und an vielen Wänden mit Farbe der antifaschistische Kampfruf aus 1936-1939: No pasarán! Gegen die Faschisten und Rechten in Deutschland, gegen Nazis und Menschenhasser überall muss heute derselbe Kampfruf gelten: No pasarán!