vonMesut Bayraktar 07.05.2021

Stil-Bruch

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Satire scheitert, wenn sie erklären muss, was sie eigentlich meinte. Sie weiß nicht, für und gegen wen sie spricht, obwohl gerade das konkrete Für und das konkrete Gegen das Aufklärerische gelungener Satire ausmachen. Ironie und Polemik, die Sinn und Vernunft den Weg ebnen sollen, kehren sich dann um in den Angriff gegen Sinn und Vernunft. Am Ende wundert man sich, dass der Beifall vom Lager der Gegenaufklärung und Wahrheitsfeinde kommt, hat man doch scheinbar die Austauschbarkeit von Wahrheit und Lüge bewiesen. Aber das Wahre ist und bleibt der Prüfstein seiner selbst und des Falschen. Lüge setzt Wahrheit voraus, Wahrheit jedoch nicht die Lüge. Gerade das haben die Akteure von #allesdichtmachen entweder nicht verstanden oder bewusst verzerrt.

Ohnmacht der Kommerzkultur

50 prominente Schauspieler und Filmemacher insbesondere vom Umfeld der deutschen Kult-Krimireihe »Tatort« haben in gemütlichen Altbauwohnungen und großräumigen Lofts Videos gefilmt. Nach orchestriertem Drehbuch kommentieren sie die staatliche Corona-Politik durch verharmlosende Zuspitzungen der Krise.

Freilich sind nicht alle Videos misslungen. Es ist ein Gebot der Stunde, die Corona-Politik der Regierung zu kritisieren. Wird sie jedoch kritisiert, ohne das ihr zugrundeliegende Kapitalverhältnis einzubeziehen, erschöpft sich die Kritik im starren Gegenüber von beschränkenden Maßnahmen und individueller Freiheit, sodass tausende Tote wie ein Mittel zur Freiheitsberaubung einer Mehrheit erscheinen. Solche Kritik ist neoliberaler Blödsinn. Der Anschluss an die Argumentation von Corona-Leugnern wird dann nur noch eine Frage des Beifalls von letzteren. So haben sich manche ahnungslos vor einen Karren spannen lassen, ohne zu wissen, in welche Richtung die Aktion geht. Hat man etwa im Nachgang die unbeholfenen Verteidigungsversuche von Jan Josef Leifers verfolgt, liegt der Verdacht nah, dass manche unter ihnen in der Tat verarscht wurden. Lässt man die aufmerksamkeitsökonomischen Absichten der anonymen Drahtzieher außer Acht, so ist die gezielte Ziellosigkeit der Aktion symptomatisch für die Ohnmacht der Kommerzkultur in der Corona-Krise. Auf dem Standpunkt des bürgerlichen Individualismus driftet Kritik in sozialdarwinistische Argumentationsmuster ab, die aktuell im rebellischen Gestus auftreten.

Statt sich in die sozialen Kämpfe im Hinblick auf die physischen, moralischen und ökonomischen Kosten der Krise einzubringen, wie es etwa das Bündnis von u.a. Intellektuellen und Künstlern »Wer hat, der gibt!« oder die satirische Aufklärungsarbeit von der »Anstalt« vormachen, verfängt sich die Kommerzkultur im Spinnennetz der neurechten und verschwörungstheoretischen Agenda. Wer den Zusammenhang nicht sehen will, konstruiert einen bombastischen, der mit realen Ängsten und Nöten der Bevölkerung spielt. Wer den Zusammenhang aber nicht sieht, der leidet an Unbestimmtheit. Gerade das ist der blinde Fleck der Aktion – daher der scharfe Einspruch von Beschäftigten im Gesundheitssystem.

Die Wahrheit ist konkret

Satire funktioniert nur dann, wenn die Wahrheit konkret genommen wird. Wer dieses Stilmittel wirksam vor dem Hintergrund verwenden will, dass über 83.000 Menschen in Deutschland an und mit Corona einsam und allein gestorben sind, der muss auch Folgendes in Rechnung stellen: Die Politik des Merkelschen Durchwurschtelns hat bisher keinen Lockdown in der Wirtschaft zum Schutz der Beschäftigten erwogen. Jede Art von Vermögensabgabe der Reichen sowie eine Vermögenssteuer wird von derselben Politik abgelehnt. Die Herrschenden weisen trotz gesetzlicher Grundlage die Aufhebung des Impfstoffpatents für eine umfassende Impfstoffproduktion ab. Eine sozialverträgliche Impfstrategie mit ökologischer Weitsicht ist völlig auf der Strecke geblieben. Eine Entlastung des Pflege- und Gesundheitspersonals zugunsten der Kranken und Schwachen wird mit dem arroganten Achselzucken der Mächtigen in den Wind geschlagen. Von einer unbürokratischen und entlastenden Unterstützung von Kindern, Schülern und Studierenden kann kaum die Rede sein. Konsequenzen für korrupte Politiker in der Maskenaffäre und zu der Personalunion von Politik und Kapital will der herrschende Block nicht ziehen, weil er dann den Boden unter den Füßen verlieren würde. Kurz: In der Krise wird sichtbar, dass unsere Gesundheit radikal als Ware behandelt wird. Unser Leben und unserer Körper sind aber mehr wert als jeder Profit. Das ist eine konkrete Wahrheit. Diese Stoßrichtung fehlte jedoch gänzlich in den Überzeichnungen der Aktion #allesdichtmachen.

Das hätte bedurft, dass man nicht in der Manier der Authentizität als Schauspieler oder Filmemacher auftritt – sondern beispielsweise als Chef eines Schlachthofs oder einer Spargelplantage, als Manager von Lufthansa oder Daimler, als Gesundheitspolitiker oder Geschäftsführer eines Krankenhauses schauspielert oder Filmchen macht. Eine Überspitzung hätte dann die von kapitalistischen Klasseninteressen geleitete Corona-Politik lächerlich gemacht. Sie wäre enthüllend. Denn mit der steigenden Ansteckungskurve steigen auch die Aktienwerte – und das ist kein Zufall.

Wie verschiedene Recherchen bisher ergeben haben, scheint dies auch nicht die Motivation der Drahtzieher gewesen zu sein. Es ging um Polarisierung, Desinformation, Verwirrung, um wie Dietrich Brüggemann – einer der Initiatoren – im Interview sagte: „das Narrativ“ von Politik und Wissenschaft umzustoßen und um „verengte Diskursräume“ zu „sprengen“. Dass die freigewordenen Räume dann vom neurechten und verschwörungstheoretischen Dauer-Framing in sozialen Medien besetzt werden, hat man wohl nicht im Blick gehabt. Angesichts einer aufgedeckten Spur ins Querdenker-Milieu, die über den dubiosen Arzt und Publizisten Paul Brandenburg verläuft, überrascht das nicht.

Die teilnehmenden Künstler täten gut daran, sich zu fragen, wo sie in einer antagonistischen Gesellschaft stehen wollen und wem Aktionen wie #allesdichtmachen nützen. Die werktätigen und unterdrückten Klassen können sich jedenfalls keinen Witz leisten, der auf ihre Kosten geht, während die Krise auf ihre Rücken abgewälzt wird.


Der vorliegende Text erschien erstmals in der deutsch-türkischen Wochenzeitung »Yeni Hayat/Neues Leben« vom 16.07.2021. Mit freundlichem Einverständnis der Redaktion ist der Text nun auch im taz.stilbruch zu lesen.

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