Am Montag erhielt ich vom Landgericht Karlsruhe das – am 23.09.2023 rechtskräftig gewordene (siehe dazu genauer unten) – Urteil des Radio Dreyeckland (RDL)-Prozesses: siehe dazu bereits meinen Artikel in der jungen Welt von Dienstag. Hier folgt ergänzend eine Synopse der Lesarten des Amtsgerichts Karlsruhe, des Landgerichts Karlsruhe und des Oberlandesgerichts Stuttgart, die die drei Gerichte in vier Entscheidungen von dem (mit Überschriften, Bildbeschriftung und Datumzeile) ganze 18 Zeilen langen, verfahrensgegenständlichen Artikel des RDL-Redakteuers Fabian Kienert vertreten.
Der verfahrensgegenständliche Artikel
Sehen wir uns zunächst einmal einmal den Artikel selbst, – abgesehen von der von mir hinzugefügten blauen Zeilenzählung – so wie er in dem Urteil des Landgerichts Karlsruhe abgedruckt ist, an:
http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2024/10/3_Gerichte_4_Entscheidungen_18-zeiliger_Artikel.pdf (enthält u.a. die einschlägigen Passagen der vier Gerichtsentscheidungen im Wortlaut)
Der verfahrensgegenständliche Artikel
[… siehe S. 1 der .pdf-Datei …]
Die Lesart des Amtsgerichts Karlsruhe in seinem Beschluß vom 13.12.2022
[… siehe S. 2 und 3 der .pdf-Datei …]
Die Lesart des Landgerichts Karlsruhe in seinem Beschluß vom 16.05.2023
[… siehe S. 3 bis 11 der .pdf-Datei …]
Die Lesart des Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Beschluß vom 12.06.2023
[… siehe S. 11 bis 13 der .pdf-Datei …]
Die Lesart des Landgerichts Karlsruhe in seinem Urteil vom 06.06.2024
[… siehe S. 13 bis 21 der .pdf-Datei …]
Ein allen vier Entscheidung gemeinsamer Fehler
Bei aller Unterschiedlichkeit zwischen den drei Gerichten hinsichtlich der Frage, wie die 18 Zeilen von Fabian Kienert zu verstehen sind, weisen alle vier Entscheidungen der drei Gerichte einen gemeinsamen Fehler auf: Sie beschäftigen sich nicht mit der Frage, ob denn eine Äußerungen (z.B. ein Artikel, einschließlich eines dort etwaig enthaltenen Hyperlinks) überhaupt eine Unterstützung im strafrechtlichen Sinne sein kann. Dagegen sprechen sowohl die Entstehungsgeschichte des § 85 Strafgesetzbuch als auch die Systematik des Strafgesetzbuches als auch Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz (Meinungsäußerungs- und Medienfreiheiten).
Das entstehungsgeschichtliche Argument
[… siehe S. 22 bis 23 der .pdf-Datei …]
Das systematische Argument
[… siehe S. 23 bis 25 der .pdf-Datei …]
Das verfassungsrechtliche Argument
[… siehe S. 25 bis 26 der .pdf-Datei …]
Der Radio Dreyeckland-Prozeß war von Anfang an verfassungswidrige Gesinnungsjustiz und blieb es auch am Ende, trotz des – erfreulichen – Freispruchs von Fabian Kienert. Er wurde u.a. deshalb freigesprochen, weil er sich – nach Ansicht des Landgerichts Karlsruhe – nicht fürsprechend für den angeblichen „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ äußerte. In einer liberalen, pluralistischen Demokratie, in der es ausschließlich Tat- und keinerlei Gesinnungsstrafrecht gibt, wäre es dagegen zulässig, sich auch fürsprechend für verbotene Vereine äußern – und allenfalls strafbar, sie materiell zu unterstützen. But Germany is different.
Die Rechtskräftigkeit des Urteils vom 06.06.2024
Am 25.09.2024 berichteten verschiedene Medien im Kern übereinstimmend:
„Weil Kienert mit dem Link angeblich eine verbotene Vereinigung unterstützt habe, drangen Polizist*innen in seine Wohnung und in die Geschäftsräume des Senders ein. […]. Das Landgericht Karlsruhe entschied jedoch, dass Kienert unschuldig ist. […]. Die Staatsanwaltschaft legte Revision ein. Doch auch einen Monat nach Zustellung des schriftlichen Urteils ging beim Landgericht keine Begründung für die Revision ein. Mit Beschluss vom 23. September habe das Landgericht die Revision deshalb als unzulässig verworfen, […]. Nun ist Kienert rechtskräftig freigesprochen.“
(https://netzpolitik.org/2024/link-auf-linksunten-freispruch-von-journalist-rechtskraeftig/)
„Das jüngste Urteil zum Freispruch des Redakteurs Fabian Kienert von Radio Dreyeckland (RDL) ist rechtskräftig. Das Landgericht Karlsruhe hatte den 38-Jährigen vom Vorwurf der Unterstützung der verbotenen Vereinigung ‚Indymedia Linksunten‘ bereits im Juni freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft legte daraufhin zwar Revision ein, hat aber auch einen Monat nach Zustellung des schriftlichen Urteils keine Begründung nachgereicht. Infolgedessen verwarf das Landgericht den Antrag am 23. September als unzulässig.“
(https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185524.indymedia-linksunten-freispruch-fuer-dreyeckland-redakteur-rechtskraeftig.html)
Dies war allerdings hinsichtlich der suggerierten Kausalität unzutreffend und auf dem Informationsstand dieser Medien voreilig. Denn gegen den Verwerfungsbeschluß des Landgerichts hätte die Staatsanwaltschaft noch eine Woche lang Beschwerde einlegen können – wie der evangelische pressedienst (epd) im Unterschied zu den genannten Medien korrekt recherchierte:
„Gegen diesen Beschluss könne zwar innerhalb einer Woche noch beim Bundesgerichtshof interveniert werden. Doch da die Staatsanwaltschaft selbst ihren Revisionsantrag inzwischen zurückgezogen habe1, sei keine Anfechtung des Urteils mehr zu erwarten, erläuterte der Sprecher.“
(https://www.evangelische-zeitung.de/freispruch-von-radio-dreyeckland-redakteur-wird-rechtskraeftig)
Für die Rechtskräftigkeit folgt daraus:
„Da die Rücknahme einer Revision bis zur rechtskräftigen Entscheidung über sie möglich ist und ein Verwerfungsbeschluss nach § 346 Abs. 1 StPO einer Rücknahme solange nicht entgegensteht, bis dieser seinerseits Rechtskraft erlangt hat – was hier nach Zustellung des Verwerfungsbeschlusses an die Staatsanwaltschaft am 24.09.2024 mangels Ablaufs der Wochenfrist des § 346 Abs. 2 StPO noch nicht der Fall war – hatte die Kammer mit Beschluss vom 27.09.2024 festzustellen, dass die Revision der Staatsanwaltschaft wirksam zurückgenommen und der Beschluss der Kammer vom 23.09.2024 gegenstandslos ist; eine förmliche Aufhebung des Beschlusses erfolgte nicht.
Da Anträge auf Wiedereinsetzung oder nach § 346 Abs. 2 StPO nach Rücknahme der Revision ausgeschlossen sind, wurde das Urteil der Kammer vom 06.06.2024 durch Rücknahme der Revision am 23.09.2024 rechtskräftig und nicht erst mit Rechtskraft des Verwerfungsbeschlusses nach § 346 StPO.“
(Auskunft der Pressestelle des Landgerichts Karlsruhe vom 01.10.2024)
Nachträglich erwiesen sich also die Berichte vom 25.03.2024, das Landgerichts-Urteil sei rechtskräftig geworden, als zutreffend – wäre es aber dabei geblieben, daß beim Landgericht weder eine Revisionsbegründung noch eine Revisionsrücknahme eingegangen ist, und folglich auch bei dem Verwerfungsbeschluß geblieben, dann wäre die Rechtskraft frühstens bei Ablauf der Frist für eine etwaige Beschwerde gegen den Verwerfungsbeschluß bzw. bei einer negativen Entscheidung des BGH über eine etwaige Beschwerde eingetreten.
1 Dies berichtete auch der SWR: „Laut einer Sprecherin der Staatsanwaltschaft hätte die Staatsanwaltschaft dann die Erfolgsaussichten der Revision geprüft und sei zu dem Schluss gekommen, dass diese als gering einzuschätzen seien. Deshalb sei […] die Revision letztlich zurückgenommen worden.“ (https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/suedbaden/freispruch-rdl-redakteur-freiburg-wird-rechtskraeftig-revision-zurueckgezogen-100.html) Siehe auch meinen taz-Blogs-Artikel vom 25.09.2024 (Abschnitt „Revisionsrücknahme“).