Das Bundesverwaltungsgericht hat heute in einer Pressemitteilung (PM) bekannt gegeben: „Dem Antrag der COMPACT-Magazin GmbH, die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (BMI) wiederherzustellen, hat das Bundesverwaltungsgericht heute mit bestimmten Maßgaben stattgegeben.“ Zu diesen Maßgaben heißt es in der Pressemitteilung bloß: „Diese dienen vor allem der weiteren Auswertung der beschlagnahmten Beweismittel für das anhängige Hauptsacheverfahren.“
Der Beschluß selbst scheint noch nicht veröffentlicht zu sein.
Das Gericht sagt zutreffenderweise:
„In materieller Hinsicht gibt es keine Zweifel daran, dass es sich bei der Antragstellerin zu 1 um einen Verein i.S.d. § 2 Abs. 1 VereinsG handelt, der sich die Aktivitäten der Antragstellerin zu 2 als seiner Teilorganisation zurechnen lassen muss.“
Das Gericht sagt – in der PM ohne Begründung – außerdem:
Es „bestehen keine Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes auf die in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung organisierte und als Presse- und Medienunternehmen tätige Antragstellerin zu 1.“
Damit wird die Kritik (siehe 1 und 2) daran, Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz (Vereinigungsverbote) und das Vereinsgesetz überhaupt für anwendbar zu halten (und nicht vielmehr Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz [Meinungsäußerungs- und Medienfreiheiten] für vorrangig zu halten), wenn der Verein (hier: Gesellschaft) hauptsächlich oder ausschließlich Medien herausgibt bzw. verlegt, beiseite gewischt. – Das war allerdings auf Grund der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG zu Verboten von ‚Medienorganisationen‘ auch zu befürchten.
Es bleibt also – vorerst – bei der bloß untergeordneten Berücksichtigung von Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz im Rahmen der Prüfung zu Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz:
„Einzelne Ausführungen in den von der Antragstellerin zu 1 verbreiteten Print- und Online-Publikationen lassen zwar Anhaltspunkte insbesondere für eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) erkennen. Es deutet auch Überwiegendes darauf hin, dass die Antragstellerin zu 1 mit der ihr eigenen Rhetorik in vielen Beiträgen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen einnimmt. Zweifel bestehen jedoch, ob angesichts der mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit in weiten Teilen nicht zu beanstandenden Beiträge in den Ausgaben des ‚COMPACT-Magazin für Souveränität‘ die Art. 1 Abs. 1 GG verletzenden Passagen für die Ausrichtung der Vereinigung insgesamt derart prägend sind, dass das Verbot unter Verhältnismäßigkeitspunkten gerechtfertigt ist.“
Anmerkungen:
1. Daran ist schon problematisch, überhaupt auf die Frage einzugehen, ob die Artikel in Compact „eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) erkennen“ lassen.
Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz lautet: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
Das heißt: Es ist jedenfalls in erster Linie der Staat der Adressat von Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz. Zwar soll der Staat die Menschenwürde nicht nur selbst nicht antasten, sondern sie auch „schützen“. Aber damit ist noch nicht gesagt, wie der Staat sie schützen soll.
Außerdem – und im vorliegenden Zusammenhang wichtiger – ist damit noch nicht gesagt, ob sich Vereine schon dann gegen die „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ richten, wenn sie selbst etwas menschenunwürdiges über (bestimmte) Menschen sagen und nicht erst, dann, wenn sie an der Menschenwürde-Garantie als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung etwas ändern wollen.
Diese Frage im ersten Sinne zu beantworten, bedeutet, aus einem Grundrecht von BürgerInnen – und hier sogar: Menschen – (wieder einmal) eine Grundpflicht von natürlichen und juristischen Personen zu machen.
Als das Bundesverfassungsgericht aus Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar.“) und Artikel 2 Absatz 2 Satz 1 Grundgesetz („Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“) die Pflicht des Staates, Abtreibungen zu bestrafen, ableitete, wurde diese Verdrehung von Grundrechten (gegen den Staat) in eine Grundpflicht von Schwangeren, ihre Schwangerschaft durch Geburt (und nicht Abtreibung) zu beenden, und in eine Pflicht des Staates zu strafen (also in Grundrechte einzugreifen), von Linken und Liberalen noch breit kritisiert.
Nun sind Linke und Liberale heute eh weniger kritisch als sie es in den 1970er Jahren waren und ehemaligen sozialen Bewegungen sind NGO geworden, aber der move aus Grundrechten Grundpflichten zu machen, wird ja nicht deshalb richtig, weil es jetzt nicht Frauen, sondern ein rechtes Scheißblatt betrifft.
2. Satz 2 aus obigen Zitat ist wenigsten ehrlich: „mit der ihr eigenen Rhetorik in vielen Beiträgen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber elementaren Verfassungsgrundsätzen einnimmt“. Mit „kämpferisch-aggressive Haltung“ ist nichts Außer-Diskurisves, sondern eine bestimmte Rhetorik gemeint – wir bewegen uns also auch, wenn etwas als „kämpferisch-aggressive Haltung“ verdammt wird, im Bereich der geistigen Freiheitsrechte und nicht bloß der allgemeinen Handlungsfreiheit, in die – richtigerweise – viel stärker eingegriffen werden darf, als in die geistigen Freiheitsrechte.
3. Zu dem dritten Satz in dem obigen Zitat – er sei hier noch mal wiederholt: „Zweifel bestehen jedoch, ob angesichts der mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit in weiten Teilen nicht zu beanstandenden Beiträge in den Ausgaben des ‚COMPACT-Magazin für Souveränität‘ die Art. 1 Abs. 1 GG verletzenden Passagen für die Ausrichtung der Vereinigung insgesamt derart prägend sind, dass das Verbot unter Verhältnismäßigkeitspunkten gerechtfertigt ist.“
a) „mit Blick auf die Meinungs- und Pressefreiheit in weiten Teilen nicht zu beanstandenden Beiträge“ meint – hoffentlich (und ich denke: auch tatsächlich) – juristisch nicht zu bestanden; über politische Bestandungen, die sehr wohl zu machen sind, zu entscheiden, ist ja nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts.
b) Die entsprechenden Zweifel bestanden auch beim Verbot des angeblichen „Vereins ‚linksunten.indymedia'“ – nur wurde diesen Zweifeln damals vom Bundesverwaltungsgericht nicht nachgegangen, weil
- das BVerwG der – unzutreffenden – Auffassung ist, nur Vereine, aber nicht deren Mitglieder hätten eine Anspruch auf gerichtliche Überprüfung des Vorliegens der Verbotsgründe (siehe dazu: Das Leipziger Landdogma und der wirkliche Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz [de.indymedia vom 30.01.2020);
- die damaligen KlägerInnen diese – schon vorher bekannte – Auffassung des BVerwG nicht kritisiertenund
- sich nicht einmal als Mitglieder des BetreiberInnenkreises von linskunten bekannten (siehe dazu: Einige Überlegungen zu den Fehlern der bürgerrechtlichen bis linksradikalen Reaktionen auf das Verbot von »linksunten.indymedia« [junge Welt vom 14.04.2023]).
4. Zur „Verhältnismäßigkeit“ schiebt das Bundesverwaltungsgericht noch einen Begründungssatz nach: „Denn als mögliche mildere Mittel sind presse- und medienrechtliche Maßnahmen, Veranstaltungsverbote, orts- und veranstaltungsbezogene Äußerungsverbote sowie Einschränkungen und Verbote von Versammlungen in den Blick zu nehmen.“ (Hv. hinzugefügt)
Zu inhalts- bzw. äußerungsbezogenen Versammlungs-‚Auflagen‘ bzw. -Beschränkungen und -Verbote wird morgen ein Artikel folgen, der heute der Aktualität geopfert wurde.
PS.:
Die Legal Tribune Online zitiert Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrecht mit den Worten: „Das Bundesverwaltungsgericht lässt durchblicken, dass es das Compact-Verbot jedenfalls mit der derzeitigen Begründung des BMI auch in der Hauptsache kippen würde“. Darauf würde ich – auch abgesehen von Gründen, das Bundesinnenministerium vielleicht noch nachschiebt – noch nicht wetten…