vonDetlef Georgia Schulze 10.01.2025

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Heute wurde vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten gegen mich verhandelt, da die Staatsanwaltschaft zunächst meinte, ich sei für die Veröffentlichung des Archivs der früheren Nachrichten- und Diskussionsplattform linksunten.indymedia.org unter der neuen Adresse linksunten.tachanka.org verantwortlich. 2017 hatte das Bundesinnenministerium ein Verbot verfügt, das sich nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts gegen den vormaligen BetreiberInnenkreis der Plattform richtete:

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffent­lichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“
(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33)

Im Januar 2020 wurde ein Archiv der Plattform unter verschiedenen Adressen – u.a. linksunten.tachanka.org – veröffentlicht. Ich spiegelte – auch noch im Januar 2020 – eines der Archive und fügte ein eigenes Editorial sowie ein korrektes Impressum hinzu:

Trotz des korrekten Impressums benötigten Freiburger Polizei und Staatsanwaltschaft Karlsruhe circa ein Jahr, um herauszufinden, daß ich für die Spiegelung unter der Adresse links-wieder-oben-auf.net verantwortlich bin. Dann wurde das Verfahren an die für mich zuständige Berliner Staatsanwaltschaft abgegeben.

Diese benötige bis Ende August des vergangenen Jahres, um beim Amtsgericht Tiergarten einen Strafbefehl zu beantragen, den dieses am 15. Oktober 2024 erließ. Der Haken an der Sache: Die Staatsanwaltschaft und Amtsgericht verwechselten die Adresse linksunten.tachanka.org und links-wieder-oben-auf.net und nannte sogar auch noch das falsche Tatdatum…

Die ganze Geschichte erzählt Minh Schredle in Kontext: Wochenzeitung von dieser Woche. Heute gab es den gebotenen Freispruch, worüber an anderer Stelle unter anderem von Peter Nowak berichtet wird.

Am Anfang der heutigen mündlichen Verhandlung versuchten Gericht und Staatsanwaltschaft noch, mich zu einer Verfahrens-Einstellungen gegen eine ‚bloß‘ symbolische Geldbuße und die Zusicherung, nicht wegen meiner tatsächlichen Archiv-Spiegelung angeklagt zu werden, zu überreden. Die Staatsanwaltschaft begründete ihre Bereitschaft, sich mit einer ‚bloß‘ symbolischen Geldbuße zufrieden zu geben damit, daß ich seit 2020 „nicht wieder auffällig“ geworden sei. Meine Antwort war: „Doch, doch – ich war wieder auffällig – nur ist es der Staatsanwaltschaft nicht aufgefallen. Im Rahmen meiner Berichterstattung über den Radio Dreyeckland (RDL)-Prozeß vor dem Landgericht Karlsruhe verlinkte ich mehrfach das Archiv und auch meine eigene Spiegelung.“

Dies geschah z.B. in meinem taz-Blogs-Artikel vom 18.06.2023. Dort berichtete ich zunächst:

„Wie im ersten Teil dieser Serie bereits anhand der Pressemitteilung des Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart von Montag berichtet, hat das OLG – nach vorheriger gegenteilige Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe – nun doch das strafrechtliche Hauptverfahren gegen den Journalisten Fabian Kienert von Radio Dreyeckland (RDL) eröffnet, weil er die angebliche ‚Vereinigung ›linksunten.indymedia‹‘ durch einen im Sommer 2022 auf der Webseite von RDL erschienen Artikel ‚unterstützt‘ haben soll. Stein des justiziellen Anstoßes ist vor allem die Nennung der URL des Archivs der seit 2017 nicht mehr erscheinenden internet-Zeitung linksunten.indmedia: ‚Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite‘, so lautet der besonders inkriminierte Satz.“
(http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/06/OLG_Stuttgart_Sympathiewerbung_nicht_strafbar.pdf, S. 1)

Weiter unten zitierte ich dann aus einem Beschluß Oberlandesgericht Stuttgart in dem RDL-Verfahren:

„Gerade im Zusammenhang mit den im [dort gegenständlichen] Artikel [eines RDL-Redakteurs] deutlich gemachten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verbots der Vereinigung und der zwischen den Zeilen erkennbaren Aussage, ‚linke‘ Politik sei generell in einer Opferrolle, wirkt der Artikel als Ermunterung, sich mit der Vereinigung zu solidarisieren. Das daran anknüpfende, gänzlich unkommentierte Hinzufügen des Hyperlinks ist vor diesem Hintergrund als Aufforderung zu verstehen, das Archiv anzusehen.“
(OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.06.2023 zum Az. 2 Ws 2/23, Tz. 64)

Meine Antwort darauf lautete:

„Jedenfalls ist es – wie bereits gezeigt – zulässig (S. 2), Vereinsverbote zu kritisieren – auch ist es zulässig zu bestreiten, daß ein bestimmter verbotener Personenkreis tatsächlich ein Verein war. Ich sage daher ein x-tes Mal
• Die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums vom 14.08.2017 in Sachen ‚linksunten.indymedia‘ war und ist verfassungswidrig.
• Soweit sie die internet-Plattform linksunten.indymedia verbieten wollte, war sie mit Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz nicht vereinbar. [22]
• Soweit sie den BetreiberInnenkreis dieser internet-Plattform verbieten wollte, war sie mit Artikel 9 Absatz 1 und 2 Grundgesetz unvereinbar. Denn
◦ der BetreiberInnenkreis hieß seinerseits gar nicht ‚linksunten.indymedia.org‘, sondern ‚IMC Linksunten‘ [23];
◦ das Verbot der angeblichen ‚Vereinigung ›linksunten.indymedia‹‘ ging also ins Leere; und das IMC Linksunten, das in der Verbotsverfügung eh nicht adressiert wurde, war vermutlich nicht vereinsförmig organisiert [24];
◦ die Verbotsverfügung ist allein schon wegen der Unbestimmtheit der Bezeichnung des Verbotsobjektes [25] – das heißt: wegen des Widerspruchs zwischen adressiertem und gemeinten Verbotsobjekt bzw. wegen des Widerspruchs zwischen Adressierung und Begründung der Verbotsverfügung verfassungswidrig.
◦ Es ist außerdem – mindestens – sehr fraglich, ob die Verbotsgründe des Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz gegeben waren.
• Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich 2020 in verfassungswidrigerweise [26] geweigert, das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der Verbotsgründe zu prüfen.
Vom Bundesverfassungsgericht wurde diesbezüglich keine Überprüfung vorgenommen, weil die VerfassungsbeschwerdeführerInnen (= KlägerInnen des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht) in ihrer Verfassungsbeschwerde die falschen juristischen Schwerpunkte setzten und dem Bundesverfassungsgericht deshalb – mangels insoweit substantiierter Verfassungsbeschwerde die Hände gebunden waren [27].
Ich kritisiere also das linksunten-Verbot; u.a. bezeichne ich es als verfassungswidrig. Die URL des Archivs des online-Mediums linksunten.indymedia hatte ich eingangs dieses Artikels bereits genannt. Möchte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nun bei der Staatsanwaltschaft Berlin anregen, ein Ermittlungsverfahren gegen mich wegen Verdachts auf Unterstützung der ‚Vereinigung ›linksunten.indymedia‹‘ einzuleiten? Möchte vielleicht der Vorsitzende der Staatsschutzsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart sich mit einem entsprechenden Schreiben an die Staatsanwaltschaft Berlin wenden? – Nur zu: Keine falsche Scheu, die eigene Rechtsauffassung konsequent zu vertreten. :-)“
(http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/06/OLG_Stuttgart_Sympathiewerbung_nicht_strafbar.pdf, S. 13 – 15 [Fußnoten zu dieser Passage hier weggelassen])

Wie sieht es aus, sehr geehrte Damen und Herren von Berliner Staatsanwaltschaft: Wollen Sie noch einen Versuch wagen?

Ich veröffentliche hier meinen Einspruch, den ich am 18. Oktober 2024 gegen den Strafbefehl einlegte, und einen Schriftsatz, mit dem ich die gerichtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Tiergarten in Frage stellte.

http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2025/01/Einspruch_gg_Strafbefehl__anon.pdf (10 Seiten)

Seite 1 meiner Beanstandung der gerichtlichen Zuständigkeit
http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2025/01/Beanstandung_Zustaendigkeit__anon.pdf (7 Seiten)

Das Manöver der Beanstandung der gerichtlichen Zuständigkeit funktionierte nur halb so, wie erhofft:

Zwar entschied das Gericht mündlich, daß es zuständig sei, da im Moment nur der Verdacht der Kennzeichen-Verwendung (und nicht der Unterstützung eines verbotenen Vereins) im Raum stehe; wenn sich daran etwas ändere, werde es einen Hinweis / eine Verweisung ans LG geben.

Die von mir erhoffte Begründung, warum denn kein Unterstützungs-Vedacht im Raume steht, blieb aber aus (und ich war dann nicht schnell / spontan genug, genau dazu noch mal nachzufragen).

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https://blogs.taz.de/theorie-praxis/doch-doch-ich-war-wieder-auffaellig/

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