In Karlsruhe steht zur Zeit der Redakteur von Radio Dreyeckland (RDL), Fabian Kienert, vor Gericht. Er soll einen verbotenen „Verein“ – den früheren BetreiberInnenkreis von linksunten.indymedia – unterstützt haben. Dies soll dadurch geschehen sein, daß er in einem Artikel auf der RDL-Webseite das Archiv von linksunten.indymedia verlinkte.
Eines der vielen Merkwürdigkeiten an dem Verfahren ist: Jahrelang (von Januar 2020 bis Juli/August 2023) schien sich der Staat nicht sonderlich für das Archiv zu interessieren – ich versuchte in den letzten Wochen herauszufinden, warum nicht. Dies interessierte mich aus zwei Gründen:
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Das, was bis zum Sommer 2023 dazuführte, daß kein Ermittlungsverfahren wegen der Archiv-Veröffentlichung eingeleitet wurde (so jedenfalls der bisherige Informationsstand), könnte auch dagegen sprechen, daß dann im Sommer 2023 doch eines eingeleitet wurde; und erst recht dagegen sprechen, daß Fabian Kienert angeklagt wurde – denn: Wenn die Veröffentlichung des Archivs keine Straftat war, wie soll dann die Verlinkung des Archivs eine Straftat darstellen, Staatsanwaltschaft Graulich?
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Selbst, falls sich ein derartiger unmittelbarer pragmatischer Nutzen für das Kienert-Verfahren nicht ergeben sollte, wäre interessant, herauszufinden, nach welchen Kriterien Strafverfolgungsbehörden Sachverhalte, die grundsätzlich für Strafverfahren in Betracht kommen, tatsächlich verfolgen oder ignorieren.
Eine von der tagesschau diagnostizierte Unklarheit
Eines liegt jedenfalls auf der Hand: Die Veröffentlichung des linksunten-Archivs kam für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens in Betracht; und wenn das Archiv durch den alten linksunten-BetreiberInnenkreis erfolgt wäre, hätte die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens – zumindest gegen „unbekannt“ – (oder zumindest die Prüfung der Einleitung eines solchen Ermittlungsverfahrens) nahegelegen.
Die tagesschau schrieb aus Anlaß der Archiv-Veröffentlichung:
„Seit dem 16. Januar ist ein Archiv der verbotenen Seite ‚linksunten.indymedia‘ wieder auf mehreren Seiten im Netz einsehbar. Ob die erneute Abrufbarkeit des ‚linksunten‘-Archivs auch unter das Verbot von 2017 fällt, ist unklar.“
(https://www.tagesschau.de/inland/indymedia-verbot-101.html)
Ein durchschnittlich engagierter Staatsanwaltschaft, der von der Archiv-Veröffentlichung erfährt, und zumal ein Staatsanwalt, der – wie der Karlsruher Staatsschutz-Staatsanwalt Graulich – als besonders bissig gegen links gilt, hätte meines Erachtens ein eminentes Interesse haben müssen, die von der tagesschau angesprochene ‚Unklarheit‘ in Klarheit zu verwandeln.
§ 152 Absatz 2 Strafprozeßordnung:
„Sie ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.“
§ 160 Absatz 1 Strafprozeßordnung:
„Sobald die Staatsanwaltschaft durch eine Anzeige oder auf anderem Wege von dem Verdacht einer Straftat Kenntnis erhält, hat sie zu ihrer Entschließung darüber, ob die öffentliche Klage zu erheben ist, den Sachverhalt zu erforschen.“
Der komplette Artikel als .pdf-Datei:
Die von der tagesschau angesprochene ‚Unklarheit‘ in Klarheit zu verwandeln, hätte erfordert, herausfinden, welche Person/en das Archiv veröffentlicht hat/haben. Denn jedenfalls dann, wenn die Veröffentlichung des Archivs nicht durch Mitglieder des alten BetreiberInnenkreises und auch nicht im Auftrag des alten BetreiberInnenkreis erfolgte, ist klar, daß die Veröffentlichung des Archivs jedenfalls keine Straftaten nach §§ 85, 86 StGB und § 20 Vereinsgesetz1 darstellt.2
Eine notwendige Zwischen-Erläuterung:
Warum die Veröffentlichung des linksunten-Archivs jedenfalls dann keine Straftat darstellte, wenn sie nicht durch den verbotenen „Verein“ erfolgte
In Bezug auf §§ 85, 86 StGB (Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot / Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) kam und kommt eine Strafbarkeit durch die Archiv-Veröffentlichung deshalb nicht in Betracht, weil diese Paragraphen einen „unanfechtbar verbotenen“ Verein (oder eine Vereinigung, die auf der EU-Terrorliste steht) voraussetzen. Auf der EU-Terrorliste steht der angebliche „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ selbstverständlich nicht; und „unanfechtbar“ wurde das linksunten-Verbot erst dadurch, daß das Bundesverwaltungsgericht am 29.01.2020 die fristgemäß vorgenommene Anfechtung des Verbots (durch Klageerhebung) negativ beschied.
Die Archiv-Veröffentlichung erfolgte aber bereits rund 2 Wochen vorher – laut tagesschau am 16.01.2020 (wofür auch der entsprechende de.indymedia-Artikel vom 16.01.2020 spricht, der am 17.01.2020 von archive.org erstmals gespeichert wurde).
Für § 20 Vereinsgesetz (Zuwiderhandlungen gegen Verbote) genügt ein ‚vollziehbar verbotener‘ Verein; vollziehbar war das linksunten-Verbot von Anfang an.
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Dort kommt aber, wenn das Archiv nicht durch den verbotenen „Verein“ veröffentlicht wurde, ausschließlich die Tatbestandsvariante der Unterstützung eines vollziehbar verbotenen Vereins (durch Außenstehende) in Betracht.
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Ein Äquivalent zu § 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen) gibt es dagegen in § 20 Vereinsgesetz nicht.
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Stellt die Archiv-Veröffentlichung eine Unterstützung des verbotenen Vereins dar? Meines Erachtens: Nein – und zwar aus vier von einander unabhängigen Gründen:
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Einen „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ gab es nie. Der alte BetreiberInnenkreis von linksunten.indymedia hieß vielmehr IMC linksunten, wobei „IMC“ für „Independent Media Centre“ stand.
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Selbst wenn wir die Falschbezeichnung des gemeinten Verbotsobjekts ignorieren: Nichts deutet darauf hin, daß der alte BetreiberInnenkreis Mitte Januar 2020 noch existierte; die alten linksunten-Artikel wurde bereits am 25.08.2017 brav aus dem Netz genommen; es gab nicht einmal eine politische Stellungnahme zum Verbot.
Folglich konnte der verbotene Verein schon damals nicht mehr unterstützt werden.
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Der in § 85 StGB und § 20 Vereinsgesetz identische Unterstützungs-Begriff muß so interpretiert werden, daß er weder sogenannte (Sympathie)Werbung erfaßt; noch Progandamittelverbreitung erfaßt. Warum?
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Weil es Propagandamittelverbreitung als eigenen – spezielleren3 – Straftatbestand gibt, aber ausschließlich in Bezug auf bereits „unanfechtbar“ verbotene Vereine (BTag-Drs. V/2860, S. 9: Unzulässigkeit, „in § 86 StGB i. d. AF beschlossenen Einschränkungen“ zu umgehen). Daraus kann geschlossen werden, daß die Verbreitung von Propagandamitteln bloß vollziehbar verbotener Vereine nicht strafbar ist.
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Und den Straftatbestand der Werbung für vereinsrechtlich verbotene Vereine gab es zwar bis 1968, aber er wurde von den Gesetzgebungsorganen 1968 bewußt nicht ins neue, etwas liberalisierte Politische Strafrecht übernommen (BTag-Drs. V/2860, S. 6).
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Ohnehin ist das Archiv, wenn es nicht durch den verbotenen Verein oder in dessen Auftrag veröffentlicht wurde, kein Propagandamittel des verbotenen Vereins, sondern derjenigen Person oder Personen, die das Archiv veröffentlicht und das dazugehörige Vorwort geschrieben hat oder haben (siehe unten S. 5).
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Und das Vorwort ist nicht identifikatorisch in Bezug auf die dokumentierten alten linksunten-Artikel, sondern historisierend („Geschichte erzählen“; vgl. auch: „10 Jahre Bewegungsgeschichte“).
Also: Nicht einmal sog. Sympathiewerbung; und selbst wenn das Archiv-Vorwort + Dokumentation der alten Texte Sympathiewerbung wäre, wäre sie nicht strafbar (siehe oben: BTag-Drs. V/2860, S. 6).
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Aus diesen Gründen hängt die Strafbarkeit der Archiv-Veröffentlichung also daran, ob sie durch den verbotenen Verein erfolgte.
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Dagegen spricht aber wiederum, daß es auch schon vor dem Verbot einen „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ nie gab – das Verbot wäre also ausgegangen wie das Hornberger Schießen, wenn sich die linksradikale Szene ihm nicht gebeugt hätte.
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Aber selbst, wenn die Falschbezeichnung für unschädlich gehalten wird (wie es des Karlsruher Staatsanwalts Graulich Auffassung jedenfalls mittlerweile zu sein scheint), bleibt für Herrn Graulich das Problem, daß der verbotene Verein / der alte BetreiberInnenkreis jedenfalls als solcher nicht mehr in Erscheinung tritt: Es gab
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weder nach dem Verbot (BAnz AT 25.08.2017 B1),
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noch nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
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noch nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zum linksunten-Verbot
eine Erklärung des alten BetreiberInnenkreis zu dem Verbot und dazu, wie er mit dem Verbot umgeht.
Auch nach Veröffentlichung des Archivs (mit neuem Vorwort und neuen Recherchetools) wurde der laufende Betrieb der Plattform nicht wieder aufgenommen.
Schließlich: Nicht einmal die Archiv-Veröffentlichung erfolgte im Namen des verbotenen Vereins.4
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Sollte das Archiv dagegen doch von dem verbotenen Verein / alten BetreiberInnenkreis veröffentlicht worden sein, so würde es sich aber wahrscheinlich schon um eine Straftat handeln.5 Denn ein verbotener Verein darf weder weiterhin organisatorischen Zusammenhalt haben noch sich betätigen – folglich auch nicht in Form der Veröffentlichung eines ‚digitalen Reprints‘ seiner alten Publikation. Andere (natürliche Personen und nicht-verbotene Vereine) dürften solche digitalen Reprints aber – wie oben dargelegt – sehr wohl herausgeben. Denn solchen Dritten ist ja weder Existenz noch Betätigung verboten. Auch sind ‚(digitale) Reprints‘ durch Dritte (mit neuem Vorwort) – wie schon gesagt – deren Propagandamittel und kein Propagandamittel der verbotenen Organisation:
„Im vorliegenden Fall handelt es sich um die – mit einer Vorbemerkung versehene – Herausgabe fremder Texte. Deshalb stellt sich die Frage, worauf die Prüfung zu beziehen ist. Nach Ansicht des Senats kann es nur darauf ankommen, ob der Publizierende selbst (eindeutig) wirbt oder unterstützt, nicht auf die werbende oder unterstützende Wirkung der veröffentlichten fremden Texte als solcher (vgl. Rebmann, NStZ 1981, 461 f.; und Giehring, StV 1983, 309). Das folgt ohne weiteres daraus, daß Werben und Unterstützen zielgerichtete Tätigkeiten sind.“
(Oberlandesgerichts Schleswig, Beschluß vom 30.10.1987 zum Az. 2 OJs 11/87; NStE Nr. 3 zu § 129a StGB6 ≈Neue Juristische Wochenschrift 1988, 352 – 353 [352])
Des Pudels Kern:
Warum hat die Karlsruher Staatsanwaltschaft nach Veröffentlichung des linksunten-Archivs zunächst kein Ermittlungsverfahren eingeleitet?
In Betracht kommen mehrere hypothetische Gründe:
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Die Staatsanwaltschaft hatte die Archiv-Veröffentlichung zunächst gar nicht mitbekommen. Das mag sein – aber spätestens bei Einleitung des Ermittlungsverfahren gegen Kienert wegen dessen Archiv-Verlinkung wußte sie ja von der Archiv-Veröffentlichung. – Weshalb damals also nicht auch gleich ein Ermittlungsverfahren wegen der Archiv-Veröffentlichung selbst?
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Vielleicht weil die Staatsanwaltschaft – richtigerweise – keine tatsächlichen Anhaltspunkt dafür sah, daß die Archiv-Veröffentlichung durch den verbotenen „Verein“ erfolgte. – Aber warum dann überhaupt das Ermittlungsverfahren und die Anklage gegen Kienert? Ich weiß es nicht (eine entsprechende Anfrage an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe wurde mir von dieser nicht beantwortet) – aber vermutlich, weil der zuständige Staatsanwalt zunächst schlicht übersehen hatte, daß nur existierende Vereine unterstützt werden können.
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Oder die Staatsanwaltschaft hielt die Archiv-Veröffentlichung nicht einmal dann für eine Straftat, falls das Archiv durch den verbotenen „Verein“ / alten BetreiberInnenkreis erfolgt sein sollte. Das wäre dann freilich nahezu linksradikales Wunschdenken.
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Oder die Staatsanwaltschaft hielt sich schlicht für örtlich nicht zuständig. Aber warum nicht, wenn das Archiv durch den verbotenen Verein / alten BetreiberInnenkreis erfolgt sein sollte? – Die Staatsschutz-Abteilung der Karlsruher Staatsanwaltschaft ist für
ganz Baden-Württembergden ganzen OLG-Bezirk Karlsruhe [Korrektur vom 02.06.2024] zuständig. Freiburg liegtin Baden-Württembergim OLG-Bezirk Karlsruhe [Korrektur vom 02.06.2024], und es war niemals behauptet worden, der verbotene „Verein“ / alte BetreiberInnenkreis habe Mitglieder und/oder organisatorische Strukturen außerhalb Freiburgs.
Auskunft der Staatsanwaltschaft Stuttgart vom 28.05.2024: „Staatsschutz-Staatsanwaltschaften in Baden-Württemberg sind die Staatsanwaltschaften Stuttgart und Karlsruhe sowie die Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart.“Bei Annahme, die Veröffentlichung des linksunten-Archivs sei durch den alten BetreiberInnenkreis erfolgt, wäre die örtliche Zuständigkeit der Karlsruher Staatsanwaltschaft unmittelbar gegeben. – Warum also zunächst keine Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach Archiv-Veröffentlichung?
Ein Aal, der sich windet
Auf mein beharrliches Nachfragen, das dazuführte, daß sich der Pressesprecher der Karlsruher Staatsanwaltschaft schon über die Überstunden beklagte, die er wegen meiner ganzen Fragen machen müsse, kam in inhaltlicher Hinsicht aber nur ein Winden nach dem anderen (vielleicht um zu vermeiden, zuzugeben, daß auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe zunächst nicht davon ausging, daß das Archiv durch den alten Verein veröffentlicht wurde; weiß ich aber nicht, da sich die Staatsanwaltschaft windet, wie ein Aal). Außerdem kam dabei am vorläufigen Ende heraus, daß es doch ein weiteres – der Öffentlichkeit bisher unbekanntes – Ermittlungsverfahren wegen linksunten gab. Auch dieses wurde allerdings eingestellt oder versandete anderweitig – der zuständige Staatsanwalt erinnert sich angeblich an nichts Genaues mehr…
Rekonstruktion einer Recherche
Im .pdf-Anhang (ab S. 10) zu diesem Artikel findet sich mein kompletter mail-Wechsel mit der Pressestelle der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 19.12.2023 bis zum 16.05.2024 zum Komplex ‚Anfangsverdacht auf Fortbestehen des ›Vereins ‚linksunten.indymeida’‹‘; hier sei zunächst einmal nur die Antwort-mail der Pressestelle vom 16.05.2024 (= Donnerstag der vergangen Woche) zitiert:
„Das Archiv selbst war bereits vorher [vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens gegen den RDL-Journalisten Fabian Kienert] bekannt. Der exakte erstmalige Zeitpunkt lässt sich aber nicht mehr feststellen. Nach Erinnerung des zuständigen Dezernenten gab es in diesem Zusammenhang einmal ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen Unbekannt. Diese wurde entweder nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt oder (wohl eher) an eine andere Staatsanwaltschaft abgegeben. Dies war dem Dezernenten nicht mehr erinnerlich, ebenso wenig das Aktenzeichen o.ä. (mit dessen Hilfe ich die Frage Einstellung vs. Abgabe hätte klären können). Zeitlich war dies aber vor dem RDL-Verfahren.
Wie bereits ausgeführt, wird ein Ermittlungsverfahren bei Vorliegen eines Anfangsverdachts eines in die hiesige Zuständigkeit fallenden Straftat eingeleitet. Nachdem diese Voraussetzungen nach Beurteilung des Dezernenten (Stichwort: ‚kritische Masse‘) erfüllt waren, hat er mit Verfügung vom 19.06.2023 ein neues Ermittlungsverfahren gegen mehrere in den hiesigen Zuständigkeitsbereich fallende Beschuldigte (d.h. Js-Verfahren) eingeleitet.“
Am Ende (S. 22) des Anhangs findet sich ein „Resümee des mail-Wechsels mit der Staatsanwaltschaft Karlsruhe“.
Die zentrale Leerstelle der Antworten der Staatsanwaltschaften ist jedenfalls: Worin soll die angebliche „kritische Masse“ für die Einleitung des neuen Ermittlungsverfahrens bestanden haben? Was hatte sich – angeblich – gegenüber vorher geändert, als keine bzw. nur versandete Ermittlungsverfahren eingeleitet worden waren? Stochert die Staatsanwaltschaft einfach nur im Nebel?
Liste der nunmehr öffentlich bekannten Strafverfahren im Zusammenhang mit dem linksunten-Verbot
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Das eingestellte7 § 129 StGB-Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe: Az. 540 Js 35605/17) gegen vermeintliche Mitglieder des alten linksunten-BetreiberInnenkreises.
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Das – nach Anklageerhebung, aber vor Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens verjährte8 – Strafverfahren [Aktenzeichen des Landgerichts Berlin: (502 KLs) 231 Js 3168/18 (5/19)9] gegen Peter Nowak, Achim Schill und mich selbst wegen unserer Protesterklärung gegen das linksunten-Verbot10, die wir weiterhin für politisch richtig halten und die jedenfalls ich weiterhin für legal halte.
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Die Verurteilung eines – vor Gericht anscheinend anwaltlich nicht vertretenen – Augsburger Arbeitslosen wegen Verwendung des angeblichen Kennzeichens des verbotenen Vereins.11
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Ein eingestelltes Ermittlungsverfahren wegen Verwendung einer farblichen Abwandlung des linksunten-Logos durch die Rote Hilfe Kiel.12
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Das laufende Strafverfahren gegen Fabian Kienert (Radio Dreyeckland) wegen seiner Verlinkung des Archivs von linksunten (Aktenzeichen des Landgerichts Karlsruhe: 5 KLs 540 Js 44796/22).
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Das neue § 85 StGB-Ermittlungsverfahren (Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Karlsruhe: 540 Js 26024/23) gegen vermeintliche Mitglieder des alten linksunten-BetreiberInnenkreises, in dessen Rahmen es am 02.08.2023 in Freiburg zu Durchsuchungen kam und das ebenfalls noch läuft.
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Und schließlich das jetzt bekannt gewordene versandte Ermittlungsverfahren, zu dem die Staatsanwaltschaft Karlsruhe angeblich nicht einmal das Aktenzeichen weiß.
1 Die eventuelle Strafbarkeit unter dem Gesichtspunkt eines eventuellen – meines Erachtens nicht gegebenen – Zueigenmachens von alten linksunten-Artikeln, die eventuell Äußerungsdelikte darstellten, sei an dieser Stelle (im Interesse der Komplexitäts-Reduktion) vernachlässigt.
2 Diese These wird im folgenden nur knapp begründet. Für ausführlichere Begründungen siehe vor allem:
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15-seitiger Schriftsatz von mir vom 29.04.2024 an das Amtsgericht Berlin-Tiergarten; https://archive.org/details/schutzschrift-ohne-adrr.
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OLG Stuttgart: Bloße Sympathiewerbung ist nicht strafbar. Staatsanwaltschaft Karlsruhe pragmatisch erfolgreich, aber theoretisch geohrfeigt; https://blogs.taz.de/theorie-praxis/olg-stuttgart-blosse-sympathiewerbung-ist-nicht-strafbar/ vom 18.06.2023.
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Noch eine dritte Frage an das Amtsgericht Karlsruhe. Warum vermengen Sie die Begriffe „Werbung“ und „Unterstützung“?; https://blogs.taz.de/theorie-praxis/noch-eine-dritte-frage-an-das-amtsgericht-karlsruhe/ vom 02.02.2023.
3 Vgl.: lex specialis derogat legi generali – das speziellere Gesetz verdrängt die allgemeineren Gesetze.
4 „Indymedia hieß immer, selbst zu entscheiden ob etwas veröffentlicht wird oder auch nicht. Darum entscheiden WIR uns jetzt, diese 10 Jahre Bewegunsgeschichte wieder zugänglich zu machen. […]. Wir haben keinerlei Verbindung zu den Menschen, die linksunten.indymedia.org ursprünglich betrieben haben. Wir sind einfach ein paar Aktivist*innen, denen es wichtig ist, diese Seite als Archiv zugänglich zu machen.“ (https://web.archive.org/web/20200117153301/https://de.indymedia.org/node/59795)
5 Allerdings könnte eingewandt werden, nicht nur für Außenstehende, sondern auch für Mitglieder bestehe ein Spezialitäts-Vorrang von § 86 StGB (Propagandamittelverbreitung) gegenüber § 85 StGB (mitgliedschaftliche Betätitung usw.); vgl. BTag-Drs. V/2860, S. 9 (Unzulässigkeit, „in § 86 StGB i. d. AF beschlossenen Einschränkungen“ zu umgehen).
Dann müßte auch in Bezug auf Mitglieder und nicht nur in Bezug auf Außenstehende das Archiv unter den Gesichtspunkten des § 86 Absatz 3 und 4 StGB geprüft werden:
„(3) Propagandamittel im Sinne des Absatzes 1 ist nur ein solcher Inhalt (§ 11 Absatz 3), der gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet ist. Propagandamittel im Sinne des Absatzes 2 ist nur ein solcher Inhalt (§ 11 Absatz 3), der gegen den Bestand oder die Sicherheit eines Staates oder einer internationalen Organisation oder gegen die Verfassungsgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist.
(4) Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86.html)
Der BGH entschied aber bereits einmal in den 1970er Jahren – dort in Bezug auf die verbotene KPD –, daß sich verbotene Organisationen selbst nicht auf die Einschränkungen in § 86 StGB berufen dürften – u.a. da sie schon gar nicht mehr existieren dürfen (vgl. https://research.wolterskluwer-online.de/document/8054a460-efed-411b-aa31-e12b4230f1db, Textziffer 6 und 17; vgl. https://www.freie-radios.net/120448 und https://www.freitag.de/autoren/dgsch/politische-justiz-mitte-februar-vor-55-jahren).
6 Die Entscheidung reicht von der Vorderseite von Blatt 34 bis zur Rückseite von Blatt 35; das angeführte Zitat befindet sich auf der Rückseite von Blatt 34. Die Zitate von Rebmann und Giehring sind dort: https://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2024/05/Stand_d_RDL-Verfahens.pdf auf S. 15 f. in Endnote i und ii angeführt.
7 https://blogs.taz.de/theorie-praxis/auf-die-gefahr-hin-autonome-eitelkeit-zu-kraenken/.
8 https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/02/Verjaehrung__kurz.pdf.
9 Vgl. anschließend: Kammergericht Berlin, Beschluß vom 24.05.2022 zum Aktenzeichen 1 Ws 29/22 – 171 AR 46/22.
10 https://web.archive.org/web/20220307223100/http://systemcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/2017/08/31/linksunten-solidarisch-zu-sein-heisst-sich-dem-verbot-zu-widersetzen/.
11 Siehe dazu:
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und
12 „Der erste Zeuge war derjenige Beamte beim LKA Baden-Württemberg, der für nahezu alle Verfahren mit möglichem linksunten-Bezug zuständig war. Seine Zusammenfassung der seit dem Verbot begonnenen Ermittlungen ergab: Hinweise auf eine aktive Fortführung des ‚Vereins‘ gibt es nicht. Die Rote Hilfe Kiel habe ein ähnliches Logo in anderer Farbe auf einem Flyer verwendet und es habe vereinzelte Aufrufe zur Erstellung eines Archivs der verbotenen Plattform gegeben.“ (https://rdlsoli.noblogs.org/post/2024/04/28/prozessbericht-tag-3/ vom 28.04.2024)
Die letzten Neuigkeiten vor dem heutigen (Dienstag) vielleicht letzten Verhandlungstag vor der Urteilsverkündung:
Schlußspurt für Freispruch?
https://de.indymedia.org/node/365602.