vonDetlef Georgia Schulze 18.06.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Wie im ersten Teil dieser Serie bereits anhand der Pressemitteilung des Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart von Montag berichtet, hat das OLG – nach vor­heriger gegenteilige Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe – nun doch das strafrechtliche Hauptverfahren gegen den Journalisten Fabian Kienert von Radio Dreyeckland (RDL) eröffnet, weil er die angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indy­media‘“ durch einen im Sommer 2022 auf der Webseite von RDL erschienen Artikel „unterstützt“ haben soll. Stein des justiziellen Anstoßes ist vor allem die Nennung der URL des Archivs der seit 2017 nicht mehr erscheinenden internet-Zeitung linksunten.indmedia: „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite“, so lautet der besonders inkriminierte Satz.

Zur statistischen Einordnung des OLG-Beschlusses sei erwähnt, daß Nicht-Eröff­nungs-Beschlüsse sehr selten sind (s. den zweiten Absatz meines Artikels in der Linkszeitung vom 25.05.2023). Nach Einschätzung des Vorsitzenden des Ge­schäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltsvereins, Rechtsanwalt Dr. Dirk Lammer, der aber keine konkreten Zahlen zur Hand hatte, werden aber die wenigen Nicht-Eröffnungs-Beschlüsse wie­derum sehr häufig von den Beschwerdegerichten aufgehoben werden. Zu­mindest statistisch bewegt sich der Stuttgarter OLG-Beschluß also im Rahmen des Üblichen.

Stellungnahme der Baden-Württembergischen Landtagsabgeordneten Catherine Kern (Grüne)

Nach Ansicht der Grünen Landtagsabgeordneten Catherine Kern handelt es sich bei den Ermittlungsmaßnahmen und der Anklage im Fall „Radio Dreyeckland“ auch nach dem Beschluß des Oberlandesgerichts „weiterhin um schwere [Grund­rechts-]Eingriffe, die einer genauen Prüfung bedürfen“1. Sie setzt aber auch hinzu: „Gerichte haben dies […] nun in vielen Stufen beurteilt. Das gilt es zu respektie­ren. Gerichtsbeschlüsse haben wir aufgrund der Gewaltenteilung nicht inhaltlich zu beurteilen. Letztlich bleibt es nun, das Strafverfahren abzuwarten.“

Meine dazu am Mittwochnachmittag gestellte Nachfrage, ob sie „(bundes)gesetzli­chen Änderungsbedarf sehen [würde], sollte es am Ende zu einer Bestrafung von Herrn Kienert kommen, um eine Wiederholung solcher schweren Eingriffe in die Medienfreiheiten auszuschließen“, wurde bis Fertigstellung des hiesigen Artikels noch nicht beantwortet. [Nachtrag: Frau Kern sieht auch diese Frage erst als beantwortbar an, wenn der genaue Entscheidungsinhalt bekannt sein wird.]

Stellungnahme des Angeklagten

Der nunmehrige Angeklagte selbst äußerte laut Pressemitteilung von Radio Dreyeckland von Mittwoch zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart:

„Die baden-württembergische Justiz braucht offenbar Nachhilfe in Sachen Pressefrei­heit“. „Die Kriminalisierung belastet nicht nur mich, sondern verunsichert Journalist:in­nen in der ganzen Republik. Es muss möglich sein, kritisch [über] Vereinsverbote zu berichten, ohne sich direkt dem Vorwurf auszusetzen, eine verbotene Vereinigung zu unterstützen.“

Dieser Hinweis auf die kritische Berichterstattung ist wichtig, denn es wäre ver­kürzt, zu sagen, es würde im vorliegenden Fall allein schon die Verlinkung krimi­nalisiert. Vielmehr machen nach Ansicht des Oberlandesgerichts Verlinkung + Kri­tik an dem Verbot die Unterstützung des Verbotsobjektes aus. Auch Letzteres ist freilich eine sehr steile These des Oberlandesgerichts. Denn das Bundesverfas­sungsgericht hat bereits entschieden, daß Kritik an Vereinsverboten (was etwas anderes ist als der Bruch [die Verletzung] von Vereinsverboten) zulässig ist:

„Die mit einem Eintreten für eine Aufhebung des Verbots verbundenen Solidarisie­rungseffekte sind, auch dann, wenn damit zugleich eine Sympathie für die verbotene Vereinigung ausgedrückt wird, im Interesse der freien Meinungsäußerung hinzuneh­men (vgl. BVerfG, NVwZ 2002, 709 <710>).“
(https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/09/rk20060926_1bvr060504.html, Textziffer 56)

Stellungnahmen von ROG und DJV

Die JournalistInnenorganisation Reporter ohne Grenzen (ROG) erklärte am Diens­tag auf Anfrage zur OLG-Entscheidung: „Wir sind sehr befremdet darüber, mit wel­cher Vehemenz die Justiz in Baden-Württemberg hier gegen Radio Dreyeckland vorgeht“, so ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. Weiter führte er aus:

„Verlinkungen sind Teil jeder seriösen journalistischen Berichterstattung. Relevante Inhalte zu verlinken als aktive Unterstützung dieser Inhalte zu werten, halten wir für abwegig und sogar gefährlich. Sollte die Argumentation des Oberlandesgerichts auch in der Hauptverhandlung Bestand haben, wird das für große Verunsicherung bei an­deren Medien führen. Wir glauben und hoffen, dass es nicht dazu kommt. Trotzdem stellt das gesamte Vorgehen gegen den freien Radiosender schon jetzt einen massi­ven Eingriff in die Pressefreiheit dar.“

Des weiteren findet sich auf der Webseite des Landesverbandes Baden-Württem­berg des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) eine kritische Stellungnahme zur Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgarts. In der Erklärung wird der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall mit den Worten zitiert: Die Entscheidung des OLG bedeute „im Klartext: Wir Journalisten haften für das, was auf verlinkten Homepages steht“. Diese Anforderung des Oberlandesgerichts gehe aber „weit über das Sorgfaltsgebot hinaus, das uns der Pressekodex vorgibt.“
Der Geschäftsführer des DJV Baden-Württemberg Gregor Schwarz spricht von „Einschüchterungspotenzial“, das die Entscheidung habe, und er hoffe, „dass das Urteil nach dem zu führenden Prozess zugunsten des Kollegen ausfällt.“

Bundesverfassungsgericht (siehe FN 3): Verlinkte Inhalte sind nicht notwendigerweise auch Meinungsäußerungen oder Behauptungen der link-setzenden Person

Was Verlinkungen in journalistischen Artikeln anbelangt, so hatte auch das Land­gericht Karlsruhe in seinem Nicht-Eröffnungs-Beschluß vom 16. Mai – unter Beru­fung auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts – betont:

„Hinsichtlich der Verlinkung ist im Ausgangspunkt […] Folgendes zu bemerken […]: der Inhalt der durch einen Link in Bezug genommenen Internetseite wird – nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums – nicht schon qua Verlinkung zum Teil der vom Presseorgan geäußerten eigenen Meinung (so auch BVerfG, Beschl. v. 15.12.2011 – 1 BvR 1248/11 = NJW 2012, 1205, 1206 Rn. 352), sondern kann auch schlicht dem einfachen Zugang zu den verwendeten Quellen die­nen.“

Dies bestreitet das Oberlandesgericht nicht grundsätzlich; im konkreten Fall des Artikels von Fabian Kienert sieht es in der dortigen Verlinkung des linksunten-Archivs aber trotzdem etwas anderes als eine bloße Information oder Quellenangabe.

Bloße Sympathiewerbung ist nicht strafbar

Zu betonen ist allerdings ebenfalls, daß auch das Oberlandesgericht Stuttgart sogar anerkennt: Bloße (Sympathie-)Werbung ist nicht strafbar – diesen Um­stand hatten sowohl die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und auch das Amtsgericht in seinem Durchsuchungsbeschluß (siehe Anhang 1), der im Januar zu Haussuchungen bei Radio Dreyeckland und zwei RDL-Redakteuren führte, igno­riert.

Auf Seite 16 des OLG-Beschlusses, der mir inzwischen in anonymisierter Form vom Gericht zur Verfügung gestellt wurde, heißt es (insoweit im Gegensatz zur Position von Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Karlsruhe):

„Insgesamt überwiegen damit die Argumente, den Artikel des Angeklagten nicht als straflose (Sympathie-)Werbung für die verbotene Vereinigung anzusehen (vgl. hier­zu etwa BGH, Beschluss vom 19.07.2012, 3 StR 218/123, StV 2013, 303ff), sondern als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung.“ (meine Hv.)

Sympathiewerbung ist also straflos, so das OLG; im Falle des Artikels von Fabian Kienert handele es sich aber wahrscheinlich4 nicht bloß um (Sympathie-)Werbung, sondern um „Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung“. Dabei scheint das Oberlandesgericht – ohne es ausdrücklich zu sagen – der Ansicht zu sein, daß die „Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung“ (jedenfalls wohl: die Verbreitung von Propagandamitteln einer Vereinigung) zugleich eine Unterstützung der Verei­nigung im strafrechtlichen Sinne darstelle:

„Die Grenze zur Strafbarkeit bei der Wiedergabe fremder Texte ist aber überschritten, wenn die Information der Öffentlichkeit über Propagandatexte verbotener Vereinigun­gen nur ein Vorwand ist, um in Wahrheit die mit den Texten angestrebte propagandis­tische Wirkung für die dem Verbot unterliegende Vereinigung zu erzielen (BGH, Urteil v. 09.04.1997, 3 StR 387/96).“ (S. 15)

Allerdings hat Fabian Kienert gar keine Texte des alten BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia ‚wiedergeben‘, sondern bloß die Adresse der Webseite ge­nannt, wo diese Texte gefunden werden können. – Aber lassen wir dies zunächst dahinstehen. Auch der OLG-Hinweis auf das BGH-Urteil vom 09.04.1997 zum Ak­tenzeichen 3 StR 387/96 ist fragwürdig (das Urteil betrifft nur indirekt den Unter­stützungs-Begriff, und außerdem ist es eventuell durch neuere Entscheidungen überholt [unter anderem darum wird im nächsten Teil dieser Artikel-Serie gehen]).

Fehlende begrifflich-definitorische Trennung von „Unterstützung“ und „Werbung“ in der OLG-Entscheidung

Dieser Artikel als .pdf-Datei (31 DIN A 4-Seiten):
http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/06/OLG_Stuttgart_Sympathiewerbung_nicht_strafbar.pdf.

Das Oberlandesgericht bleibt schließlich eine Definition von „Unterstützung“ schul­dig, die (Sympathie-)Werbung ausschließt, aber „Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung“ (S. 16) einschließt – folglich findet insoweit in der OLG-Entscheidung auch keine sog. „Subsumtion“5 statt (was aber ein entscheidender methodischer Mangel der Entscheidung ist – auch wenn zuzugeben ist, daß Subsumtion im Sin­ne von völliger Eindeutigkeit nicht immer möglich ist6).

Vermutet werden kann aber, daß das Oberlandesgericht (auch wenn es keine explizite Definition gibt) den Begriff der „Verbreitung“ im impliziten Gegensatz zu dem Begriff der „Äußerung“ verwendet und daß dann

  • eine (eigene) werbende Äußerung „Werbung“ (die im Rahmen der §§ 84 und 85 StGB straflos; im Rahmen des § 129 bis 129b StGB nur strafbar ist, sofern sie Werbung um Mitglieder und UnterstützerInnen ist) sein soll – so­weit okay –

    und

  • „Verbreitung“ aber Unterstützung. Letzteres ist aber unzutreffend: Wird eine fremde – für eine Organisation werbende – Äußerung verbreitet, dann ist das nicht Unterstützung (als verselbständigter Tatbestand) für die Organisa­tion, sondern – allenfalls – Beihilfe zu der fremden Werbehandlung:

„Bei bloßem Verbreiten fremder werbender Äußerungen oder bei unkommentiertem Abdruck kommt Beihilfe zum Werben (Rdnr. 73) in Betracht (BGH NJW 1990 2828 2831).“
(von Bubnoff, in: Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar. Vierter Band, de Gruyter: Berlin, 1992-200011 [Lieferung zu §§ 125 bis 141: 1995], § 129, Randnummer 57; Hv. i.O.)

In der von von Bubnoff genannten BGH-Entscheidung unterscheidet der BGH – u.a. für Fälle der Werbung (1990 im Bereich des 129a StGB noch in Gänze strafbar) für Terroristischen Vereinigungen – zwischen

    • dem Fall, daß eine beschuldigte / angeschuldigte / angeklagte Person „selbst […] für eine terroristische Vereinigung geworben“ hat (= täter­Innenschaftliche Werbung, so der BGH)

      „oder

    • nur solche Äußerungen anderer verbreitet hat“ (= bloße Beihilfe zur Werbung der anderen Person, so der BGH)7.

Überhaupt nicht kommt dagegen – nach der Gesetzessystematik – in Be­tracht, Verbreitung einer fremden werbenden Äußerung als eigene Unter­stützungshandlung zu werten. Es könnte sich also bei der Verbreitung einer fremden werbenden Äußerung (sei es nun, Werbung für eine Terroristische8 oder bloße für eine vereinsrechtlich verbotene9 Vereinigung) – in Bezug auf die Verbreitungshandlung – maximal um Beihilfe zu der fremden Werbe­handlung handeln.

Aber Werbung ist – wie gerade schon gesagt – im Rahmen der §§ 84 und 85 StGB seit 1968 nicht mehr strafbar und im Rahmen der §§ 129 bis 129b StGB seit 2002 nur noch strafbar ist, sofern sie Werbung um Mitglieder und UnterstützerIn­nen ist.10 Ist nun aber die (fremde) Werbung schon keine Straftat, dann ist die (eigene) Beihilfe zur fremden Werbung erst recht keine Straftat. Binse.

Nun mag noch gesagt werden: Vorliegend seien ja (durch die Verlinkung) nicht werbende Texte von ebenfalls Außenstehenden, sondern Texte der Vereinigung selbst verbreitet worden – und das sei dann schon Unterstützung (nämlich Unter­stützung dabei, daß die Vereinigung ihre Texte bzw. die von ihr veröffentlichten fremden Texte verbreitet). In diesem Sinne hat auch der BGH schon die „dauer­hafte“ (wohl im Unterschied zur bloß einmaligen oder bloß kurzzeitigen) Übernah­me der „Rolle eines Zeitschriftenverteilers“ – allerdings einer gedruckten Zeitschrift (Einwurf in einen Briefkasten; Auslegen in einer Praxis) als Unterstützung der die Zeitschrift herausgebenden Vereinigung angesehen11:

„[…] die Feststellungen des Landgerichts, daß der Angeklagte Vereinszeitungen vor­rätig gehalten, in den Briefkasten des Zeugen Dr. Ö. eingeworfen und in dessen Pra­xis ausgelegt hat, [können] für sich betrachtet den Schuldspruch nach § 20 Abs. 1 Nr. 3 VereinsG zwar nicht tragen. Indes ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang des angefochtenen Urteils, daß der Angeklagte die Rolle eines Zeitschriftenverteilers im dargestellten Sinne dauerhaft übernahm und ausübte, so daß die rechtliche Würdigung des Landgerichts, der Angeklagte habe den organisatorischen Zusammenhalt des Vereins ‚Kalifatsstaat‘ unterstützt, im Er­gebnis zutrifft.“
(BGH, Urteil vom 10. März 2005 zum Aktenzeichen 3 StR 245/04 http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=32523&anz=1&pos=0&Frame=4&.pdf; S. 11; Hv. hinzugefügt)

Zu beachten ist, das diese Entscheidung zu § 20 Vereinsgesetz (und weder zu § 84 oder 85 StGB) ergangen ist (um § 85 StGB geht es im RDL-Fall).12

Auch unabhängig von den dem unterschiedlichen Norm-Bezug ist zu berücksichti­gen, Fabian Kienert (Radio Dreyeckland) aus zumindest einem Grund – meines Erachtens sogar aus zwei Gründen – keine Propagandamittel des alten BetreiberInnenkreises von linksunten.indymedia verbreitet hat:

  • Eine bloße Linksetzung ist gerade keine Verbreitung der fremden Inhalte, sondern – für die LeserInnen – bloß eine Erleichterung sich die fremden In­halte selbst zu beschaffen. Das wäre denn also ‚Beihilfe zum Lesen von Texten verbotener Vereinigungen‘. Aber es ist keine Straftat Texte, von ver­botenen Vereinigungen zu lesen; folglich ist auch eine Beihilfe zum Lesen keine Straftat. Binse.

  • Hinzukommt noch: Es ist zwar durchaus möglich, daß das linksunten-Archiv Anfang 2020 von der – 2017 verbotenen – angeblichen Vereinigung hoch­geladen wurde (insofern sei dem Oberlandesgericht zugestimmt); dafür lie­gen aber keine tatsächlichen Anhaltspunkten vor (siehe dazu bereits Teil I dieser Artikel-Serie; ich werde auf diese Frage in Teil IV noch mal zurück­kommen).

    Unmittelbar verlinkt wurden aber nicht Texte, die bis 2017 bei linksunten er­schienen waren (schon gar nicht: speziell Texte des vormaligen Herausge­berInnenkreises), sondern die Startseite des Archivs, die – als inhaltlichen Text – aber nur eine Art Vorwort derjenigen unbekannten Person(en), die die Archivseite erstellt hat oder haben, enthält. Um die alten linksunten-Inhalte zu erreichen, muß erst weitergeklickt werden; für diejenigen, die sich mal ei­nen eigenen Eindruck von der Startseite und den dort zur Verfügung ste­henden Möglichkeiten des Weiterklickens verschaffen wollen:

https://linksunten.indymedia.org. 🙂

Zum Verhältnis der § 85 und 86 Strafgesetzbuch zu einander

 

§ 86 StGB (Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen)

Nun mag schließlich noch auf § 86 Absatz 1 StGB hingewiesen werden, wonach strafbar ist, die Propagandamittel bestimmter Organisation „im Inland [zu] verbrei­te[en] oder der Öffentlichkeit zugänglich mach[en]“13. Dies zeigt aber gerade, daß der Begriff der Verbreitung eng zu verstehen ist (anderenfalls wäre es überflüssig, das Zugänglichmachen daneben als Alternative zu nennen); und: Was das Archiv von linksunten.indymedia anbelangt:

  • Das Archiv wurde nicht (erst) durch Fabian Kienert zugänglich gemacht.

  • Vielmehr war es schon rund 2 ½ Jahre lang zugänglich, bevor Kienerts Arti­kel erschien.

  • Das Archiv ist auch jetzt weiterhin zugänglich und mittels internet-Suchma­schinen auch für Leute, die die genaue Adresse nicht ohnehin auswendig kennen, ohne weiteres zu finden (für diejenigen, die das ausprobieren wol­len: einfach mal in eine Suchmaschine z.B. „linksunten“ und „Archiv“ einge­ben). Kienert hat das Archiv also nicht einmal zugänglich gemacht (ge­schweige denn die dortigen Inhalte selbst verbreitet14), sondern bloß die Adresse des – ohnehin allgemein zugänglichen – Archivs genannt.
    Bezeichnenderweise spricht das Oberlandesgericht seine gegenteilige Auf­fassung, Verlinkung sei Verbreitung,15 nicht einmal klar aus (sie läßt sich nur als Zusammenhang der [als fehlendes Kettenglied zwischen den] einzelnen Po­sitionen des OLG vermuten) – und folglich nennt das OLG auch keine einzi­ge Belegstelle aus Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur für seine mutmaßliche Auffassung.

Außerdem enthält § 86 StGB in Absatz 4 ausdrücklich folgende Bestimmung: „Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklä­rung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissen­schaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“

Verhältnis von § 86 StGB zu § 85 (und § 84) StGB

Damit spricht die Gesetzessystematik des Strafgesetzbuches im übrigen gerade dagegen, die Verbreitung von Propagandamitteln unter „Unterstützung“ zu subsu­mieren. Denn dadurch würde die Bestimmung des § 86 Absatz 4 StGB umgangen (es sei denn sie würde – z.B. von Verfassungs wegen – auch in die §§ 84 und 85 sowie 129 bis 129b StGB hingelesen16).

Der Bundesgerichtshof hat zwar 1975 – hinsichtlich des entsprechenden Verhält­nisses zwischen § 84 StGB (im Falle des Artikels von Fabian Kienert geht es da­gegen – wie bereits gesagt – um § 85 StGB) einerseits und § 86 StGB anderer­seits – die gegenteilige Auffassung vertreten:

„§ 84 StGB n.F. ist auch neben § 86 StGB n.F., […], anwendbar. Er sollte durch diese Vorschrift nicht eingeschränkt werden.“
(BGH, Urteil vom 17.12.1975 zum Aktenzeichen 3 StR 4/71 I; https://research.wolterskluwer-online.de/document/8054a460-efed-411b-aa31-e12b4230f1db, Textziffer 10)

Aber mit seiner Entscheidung, die auch in der rechtswissenschaftlichen Literatur kritisiert wird17, setzte sich der BGH im Widerspruch zum gesetzgeberischen Wil­len:

„Einigkeit bestand unter den Ausschußmitgliedern darüber, daß auf die §§ 84, 85 StGB i. d. AF [= Ausschußfassung (im Unterschied zum vorhergehenden Regierungs­entwurf)] und § 20 Vereinsgesetz nicht zurückgegriffen werden darf, wenn dies auf eine Umgehung der in § 86 StGB i. d. AF beschlossenen Einschränkungen hinauslau­fen würde.“
(BTag-Drs. V/2860; https://dserver.bundestag.de/btd/05/028/0502860.pdf, S. 9)

Zur chronologischen Abfolge der Beratungen über die Reform des Politischen Strafrechts 1968

Der BGH versuchte 1975 das gesetzessystematische Argument und den Hinweis auf die gerade genannte Bundestags-Drucksache wie folgt zu entkräften:

„Dieser Hinweis [auf die die gerade zitierte Drucksache] geht ersichtlich auf eine Erör­terung im Sonderausschuß zurück, die im Hinblick auf eine möglicherweise zu weite Auslegung des § 84 StGB unter dem Blickwinkel eines Spezialitätsverhältnisses des § 86 zu § 84 StGB geführt wurde. Die Frage ist aber letztlich offengeblieben, und zwar nicht zuletzt unter dem Eindruck der Erwägung, die Bedenken gegen eine früher ausdehnende Auslegung des § 90a StGB a.F., den § 84 StGB n.F. ersetzt hat, seien durch dessen viel engere Fassung weitgehend ausgeschaltet (vgl. Sonderausschuß für die Strafrechtsreform, 5. Wahlperiode, Protokoll der 84. Sitzung, S. 1672).“
(BGH, Urteil vom 17.12.1975 zum Aktenzeichen 3 StR 4/71 I; https://research.wolterskluwer-online.de/document/8054a460-efed-411b-aa31-e12b4230f1db, Textziffer 12)

Der BGH-Hinweis auf die 84. Sitzung des Sonderausschusses dürfte aber fehlge­hen, denn die von mir zuvor zitierte Bundestags-Drucksache enthält ja gerade die vom Ausschuß beschlossene (und anschließend vom Bundestags-Plenums ver­abschiedete) Fassung nebst Begründung, während die 84. Sitzung, auf die sich der BGH bezieht, sicherlich irgendeine frühere Sitzung des Ausschusses als die der Verabschiedung des Vorschlages zur Reform des Politischen Strafrechts war.

Jedenfalls kritisiert auch Bernd-Rüdeger Sonnen (allerdings ohne auf das Proto­koll der 84. Sitzung, S. 1672 einzugehen):

„Entgegen der Auffassung des BGH ist die angesprochene Frage auch nicht offenge­blieben, sondern in den Beratungen des Sonderausschusses offensichtlich endgültig behandelt worden. Die vom BGH zitierten Protokollnotizen (Protokoll der 62. Sitzung, S. 1175, 1179 und der 63. Sitzung, S. 1201 f.) sind durch die nachfolgenden Erörte­rungen überholt.“
(Sonnen, in: Reihe Alternativkommentare. Kommentar zum Strafgesetzbuch. Band 3, Luchterhand: Neuwied/Darnstadt, 1986, § 84, RN 39)

Sachverhalts-Unterschiede zwischen dem KPD-Fall und dem RDL-Fall

Hinzukommt – es gibt zwei Unterschiede zwischen dem damaligen Fall und dem Fall „RDL“:

  • Damals ging es um den Programmentwurf der KPD von Anfang 1968, die damals noch unstrittig existierte; erst im Herbst 1968 wurde – statt der KPD – staatlich geduldet die DKP gegründet.
    Im Fall „Radio Dreyeckland“ geht es dagegen um den ehemaligen BetreiberInnenkreis von linksunten.indymedia, von dem – entgegen der Auffassung des Oberlandesgerichts Stuttgart – alles andere als wahrscheinlich ist, daß er zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels von Fabian Kienert noch existierte. Nicht einmal die Staatsanwaltschaft und das Bundesinnenminis­terium haben bisher die Fortexistenz dieses angeblichen Vereins behauptet.18

  • Aber selbst wenn wir unterstellen, der alte BetreiberInnenkreises und damit ein prinzipiell unterstützbares Objekt (‚Verein‘) habe auch im Sommer 2020 noch existiert, bleibt ein wichtiger Unterschied:

    • Vorbemerkung: Das eigentliche Strafverfahren war in dem KPD-Fall – wegen einer Amnestie des Politischen Strafrechts aus Anlaß der Straf­rechtsreform von 1968 – eh eingestellt worden; es ging daher vor dem BGH nur noch um die sog. Einziehung der Broschüre mit dem Text des Programmentwurfes. (Die Einziehung war von der Amnestie nicht er­faßt.)

    • Die Straftaten, die die Einziehung nach Ansicht des BGH rechtfertigten, waren:

      • Die Bezahlung des Drucks der Broschüre mit dem Programm-Ent­wurf der KPD durch den Beteiligen A. des Einziehungsverfahrens, die nach Ansicht des BGH – wäre es nicht zur Amnestie gekommen – als mitgliedschaftliche Betätigung in der oder Unterstützung der KPD zu bestrafen gewesen wäre19

        sowie

      • die Beteiligung der beiden anderen Beteiligten des Einziehungsver­fahrens an dem Druck der Broschüre20: Die Einziehungsbeteiligten E. und G. waren persönlich haftende Gesellschafter der Gesellschaft (Kommanditgesellschaft21?), die die Druckerei betrieb.
        Insbesondere in der Bezahlung des Drucks mag vielleicht eine mate­rielle Unterstützungshandlung gesehen werden können, die nicht (nur) von § 86 Strafgesetzbuch 1968, sondern (auch) von § 84 StGB 1968 erfaßt ist. Ebenso mag in der physischen Beteiligung an dem Druck und vielleicht auch in der Entgegennahme des Druckauftrages und der Anweisung des Drucks eine Unterstützungshandlung gese­hen werden – sofern denn der Inhalt der Broschüre zur Kenntnis ge­nommen und die Strafbarkeit des Broschüreninhalts von den am Druck Beteiligten billigend in Kauf genommen wurde.

      • In dem RDL-Verfahren geht es dagegen um eigene Äußerungen des Artikel-Autors, Fabian Kienert, insbesondere um den wahren deskriptiven Satz: „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archiv­seite.“
        Daß eine Verlinkung keine Verbreitung der verlinkten Inhalte, sondern die Nennung des Ortes ist, wo diese Inhalte gefunden werden kön­nen, hatte ich oben bereits erklärt.

Die schwachen Gründe des Oberlandesgerichts

Für seine Auffassung, daß Fabian Kienerts Artikel mehr als (Sympathie-)Werbung sei, führt des OLG auf S. 13 seiner Entscheidung drei Gründe an:

„Die Handlung des Angeklagten ist geeignet, diese Tätigkeit zu unterstützen, indem sie erkennbar für Solidarität mit einem von der Justiz angeblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt (‚wir sind alle linksunten‘, ‚konstruiertes Verbot‘, ‚rechtswidrige Durchsu­chung‘) und den Leser dahin lenkt, die verbotenerweise immer noch betriebene Web­site zu besuchen und sich über deren Inhalte zu informieren.“

Doch mit allen drei Gründen ist es nicht weit her (siehe dazu sogleich); außerdem wischt die Formulierung, unterstützen, indem sie [die Äußerung Kienerts] er­kennbar für Solidarität mit einem von der Justiz angeblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt (Hv. hinzugefügt), den Unterschied zwischen Unterstützung und Werbung, den das OLG doch zunächst noch anerkannt hatte, beiseite.

Das Oberlandesgericht zitiert falsch

Beginnen wir mit dem zweiten Grund: In Wirklichkeit ist in dem Artikel nicht von „konstruierte[m] Verbot“, sondern von „konstruierte[m] Verein“ die Rede (aber das ist vielleicht nur ein Tippfehler). Jedenfalls ist es – wie bereits gezeigt – zulässig (S. 2), Vereinsverbote zu kritisieren – auch ist es zulässig zu bestreiten, daß ein bestimmter verbotener Personenkreis tatsächlich ein Verein war. Ich sage daher ein x-tes Mal:

  • Die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums vom 14.08.2017 in Sa­chen „linksunten.indymedia“ war und ist verfassungswidrig.

  • Soweit sie die internet-Plattform linksunten.indymedia verbieten wollte, war sie mit Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz nicht vereinbar.22

  • Soweit sie den BetreiberInnenkreis dieser internet-Plattform verbieten woll­te, war sie mit Artikel 9 Absatz 1 und 2 Grundgesetz unvereinbar. Denn

    • der BetreiberInnenkreis hieß seinerseits gar nicht „linksunten.indy­media.org“, sondern „IMC Linksunten“23;

    • das Verbot der angeblichen „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ ging also ins Leere; und das IMC Linksunten, das in der Verbotsverfügung eh nicht adressiert wurde, war vermutlich nicht vereinsförmig organisiert24;

    • die Verbotsverfügung ist allein schon wegen der Unbestimmtheit der Be­zeichnung des Verbotsobjektes25 – das heißt: wegen des Widerspruchs zwischen adressiertem und gemeinten Verbotsobjekt bzw. wegen des Widerspruchs zwischen Adressierung und Begründung der Verbotsverfü­gung verfassungswidrig.

    • Es ist außerdem – mindestens – sehr fraglich, ob die Verbotsgründe des Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz gegeben waren.

  • Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich 2020 in verfassungswidrigerwei­se26 geweigert, das Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der Verbotsgründe zu prüfen.
    Vom Bundesverfassungsgericht wurde diesbezüglich keine Überprüfung vorgenommen, weil die VerfassungsbeschwerdeführerInnen (= KlägerInnen des Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht) in ihrer Verfassungsbe­schwerde die falschen juristischen Schwerpunkte setzten und dem Bundes­verfassungsgericht deshalb – mangels insoweit substantiierter Verfas­sungsbeschwerde die Hände gebunden waren27.

Ich kritisiere also das linksunten-Verbot; u.a. bezeichne ich es als verfassungswid­rig. Die URL des Archivs des online-Mediums linksunten.indymedia hatte ich ein­gangs dieses Artikels bereits genannt. Möchte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nun bei der Staatsanwaltschaft Berlin anregen, ein Ermittlungsverfahren gegen mich wegen Verdachts auf Unterstützung der „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ einzuleiten? Möchte vielleicht der Vorsitzende der Staatsschutzsenats des Ober­landesgerichts Stuttgart sich mit einem entsprechenden Schreiben an die Staats­anwaltschaft Berlin wenden? – Nur zu: Keine falsche Scheu, die eigene Rechtsauffassung konsequent zu vertreten. 🙂

Die Durchsuchung des Freiburger alternativen Zentrums KTS wurde vom Verwaltungsgerichtshof Mannheim tatsächlich für rechtswidrig erklärt

Kommen wir zum dritten Grund – „rechtswidrige Durchsuchung“: Daß die Durch­suchung des Freiburger alternativen Zentrums KTS rechtswidrig war, ist nichts, was sich Fabian Kienert ausgedacht hat, sondern was der Verwaltungsgerichtshof (entspricht den Oberverwaltungsgerichten in anderen Bundesländern) Mann­heim rechtskräftig entschieden hat:

http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&GerichtAuswahl=VGH+Baden-W%FCrttemberg&Art=en&sid=a0f0b9e0f6a970d5c8e8a03140d339dd&nr=32580&pos=3&anz=8
(Es wird festgestellt, dass die Durchsuchungsanordnung in Nr. 1 des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22. August 2017 – 4 K 7022/17 – rechtswidrig gewesen ist.“).

In Kienerts Artikel stand genau das: „Im November 2020 hatte der Verwaltungsge­richtshof Baden-Württemberg schon die Durchsuchung der KTS im August 2017 im Zuge des konstruierten Vereins Indymedia Linksunten für rechtswidrig erklärt.“

(Kienert behauptete dagegen nicht, auch die Durchsuchung der Wohnungen der vermeintlichen BetreiberInnen sei für rechtswidrig erklärt worden – diese Darstel­lung wäre tatsächlich unzutreffend gewesen.)

Fabian Kienert hat gar nicht geschrieben, „wir sind alle linksunten“

Nun noch zu dem vom Oberlandesgericht beanstandeten Foto zu dem Artikel Kie­nerts, in dem die – auf eine Hauswand gesprühte – Parole „wir sind alle linksun­ten“ zu sehen ist: Alles Nötige dazu ist bereits in meinen vorherigen Artikeln und Interviews zum Fall und in dem Beschluß des Landgerichts Karlsruhe vom 16. Mai 2023 gesagt; eine kleine aktuelle Ergänzung (siehe Fett-Schrift) sei trotzdem hin­zugefügt:

  • Weder die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, noch das Amtsgericht Karlsruhe, noch das Oberlandesgericht Stuttgart behauptet, Kienert habe die Parole gesprüht oder das Foto geschossen.

  • Das Foto in Kienerts Artikel hat folgende Bildunterschrift: „‚Wir sind alle links­unten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.“

Wertes Oberlandesgericht, worin soll also die Identifizierung (das Zueigenma­chen) Kienerts mit der auf dem Foto zu sehenden Parole liegen?! Nicht einmal von der Person, die die Fotografie erstellt hat, läßt sich beim gegenwärtigen Kenntnisstand sagen, daß sie sich die zu sehende Parole zu eigen gemacht habe.

Hinzukommt: (Auch) Personenkreise, die Medien herausgeben bzw. verlegen, als Vereine zu verbieten, bedroht in der Tat alle Medienschaffenden: Auch bspw. die Süddeutsche Zeitung GmbH ist ein „Verein“ im Sinne von §§ 2 und 14 Vereinsgesetz – nur, daß die von der Süddeutsche Zeitung GmbH verlegten Medien eine etwas andere politische Tendenz haben, als sie die internet-Zeitung linksun­ten.indymedia hatte. Aber können wir uns sicher sein, daß ein hypothetisch künftig AfD-geführtes Bundesinnenministerium keinen Bedarf sehen wird, die Süddeutsche Zeitung GmbH zu verbieten? Und wer/welche weiß wie dann Bundesverwaltungsge­richt und Bundesverfassungsgericht zusammengesetzt sein werden…

Daher ist die Parole „wir sind alle linksunten.indyemdia“ jedenfalls für Medienschaf­fende – on the long run – nicht unzutreffend. – Werde ich jetzt wegen Unterstützung der „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ angeklagt?

Zum Begriff „kriminell“ im Kontext von Fabian Kienerts Artikel

Auf S. 16 konzediert das OLG zunächst:

„Die Überschrift [gemeint ist vielmehr die Dachzeile: „Linke Medienarbeit ist nicht kri­minell!“] kann als in der Medienarbeit übliche plakative Zuspitzung ohne ernsthafte Aussage angesehen werden, mit der lediglich das Interesse des Lesers am Artikel geweckt werden soll.“

Sodann heißt es aber:

„Der unübersehbar tendenziösen Überschrift kommt im Zusammenhang mit der Abbil­dung der verbotenen Kennzeichnung der ‚linksunten‘ erkennbar die Botschaft zu, die Tätigkeit der Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ sei erlaubt.“

Was das heißen soll, bleibt unklar.28 Vielleicht soll es heißen, überspitzende Über­schriften seien zulässig, tendenziöse aber nicht. – Aber das Recht von Medien, eine selbstgewählte Tendenz zu haben, ist ja nun gerade der Kern der Medienfrei­heiten:

 

„Der Rundfunk ist mehr als nur ‚Medium‘ der öffentlichen Meinungsbildung; er ist ein eminenter ‚Faktor‘ der öffentlichen Meinungsbildung. […]. Jedes Rundfunkprogramm wird durch die Auswahl und Gestaltung der Sendungen eine gewisse Tendenz ha­ben, insbesondere soweit es um die Entscheidung darüber geht, was nicht gesendet werden soll, was die Hörer nicht zu interessieren braucht, was ohne Schaden für die öffentliche Meinungsbildung vernachlässigt werden kann, und wie das Gesendete ge­formt und gesagt werden soll. Bei solcher Betrachtung wird deutlich, daß für den Rundfunk als einem neben der Presse stehenden, mindestens gleich bedeutsamen, unentbehrlichen modernen Massenkommunikationsmittel und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung die institutionelle Freiheit nicht weniger wichtig ist als für die Presse. In Art. 5 GG kommt das eindeutig zum Ausdruck, wenn Abs. 1 Satz 2 neben der Pres­sefreiheit ‚die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film‘ gewähr­leistet.“
(BVerfGE 12, 205 – 264 [260 f.]; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv012205.html#260, Texziffer 179)

Die „inhaltliche Neutralitätspflicht“ liegt beim Staat – nicht bei den Medien. Letztere haben vielmehr das Recht, nicht nur nur zu berichten (Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz29), sondern auch – wie alle BürgerInnen – das Recht, Meinungen zu äußern (Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz30):

„Es ist […] anerkannt, daß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht nur ein subjektives Abwehr­recht gegen staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit enthält, sondern auch als objekti­ve Grundsatznorm die Freiheitlichkeit des Pressewesens insgesamt garantiert (vgl. BVerfGE 20, 162 [175]). In dieser Eigenschaft erlegt das Grundrecht dem Staat eine Schutzpflicht für die Presse auf und bindet ihn bei allen Maßnahmen, die er zur För­derung der Presse ergreift. Daraus folgt allerdings für den einzelnen Träger der Pres­sefreiheit noch kein grundrechtlicher Anspruch auf staatliche Förderung.
Wenn sich der Staat jedoch, ohne verfassungsrechtlich dazu verpflichtet zu sein, zu Förderungsmaßnahmen für die Presse entschließt, wie das in Gestalt des Postzei­tungsdienstes geschehen ist, verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, daß jede Einfluß­nahme auf Inhalt und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse sowie Verzerrun­gen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt vermieden werden. Staatliche Förderungen dürfen bestimmte Meinungen oder Tendenzen weder begünstigen noch benachteiligen. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG begründet im Förderungsbereich für den Staat vielmehr eine inhaltliche Neutralitätspflicht, die jede Differenzierung nach Meinungsinhalten verbietet. Dieser Neutralitätspflicht des Staates entspricht auf sei­ten des Trägers der Pressefreiheit ein subjektives Abwehrrecht gegen die mit staatli­chen Förderungsmaßnahmen etwa verbundenen inhaltslenkenden Wirkungen sowie ein Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb.“
(BVerfGE 80, 124 – 137 [133 f.]; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv080124.html#133; Textziffer 27)

„Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates; insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehr­lich. Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muß er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die an­dere sich gebildet haben. Die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang; sie be­schafft die Informationen [und] nimmt selbst dazu Stellung“.
(BVerfGE 20, 162 – 230 [174 f.]; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv020162.html#174; Textziffer 35; Hv. jeweils hinzugefügt)

Nun zur OLG-Formulierung, der Dachzeile von Fabian Kienerts-Artikel „kommt […] erkennbar die Botschaft zu, die Tätigkeit der Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ sei erlaubt“:

Damit abstrahiert das OLG von dem konkreten Kontext, in dem das Wort in Kie­nerts Artikel steht – nämlich: „dass das zugehörige strafrechtliche Ermittlungsver­fahren wegen ‚Bildung einer krimineller Vereinigung‘ am 12. Juli nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde“.

Es handelt sich also augenscheinlich um ein Wortspiel mit der allgemeinen Be­deutung von „kriminell“ und der speziellen Bedeutung in § 129 StGB.

In dem Zusammenhang ist außerdem interessant, daß das OLG selbst nicht dar­auf eingeht31, warum das 129er-Ermittlungsverfahren eingestellt wurde – denn die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte mir dazu am 17.05.2023 mitgeteilt:

„Nach Durchführung der Ermittlungen ließ sich nicht mit der für eine Anklageerhebung notwendigen hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit nachweisen, dass es sich bei dem u.a. von den Beschuldigten gebildeten Zusammenschluss mehrerer Per­sonen zum Betrieb und zur Aufrechterhaltung der Internetplattform ‚linksunten.indy­media.org‘ um eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB (in der a.F. bis zum 23.08.2017) gehandelt hat.
Es war nicht feststellbar, dass die auf der betreffenden Internetseite eingebrachten strafbewehrten Äußerungen nach ihrem Inhalt und ihrem Umfang derart dominierend waren, dass sie als ein bestimmender und prägender Zweck der Internetplattform ‚linksunten.indymedia.org‘ zu bewerten gewesen wären, d.h. dass der Zusammen­schluss der Betreiber als Vereinigung also gerade mit der Zielsetzung der Begehung von Straftaten – hier in Form von Äußerungsdelikten – erfolgt wäre.“

Auf weitere Nachfrage ergänzte die StA:

„die im Zuge des Ermittlungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse ließen jedenfalls darauf schließen lassen, dass sich die Beschuldigten am Aufbau und Betrieb der In­ternetplattform ‚linksunten.indymedia.org‘ beteiligt hatten.“

Das heißt: Die Mitgliedschaft der Beschuldigten wurde durchaus für beweisbar gehalten; es wurde aber nicht für hinreichend klar gehalten, daß die Vereinigung auch eine Kriminelle im Sinne des § 129 StGB war (was etwas anderes ist als eine i.S.v. Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz verbotene Vereinigung).

Ich bekenne: Ich habe auch – nicht nur – Zweifel an der Rechtmäßigkeit32 der linksunten-Verbotsverfügung des Bundesinnenministerium vom 14.08.2017

Schließlich heißt es auf S. 16 des Beschlusses des OLG Stuttgart: „[…] im Zusam­menhang mit den im Artikel deutlich gemachten Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Verbots der Vereinigung […]“.

Diese Zweifel zu haben und aussprechen ist zulässig: „Ich zweifle also bin ich“, könnten wir in Anlehnung an Descartes sagen. – Das linksunten-Verbot ist zwar (zunächst) bestandskräftig geworden33, aber daraus folgt weder ein Verbot ande­rer Rechtsauffassung als BMI und BVerwG (oder auch des BVerfG) zu sein; und das BVerwG hat ja auch gar nicht über die materielle Rechtmäßigkeit (Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der Verbotsgründe) entschieden – weil die KlägerInnen ge­gen das Verbot vor dem BVerwG bloß als Individuen auftraten und deshalb nach Ansicht des BVerwG keinen Anspruch auf eine solche Überprüfung hatten. – Das heißt: Die entscheidende Rechtsfrage wurde überhaupt nie gerichtlich beantwortet – auch wenn das Verbot zur Zeit die faktische Macht der Bestandskraft auf seiner Seite hat.

Resümee

 

Zwei oberlandesgerichtliche Watschen für die Staatsanwaltschaft Karlsruhe

Obwohl das Oberlandesgericht der Staatsanwaltschaft auf der pragmatischen Ebene einen Erfolg beschert hat (das Hauptverfahren wird) eröffnet, hat es der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – nach den schon vom Landgericht Karlsruhe aus­geteilten Schellen – zwei weitere Ohrfeigen auf der rechtlich-theoretischen Ebene verpaßt (nicht-existierende Vereine können nicht unterstützt werden sowie die Be­griffe Werbung und Unterstützung sind zu unterscheiden):

  • Wie schon in dem Artikel von Dienstag gezeigt, hat sich das Oberlandesge­richt (OLG) nicht der abstrusen Auffassung der Staatsanwaltschaft Karlsru­he angeschlossen, auch eine nicht mehr existierende Vereinigung könne noch unterstützt werden. Vielmehr hält es das OLG für „überwiegend wahrscheinlich“, daß die „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ existiere.
  • Und wie im hiesigen Artikel gezeigt, anerkennt das Oberlandesgericht, daß bloße (Sympathie-)Werbung straflos ist (S. 16 des Beschlusses: „straflose (Sympathie-)Werbung“).

Allerdings fehlt es in dem OLG-Beschluß trotzdem an einer präzisen begrifflichen Unterscheidung zwischen Unterstützung und Werbung, sodaß die „Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung“ in den oberlandesgerichtlichen Unterstüt­zungs-Begriff hineinrutschen kann.

Schwächen der Stuttgarter OLG-Entscheidung auf der Sachverhalts-Ebene

Außerdem weist die OLG-Entscheidung auf der tatsächlichen bzw. Sachverhalts-Ebene massive Schwächen auf:

  • Daß der alte BetreiberInnenkreis (als Kollektiv / „Verein“) das Archiv im Ja­nuar 2020 hochgeladen habe, ist eine bloße Spekulation – dafür nennt das OLG nicht einmal Anhaltspunkte – schon gar nicht dafür, daß das Kollektiv / der ‚Verein‘ auch im Sommer 2022, als Fabian Kienert seinen Artikel veröf­fentlichte, noch existierte. – Eine öffentlich sichtbare oder ansonsten vom OLG belegte oder auch nur benannte Tätigkeit des ‚Vereins‘ gab es zu dem Zeitpunkt nicht.34 Auch für fortbestehendem organisatorischen Zusammen­halt noch im Sommer 2022 wird nichts Konkretes angeführt.
    Das OLG macht also aus einer bloßen – m.E. eher ziemlich unwahrscheinli­chen – Möglichkeit der Fortexistenz des ‚Vereins‘ eine wahrscheinliche Fort­existenz.

  • Die OLG-Unterscheidung zwischen „strafloser (Sympathie-)Werbung“ und „Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung“ bleibt unscharf. Dies zeigt sich daran, daß das Nennen einer URL etwas anderes ist als das stoffliche Verbreiten (die tatsächlichen Aushändigung) einer Broschüre (und auch et­was anderes als das Versenden einer Datei per mail); im Broschürenfall (und auch im e-mail-Fall) erhält der/die EmpfängerIn das schriftliche Gedan­kengut tatsächlich.35 Ob ein Link angeklickt wird, ist dagegen ungewiß. Diese Ungewißheit unterscheidet eine bloße Linksetzung auch von der Versendung einer Datei per mail (siehe auch dazu den nächsten Teil dieser Artikel-Serie). Mindestens dieser tatsächliche Unterschied zwischen Verbreitung und bloßer Nennung des Fundortes müßte begrifflich-definitorisch beim Unterstützung-Begriff berücksichtigt werden.

Zusammenfassung meiner Argumentation

Im übrigen können wir wie folgt zusammenfassen:

1. Das Oberlandesgericht (OLG) erkennt richtigerweise an, daß bloße (Sympa­thie-)Werbung für verbotene Vereinigungen straflos ist und daß (daher) die Begriffe „Werbung“ und „Unterstützung“ unterschieden werden müssen.

2. Das OLG ist aber trotzdem der Ansicht, Fabian Kienert solle einen verbotenen Verein mittels seines Artikels (also mittels eigener schriftlicher Äußerungen) unter­stützt haben. Wie soll das bitte sehr gehen? – Nach Ansicht des OLG auf zweierlei Weise:

a) „Die Handlung des Angeklagten ist geeignet, diese Tätigkeit [der Vereinigung] zu unterstützen, indem sie erkennbar für Solidarität mit einem von der Justiz an­geblich zu Unrecht verfolgten Verein wirbt“ (S. 13 des OLG-Beschlusses). – Damit gibt das OLG seine eigene Einsicht, daß Werbung und Unterstützung zu unter­scheiden sind und Werbung für verbotene Vereinigungen straflos ist, auf.

b) Außerdem meint das OLG: „Insgesamt überwiegen damit die Argumente, den Artikel des Angeklagten […] als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung“ anzusehen (S. 16).

Gegen Letzteres ist Folgendes einzuwenden:

  • Fabian Kienert hat mit seinem Artikel nichts verbreitet, sondern nur eine Adresse im internet genannt.

  • Im übrigen sind die Begriffe „verbreiten“ und „zugänglich machen“ (in § 86 StGB) zu unterscheiden. Fabian Kienert hat mit seinem Artikel aber nicht einmal etwas zugänglich gemacht, denn das linksunten-Archiv war schon vor Erscheinen seines Artikels allgemein-zugänglich. Er hat – wie gesagt – nur die Adresse des ohnehin allgemein-zugänglich Archivs genannt. Dieser Satz war und ist nicht einmal wertend/werbend, sondern rein deskriptiv (und wahr): „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.“

  • Im übrigen spricht gerade die Systematik der §§ 85 und 86 StGB dafür, das Verbreiten von Propagandamitteln (aus § 86 StGB) nicht unter den Begriff der „Unterstützung“ (in § 85 StGB) zu subsumieren. Wenn überhaupt könn­te Kienert also nicht wegen Unterstützung, sondern allenfalls wegen Pro­gandamittel-Verbreitung verurteilt werden (tatsächlich hat er aber – wie ge­rade schon gezeigt – kein Propadanadamittel einer Vereinigung verbreitet).

  • § 86 StGB Absatz 4 Strafgesetzbuch bestimmt außerdem ausdrücklich: „Die Ab­sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Auf­klärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwe­cken dient.“
    Das heißt: Selbst wenn Fabian Kienert mit seinem Artikel Propagandamittel eines verbotenen Vereins verbreitet hätte (Konjunktiv! – er hat es [wie be­reits gesagt] nicht!), könnte er nicht verurteilt werden. Denn sein Satz, „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite“, ist zweifelsoh­ne (wahre) Berichterstattung über das Zeitgeschehen.

  • An dem deskriptiven (das heißt: berichtenden) Charakter des zitierten Sat­zes, kann auch die in anderen Sätzen des Artikels angedeutete Kritik an dem linksunten-Verbot nichts ändern.

  • Selbst wenn sich durch diese Kritik der deskriptive Charakters des Satzes mit dem Link ändern würde (Konjunktiv!), würde dies nicht zur Strafbarkeit des Artikels von Kienert führen. Denn es ist zulässig, Vereinsverbote zu kriti­sieren, wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat: „Die mit einem Eintreten für eine Aufhebung des Verbots verbundenen Solidarisie­rungseffekte sind, auch dann, wenn damit zugleich eine Sympathie für die verbotene Vereinigung ausgedrückt wird, im Interesse der freien Meinungs­äußerung hinzunehmen (vgl. BVerfG, NVwZ 2002, 709 <710>).“36

Das Oberlandesgericht Stuttgart hätte das Hauptverfahren gegen Fabian Kienert also nicht eröffnen dürfen; nachdem dies nun trotzdem geschehen ist, muß das Landgericht Kienert nun in dem Hauptverfahren freisprechen – daß dies auch tat­sächlich geschehen wird, ist freilich nicht garantiert (höre zu Letzterem das Inter­view, das ich am Mittwoch dem Freien Sender-Kombinat Hamburg gab: https://www.freie-radios.net/122641, ab Min. 18:50). –

Stellungnahme von David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte

David Werdermann von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) kündigte am Dienstag an, daß die Gesellschaft Fabian Kienert im auch im weiteren Verfahren unterstützen werde; er (Werdermann) halte die Entscheidung des Oberlandesge­richts für „skandalös“ (https://rdl.de/beitrag/gesellschaft-f-r-freiheitsrechte-ber-skandalentscheidung-des-oberlandesgericht-stuttgart, Min. 8:55 ff. und 3:02). Für seine Einschätzung nannte er vor allem zwei Gründe:

  • Der Straftatbestand „Unterstützung der weiteren Betätigung einer verbote­nen Vereinigung“, um den es im Fall „Radio Dreyeckland“ geht, setze für die Strafbarkeit voraus, daß die verbotene Vereinigung – also dieselbe Vereini­gung, wie die, die verboten wurde – noch fortexistiert37 (Min. 1:26 ff.). Die Archivseite (die Kienert verlinkt hat) „ist etwas ganz anderes als das ur­sprüngliche Portal“ (Min. 1:54 ff.). Das Landgericht habe – vor dem Oberlan­desgericht – auch richtig erkannt, daß es „keine Hinweise darauf [gibt], daß es dieselben Personen sind“ (Min. 2:07 ff.) – also daß das Archiv von den Leuten ins Netz gestellt wurde, die bis 2017 für den laufenden Betrieb von linksunten.indymedia gesorgt hatten.
    Das Oberlandesgericht sehe dies nun anders, habe aber im wesentlich nur das Argument, daß „die Webseite oder die Domain“ (Min. 2:28 ff.) weiterhin online ist38.

  • „Es ist Aufgabe der Presse kritisch zu berichten; und es ist auch Aufgabe der Presse solche Archivseiten zu verlinken, damit sich die Leserinnen und Leser informieren können.“ (Min. 3:38 ff.) Allein aus einer Kombination von kritischem Unterton gegenüber dem Verbot und Verlinkung des Archivs des online-Mediums des alten BetreiberInnenkreises könne weder auf eine Un­terstützung des alten BetreiberInnenkreises noch auf eine – zumal: zu eigen machende (idenfikatorische) – Verbreitung von „Propagandamitteln“ des Be­treiberInnenkreises geschlossen werden, so können wir – etwas frei – David Werdermanns Argument fortführen.

Wie wird es nun weiter gehen?

Ausgehend von der am 20. April 2023 erfolgten Anklageerhebung gegen Fabian Kienert muß eine endgültige fachgerichtliche Entscheidung bis zum 20. Oktober fallen, wenn sie vor Ende der – eventuell anzuwenden, nur ein halbes Jahre betra­genden – presserechtlichen39 Verfolgungsverjährungsfrist erfolgen soll. Allerdings wird die Verjährungsfrist als nächstes durch die „Anberaumung einer Hauptver­handlung“40 – also des mündlichen Verhandlungstermins vor dem Landgericht Karlsruhe (wohin die Sache jetzt wieder zurückwandert) – neu in Gang gesetzt (§ 78c Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und Absatz 3 Satz 1 StGB).

Anhang

 

Die Staatsanwalt und das Amtsgericht Karlsruhe hatten den – nun vom OLG Stuttgart im Grundsatz anerkannten – Unterschied zwischen Werbung und Unterstützung ignoriert

 

Das Amtsgericht

Das Amtsgericht hatte in seinem Durchsuchungsbeschluß sogar ausdrücklich da­mit argumentiert, daß der Artikel Kienerts werbenden Charakter habe: „Im – hier gegebenen – Fall der Verbreitung fremder Texte bzw. eines fremden Artikels muss hinzukommen, dass die Wiedergabe der die Vereinstätigkeit eindeutig unterstüt­zenden (Dritt-)Aussagen vom angesprochenen Leserkreis als eine sich die unter­stützende Tendenz zu eigen machende Meinungsäußerung des Publizierenden zu verstehen ist (vgl. BGHSt 36, 36341 (371), in NJW 1990, 2828; v. Bubnoff, in: LK-StGB, 11. Aufl., § 129 Rn. 5742). […]. Selbst bei unkommentierter Wiedergabe fremder unterstützender und werbenden Texte kann sich aus der Art der einseitig ausgerichteten Zusammenstellung der Beiträge und aus der dabei offenbar wer­denden eindeutigen propagandistischen Ziel ergeben, dass sich die Publizieren­den die Sache der vom Verbot betroffenen zu eigen machen, in dem sie sich mit der Veröffentlichung gleichsam als Sprachrohr in deren Dienst stellen.“ (S. 9 f.)

(An dem Zitat ist – nebenbei bemerkt – zu sehen, daß das Kriterium der ‚Ein­deutigkeit‘ alles andere als eindeutig ist: Das Amtsgericht sagt, daß der unter­stützende Charakter der fremden Aussage und des Zu-eigen-machens müßten „eindeutig“ sein, kommt dann aber zum Ergebnis, daß eine solche Eindeutigkeit im Falle von Fabian Kienerts Artikel gegeben sei… Die pragmatische Bedeutung des Eindeutigkeits-Kriteriums ist also die einer Legimations-Floskel: ‚Seht her! Wir verurteilen doch nur in den eindeutigen Fällen; die ›wertsetzende‹ Bedeutung der [individuellen] Meinungsäußerungs- und Medienfreiheiten bleibt völlig unberührt; wir gehen doch nur gegen die Unterstützung von verbotenen Parteien sowie ver­botenen, kriminellen und terroristischen Vereinigungen vor.‘ [Siehe zu diesem Pro­blem auch Anhang 2)

  • Bei der vom Amtsgericht Karlsruhe angeführten BGH-Entscheidung (BGHSt 36, 363 = NJW 1990, 2828) handelt es sich um die radikal-Ent­scheidung des Bundesgerichthofs in Sachen Benny Härlin und Michael Klöckner (Urteil vom 20.02.1990 zum Az.: 3 StR 278/89); mit der Entschei­dung hatte der BGH die vorhergehende – verurteilende – Entscheidung des Berliner Kammergerichts (entspricht den Oberlandesgerichten in den ande­ren Bundesländern) aufgehoben und die Sache zur Neuverhandlung an das Kammergericht zurückverwiesen.

    In der BGH-Entscheidung hieß es zur „Billigung von Straftaten“ im Sinne von § 140 Nr. 2 StGB: „Die Billigung von Straftaten schlechthin oder von ge­wissen Deliktsarten ohne Beziehung auf ein bestimmtes einzelnes verbre­cherisches Geschehen genügt nicht. Eine solche Beziehung muß für den Erklärungsempfänger mit normalem Durchschnittsempfinden eindeutig und ohne weiteres aus der Kundgebung selbst hervortreten, so daß sie ihm als Zustimmung zu einer konkreten strafbedrohten Handlung der im Katalog be­zeichneten Art nach der objektiven und subjektiven Seite unmittelbar ver­ständlich ist (BGHSt 22, 282, 287; Rudolphi in SK – Lieferung Oktober 1989 – § 140 Rdn. 7; Hanack in LK, 10. Aufl. § 140 Rdn. 18 f.).“ (https://research.wolterskluwer-online.de/document/d070abba-15a1-49e4-a789-3a22439c9f63, Textziffer 8; Hv. hinzugefügt).

  • In der vom Amtsgericht genannten Kommentar-Fundstelle („v. Bubnoff, in: LK-StGB, 11. Aufl., § 129 Rn. 57“) heißt es: „Die Wiedergabe/Veröffentli­chung fremder Werbung/Werbetexte ist […] nur dann mittäterschaftliches Handeln, wenn die darin enthaltenen werbenden Aussagen nach objektiver Sicht nach Art und Weise der Wiedergabe (auch) als befürwortende Mei­nungsäußerung des Publizierenden verstanden werden. Es muß sich nach den einschlägigen Beurteilungskriterien – Veröffentlichungszusammenhang, Aufmachung, Hervorhebung, eigene Zusatzerklärungen, Erläuterung, aus­drückliche Identifizierung (vgl. LK § 111, Rdn. 10a u. § 130 Rdnr. 28), bei Presseangehörigen nach dem redaktionellen und journalistischen Zusam­menhang, in den die fremde strafbare Äußerung eingebettet ist, – unmiß­verständlich erkennen lassen, daß sich der für die Veröffentlichung Verant­wortliche den strafbaren Inhalt für eigenes zielgerichtetes Handeln zu eigen gemacht hat (BGHSt. 36 371 u. bei Schmitt MDR 1988, 355).“ (von Bubnoff, in: Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar. Vierter Band, de Gruyter: Berlin, 1992-200011 [Lieferung zu §§ 125 bis 141: 1995], § 129, Randnummer 57; kursive Hv. i.O.; fette Hv. hinzugefügt)

Die Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte ich – vor dem Hintergrund der eingangs dieses Anhangs zitierten Passage aus dem Durchsuchungsbeschluß des Amtsge­richts Karlsruhe – mit folgender Passage aus einer Entscheidung des Bundesge­richtshofs konfrontiert:

„Der Gesetzgeber hat ausdrücklich alle Handlungen, die sich in einem Werben für die Ideologie und die Ziele einer terroristischen Vereinigung erschöpfen, aus der Strafbar­keit herausnehmen wollen; das Werben um Mitglieder oder Unterstützer hat er nur noch für bestimmte besonders gefährliche terroristische Vereinigungen unter Strafe gestellt43 und es insoweit bei einem gegenüber dem Unterstützen niedrigeren Straf­rahmen belassen. Es hieße, diesen im Gesetzeswortlaut und in der Gesetzessyste­matik objektivierten Willen des Gesetzgebers zu missachten, wollte man derartige Ak­tivitäten […] als Unterstützen im Sinne des § 129a Abs. 5 Satz 1 StGB ansehen, weil ihnen die abstrakte Eignung zukommt, das Gefährdungspotential der beworbenen Vereinigung zu stärken.“
(BGH HRRS 2007 Nr. 800 [Beschl. v. 16.05.2007 AK 6/07 und StB 3/07]; https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/2/07/ak-6-07.php, Textziffer 13; vgl. dazu dieser Ent­scheidung auch in und bei FN 3).

Dazu stellte ich der Staatsanwaltschaft Karlsruhe am Dienstag, den 2. Mai folgen­de Fragen:

„Teilt die Staatsanwaltschaft Karlsruhe die Auffassung, daß dies [die BGH-Entschei­dung] auch für die Gesetzesänderung von 1968 in Bezug auf vereinsrechtlich verbo­tene Verein zu übertragen ist?
a) Falls, nein: Warum nicht?
b) Falls doch: Wie soll im vorliegenden Fall – sofern überhaupt – mehr als bloße Sympathiewerbung verwirklicht worden sein?“

Auf diese und weitere Fragen erhielt ich aber keine Antwort, da eine Antwort „mit einem vertretbaren Gesamtaufwand […] nicht möglich“ sei… – falls sich die Staatsanwaltschaft auch vor dem Oberlandesgericht zu schade dafür war, auf die­se Frage einzugehen, ist jedenfalls nicht sonderlich überraschend, daß sich das OLG (für § 85 StGB) der BGH-Auffassung (zu § 129a StGB) in entsprechender Weise anschloß.

Die schönen Worte des Bundesverfassungsgerichts und die schnöde Realität

Das Bundesverfassungsgericht postulierte in Band 25 seiner Entscheidungen in einem auf Seite 44 beginnenden und auf Seite 64 endenden Beschluß auf Seite 57 und 58:

„Der Einzelne wird nämlich nicht betroffen, soweit er selbst bestimmte politische Ziele anstrebt und vertritt. Es wird ihm nur verwehrt, dies durch Förderung einer verfas­sungsfeindlichen Organisation und der ihr eigenen Wirkungsmöglichkeiten zu tun. Sein Handeln wird gefährlich durch die von der Organisation ausgehende Wirkung.“ (DFR-Textziffer 47)

„Das Parteiverbot soll jedoch nur den Gefahren vorbeugen, die von der Verfolgung der Ideen in organisierter Form ausgehen. Wollte man die fast nie ganz auszuschlie­ßende Rückwirkung auf die verbotene Organisation zum Anlaß nehmen, solche Mei­nungsäußerungen schlechthin zu verbieten, dann würde damit in die Meinungsfreiheit des Einzelnen in einer nicht zumutbaren und auch nicht durch den Zweck des Partei­verbots gerechtfertigten Weise eingegriffen.“ (DFR-Textziffer 48)

Daß diese Floskeln am Ende wenig bedeuten, zeigt sich, wenn sie mit dem Sach­verhalt (siehe das Zitat nach diesem Absatz) verglichen werden, für den der dorti­ge Beschwerdeführer verurteilt wurde, und damit, daß seine Verfassungsbe­schwerde gegen seine Verurteilung – trotz der wohltönenden BVerfG-Rhetorik – erfolglos blieb (S. 44: „Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.“).

„Im Januar 1961 verbreitete der Beschwerdeführer im Saarland ein Flugblatt (1. Flug­blatt), in dem er sich als ‚unabhängiger Kandidat‘ für die kommende Bundestagswahl vorstellte. Als Motiv seiner Kandidatur bezeichnete er, ‚einen persönlichen Beitrag für die Sicherung des Friedens, für die Schaffung demokratischer Verhältnisse in der Bundesrepublik auf dem Boden der Grundgesetze‘ leisten zu wollen. Als Kommunist habe er in jahrzehntelanger Arbeit im früheren Landesrat, Kreisrat und Gemeinderat das ihm entgegengebrachte Vertrauen gerechtfertigt. Weiterhin kritisierte er scharf die politische Entwicklung in der Bundesrepublik. Insbesondere wandte er sich gegen die Wehrpolitik und forderte den Abschluß eines Friedensvertrages nach den Vorschlä­gen der UdSSR. Der Wahlvorschlag des Beschwerdeführers wurde nicht zugelassen. Von ihm vorbereitete Bildplakate wurden beschlagnahmt. Nach der Ablehnung seiner Kandidatur ließ der Beschwerdeführer im August 1961 ein weiteres Flugblatt (2. Flug­blatt) drucken, das er jedoch nicht verbreitete. In ihm protestierte er, daß er in seinem passiven Wahlrecht behindert werde, und kritisierte ebenfalls die politische Entwick­lung; u.a. versuchte er darin auch den Bau der soeben in Berlin errichteten Mauer zu rechtfertigen:
‚Die Regierung der DDR hat mit ihrem Beschluß der strengen Kontrolle zwischen Ost- und Westberlin allen Geschäftemachern des Kalten Krieges das Handwerk gelegt und damit einen wichtigen Schritt zur Sicherung des Friedens getan.‘
Der Beschwerdeführer unterstützte auch die Forderungen der DDR und des Ostberli­ner Magistrats nach
‚Beseitigung der Spionagezentrale gegen die DDR … Schluß mit dem Wechselkurs­schwindel, der nur zur Schädigung der DDR-Wirtschaft organisiert wird, … Schluß mit dem Menschenhandel durch Abwerbung von Fachkräften‘.
Weiterhin griff er die Politik Adenauers und Brandts an, denen er kriegerische Absich­ten unterstellte:
‚Die Regierung der DDR hat über 100 Vorschläge zur friedlichen Lösung der Deutsch­land- und Berlinfrage an den Bundestag und an den Westberliner Senat gerichtet. Doch Adenauer und Brandt haben bis jetzt keine derartigen Vorschläge gemacht.
Was wollen die Beiden, wenn sie nicht verhandeln wollen???
Wer nicht verhandeln will, der will schießen!‘“ (S. 45 f., DFR-Textziffer 2 bis 7)

Wo ist in diesem Sachverhalt die „organisierter Form“, um die es nach An­sicht des BVerfG bei Strafbewehrung von Partei- und Vereinigungsverboten allein geht und gehen darf? Der Verfassungsbeschwerdeführer wurde – trotz des ge­genteiligen Postulats des Bundesverfassungsgerichts – für nichts anderes verur­teilt, als daß er (als Einzelkandidat in zwei Flugblättern, von denen er eines nicht einmal verbreitete) „selbst bestimmte politische Ziele“ – nämlich mit der politischen Linie der DDR-Regierung (und insofern auch der SED und der in der BRD verbo­tenen KPD) übereinstimmende Ziele – „anstrebt und vertritt.“


1 Es sei – zwecks Vermeidung von Mißverständnissen – darauf hingewiesen, daß bei weitem nicht alle Grundrechts-Eingriffe auch Grundrechts-Verletzungen sind. Denn die meisten Grundrechte stehen unter Gesetzesvorbehalt, von de­nen die Gesetzgebungsorganen auch Gebrauch machen (und auch machen müssen, um das gesellschaftliche Zusam­menleben in einer nicht-anarchischen [nicht-herrschaftlosen] bzw. nicht-kommunistischen Gesellschaft [d.h.: einer Ge­sellschaft, in der Herrschaft und Ausbeutung und folglich auch Staat und Recht noch bestehen] zu regeln). – Es gibt also sehr viele Grundrechts-Eingriffe – von Schulpflicht und Parkverbotsschildern über Arbeitsschutz- und Gesundheits­schutznormen bis hin zur Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe für Mord und polizeilichen Todesschüssen – von denen nur manche auch Grundrechts-Verletzungen sind.

2 „Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen wird der Inhalt der durch einen Link in Bezug genommenen Internetseite nicht schon qua Verlinkung zum Teil der vom Presseorgan geäußerten eigenen Meinung.“ (https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2011/12/rk20111215_1bvr124811.html, Textziffer 35) – Die Beschwerdeführerinnen sahen im dortigen Fall ihr Urheberrecht dadurch als verletzt an, daß in ei­nem journalistischen Artikel eine bestimmte DVD-Kopier-Software (AnyDVD) verlinkt war. Sie hatten Verfassungsbe­schwerde erhoben, weil sie vor dem BGH mit dem Versuch gescheitert waren, ein Verbot der Linksetzung zu errei­chen.

3 https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/12/3-218-12.php. Die – vom Oberlandesgericht Stuttgart genannte – BGH-Ent­scheidung aus dem Jahre 2012 betrifft § 129a StGB (nicht § 84 oder 85 StGB). In der Entscheidung heißt es bei Text­ziffer 5: „Besondere Sorgfalt ist zweitens zu richten auf die Abgrenzung zum bloßen Werben um Sympathie für eine be­stimmte terroristische Vereinigung, ohne die der Tatbestand des § 129a Abs. 5 Satz 2 StGB die hinreichende inhaltliche Bestimmtheit verlöre. Nicht ausreichend ist danach das befürwortende Eintreten für eine terroristische Vereinigung, die Rechtfertigung ihrer Ziele oder der aus ihr heraus begangenen Straftaten sowie die Verherrlichung der Ideologie, aus der verschiedene derartige Vereinigungen ihre Tätigkeit legitimieren und die gegebenenfalls auch Einzelpersonen zur Rechtfertigung für die Begehung von Straftaten dient (BGH aaO). Dass derartige Äußerungen regelmäßig auch mit der stillschweigenden Erwartung einhergehen werden, beim Adressaten Überlegungen hin zu einem Anschluss an die Ver­einigung oder zu deren Unterstützung auszulösen und dieser so neuen Zulauf zu verschaffen, kann hieran nichts än­dern. Will man die gebotene Abgrenzung zur bloßen Sympathiewerbung nicht aufgeben, so muss vielmehr festgehal­ten werden am Erfordernis eines sich dem Adressaten – wenn auch nur aus den Gesamtumständen – erschließen­den eigenen Inhalts der Erklärung dahin, sie diene gezielt der Gewinnung von Mitgliedern oder Unterstützern zu Gunsten einer konkreten Organisation (BGH aaO [Beschluss vom 16. Mai 2007 – AK 6/07, StB 3/07, BGHSt 51, 345, 353]).“ (Hv. hinzugefügt; mit der im zitierten BGH-Beschluß genannten etwas älteren Entscheidung vom 16. Mai 2007 hatte ich die Staatsanwaltschaft im Mai 2023 konfrontiert; siehe dazu Anhang 1, Abschnitt „Die Staatsanwaltschaft“)
Das Oberlandesgericht Stuttgart behauptet aber selbst nicht, Fabians Kienerts Artikel habe „gezielt der Gewinnung von Mitgliedern oder Unterstützern zu Gunsten einer konkreten Organisation“ gedient.
Hinzukommt noch: Nur im Rahmen des § 129 bis 129b StGB ist Werbung um Mitglieder und UnterstützerInnen weiter­hin strafbar; in den §§ 84 und 85 StGB (um § 85 StGB geht es in dem RDL-Fall!) ist Werbung gar nicht mehr strafbar – also auch nicht Werbung um Mitglieder und UnterstützerInnen.

4 Von „überwiegen […] die Argumente“, „wahrscheinlich“ usw. ist (vom Oberlandesgericht) zu sprechen, da es ja nicht das Urteil (am Ende des Hauptverfahrens) zu fällen hatte, sondern über die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Nicht-Eröffnungs-Beschluß des Landgerichts zu entscheiden hatte. Um eine Person vor Gericht stellen zu können, ist weniger nötig als dafür, sie am Ende zu verurteilen.

5 „Subsumtion“ wird im juristischen Sprachgebrauch die Unterordnung von Sachverhalts-Elementen unter Tatbestands­merkmale genannt; vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Subsumtion_(Recht).

6 „Der Wortlaut einer Vorschrift hat […] nur in den seltenen Fällen echter Subsumtion Bestimmungsfunktion, in aller Regel dagegen in positiver Richtung Indizwirkung, in negativer eine Grenzwirkung. Der Wortlaut bildet aus verfas­sungsrechtlichen Gründen die Grenze des Spielraums zulässiger Konkretisierung. Die Entscheidung muß sich nicht ‚aus dem Wortlaut ergeben‘, was eben nur in raren Grenzfällen feststellbar ist. Sie muß aber mit dem Wortlaut jeden­falls noch vereinbar sein.“ (Friedrich Müller / Ralph Christensen, Juristische Methodik. Band I,Dunker & Humblot: Berlin 201311, S. 308, 312).
Auch in Fällen, in denen Subsumtion im Sinne von völliger Eindeutigkeit nicht möglich ist, ist also mindestens zu zei­gen, daß der Sachverhalt, über den zu entscheiden ist, tatsächlich innerhalb des Wortlauts der Norm, die (von dem Gericht) angewendet wird, liegt – eine bloße Behauptung ist niemals ein Argument.

7 Urteil vom 20.02.1990 zum Aktenzeichen Az.: 3 StR 278/89; https://research.wolterskluwer-online.de/document/d070abba-15a1-49e4-a789-3a22439c9f63, Textziffer 35.

8 wie im BGH-Fall von 1990.

9 wie aktuell im Fall Fabian Kienert.

10 Siehe die Zitate und Quellenangaben in meinem im Mai bei labournet erschienen Artikel Anklage gegen Journalisten wegen der Veröffentlichung eines wahren Satzes: https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/05/indymedia-schulze060523.pdf, S. 11 f., FN 17 und S. 13, FN 20.

11 Das bloße – auch entgeltliche – Abonnieren der Zeitschrift einer Vereinigung zum Zweck der eigenen Lektüre ist da­gegen noch keine Unterstützung dieser Vereinigung: „Der bloße Abonnementsbezug jeweils eines Exemplars der Zeit­schrift der verbotenen Vereinigung durch den Angeklagten selbst stellt noch keine tatbestandsmäßige Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts des Vereins dar. Wer als Mitglied oder Außenstehender eine Zeitschrift bezieht, erbringt – ähnlich wie etwa ein Teilnehmer einer Vereinsveranstaltung – nicht selbst eine organisationsbezogene Leis­tung für den Verein, sondern nimmt lediglich das Ergebnis entsprechender organisatorischer Bemühungen derjenigen in Anspruch, die für die Herausgabe und Verteilung der Zeitung sorgen.“ (BGH, Beschluß vom 03.11.2005 zum Akten­zeichen 3 StR 333/05; http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&nr=34795&anz=1&pos=0&Frame=4&.pdf, S. 5)
Zu beachten ist aber, daß diese Entscheidung ausschließlich die Unterstützung des „organisatorischen Zusammen­halts“ betrifft; die Tatbestandsvariante Unterstützung der „weiteren Betätigung“ gab es zum dortigen Handlungszeit­punkt noch nicht. – M.E. gilt das damals Entschiedene aber auch für die seitdem zusätzlich eingeführte Tatbestandsva­riante. (Diejenigen, die eine solche Zeitschriften abonnieren, unterstützen nicht weitere Betätigung, sondern nutzen ein Produkt der die weiteren Betätigung. NutznießerInnen von etwas sind jedenfalls nicht notwendigerweise auch UnterstützerInnen des Genutzten, sondern können auch bloße ‚Parasiten‘ sein.)

12 Dies ist deshalb wichtig, weil es im Vereinsgesetz (anders als im Strafgesetzbuch) – neben dem Unterstützungstat­bestand – keinen Tatbestand der Propagandamittel-Verbreitung gibt. Dies kann – alternativ – auf dreierlei Weise inter­pretiert werden:

  • Möglichkeit 1: Die Propagandamittel-Verbreitung ist im Rahmen des Vereinsgesetzes gar nicht strafbar – we­der als selbständiger Tatbestand noch als Unterfall von Werbung; die oben zitierte BGH-Entscheidung ist also unzutreffend. – Das ist meine Auffassung.

  • Möglichkeit 2: Gerade weil das Vereinsgesetz keinen selbständigen Tatbestand der Propagandamittel-Verbrei­tung enthält, könne und müsse der Unterstützungs-Tatbestand dort breiter verstanden werden als im StGB.

  • Möglichkeit 3: Im Vereinsgesetz ist die Propagandamittel-Verbreitung ausschließlich als Unterfall von Unter­stützung; im Strafgesetzbuch dagegen doppelt – sowohl als selbständiger Tatbestand (§ 86 StGB) als auch als Unterfall von Unterstützung berücksichtigt – was aber die Frage aufwirft, warum die Gesetzgebungsorga­ne eine solche Doppelung hätten beschließen sollen… (siehe zu diesem Einwand im Abschnitt „Zum Verhältnis der § 85 und 86 Strafgesetzbuch zu einander“>).

13 „Wer Propagandamittel
1. […],
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,
3. […],
im Inland verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder zur Verbreitung im Inland oder Ausland herstellt, vor­rätig hält, einführt oder ausführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86.html)

14 Insbesondere um den strafrechtlichen Begriff der Verbreitung wird es im nächsten Teil dieser Artikel-Serie gehen.

15 Das OLG sagt – wie oben (S. 4) bereits zitiert –: „Insgesamt überwiegen […] die Argumente, den Artikel des Ange­klagten […] als Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung [anzusehen].“ (S. 16; Hv. hinzugefügt)
Aber wenn überhaupt etwas an Kienerts Artikel als „Verbreitung des Gedankenguts der Vereinigung“ (präziser: Verbrei­tung von Propagandamitteln [vgl. § 86 StGB] der Vereinigung) gesehen werden kann, dann die Verlinkung.

16 In diese Richtung argumentierte in Bezug auf § 129a StGB 1987 das Oberlandesgericht Schleswig: „Veröffentlich­ungen aus sozialadäquaten Gründen – etwa Presseberichterstattungen, Dokumentationen, wissenschaftliche Publika­tionen – sind, weil ihnen diese Zielrichtung fehlt, selbst dann nicht verboten, wenn zum Zwecke der Darstellung Texte zitiert werden, die, für sich genommen, propagandistischen Charakter haben. Diese Auslegung entspricht der gesetzli­chen Regelung in § 86 StGB. Diese Vorschrift, die das Verbreiten bestimmter Propagandamittel – etwa solche national­sozialistischen Inhalts – unter Strafe stellt, nimmt sozialadäquate Handlungen ausdrücklich von dem Verbot aus (§ 86 III StGB). Eine derartige ausdrückliche Einschränkung enthält § 129a StGB zwar nicht, aber das erklärt sich daraus, daß dieser Tatbestand – im Gegensatz zu § 86 I StGB, der schlechthin jegliches Verbreiten verbietet – von vornherein nur Handlungen mit (eindeutig) propagandistischer Tendenz erfaßt.“ (OLG Schleswig, Beschluß vom 30.10.1987 zum Aktenzeichen 2 OJs 11/87, in: NStE Nr. 3 zu § 129a StGB (1988 H. 3, Bl. 33 [Vorderseite] bis 34 [Rückseite]); hier: Bl. 33 [Rückseite]).
Diese ‚Notlösung‘ ist freilich überflüssig, wenn – wie im Falle der §§ 84, 85 StGB – Werbung ohnehin nicht strafbar ist (und folglich [werbende und erst recht nicht-werbende] Äußerungen aus dem Unterstützungs-Begriffs ausgegrenzt werden).

17 Siehe

  • „§ 86 ist lex specialis zu § 84 Absatz 2 (vgl. 32).“
    (Sonnen, in: Reihe Alternativkommentare.Kommentar zum Strafgesetzbuch. Band 3, Luchterhand: Neuwied/Darnstadt, 1986, § 84, RN 39)

  • „Wer zwar Propagandaschriften herstellt oder verbreitet, ohne aber dabei im gesamten Prozess der Organisa­tionspropaganda als prägende Gestalt“ – das heißt: als sog. „Rädelsführer oder Hintermann“ i.S.v. § 84 Ab­satz 1 StGB (und entsprechend: § 85 Absatz 1 StGB) – „zu erscheinen, kann sich […] allenfalls nach § 86, nicht jedoch tateinheitlich nach § 84“ – und entsprechend: nicht nach § 85 StGB – „strafbar machen.“
    (Becker, in: Matt/Renzikowski, Strafgesetzbuch, 20202, § 84, RN 7)

18 Siehe: https://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/06/Wiederauferstehungswunder.pdf, S. 4 f.

19 „Ob A., der den Auftrag zum massenweisen Druck des Entwurfs eines Programms der verbotenen KPD erteilt und die bisher angelaufenen Kosten an die Druckerei bezahlt hat, dabei als Rädelsführer oder Hintermann der verbotenen KPD oder als deren Mitglied gehandelt hat, läßt sich den Feststellungen des Landgerichts nicht zweifelsfrei entneh­men. Im Falle seiner (bloßen) Mitgliedschaft würde darin aber auf jeden Fall eine Beteiligung an (§ 90 a Abs. 2 StGB a.F.) und zugleich eine Betätigung in (§ 84 Abs. 2 StGB n.F.) der Partei als Mitglied zu finden sein. Sollte A. zur Zeit der Tat nicht Mitglied der KPD gewesen sein, so hätte er damit im Sinne des § 90 a Abs. 2 StGB a.F. die verbotene KPD unterstützt, und zwar in einer Weise, die sich als Unterstützung des organisatorischen Zusammenhalts dieser Partei im Sinne der zweiten Alternative des § 84 Abs. 2 StGB n.F. darstellt“ (BGH, Urteil vom 17.12.1975 zum Aktenzeichen 3 StR 4/71 I; https://research.wolterskluwer-online.de/document/8054a460-efed-411b-aa31-e12b4230f1db, Textziffer 9).

20 „auch die Einziehungsbeteiligten E. und G. [haben] als drucktechnische Hersteller des Materials den organisatori­schen Zusammenhalt der verbotenen KPD unterstützt“ (ebd., Textziffer 9).

21 Textziffer 3: „Komplementäre E. und G.“.

22 https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf, S. 7 . 34.

23 Ebd., S. 38 f.; siehe auch

24 https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf, S. 48 – 56.

25 „Unter den Rechtsbegriff der ‚Vereinigung‘ im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG kann zwar auch eine rechtlich nicht orga­nisierte Personengruppe fallen. Sie muß aber durch die Verbots- und Auflösungsverfügung so bestimmt bezeichnet werden, daß ihre personelle Zusammensetzung im wesentlichen und in einer Weise gekennzeichnet wird, welche die Vollziehung der Auflösung ermöglicht, und daß die mißverständliche Vollziehung von Verbots- und Auflösungsfolgen gegen solche Personen ausgeschlossen ist, die nicht von der Verfügung betroffen werden sollen.“ (BVerwG, Urteil vom 23.03.1971 zum Aktenzeichen BVerwG I C 54.66; https://research.wolterskluwer-online.de/document/787ef32e-74dd-484e-ba9c-f886697e5896, Textziffer 38)

26 Siehe dazu:

27 Siehe dazu

28 Nicht einmal das Vertreten einer unzutreffenden Rechtsauffassung wäre eine Straftat – Fabien Kienert übt mit sei­nem Artikel keine richterliche Gewalt aus – kann also mit seinem Artikel auch nicht den Tatbestand der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) verwirklicht haben: „Ein Richter, ein anderer Amtsträger oder ein Schiedsrichter, welcher sich bei der Lei­tung oder Entscheidung einer Rechtssache zugunsten oder zum Nachteil einer Partei einer Beugung des Rechts schuldig macht, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu fünf Jahren bestraft.“

29 „Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html)

30 „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern“ (ebd.) – Allerdings sind für alle Grund­rechte aus Artikel 5 Absatz 1 Grundgesetz die Schranken aus Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz zu beachten: „Diese Rechte [also: Die Rechte aus Absatz 1] finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den ge­setzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“ (ebd.)
Zur Auslegung des Ausdruck „allgemeinen Gesetze“ in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz siehe „Anhang 1: Zum Begriff der ‚allgemeinen Gesetze‘ in Artikel 5 Absatz 2 Grundgesetz“ meines am 10.05.2023 bei publikum.net erschienen Arti­kels: https://publikum.net/staatsanwaltschaft-karlsruhe-klagt-redakteur-von-radio-dreyeckland-rdl-an-presseschau/.

31 Das OLG zitiert auf S. 5 seines Beschlusses von Montag sogar unkommentiert die – zur mir von der Staatsanwalt­schaft Karlsruhe erteilten Auskunft in Widerspruch stehende – Behauptung in der Wikipedia: „Im August 2019 bestätig­te die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegenüber dem Neuen Deutschland, dass das Strafverfahren gegen die Betreiber von linksunten.indymedia.org eingestellt worden sei. Es sei über zwei Jahre hinweg nicht gelungen, einen ‚konkret Tatverdächtigen‘ für die der Plattform zur Last gelegten Straftaten zu ermitteln.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Indymedia&oldid=234186178#cite_ref-74)
Zu beachten ist: Im nd selbst wird sich nur für den ersten Satz auf die Staatsanwaltschaft Karlsruhe berufen; der zweite Satz scheint eine eigene Behauptung/Vermutung des nd-Autors gewesen zu sein: „Die danach eingeleiteten Strafver­fahren wurden nun eingestellt, gab die Karlsruher Staatsanwaltschaft gegenüber ‚nd‘ bekannt. Die für politische Straf­verfahren zuständige Staatsanwaltschaft hatte wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz und anderer Straftatbestän­de mehrere Verfahren eingeleitet, konnte jedoch innerhalb von knapp zwei Jahren keinen konkret Tatverdächtigen er­mitteln.“

32 Ich habe nicht nur Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Verfügung. Ich bin vielmehr sogar überzeugt, daß sie rechts­widrig ist.

33 Zur Möglichkeit, an der Bestandskraft noch etwas zu ändern siehe: https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/03/Schill_interviewt_Schulze_T_I-1_-_T_I-3.pdf, S. 52 – 56 (Was könn­te jetzt noch juristisch getan werden?).

34 Die bloße Tatsache, daß unter einer bestimmten internet-Adresse Inhalte zu finden sind, sagt nichts darüber aus, welche Personen diese Inhalte ins Netz gestellt bzw. die administrative Kontrolle über Seite haben; und sagt auch nichts darüber aus, ob die Seite aktuell noch aktiv genutzt wird (z.B. Logins in die Administrations-Oberfläche stattfin­den; vllt. sogar Inhalte aktualisiert werden oder Webspace bei einem Hoster bezahlt wird).

35 Wie bereits auf S. 9 gesagt: „Bezeichnenderweise spricht das Oberlandesgericht seine gegenteilige Auffassung, Verlinkung sei Verbreitung, nicht einmal klar aus […] – und folglich nennt das OLG auch keine einzige Belegstelle aus Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur für seine mutmaßliche Auffassung.“

36 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/09/rk20060926_1bvr060504.html, Textziffer 56.

37 Eine nicht mehr existierende Vereinigung, kann sich ja auch nicht mehr betätigen.

38 Vgl. dazu bereits Teil I meiner hiesigen Artikel-Serie: https://blogs.taz.de/theorie-praxis/wiederauferstehungswunder-auf-deutsch-juristisch/, wo ich u.a. gezeigt hatte, hat das Oberlandesgericht Stuttgart nun wieder – wie ursprünglich das Bundesinnenministerium in seiner Pressemitteilung zum Verbot – Webseite und BetreiberInnen (‚Verein‘) ineins­setzt. Das Bundesverwaltungsgericht hatte aber beides – zurecht – unterschieden: „Regelungsgegenstand des Ver­botsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentli­chungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksun­ten.indymedia‘ als Organisation“. (https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33)

Außerdem hatte ich in Teil I gezeigt, daß das OLG nicht klar zwischen

  • internet-Adressen,

  • den (wechselnden) Inhalten, die unter ein- und derselben Adresse präsentiert werden können,

    und

  • den (wechselnden) Leuten, die ein- und dieselbe Adresse nacheinander nutzen können,

unterscheidet. Dadurch werden für das OLG die bloßen Umstände,

  • daß es bis 2017 Inhalte unter der Adresse linksunten.indymedia.org Inhalte gab

    und

  • daß es auch am 30. Juli 2022, als Fabian Kienerts Artikel (in dem er diese Adresse nannte) erschien, Inhalte gab – in der Tat überwiegend dieselben Inhalte –

bereits zum Indiz, daß sich ein- und derselbe BetreiberInnenkreis weiterhin betätige. Damit übersieht das OLG aber dreierlei:

  1. Die Leute, die bis 2017 die Webseite betrieben haben, müssen nicht auch das Archiv hochgeladen haben. Das Hochladen des Archivs kann durch jede beliebige Person erfolgt sein, die die entsprechenden Daten zur Verfügung hatte.

  2. Seit 2020 gab es – soweit ersichtlich – keine Änderungen an der Archivseite. Selbst wenn der alte Betreibe­rInnenkreis das Archiv 2020 (wieder) hochgeladen haben sollte, würde sich allein daraus und daraus, daß das Archiv auch im Sommer 2022 weiterhin online war (und auch jetzt weiterhin online ist), nicht ergeben, daß der ‚Verein‘ auch im Sommer 2022, als Kienerts Artikel erschien, noch existierte und tätig war.

  3. Es ist durchaus nicht unüblich, daß neue HerausgeberInnen eine alte Publikation wiederveröffentlichen bzw. eine Dokumentation mit alten Texten herausgeben. Selbst wenn die alten Texte strafbare Inhalte enthielten, ist dadurch nicht automatisch auch das Herausgeben der Dokumentation strafbar (siehe dazu meinen taz-Blogs Artikel vom 15.05.2023 zur gerichtlichen Bewertung von zwei Dokumentationen mit Texten der RAF).

    Schon gar nicht kann von der Existenz der NeuherausgeberInnen auf die – vereinsförmige – Fortexistenz der alten HerausgeberInnen (BetreiberInnen) geschlossen werden.

39 Siehe dazu § 24 des baden-württembergischen Landespressegesetzes und vgl. dazu die gesetzliche Definition des – in § 24 Landespressegesetz verwendeten – Begriffs „Druckwerk“ in § 7 Landespressegesetz sowie § 25 Landespressegesetz, der unter anderem bestimmt, daß § 24 Landespressegesetze für „die Veranstaltung von Rund­funk durch Landesrundfunkanstalten“ entsprechend gilt.
Jedenfalls ist weder selbst-evident, daß Webseiten überhaupt und Webseiten von Rundfunksendern insbesondere „Druckwerke“ sind; noch ist selbst-evident, daß freie Rundfunksender unter den Begriff „Landesrundfunkanstalten“ fal­len. In Betracht kommt aber beispielsweise zu versuchen zu argumentieren, daß die kurze Verjährungsfrist – wegen der verfassungsrechtlichen Medienfreiheiten – auch für Webseiten (jedenfalls für Webseiten von Rundfunksendern) gelten müsse oder daß die Bedeutung des Wortes „Landesrundfunkanstalt“ durch Zulassung von privatem und freien Rundfunk breiter geworden sei. Beide in Betracht kommenden Argumentationen müßten aber mindestens genauer ausgearbeitet werden, wenn sie überzeugen sollen.

40 Vgl. § 213 Absatz 1 Strafprozessordnung: „Der Termin zur Hauptverhandlung wird von dem Vorsitzenden des Ge­richts anberaumt.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__213.html)

41 Siehe zu dieser Entscheidung etwas weiter unten.

42 Siehe zu dieser Kommentar-Stelle noch etwas weiter unten.

43 Diese Differenzierung zwischen mehreren Arten von Terroristischen Vereinigungen (Absatz 1 und 2 einerseits [hö­herer Strafrahmen] und Absatz 3 [niedrigerer Strafrahmen]) wurde mit einer weiteren Änderung aus dem Jahre 2002 (zuvor war in diesem Jahr die Sympathiewerbung auf §§ 129, 129a StGB rausgestrichen worden [s. noch einmal FN 10]), die zum 28. Dezember 2002 in Kraft trat, eingeführt; siehe:

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https://blogs.taz.de/theorie-praxis/olg-stuttgart-blosse-sympathiewerbung-ist-nicht-strafbar/

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