vonDetlef Georgia Schulze 15.05.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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In den nächsten Tage wird es zur Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe über die Eröffnung des sog. „Hauptverfahrens“ gegen den Journalisten Fabian Kienert von Radio Dreyeckland (RDL) kommen. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hatte gegen den Redakteur kürzlich Anklage erhoben (siehe zuletzt: taz-Blogs vom 05.05.2023). Das Landgericht prüft nun, ob „der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint“ (§ 203 StPO [1]). Falls das Gericht diese Frage bejaht, wird das sog. Hauptverfahren (der Anklageerhebung ging das Ermitt­lungs– bzw. „vorbereitenden Verfahren“ voraus) [2] eröffnet und in nächster Zeit eine mündliche Verhandlung in Karlsruhe stattfinden.

„Beschließt das Gericht, das Hauptverfahren nicht zu eröffnen, so muß aus dem Beschluß hervorgehen, ob er auf tatsächlichen oder auf Rechtsgründen beruht.“ (§ 204 Absatz 1 StPO) In diesem Fall wird das Verfahren eingestellt. [3]

1987: In 300 Buchläden wurden ca. 3.000 Bücher beschlagnahmt

Aus jenem aktuellen Anlaß lohnt sich ein Rückblick auf einen Vorgang vor rund 35 Jahren:

Aufgrund eines Beschlusses eines Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof vom 18.08.1987 wurden im folgenden Monat über 3.000 Exemplare und Druckplatten des vom niederländischen Rechtsanwalt Pieter Bakker Schut herausgegebenen Buches „das info. Briefe der Gefangenen aus der RAF 1973 – 1977“ [4] beschlag­nahmt:

„Am 18. August 1987 wurde auf Antrag des Generalbundesanwalts bestimmt, das Buch und die ‚zur Herstellung des Druckwerks gebrauchten oder bestimmten Vor­richtungen[‘] zu beschlagnahmen. […]. Im September folgte die größte Durchsu­chungsaktion, die der westdeutsche Buchhandel nach dem Krieg erlebt hatte. Set­zerei und Druckerei wurden durchsucht und mit Hilfe der in der Verlagsauslieferung gefundenen Rechnungsunterlagen wurden in über 300 Buchhandlungen ca. 3.000 Exemplare des Titels beschlagnahmt.“
(Jo Hauberg, Vorwort, in: Pieter Bakker Schut. Stammheim. Eine notwendige Kor­rektur der herrschenden Meinung. Der Prozeß gegen die Rote Armee Fraktion, Pahl-Rugenstein: Bonn, 1997, V – VII [VI f.].)“

Leicht abweichend berichtete Oliver Tolmein in der taz vom 30.09.1987: Danach wurden allein schon beim Verlag am 29.09.1987 über 3.000 Exemplare be­schlagnahmt, und mit einer Durchsuchung von Buchläden wurde erst noch ge­rechnet:

„Um die Verbreitung des Buches ‚Das Info – Briefe der Gefangenen aus der RAF von 1973–1977‘ zu verhindern, wurden gestern morgen die Räume des Verlags durchsucht. Dabei wurden mehr als 3.000 Exemplare des Buches und die gesamte diesen Titel betreffende Buchführung beschlagnahmt. […] Dabei wurden ebenfalls Rechnungen, Lieferscheine, aber auch die Druckplatten und weitere Unterlagen be­schlagnahmt oder fotokopiert. Die Mitarbeiter des Neuen Malik Verlages befürchten daher, daß die Aktion ihre Fortsetzung mit einer Razzia in den Buchhandlungen fin­den könnte.“
(https://taz.de/Archiv-Suche/!1859521&&SuchRahmen=Print/)

Rund zwei ½ Monate später wurde die Beschlagnahme aufgehoben.


Dieser Artikel als .pdf-Datei (22 Seiten)

Der hiesige Artikel als .pdf-Datei: http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/05/das_info-RDL-Vergleich.pdf.


Der Tatvorwurf gegen Fabian Kienert (Radio Dreyeckland)

Dem Journalisten Fabian Kienert wird nun heute nicht einmal vorgeworfen, ein Buch mit Briefen von Gefangenen aus einer – zum Herausgabe-Zeitpunkt den bewaffneten Kampf gegen den bundesrepublikanischen Staat führenden – Organisation herausgeben zu haben. Ihm wird vielmehr bloß vorgeworfen, das Archiv einer internet-Zeitung, deren HerausgeberInnenkreis 2017 vom Bundesinnenministerium (BMI) vereinsrechtlich (siehe Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz und § 3 Vereinsgesetz) verboten worden war, verlinkt zu haben. Es geht um das Archiv von linksunten.indymedia.

Also: Die Linksetzung auf ein online-Archiv soll nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Straftat darstellen – und zwar noch dazu eine Linksetzung auf das Archiv einer online-Zeitung,

  • deren HerausgeberInnenkreis („Verein“) sich dem Verbot gefügt hat (auch BMI und Staatsanwaltschaft Karlsruhe behaupten nicht, der HerausgeberInnenkreis existiere noch [5])

  • und

  • der bis zu seinem Verbot als legal galt (§ 3 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz [6]) – also ganz im Gegensatz zur RAF: Letztere wurde zwar nie vereinsrechtlich verboten [7], sondern deren erwischte Mit­glieder sogleich in den Knast gesteckt – aber die RAF war ungeachtet der Inhaftierungen rund 20 Jahre lang aktiv – auch noch rund fünf Jahre nach der Beschlagnahme-Aktion im Jahre 1987.

Die Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe in das vor-internet-Zeit­alter übertragen, würde bedeuten, auch Leute bestrafen zu wollen,

  • die Adressen von Archiven, in denen KPD-Zeitungen aus der Zeit von vor dem 1956 erfolgten KPD-Verbot vorhanden sind und gelesen werden kön­nen, veröffentlichen (und bei dieser Veröffentlichung auch eine gewisse Kritik an dem KPD-Verbot erkennen lassen. – Auf diesen Zusatz kommt es insofern an, als die Staatsanwaltschaft Karlsruhe bzw. das Amtsgericht Karlsruhe auch Fabian Kienert nicht allein die Linkssetzung vorwerfen, sondern diese Linksetzung in Kombination mit der Bebilderung des Arti­kels [8] und dem Wort „konstruiert“ [9].)

    oder

  • die einen reprint derartiger Zeitungen herausgeben, auf dessen cover z.B. eine Wand aus der Verbotszeit mit der Parole „KPD lebt!“ zu sehen ist.

Nun aber erst einmal zurück zu dem Buch „das info“ und die Beschlagnahme-Ak­tion im Jahre 1987:

  • Wie bereits gesagt, wurde der Beschlagnahme-Beschluß von einem Er­mittlungsrichter am Bundesgerichtshof erlassen.

  • Das die Beschlagnahme begleitende Ermittlungsverfahren wurde aber schnell vom Generalbundesanwalt – wegen „minderer Bedeutung“ des Falls – an die Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Schleswig abge­geben hat: „Der [erkennende] Senat [des Oberlandesgerichts Schleswig] ist zur Entscheidung über diese Beschwerden [gegen den Beschlagnah­mebeschluß] zuständig, nachdem der GBA das Verfahren an die StA bei dem OLG Schleswig abgegeben [10] und der Ermittlungsrichter bei dem OLG Schleswig, den Beschwerden nicht abgeholfen hat.“ [11]

Die Entscheidung des Oberlandesgericht Schleswig zum Buch „das info“ mit Briefen von Gefangenen aus der RAF

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts

In Bezug aus Buch „das info“ hatte das Oberlandesgericht Schleswig mit Be­schluß vom 30.10.1987 zum Aktenzeichen 2 OJs 11/87 (siehe FN 11), mit dem es die Beschlagnahme des Buches und der Druckplatten aufhobt, wie folgt argu­mentiert:

„Im vorliegenden Fall handelt es sich um die – mit einer Vorbemerkung versehene – Herausgabe fremder Texte. Deshalb stellt sich die Frage, worauf die Prüfung zu be­ziehen ist. Nach Ansicht des Senats kann es nur darauf ankommen, ob der Publizie­rende selbst (eindeutig) wirbt oder unterstützt, nicht auf die werbende oder unter­stützende Wirkung der veröffentlichten fremden Texte als solcher (vgl. Rebmann, NStZ [12]  1981, 461 f. [13]; und Giehring, StV [14] 1983, 309 [15]). Das folgt ohne weiteres dar­aus, daß Werben und Unterstützen zielgerichtete Tätigkeiten sind. Veröffentlichun­gen aus sozialadäquaten Gründen – etwa Presseberichterstattungen, Dokumentatio­nen, wissenschaftliche Publikationen – sind, weil ihnen diese Zielrich­tung fehlt, selbst dann nicht verboten, wenn zum Zwecke der Darstellung Texte zi­tiert werden, die, für sich genommen, propagandistischen Charakter haben. Diese Auslegung entspricht der gesetzlichen Regelung in § 86 StGB. Diese Vorschrift, die das Verbreiten bestimmter Propagandamittel – etwa solche nationalsozialistischen Inhalts – unter Strafe stellt, nimmt sozialadäquate Handlungen ausdrücklich von dem Verbot aus (§ 86 III StGB [16]). Eine derartige ausdrückliche Einschränkung ent­hält § 129a StGB zwar nicht, aber das erklärt sich daraus, daß dieser Tatbestand – im Gegensatz zu § 86 I StGB [17],  der schlechthin jegliches Verbreiten verbietet – von vornherein nur Handlungen mit (eindeutig) propagandistischer Tendenz erfaßt. Ein absolutes Publikationsverbot enthält diese Vorschrift ebensowenig wie § 86 StGB. Es handelt sich nicht um ein Verbreitungs-, sondern um ein Äußerungsdelikt (Giehring, StV 1983, 296).“ [18]

Diesen generellen Ausgangspunkt konkretisierte das Gericht dann wie folgt:

„Der Herausgeber hat sich in einem früheren Werk mit den Stammheimer Prozes­sen befaßt. Der Ergänzung dieses Werks soll das vorliegende Buch dienen; die Sammlung ist nach der Vorbemerkung des Herausgebers nur wegen ihres Umfangs als gesonderter Band herausgegeben worden. Die jetzige Veröffentlichung enthält demgemäß – das ist dem Umfange nach der Schwerpunkt des Druckerzeugnisses – Briefe mit [recte: der] damaligen Gefangenen. Insoweit werden in dem beschlag­nahmten Buch mithin in der Tat Texte veröffentlicht, die unter dem Blickwinkel des Herausgebers von dokumentarischem Interesse sein können. Ob seine Sicht ver­tretbar oder abwegig ist, ist nicht entscheidend. Von Bedeutung ist hier nur, daß der vom Herausgeber genannte sachliche Zusammenhang jedenfalls nicht eindeutig fehlt. Im übrigen spricht auch der Inhalt der Briefe nicht ohne weiteres für eine pro­pagandistische Tendenz ihres Herausgebers. Sie sind dem Verständnis im allgemei­nen – von verstreuten Passagen abgesehen – nur schwer zugänglich und infolge des Zeitablaufs kaum als aktuelle Propaganda interpretierbar, zumal sie schon sei­nerzeit nicht mit Blick auf eine propagandistische Außenwirkung geschrieben wur­den. Ihre ganz anders geartete Zielrichtung wird in der Vorbemerkung des Heraus­gebers dargestellt.
Neben den Briefen aus den Jahren 1973 bis 1977, denen aus den dargelegten Gründen der vom Herausgeber genannte zeitgeschichtlich-dokumentarische Bezug nicht schlechthin abgesprochen werden kann, enthält das Buch eine in Wir-Form gehaltene – offenbar von einem ‚RAF‘-Mitglied verfaßte – Vorbemerkung aus dem März 1985. Sie liegt also später als der Zeitraum, mit dem sich die Dokumentation befassen will. Trotzdem liegt es nahe, daß auch sie in den Zusammenhang einzu­ordnen ist: […]. Daß mit dieser Vorbemerkung vom März 1985 eindeutig – den Rahmen der Dokumentation verlassend – für eine terroristische Vereinigung ge­worben oder diese unterstützt würde, ergibt sich weder aus der Tatsache des Ab­drucks noch aus deren Inhalt.“ (Hv. hinzugefügt)

Anzumerken ist spätestens an dieser Stelle, daß auch der BGH schon 1984 eine derartige Eindeutigkeit verlangte:

„der Senat [hält] jedenfalls die Beachtung folgender Kriterien für geboten: Ein Text, dessen Verbreitung als Werben oder gar Unterstützen im Sinne des § 129a StGB angesehen werden soll, muß objektiv geeignet sein, von dem im Einzelfall ange­sprochenen Adressaten als Werbung für die Vereinigung selbst oder als Unterstüt­zung aufgefaßt zu werden. Nur dann geht von ihm die Gefahr aus, welche die An­wendung der Strafvorschrift rechtfertigt. Die eine Unterstützung der Organisation, ih­rer Bestrebungen oder ihrer Tätigkeit bezweckende Zielrichtung muß eindeutig er­kennbar sein. Dabei ist der Organisationsbezug eines Textes nicht schon immer dann zu bejahen, wenn in irgend einer Form auf eine terroristische Vereinigung hin­gewiesen wird, ohne daß nach dem deutlich erkennbaren Sinn des Textes für die Organisation als solche in dem bezeichneten Sinne geworben wird. In der Regel wird es nicht genügen, wenn nach ihm die Interessen einzelner Personen verfoch­ten werden, mag er dabei auch zur näheren Beschreibung auf deren Herkunft aus einer terroristischen Vereinigung hinweisen, ohne für sie selbst einzutreten.“
(BGHSt 33, 16 – 21 [18]; Hv. hinzugefügt)

In der Entscheidung ging es um verschiedene gesprühten Wörter bzw. Parolen: Es „wurden mehrfach – nicht immer nebeneinander – das Kürzel ‚RAF‘ und das Schlagwort ‚Isolationsfolter‘ verwendet. Einmal wurde neben der ‚Zusammenle­gung der R.A.F.‘ auch ‚Freiheit für G. Sonnenberg und V. Becker‘ (das sind we­gen versuchten Mordes verurteilte Angehörige dieser terroristischen Vereinigung) gefordert.“ (ebd. 16) Das Oberlandesgericht Stuttgart hatte nur wegen Sachbe­schädigung, aber nicht wegen Werbung bzw. Unterstützung verurteilt; die gegen letzteres gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft blieb erfolglos.

1997 hat der BGH das Eindeutigkeits-Kriterium auf § 20 Vereinsgesetz übertra­gen:

„Die Unterschiede, die nach dem in den Strafdrohungen zum Ausdruck kommenden Gewicht der Straftatbestände [in § 129a StGB einerseits und § 20 Vereinsgesetz an­dererseits] und nach ihrer verschiedenen Struktur gegeben sind, stehen dem [der Übertragung] angesichts der gleichen Zielsetzung der Einschränkung nicht entge­gen. Danach muß ein Text, um dessen fördernde Wirkung für die verbotene Tätig­keit der Vereinigung es geht, objektiv geeignet sein, von den angesprochenen Adressaten als Werbung oder Unterstützung der Vereinstätigkeit aufgefaßt zu wer­den […]. Ferner muß die Zielrichtung auf Unterstützung der verbotenen Vereinstätig­keit eindeutig erkennbar sein“
(BGH, Urteil v. 09.04.1997 zum Az. 3 StR 387/96; https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/96/3-387-96.php3, Textziffer 6; Hv. hinzugefügt)

Dies ist in Bezug auf den Fall „Radio Dreyeckland“ wichtig, weil § 20 Vereinsgesetz die unmittelbare Parallelnorm zu § 85 Strafgesetzbuch ist; da­bei handelt es sich um folgendes Verhältnis:

  • § 20 Vereinsgesetz gilt zunächst einmal in Bezug auf Vereinsverbote, solange diese noch anfechtbar [19] sind – es genügt die bloße (momentane) Vollziehbarkeit des Verbotes.
  • § 85 StGB gilt dann ab Unanfechtbarkeit des Verbotes für solche Verbote, die wegen Gerichtetheit gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerver­ständigung verfügt wurden.
  • Für Verbote wegen Strafgesetz-Widerläufigkeit [20] bleibt es dagegen auch ab Unanfecht­barkeit bei § 20 Vereinsgesetz.

Nun aber zurück zu der Entscheidung des OLG Schleswig zu dem „info“-Buch – das Oberlandesgericht ging dann noch auf den Schlußsatz des – zwischen der herausgeberischer Vorbemerkung (S. 5 – 6) und den historischen Briefen stehen­den – anonymen Vorwortes[21](, das wohl von einem Mitglied des Gefangenenkol­lektivs oder dem Gefangenenkollektiv insgesamt stammt) ein; dieser lautet:

„es [„das info“ – also die abgedruckten Briefe] ist ein teil von unserem fight, und so nah wie es damals für uns war – der, der da schreibt, war richtig da, du hast ihn ge­sehen, ganz genau in jedem wort – so ist es immer noch“ (S. 7 – 8 [8]).

Dazu schreibt das Oberlandesgericht:

„Sie [Jene Schlußbemerkungen] haben einen bekenntnishaften Charakter, aber – und das ist entscheidend – sie sind dennoch nicht eindeutig auf Werbung oder Un­terstützung angelegt. Der Sinn erschließt sich nicht ohne weiteres bei der ersten Lektüre. Ihr Verfasser will sagen, daß das ‚info‘ [22] – aus seiner Sicht – ein (histori­scher) Teil des ‚fight‘ sei. Darin liegt ersichtlich keine – in die Zukunft gerichtete – Werbung oder Unterstützung. Des weiteren wird dargelegt – das ist nach dem Ver­ständnis des Senats der Sinn dieser Sätze –, daß seinerzeit dem Leser dieser Brie­fe deren Verfasser in jedem Wort leibhaftig vor Augen gestanden hätten und daß dies heute immer noch so sei. Der Verfasser beschreibt damit die Lebendigkeit sei­ner Erinnerung bei der Lektüre der ‚info‘-Briefe, nicht die Aktualität des terroristi­schen ‚Kampfes‘. Der Senat verkennt nicht, daß auch damit – in einem eher indirek­ten Sinne – eine gewisse Sympathiewerbung verbunden ist. Sie ist jedoch nicht von der erforderlichen Eindeutigkeit. Ihr Unterschied zu den grobschlächtig-aggressiven Parolen, die bisher als verbotene Werbung oder Unterstützung bewertet worden sind, ist evident. Entsprechendes gilt für den in seiner Aussage mehrdeutigen Satz: ‚daß das neue stärker ist, wenn wir es wollen‘. Da das anonyme Vorwort schon aus sich heraus nicht eindeutig werbend oder unterstützend ist, erübrigt sich die – im Er­gebnis ebenfalls zu verneinende – Frage, ob sich der Herausgeber des Buches den Inhalt des in Rede stehenden Vorwortes vollständig und eindeutig zu eigen gemacht hat.“

Schließlich geht das Oberlandesgericht noch auf folgende Passage der heraus­geberischen Vorbemerkungen ein:

„Der Herausgeber versteht die Veröffentlichung der ‚info‘-Briefe als einen Beitrag zur Aufklärung über Ursachen, Hintergründe und Ziele des bewaffneten Kampfes in Westeuropa, der, als antiimperialistischer Guerillakrieg geführt, von den Staats­schutzbehörden als solcher auch verstanden und auf der Ebene offener und ver­deckter Kriegsführung angenommen wurde. Dieser Krieg ist Teil unserer Gegen­wart. Er herrscht weltweit und kann nicht mit verschleiernden Begriffen aus der Welt geschafft werden. Seine Existenz ist also keine Frage der Moral und keine des Be­kenntnisses dafür oder dagegen.“ (S. 6)

Dazu schreibt das Oberlandesgericht:

„Sie [Die Vorbemerkung] enthält zwar – über die bereits erwähnten sachlichen Er­läuterungen hinaus – einige Sätze mit unverkennbar apologetischer Tendenz, etwa wenn der Herausgeber darlegt, daß der Terrorismus Teil eines weltweiten anti­imperialistischen Kampfes sei. Im unmittelbaren Anschluß findet sich aber ein Satz, der dahin verstanden werden kann, mit dieser Sicht der Dinge sei noch keine Stel­lungnahme im Sinne einer Befürwortung verbunden. Schon deshalb ist der Gesamt­eindruck nicht der einer eindeutig werbenden oder unterstützende Aussage. Im übri­gen handelt es sich um die Wiederholung einer These, die ersichtlich als Deutung des Terrorismus, nicht: als Propaganda seiner Methode verstanden werden will. Aus dem Stil ergibt sich schließlich ebenfalls kein Indiz für propagandistische Absichten.“

Vergleich zwischen „info“-Buch und Artikel von Fabian Kienert

Wenn wir dies alles nun mit dem kriminalisierten RDL-Artikel vergleichen, ergibt sich folgendes:

  • Vor dem Oberlandesgericht Schleswig ging es nicht um eine strafrechtliche Anklage, sondern um eine Beschlagnahme des Buches – und nur in die­sem Rahmen um die Frage, ob mit der Herausgabe des Buches (insbe­sondere mit seinen Vorbemerkungen) eine eigene Straftat durch den Herausgeber begangen wurde. (Bei einer Bestätigung der Beschlagnahme wäre eventu­ell eine Anklage gefolgt, die jedenfalls in Bezug auf den Herausgeber schwierig gewesen wäre, da es ein niederländischer Herausgeber war; wahrscheinlich hätte sich also allenfalls an die EigentümerInnen und Be­schäftigten des Kieler Verlages und der Neusser Druckerei mit etwaiger Erfolgsaussicht gehalten werden können).

  • In dem Verfahren vor dem OLG Schleswig wurde also auf den Herausge­ber der Texte von Gefangenen aus der – als „terroristisch“ klassifizierten Vereinigung – RAF abgestellt.
    In dem RDL-Verfahren geht es dagegen nicht um diejenigen, die das Ar­chiv der vormaligen Webseite der verbotenen „Vereinigung“ wieder zu­gänglich machten, sondern bloß um einen Journalisten, der auf die URL dieser Wiederveröffentlichung hinwies und der außerdem seinen Artikel in der bereits besprochenen Art und Weise (s. FN 8) bebilderte.
    Wir haben es also in dem RDL-Verfahren mit mehr Distanz zu der dem Staat in den jeweiligen Fällen mißfallenden Vereinigungen zu tun: Fabian Kienert befindet sich in Bezug auf das linksunten-Archiv in einer ähnlichen Position, wie diejenigen, die 1987 in einem Artikel das „info“-Buch erwähn­ten und dabei die ISBN des Buches oder die Adresse von Buchläden, in denen es vorrätig ist, nannten.

  • Dann kommt noch hinzu: Fabian Kienert hat nicht auf (spezifische) eigene Texte der verbotenen „Vereinigung“ hingewiesen, sondern auf die Startsei­te des Archivs. Dort befindet sich aber zunächst einmal ein Text derjenigen (Unbekannten), die die Wiederveröffentlichung vornahmen; und: Das Ver­einigungs-Verbot wurde nicht mit allen jemals bei linksunten.indymedia veröffentlichten Texten begründet, sondern mit einem Bruchteil dieser Texte.
    Auch das stellt zusätzlich in Frage, daß Kienert gerade für die verbotene Vereinigung geworben hat und werben wollte.

  • Das Oberlandesgericht Schleswig hält dem Herausgeber des „info“-Bu­ches zu Gute, daß letzteres in Kontinuität zu seinem „früheren Werk[, das sich] mit den Stammheimer Prozessen befaßt“, stehe, das seinerseits nicht Gegenstand strafrechtlicher Vorwürfe war. Auch der Artikel von Fabian Kie­nert steht in Kontinuität zu vorhergehender Berichterstattung von Radio Dreyeckland über das linksunten-Verbot, die ebenfalls nicht Gegenstand strafrechtlicher (oder auch nur medienrechtlicher) Beanstandungen war.

  • So wie in dem „info“-Buch die Texte historisiert wurden („damals“; es wur­den nur Briefe aus der Zeit von 1973 – 1977 abgedruckt; das Buch er­schien 1987), wird auf der Startseite des Archivs linksunten.indymedia his­torisiert („niemand wird unsere Geschichte erzählen, wenn wir es nicht selbst tun“), und es können keine neuen Artikel gepostet werden.

  • Die RAF war zur Zeit der Herausgabe des Buches und der Entscheidung des Oberlandesgerichts noch aktiv; die Vereinigung, die Fabian Kienert nach Ansicht der Staatsanwaltschaft Karlsruhe unterstützt haben soll, exis­tierte zum Zeitpunkt des Schreibens und Veröffentlichens seines Artikels schon nicht mehr.

  • Das Oberlandesgericht bescheinigte den Vorbemerkungen des Herausge­bers selbst und auch dem nachfolgenden anonymen Vorwort einen weitgehend sachlichen Stil. Auch der Artikel von Fabian Kienert ist in ei­nem sachlichen Nachrichtenstil gehalten, wie auch anderen Medien, die über die Anklage berichteten, auffiel: „Wer möchte, kann sich selbst ein Bild von der Radio-Dreyeckland-Meldung machen, die der Staatsanwalt­schaft ein Dorn im Auge ist. Der aus knapp 150 Wörtern bestehende Arti­kel ist nach wie vor online. Im Nachrichtenstil heißt es darin unter ande­rem: ‚[…].‘“ (netzpolitik.org vom 03.05.2023)

Worin soll also im Falle des Artikels von Fabian Kienert die Unterstützung der an­geblichen „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ liegen?

Die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf und des Bundes­gerichtshofs zur Broschüre des GNN-Verlages „RAF – BRD“ [23]

Der Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 04.08.1995 zum Aktenzeichen StB 31/95

Der Bundesgerichtshof hatte sich in einem Strafverfahren gegen vermeintliche Mitglieder der Göttinger Autonomen Antifa (M) mit der Broschüre zu befassen, in dem es darum ging, ob die AA (M) eine Kriminelle Vereinigung ist, wobei die Mit­glieder – nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft Celle – dabei auch ge­meinschaftlich für eine Terroristische Vereinigung, nämlich die RAF, durch Ver­breitung der genannten Broschüre geworben haben sollten.

Das OLG Celle hatte wegen beider Vorwürfe die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt und die Sache wegen weiterer Delikte an das Amtsgericht Göttingen verwiesen. Dagegen richtete sich die sofortige Beschwerde der Generalstaatsan­waltschaft.

Dazu entschied der Bundesgerichtshof, der Vorwurf der Bildung einer Kriminellen Vereinigung sei vielmehr im Rahmen einer Hauptverhandlung zu prüfen, der Werbungsvorwurf dagegen zu recht schon verneint worden. Zu letzterem führte der BGH aus:

„Die angefochtene Entscheidung [des OLG Celle] kommt […] ebenso wie das Ober­landesgericht Düsseldorf (aaO. [24])“ – in einem vorhergehenden Verfahren mit dem (nicht erreichten) Ziel der Einziehung der Broschüre – „mit eingehender und zutref­fender Begründung zu dem Ergebnis, daß die Schrift als Dokumentation angesehen werden muß und sich eine der RAF als Organisation förderliche Zielrichtung nicht eindeutig feststellen läßt. Hierbei wurde berücksichtigt, daß von 52 Textbeiträgen nur 19 von der RAF stammen, während die übrigen Texte unterschiedlicher Herkunft sind und zu einem erheblichen Teil sich kritisch und ablehnend gegenüber der RAF äußern. Gegen eine propagandistische Zielrichtung spricht eher auch die nüchterne Aufmachung und der Umstand, daß sich die Publikationen ganz überwiegend mit der bereits länger zurückliegenden Entwicklung der RAF in den Jahren von 1970 bis 1977 befaßt, während die nach der sog. ‚Kinkel-Initiative‘ veränderte Situation der RAF nicht einbezogen wird.
Daß die Herausgeber der Schrift sich in den einleitenden und begleitenden Texten nicht von der RAF distanzieren oder neutral bleiben, vermag einen werbenden Cha­rakter zugunsten der RAF noch nicht zu belegen. Aus dem Vorwort ergibt sich, daß die Redaktion aus Mitgliedern kommunistischer Gruppierungen besteht [25] und mit der Dokumentation das Bestreben verfolgt wird, die Verantwortung für die Entste­hung der RAF den Organen der Bundesrepublik Deutschland anzulasten, und die staatlichen Reaktionen gegenüber der RAF in einen großen Zusammenhang einer ‚imperialistischen Politik der BRD‘ zu stellen [26].
Aus dem vom Oberlandesgericht zitierten Vorwort wird deutlich, daß die Dokumen­tation nicht dem Werben für die RAF dient, deren Gewalttaten von den Herausge­bern auch an keiner Stelle gebilligt werden, sondern vielmehr das Thema RAF für Zwecke kommunistischer Propaganda genutzt werden soll [27].“ (Textziffer 9 – 11)

Wenn wir auch dies nun wieder mit dem linksunten-Archiv und dem Artikel von Fabian Kienert, in dem die URL des Archivs erwähnt ist, vergleichen so ergibt sich Folgendes:

  • Den vermeintlichen Mitgliedern der AA (M) wurde nicht vorgeworfen an der Zusammenstellung und Produktion der GNN-Broschüre oder an dem Ver­lag beteiligt zu sein.
    Auch Fabian Kienert wird nicht vorgeworfen, am online-Stellen des links­unten-Archives beteiligt gewesen sein.

  • Die vermeintlichen Mitgliedern der AA (M) sollten die Broschüre (körper­lich) verbreitet haben; durch das Verbreiten kamen jedenfalls zusätzliche Personen in den Besitz der Broschüre.
    Fabian Kienert hat dagegen bloß eine URL genannt; es blieb völlig der Entscheidung der LeserInnen überlassen, ob sie dem Link folgen oder nicht. Außerdem war das Archiv auch schon vor der Veröffentlichung von Kienerts Artikel im internet frei zugänglich, die URL war (und ist) mittels Suchmaschinen ohne weiteres zu finden und die URL ist und war auch auf anderen Webseiten zu finden. Zum Beispiel ich selbst hatte schon Anfang 2020 das komplette Archiv gespiegelt und dabei – akkurat – auch die Quellwebseite genannt.

  • Das linksunten-Archiv enthält zwar – anders als die GNN-Broschüre, die auch andere als RAF-Texte enthält – (abgesehen von dem Text auf der Startseite) ausschließlich Texte, die bereits bis zum Verbot bei linksun­ten.indymedia erschienen waren.
    Auf diesen Unterschied kommt es freilich nicht entscheidend an, wie wir bereits anhand des „info“-Buches gesehen haben: Auch dieses enthielt – außer den herausgeberischen Vorbemerkungen – ausschließlich Texte von Gefangenen aus der RAF, ohne daß dies vom Oberlandesgericht Schles­wig beanstandet worden wäre.

  • Der BGH bescheinigt der GNN-Broschüre eine „nüchterne Aufmachung“ (allerdings sind auf der Titelseite ein halber RAF-Stern und ein halber Bundesadler gegenüberstellt).
    Der Artikel von Fabian Kienert ist (graphisch) nicht anders aufgemacht, als andere Artikel auf der Webseite von Radio Deyeckland; es handelt sich um eine Kurzmeldung mit nahezu ausschließlich deskriptiven Sätzen. Auch dies ist als „nüchtern“ zu bezeichnen.

  • Der BGH betont – anders als in früheren Entscheidungen – richtigerweise, daß es keine Rechtspflicht zum Distanzieren gibt: „Daß die Herausgeber der Schrift sich in den einleitenden und begleitenden Texten nicht von der RAF distanzieren oder neutral bleiben, vermag einen werbenden Charak­ter zugunsten der RAF noch nicht zu belegen.“ Es genügt vielmehr als Schutz vor Bestrafung, eine Billigung der inkriminierten Texte zu unterlas­sen („an keiner Stelle gebilligt werden“).

Worin soll also im Falle des Artikels von Fabian Kienert die Un­terstützung der angeblichen „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ liegen? –

  • In der Bebilderung des Artikels kann sie nicht liegen, denn die im Bild zu sehende Parole wurde gerade (wie hier bereits in FN 8 erwähnt) als strittig bezeichnet.

  • Die Werbung für den – nicht mehr existierenden – HerausgeberInnenkreis von linksunten.indymedia kann – anders als das Amtsgericht Karlsruhe im Dezember meinte – auch nicht darin liegen, daß in Kienterts Artikel von „konstruierte[m] Verein Indymedia Linksunten“ die Rede ist. Denn es ist zu­lässig, Vereinsverbote und deren Begründung zu kritisieren und sogar – wie das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden hat28 – zulässig, die Aufhebung von Vereinsverboten zu fordern, was Fabian Kienert aller­dings in dem Artikel nicht einmal gemacht hat.

Der Beschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 28.11.1994 zum Aktenzeichen VI 8/94 [29]

Der Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf ging folgende Vorge­schichte voraus:

„Die Generalstaatsanwaltschaft hatte zunächst gegen unbekannte Mitarbeiter der G.-Verlagsgesellschaft und später gegen deren Geschäftsführer F. und L. als Ver­breiter der Druckschrift ‚Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte, Bundesrepu­blik Deutschland [BRD], Rote Armee Fraktion [RAF]‘, 6. Auflage, Köln, Februar 1993 wegen Verdachts des Werbens für die terroristische Vereinigung ‚Rote Armee Frakti­on [RAF]‘ (Vergehen nach § 129a Abs. 3 StGB) ermittelt.
Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Ermittlungsrichter des Oberlan­desgerichts Düsseldorf mit Beschluß vom 30. Juni 1994 ein an den Strafgefangenen D. gesandtes Exemplar der 6. Auflage dieser Druckschrift beschlagnahmt und die Durchsuchung der Geschäftsräume der G. Verlagsgesellschaft angeordnet. Bei der am 10. August 1994 durchgeführten Durchsuchung sind insgesamt 965 Exemplare dieser Druckschrift der 6. Auflage und früherer Auflagen gefunden und sichergestellt worden. Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ordnete der Ermittlungsrichter des Oberlandesgerichts Düsseldorf mit Beschluß vom 11. August 1994 die Be­schlagnahme dieser Exemplare an, weil sie aus den Gründen des Beschlusses vom 30. Juni 1994 der Einziehung nach § 74d Abs. 1 Nr. 1 StGB [30] unterlägen und weil auch die Voraussetzungen für die Beschlagnahme eines Druckwerks nach den §§ 111m f[.] StPO [31] sowie §§ 13 f. LPG gewahrt seien.“ [32]

Das Oberlandesgericht hobt die Beschlagnahme auf

„Die beschlagnahmten Exemplare der Druckschrift unterliegen nicht der Einziehung nach § 74d Abs. 1 Satz 1 StGB, weil der Inhalt der Druckschrift nicht so beschaffen ist, daß deren vorsätzliche Verbreitung in Kenntnis ihres Inhalts ein tatbestandsmä­ßiges und rechtswidriges Werben für eine terroristische Vereinigung gemäß § 129 a Abs. 3 StGB darstellt.“ [33]

und führte zur Begründung aus:

„Die Verbreitung einer Dokumentation erfüllt den äußeren Tatbestand des § 129a Abs. 3 StGB nur, wenn ihr Inhalt objektiv geeignet ist, von einem Durchschnitts­adressaten als Werbung für eine terroristische Vereinigung aufgefaßt zu werden. Dies ist dann der Fall, wenn der Publikation als solcher bei einer umfas­senden Würdigung ihres gesamten Inhalts eine werbende Zielrichtung, die terroristi­sche Vereinigung mit dem Mittel der Propaganda zu stärken, zu entnehmen ist, was für den Durchschnittsadressaten eindeutig erkennbar sein muß (vgl. BGHSt 28, 26 f. und 33, 16 f. sowie Beschluß des KG in StV 1990, 210/211 m. w. N.).“ (Hv. hinzu­gefügt)

Was auch immer ansonsten zu dieser Formulierungen zu sagen sein mag, so sind jedenfalls zwei Dinge festzuhalten:

  • Es genügt nicht allein eine – wie auch immer festgestellte oder bloß unter­stellte – Absicht zur Werbung [34], sondern es muß auch der objektive Tatbe­stand erfüllt sein.

  • Es muß sich „der Publikation“ auch tatsächlich „eine werbende Zielrichtung […] entnehmen“ lassen, was „eindeutig erkennbar sein muß“.

Für die GNN-Broschüre kommt das OLG anhand dieser Kriterien dann zu folgen­dem Ergebnis: „Diese Voraussetzungen erfüllt die hier zu beurteilende Dokumen­tation nicht.“

Das OLG gibt zunächst eine Deskription der Broschüre, die hier aus Längen­gründen nicht wiederholt werden soll.

So dann führt das Gericht aus:

„Der Senat verkennt nicht, daß der Inhalt einiger Beiträge durch die Art der Darstel­lung und der geübten Kritik an durchgeführten staatlichen Maßnahmen geeignet ist, die ‚RAF‘ und ihre Ziele im günstigen und die Bundesrepublik Deutschland, ihre Staatsorgane und die Strafverfolgungsbehörden im ungünstigen Licht erscheinen zu lassen.
Ein werbender Charakter kann diesen Texten nicht zugemessen werden. Kritik am Staat und seinen ausführenden Organen ist im weiten Umfang zulässig. Sie findet ihre Schranken erst, wenn auch bei günstigster Auslegung des Inhalts einer Er­klärung die Grenze der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG zur Verwirklichung eines Straftatbestandes hin überschritten wird. Unter diesem Aspekt kommt den beanstan­deten Texten noch der Schutz des Art. 5 GG zugute.
Es handelt sich um Meinungsäußerungen zu dem Kampf der ‚RAF‘ und der Art und Weise der gegen sie ergriffenen staatlichen Maßnahmen. Eine Überschreitung der Grenze der Meinungsfreiheit kann insoweit nicht festgestellt werden.
Selbst wenn diese Auffassung für einige der beanstandeten Textstellen nicht geteilt werden sollte, so ist doch hier entscheidend, daß der Druckschrift in ihrer Gesamt­heit keine eindeutig erkennbare werbende Zielrichtung zugunsten der ‚RAF‘ zu­kommt. Daran ändert nichts, daß auf dem Deckblatt der Druckschrift das gegen den Bundesadler gerichtete Symbol der ‚RAF‘ abgebildet ist. Die kritischen Texte sind, auch wenn sie im Zusammenhang mit der Abbildung auf dem Deckblatt gesehen werden, nicht geeignet, einem Durchschnittsleser den Eindruck zu vermitteln, mit dem gesamten Inhalt der Broschüre solle für die Ziele der ‚RAF‘ geworben werden. Diese Texte treten nicht nur vom Umfang, sondern auch vom Inhalt her gegenüber den übrigen, nicht zu beanstandenden Redaktionsbeiträgen in der 130 Seiten starken Broschüre zurück. Die Annahme, daß die Wiedergabe dieser Texte nur vor­dergründig dem äußeren Schein nach zum Zwecke der Dokumentation eingefügt sein könnten, findet in der Broschüre selbst keine ausreichende Grundlage. Es er­scheint plausibel, daß die beanstandeten Texte in der Broschüre wiedergegeben werden, weil ohne sie aus der Sicht der Herausgeber eine vollständige Dokumenta­tion über die Entwicklung der ‚RAF‘ in dem genannten Zeitraum unvollständig wäre. Dafür spricht der Inhalt und die Aufmachung der Druckschrift sowie der Umstand, daß diese zudem eine Vielzahl objektiver, wertneutraler und kritischer Beiträge an­derer Herkunft enthält.
Der Durchschnittsleser wird sie als Teil einer historischen Dokumentation auffassen, die sich nach dem Vorwort zum Ziel gesetzt hat, den Zeitraum von 1970 bis 1984 und dabei insbesondere den Zeitraum von 1970 bis 1977 auszuleuchten. Ein aktuel­ler Bezug zur heutigen Situation fehlt. In der Dokumentation finden sich keine Bei­träge, die sich mit der Entwicklung der ‚RAF‘ nach dem aufgezeigten Zeitraum bis in die heutige Zeit befassen und über ihre aktuelle Situation berichten. Der Leser wird über die heutige ‚RAF‘, ihre Strukturierung, ihre Vorstellungen und ihre Ziele nicht in­formiert. Die Schrift endet mit einem Abdruck der Erklärung von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt vom 4.12.1984 zu Vorgängen des Jahres 1977. Vor allem dieser Umstand bewirkt, daß sich die Druckschrift trotz der zu beanstandenden Beiträge in ihrer Gesamtheit für den durchschnittlichen Leser als rein historischer Abriß und nicht als Propaganda für die ‚RAF‘ darstellt.“ [35]

Dazu ist Folgendes anzumerken:

  • Die Broschüre des GNN-Verlages stellt zweifelsohne einen besonders deutlichen Fall von ‚Es handelt sich nicht um Werbung‘ dar.

  • Es sei zugestanden, daß auf der rein textlichen Ebene das Archiv von linksunten.indymedia einen nicht ganz so eindeutigen Fall darstellt, da dort keine Dritt-Texte dokumentiert sind, sondern ausschließlich bei linksun­ten.indymedia bis 2017 erschienene Texte, ergänzt um eine kurze heraus­geberische Einleitung.

  • Beide Publikationen (die GNN-Broschüre und das wiederveröffentlichte linksunten-Archiv) stimmen allerdings in einem historischen Charakter, auf den das OLG Düsseldorf vor allem abstellt [36], überein: Das linksunten-Ar­chiv ist keine Fortführung der Tätigkeit des alten HerausgeberInnenkrei­ses (Betreiben einer open posting-Plattform), sondern eine bloße Doku­mentation der Vergangenheit.

  • Auf der Kontext-Ebene ist das linksunten-Archiv ein viel eindeutigerer Fall als die GNN-Broschüre:

    • Als die GNN-Broschüre 1993 in sechster Auflage erschien, existierte die RAF noch (die Auflösungserklärung stammt aus dem Jahr 1998) – auch wenn die letzte tödliche Aktion 1991 (gegen Treuhand-Chef Roh­wedder); und der letzte Anschlag 1993 (auf die in Bau befindliche Justiz­vollzugsanstalt Weiterstadt) stattfanden. [37] Jedenfalls für die ersten Auf­lagen [38] war klar, daß die RAF zum Veröffentlichungszeitpunkt auch noch als Terroristische Vereinigung existierte.

    • Dagegen existierte der originäre linksunten-HerausgeberInnenkreis – nach allem, was wir wissen – schon 2020, als das Archiv wiederveröf­fentlicht wurde, nicht mehr. Der originäre HerausgeberInnenkreis hatte sich 2017 augenscheinlich seinem Verbot gebeugt; nicht einmal mehr zu dem Verbot Stellung genommen und alle Inhalte wurden von der Webseite entfernt (von wem auch immer – jedenfalls nicht vom Staat; dieser hatte – trotz der Durchsuchungen – keinen Zugriff auf die Web­seite erhalten [39]).

    • Hinzukommt noch: Im Falle des Verfahrens gegen Fabian Kienert geht es nicht um die Frage, ob die Wiederveröffentlichung des Archivs eine Werbung bzw. Unterstützung für die verbotene Vereinigung darstellte, sondern ob sein eigener Artikel eine solche darstellte.

  • In der Entscheidung des OLG Düsseldorf heißt es: „Kritik am Staat und seinen ausführenden Organen ist im weiten Umfang zulässig. Sie findet ihre Schranken erst, wenn auch bei günstigster Auslegung des Inhalts einer Erklärung die Grenze der Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG zur Ver­wirklichung eines Straftatbestandes hin überschritten wird.“ (Hv. hinzuge­fügt)
    Das heißt: Im Falle des Verfahrens gegen Fabian Kienert ist von der ihm strafrechtlich „günstigste[n] Auslegung“ seines Textes auszugehen. – Auch das Bundesverfassungsgericht hat (in anderen Fällen) bereits im Sinne dieser Rechtsauffassung entschieden:

    „Will das Strafgericht sich unter mehreren möglichen Deutungen für die zur Bestra­fung führende entscheiden, so muß es dafür besondere Gründe angeben, […].“
    (BVerfGE 82, 43 – 52 [54])

    „Lassen Formulierung oder Umstände […] eine nicht ehrenrührige Deutung [der verfahrensgegenständlichen Äußerung] zu, so verstößt ein Strafurteil, das diese übergangen hat, gegen Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Dabei muß auch bedacht werden, daß manche Worte oder Begriffe in unterschiedlichen Kommunikationszusammen­hängen verschiedene Bedeutungen haben können. Das ist unter anderem bei Be­griffen der Fall, die in der juristischen Fachterminologie in anderem Sinn benützt werden als in der Umgangssprache. Es ist daher ebenfalls ein verfassungsrecht­lich erheblicher Fehler, wenn der Verurteilung der fachspezifische Sinn zugrunde gelegt wird, obwohl die Äußerung in einem umgangssprachlichen Zusammenhang gefallen ist (vgl. BVerfGE 7, 198 [22740]; 85, 1 [1941]).“
    (BVerfGE 93, 266 – 312 [296, DFR-Textziffer 121]; mit anschl. abweichendem Vo­tum von Richterin Haas auf S. 312 – 319)

    Dies gilt nicht nur speziell für eventuell ehrenrührige Äußerungen, sondern auch für andere Äußerungen, die – je nach Auslegung – zu einer Bestra­fung führen können:

    „Insbesondere dürfen die Gerichte […] im Fall der Mehrdeutigkeit [einer Äußerung] nicht von der zur Verurteilung führenden Deutung ausgehen, ehe sie andere Deu­tungsmöglichkeiten mit tragfähigen Gründen ausgeschlossen haben“.
    (BVerfG, Beschl. vom 29.07.1998 zum Az. 1 BvR 287/93; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/1998/07/rk19980729_1bvr028793.html, Textziffer 40)

Resümee

Abschließend ist folgendes zu bemerken:

A. I. Alle drei dargestellten und besprochenen Gerichtsentscheidung prüfen die beiden Publikationen (Buch „das info“ und GNN-Broschüre) unter dem Ge­sichtspunkt, ob sie sog. Sympathiewerbung darstellen.

II. Richtigerweise wurde gar nicht erst geprüft, ob die Veröffentlichungen Werbung um Mitglieder oder UnterstützerInnen für die RAF oder ihrerseits sogar selbst Unterstützung für die RAF darstellen – dies wäre abwegig ge­wesen (auch wenn es andere Entscheidungen aus der damaligen Zeit gibt, in denen Werbungs- und Unterstützungs-Tatbestand vermengt wurden).

B. Noch abwegiger ist es, heute – wie es aber die Staatsanwaltschaft Karlsru­he macht – zu behaupten, Fabian Kienert habe mit seinem Artikel vom 30.07.2023 die angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ bzw. den Personenkreis, der bis 2017 die internet-Zeitung linksunten.indymedia her­ausgab, unterstützt. Dies aus folgenden Gründen:

I. Als das „info“-Buch und die GNN-Broschüre erschienen, existierte die RAF noch, und sie führte auch noch den bewaffneten Kampf gegen den BRD-Staat mit „gezielt tödlichen“ Aktionen gegen Funktionäre von Staat und Kapital. Da die RAF auch tatsächlich unter den gesetzlichen Begriff der Terroristischen Vereinigung fiel (auch wenn dieser Begriff politisch kritisiert werden kann), war es damals also prinzipiell möglich, für die RAF in strafbarer Weise zu werben, und auch, sie zu unterstützen.

II. Die Vereinigung, um die es im Fall „Radio Dreyeckland“ gehen soll, existierte dagegen zum Veröffentlichungszeitpunkt längst nicht mehr. Auch Staatsanwaltschaft Karlsruhe und Bundesinnenministerium be­haupten nichts anderes.

1. Selbst wenn ‚Werbung‘ nicht als etwas Anderes als ‚Unterstützung‘ wäre, sondern als Unterfall von ‚Unterstützung‘ anzusehen wäre (Konjunk­tiv!), so hätte Fabian Kienert also allein schon aus vorstehendem Grund die in Rede stehende verbotene Vereinigung nicht (durch Werbung) unterstützen können: Etwas das nicht existiert, kann auch nicht unterstützt werden [42].

2. Aber auch wenn die in Rede stehende Vereinigung (weiterhin) exis­tieren würde, so hätte Fabian Kienert diese mit seinem fraglichen Ar­tikel aus dem vergangenen Sommer nicht unterstützt, denn:
Sein Artikel enthält keinerlei (positives) Werturteil über die in Rede stehende Vereinigung.
Vielmehr hat er

  • (deskriptiv) berichtet,

    • daß sich an einer Hauswand die Parole „Wir sind alle linksunten.indymedia“ befindet [43] (Wieso sollte diese Be­richterstattung strafbar sein?),

      und

    • er hat in der Beschriftung des Bildes, in dem die Hauswand mit Parole zu sehen ist, sogar noch hinzugefügt, daß diese Parole auch Diskussionsgegenstand bei einer Podiumsdis­kussion war und dort einen Streitpunkt bildete (Wieso soll­te diese Berichterstattung strafbar sein?)

    und

  • mit der Formulierung „konstruierte[m] Verein Indymedia Links­unten“ eine gewisse Kritik an dem linksunten-Verbot erkennen lassen. Diese Kritik ist zulässig – es ist sogar zulässig, die Aufhebung von Vereinsverboten zu fordern, wie das Bundes­verfassungsgericht bereits entschieden hat:

    „Das Grundrecht der Meinungsfreiheit schließt das Recht ein, die eigene Meinung möglichst wirksam zur Geltung zu bringen. Die mit einem Eintreten für eine Aufhebung des Verbots verbundenen Soli­darisierungseffekte sind, auch dann, wenn damit zugleich eine Sympathie für die verbotene Vereinigung ausgedrückt wird, im In­teresse der freien Meinungsäußerung hinzunehmen (vgl. BVerfG, NVwZ 2002, 709 <710>).“
    (BVerfG, Beschl. v. 26.09.2006 zum Az, 1 BvR 605/04 [44])


1 StPO = Strafprozessordnung.

2 Die jetzige Phase zwischen Ermittlungsverfahren und Hauptverfahren wird „Zwischenverfahren“ genannt.

3 Siehe die beiden Alternativen in § 199 Absatz 1 StPO: „Das für die Hauptverhandlung zuständige Gericht ent­scheidet darüber, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder das Verfahren vorläufig einzustellen ist.“

4 http://www.info.libertad.de/sites/info.libertad.de/Dateien/pdf/das_info.pdf.

5 Siehe: https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/05/indymedia-schulze060523.pdf, S. 10 (letzter Aufzählungspunkt).

6 „Ein Verein darf erst dann als verboten (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) behandelt werden, wenn durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, daß seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwi­derlaufen oder daß er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständi­gung richtet; […].“
In Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz heißt es zwar apodiktisch: „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätig­keit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“
Das Bundesverwaltungsgericht hatte aber schon früh – zwar der Rechtssicherheit dienend, aber mit nicht son­derlich klarer Begründung („Der Gedanke der Rechtssicherheit, der mit der Gewährleistung eines Grundrechts verbunden ist“ [Hv. hinzugefügt]) – entschieden:

Es „bedarf […] in jedem Einzelfall der Konkretisierung des in Art. 9 Abs. 2 GG enthaltenen Verbots durch die hierfür zuständige Stelle. Das ist zwar in Art. 9 GG nicht ausdrücklich geregelt, ergibt sich aber zwingend aus der Gewähr­leistung des Grundrechts der Vereinigungsfreiheit. Von einer Gewährleistung des Grundrechts der Vereinigungsfrei­heit könnte dann nicht gesprochen werden, wenn jede beliebige Behörde zu beurteilen hätte, ob der Zweck und die Tätigkeit einer Vereinigung gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet ist. Der Gedanke der Rechtssicherheit, der mit der Gewährleistung eines Grundrechts verbunden ist, verlangt, daß es einer besonderen Feststellung bedarf, ob die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 GG vorliegen. Nur dann auch kann der Rechtsschutz voll wirksam werden, der nach Art. 19 Abs. 4 GG jedem, auch der betroffenen Vereinigung, gegenüber obrigkeitlichen Eingriffen zusteht.“ (BVerwGE 4, 188 – 191 [189])

Die Formulierung, „[d]er Gedanke der Rechtssicherheit, der mit der Gewährleistung eines Grundrechts“ – bloß irgendwie – „verbunden ist“, ersetzt einen konkreten Norm-Bezug und eine nachvollziehbare Subsumtion eines Sachverhalts unter diese Norm. – Ob die Entscheidung auch hätte besser begründet werden können, muß an dieser Stelle nicht diskutiert werden; seit 1964 ist ohnehin der am Anfang dieser Fußnote zitierte § 3 Absatz 1 Satz 1 Vereinsgesetz maßgeblich.

7 In Bezug auf Leute, die aus der Voll-Klandestinität den bewaffneten Kampf führen, sind Vereinsverbote für den Staat nutzlos: Deren Tun ist auch unabhängig von einem Verbot strafbar; dem Staat fehlt es in diesem Fall nicht an einem Verbot, sondern daran, die Leute finden zu können.

8 Der Artikel ist mit einem Foto einer Hauswand, auf der die Parole „Wir sind alle linksunten.indymedia“ steht, bebildert ist. Die Beschriftung des Fotos in dem Artikel des angeschuldigten Journalisten lautet aber: „‚Wir sind alle linksunten‘ – ob dem so ist, war auch ein Streitpunkt auf der Podiumsdiskussion über das Verbot der Internetplattform.“ Also von wegen der Journalist habe sich die Parole „zu eigen“ gemacht!

9 Siehe: https://blogs.taz.de/theorie-praxis/zwei-fragen-an-das-amtsgericht-karlsruhe/ (Abschnitt „Was das Amtsgericht Karlsruhe an dem anlaß-gebenden Artikel zu beanstanden hat“).

10 „Der Generalbundesanwalt gibt das Verfahren vor Einreichung einer Anklageschrift oder einer Antragsschrift (§ 435 der Strafprozessordnung) an die Landesstaatsanwaltschaft ab, 1. wenn […]; 2. in Sachen von minderer Bedeutung.“ (§ 142a Absatz 2 Gerichtsverfassungsgesetz)

11 OLG Schleswig, Beschl. 30.10.1997 zum Az. 2 OJs 11/87, in: NStE Nr. 3 zu § 129a StGB (1988 H. 3, Bl. 33 [Vorderseite] bis 34 [Rückseite]).

12 NStZ = Neue Zeitschrift für Strafrecht. Rebmann war damals Generalbundesanwalt.

13 „Der Täter selbst muß werben und dies auch wollen. Diese Einschränkung ist bei der Wiedergabe fremder Texte in Werbeschriften zu beachten.“

14 StV = Zeitschrift Strafverteidiger. Giehring war damals Professor an der Universität Hamburg.

15 Es ist „zu verlangen, daß nur solche Handlungen tatbestandsmäßig sind, mit denen der Täter selbst wirbt, die Befürwortung der terroristischer Aktivitäten also als als seine eigene Meinung erkennbar wird.“

16 Damalige Fassung: „Absatz 1 gilt nicht, wenn das Propagandamittel oder die Handlung der staatsbürgerli­chen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der For­schung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“ (https://web.archive.org/web/20230510213441/https://lexetius.de/StGB/86,5)
Heute lautet Absatz 4 der Norm: „Die Absätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Handlung der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken dient.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86.html)

17 § 86 Absatz 1 Strafgesetzbuch lautete damals unter anderem: „Wer Propagandamittel 1. […], 2. einer Ver­einigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatz­organisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist, 3. […], 4. […], im räumlichen Geltungsbereich die­ses Gesetzes verbreitet oder zur Verbreitung innerhalb dieses Bereichs herstellt, vorrätig hält oder in diesen Bereich einführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://web.archive.org/web/20230510213441/https://lexetius.de/StGB/86,5)
Heute lautet Absatz 1 unter anderem: „Wer Propagandamittel 1. […], 2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerver­ständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbote­nen Vereinigung ist, 3. […], 4. […], im Inland verbreitet oder der Öffentlichkeit zugänglich macht oder zur Ver­breitung im Inland oder Ausland herstellt, vorrätig hält, einführt oder ausführt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__86.html)

18 a.a.O. (FN 5), Bl. 33 (Rückseite).

19 Zum Begriff der Unanfechtbarkeit siehe: https://www.labournet.de/wp-content/uploads/2023/05/indymedia-schulze060523.pdf, S. 6.

20 Siehe die in Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz genannten, drei unterschiedlichen Verbotsgründe: „Vereinigun­gen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungs­mäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“

21 Es ist auf den März 1985 datiert; das hier in Rede stehende Buch erschien aber erst 1987.

22 „Das ‚info‘ war das Kommunikationssystem zwischen den Gefangenen untereinander einerseits und der Ge­fangenen mit den sie vertretenden Rechtsanwälten ihres Vertrauens andererseits. Dieses bei den zahlreichen Zellendurchsuchungen mehrfach beschlagnahmte Material diente den Anklagebehörden unter anderem dazu, einige der am Verfahren beteiligten Rechtsanwälte zu kriminalisieren und vom Prozeß auszuschließen. Das nicht etwa deshalb, weil das Bundeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft den info-Texten selbst einen strafbaren Inhalt unterstellten – den Gefangenen wurden die Briefe, wenn auch häufig verspätet, nach jeder Beschlagnahme wieder ausgehändigt – nein, das Mitwirken an der Organisierung des ‚infos‘ reichte den Be­hörden aus, den Anwälten die Absicht zu unterstellen, die ‚kriminelle Vereinigung ihrer Mandanten zu unterstüt­zen‘.“ (S. 5)

23 Digitalisat: https://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/brd+raf/000.html.
In der Fußleiste der Seite sind Links zu „[ Chronologie | Inhaltsverzeichnis | Vorwort | Impressum ]“.

24 Beschluß vom 28.11.1994 zum Az. VI 8/94; veröffentlicht in: OLGSt 14, April 1996 (Nr. 2 zu § 129a StGB).

25 Im Vorwort der Broschüre heißt es: „In der Redaktion, die die Dokumentation erstellte, arbeiteten zusam­men:
Mitglieder von BWK – Bund Westdeutscher Kommunisten; FAU/R – freie Arbeiterunion/Rätekommunisten; GJA/R – Gruppe Junger Anarchisten/Rätekommunisten; PA – Proletarische Aktion; Volksfront; VSP – Vereinig­te Sozialistische Partei; ehemalige politische Gefangene.“ (https://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/brd+raf/002.html)

26 Dies bezieht sich wohl auf folgende Passage in dem Vorwort: Es „sei daran erinnert, daß, bevor irgend je­mand in der BRD und Westberlin daran dachte, die RAF oder verwandte Bewegungen zu organisieren, die westdeutsche Monopolbourgeoisie

  • 1956 die KPD verboten hat,
  • in den 50er Jahren die Wiederaufrüstung betrieben hat,
  • […]
  • mit der Erschießung Benno Ohnesorgs am 2. Juni 1967 die ganze staatliche Gewalt gegen Leute zum Einsatz gebracht hat, die Kritik an der imperialistischen Politik der BRD vorgebracht hatten.

Dies bezeichnet nur einige der wichtigsten Entwicklungen, die die Herausbildung der RAF sowie auch anderer Strömungen der politischen Opposition mit bedingten.“ (https://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/brd+raf/002.html)

27 Dies dürfte (unter anderem) auf folgenden Satz des Vorwortes gemünzt sein: „Die von den Staatsorganen begründeten und durchgeführten Maßnahmen gegen die RAF und verwandte Bewegungen beweisen ein ho­hes Maß an Bereitschaft, ja das Bestreben, den für die Ausübung der Exekutive bestehenden gesetzlichen Raum zu verlassen und Opposition mit Mitteln totzuschlagen, die erst nachträglich oder niemals legalisiert wur­den oder deren Legalisierung selbst einen Rechtsbruch bedeutet.“ (https://www.nadir.org/nadir/archiv/PolitischeStroemungen/Stadtguerilla+RAF/RAF/brd+raf/002.html)

28 „Die mit einem Eintreten für eine Aufhebung des [PKK-]Verbots verbundenen Solidarisierungseffekte sind, auch dann, wenn damit zugleich eine Sympathie für die verbotene Vereinigung ausgedrückt wird, im Interesse der freien Meinungsäußerung hinzunehmen“ (BVerfG, Beschl. v. 26.09.2006 zum Az, 1 BvR 605/04; https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/09/rk20060926_1bvr060504.html, Textziffer 56).

29 Nr. 2 zu § 129a StGB, in: OLGSt 14, April 1996 (4 Seiten; die Loseblattsammlung ist nicht fortlaufend pagi­niert, sondern die einzelnen, abgedruckten Entscheidungen haben jeweils eine eigene Seitenzählung).

30 Damalige Gesetzesfassung (1975 – 1997): https://web.archive.org/web/20230511182534/https://lexetius.de/StGB/74d,4.

31 Damalige Gesetzesfassungen (jeweils: 1975 – 2015): https://web.archive.org/web/20230514132304/https://lexetius.de/StPO/111m,3 und https://web.archive.org/web/20230514134259/https://lexetius.de/StPO/111n,4.

32 a.a.O. (FN 24), 1.

33 ebd., 1 f.

34 Vgl. entsprechend für eventuelle Beleidigungen (dort: eine Äußerung über den seinerzeitigen bayerischen Ministerpräsidenten Strauß): „Gefühle der Nichtachtung oder Mißachtung, die jemand zwar hegt, aber nicht äu­ßert, können nicht eine Bestrafung wegen herabsetzender Äußerungen tragen.“ (BVerfGE 82, 43 – 52 [53 f.])

35 ebd., 3 f.; Hv. hinzugefügt.

36 „Die Schrift endet mit einem Abdruck der Erklärung von Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt vom 4.12.1984 zu Vorgängen des Jahres 1977. Vor allem dieser Umstand bewirkt, daß sich die Druckschrift trotz der zu beanstandenden Beiträge in ihrer Gesamtheit für den durchschnittlichen Leser als rein historischer Abriß und nicht als Propaganda für die ‚RAF‘ darstellt.“

37 Siehe für alle drei Daten (und eine ausführliche Chronologie): https://socialhistoryportal.org/raf/chronology.

38 Bereits 1987 war eine dritte Auflage erschienen: http://cbsopac.rz.uni-frankfurt.de/DB=2.1/PPNSET?PPN=011173610.

39 „Es folgten Hausdurchsuchungen, Sicherstellungen von Computern und mehr; schließlich ging die Seite ohne Zutun des Ministeriums vom Netz.“ (Alexander Hoffmann / Kristin Pietrzyk, vereinsverbot gegen eine open-posting-plattform. Eine Methode zur Schaffung von Straftaten, in: freispruch, Nr. 13, September 2018, 47 – 50 [47])

40 „Es bedeutet eine unannehmbare Einengung der Redefreiheit in einer freiheitlichen Demokratie, wenn das Landgericht hier von dem Beschwerdeführer, der nicht Jurist ist, die Sorgfalt sogar eines ‚strafrechtlich ge­schulten Lesers‘ fordert, die ihn hätte veranlassen müssen, die Kennzeichnung ‚formeller Freispruch‘ zu unter­lassen‘, […].“ (BVerfGE 7, 198 – 230 [227])

41 Dort ging es um den Satz (in einem Flugblatt): „Mißliebige Kritiker werden [von der Bayer AG] bespitzelt und unter Druck gesetzt, rechte und willfährige Politiker werden unterstützt und finanziert.“ (BVerfGE 85, 1 – 23 [3, DFR-Textziffer 8])
Dazu und zu den diesbzgl. vorausgegangenen fachgerichtlichen Entscheidungen schreibt das Bundesverfas­sungsgericht:

Das Wort ‚bespitzeln‘ haben die angegriffenen Entscheidungen unter Berufung auf das Duden-Bedeutungswör­terbuch als Synonym für ‚heimliches Beobachten‘ im Unterschied zum nicht weiter qualifizierten Beobachten und Überwachen verstanden. In der beanstandeten Äußerung gewinnt der Begriff auf diese Weise die Funktion einer fachgemäßen Bezeichnung eines bestimmten Vorgangs in der Wirklichkeit. Das Wort ‚unter Druck setzen‘ hat das Landgericht und ihm folgend das Oberlandesgericht erkennbar im Sinn einer Nötigung gemäß § 240 StGB aufgefaßt. Dadurch wird die beanstandete Äußerung auch insoweit zur Bezeichnung eines Tatbestandes, der darauf überprüft werden kann, ob die Klägerin ihn in der Wirklichkeit erfüllt hat.
Dieses Textverständnis wird der Äußerung der Beschwerdeführer nicht gerecht. Zwar enthalten alle Teilaussa­gen faktische Elemente. Im ‚Bespitzeln‘ liegt die Tatsachenbehauptung, daß Beobachtungen stattgefunden ha­ben, im ‚Unter-Druck-Setzen‘ die Behauptung, daß Einfluß ausgeübt worden ist. Die Gerichte haben aber nicht berücksichtigt, daß die Beschwerdeführer durch die von ihnen verwendeten Formulierungen zu diesen Vorgän­gen Stellung beziehen und sie bewerten. Wird der tatsächliche Vorgang der auf Informationsbeschaffung ge­richteten Beobachtung des Verhaltens Dritter unter anderen möglichen Ausdrücken mit dem Wort ‚bespitzeln‘ bezeichnet, so kommt darin vor allem ein Unwerturteil des Sprechers über die Art und Weise der Beobachtung zum Ausdruck. Der Begriff bringt die Mißbilligung des Geschehens zum Ausdruck (vgl. Grimmsches Wörter­buch, Band 16, 1984, ‚Spitzel‘: Schmähwort, verächtlich).
Ähnliches gilt für das ‚Unter-Druck-Setzen‘, wenn dieses im strafrechtlichen Sinn von Nötigung verstanden wird. Es ist anerkannt, daß selbst Rechtsbegriffe nicht ohne weiteres im fachlich-technischen Sinn verstanden wer­den dürfen, wenn sie im öffentlichen Meinungskampf fallen (vgl. BGH, NJW 1982, S. 2246 [2247]). Vielmehr muß den Umständen entnommen werden, ob eine technische oder eine alltagssprachliche Begriffsverwendung vorliegt. Erst recht problematisch ist es, einer umgangssprachlichen Redewendung wie ‚unter Druck setzen‘, zu­mal wenn sie nicht in juristischen Zusammenhängen gebraucht wird, den Sinn eines Rechtsbegriffs beizulegen. Die Vermutung spricht hier vielmehr für den alltagssprachlich geläufigen Sinn. Alltagssprachlich liegt ein ‚Unter-Druck-Setzen‘ aber nicht erst dann vor, wenn rechtswidrig gedroht wird.“ (ebd., 18 f., DFZ-Textziffern 54 – 56)

42 Siehe:

43 Die Berichterstattung erfolgte in dem Fall in Bildform. – Daß Berichterstattung in Bildform prinzipiell zulässig ist, bestreitet auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nicht.

44 https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2006/09/rk20060926_1bvr060504.html, Textziffer 56.

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