vonDetlef Georgia Schulze 16.01.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Das Bezirksgericht Zürich fällte bereits am 19. April 2021 ein – bisher unveröffent­lichtes – Urteil zum deutschen Landfriedensbruchs-Paragraphen (§ 125 StGB).1 Ende letzten Jahres hatte ich ein anonymisiertes Digitalisat dieses Urteils angefor­dert und erhalten – denn es ist von aktuellem Interesse. Denn um den gleichen Sachverhalt, aber andere Angeklagte wird es ab Donnerstag (18. Januar) vor dem Landgericht Hamburg gehen.

Da den Züricher Angeklagten an konkrete Handlungen ziemlich wenig vorgeworfen wurde (im wesentlichen Anwesenheit bei der polizeilichen Auflösung einer Demo und dunkle Kleidung) und den Hamburger Angeklagten ähnlich wenig vorgeworfen wird, stellen sich also in dem kommenden Hamburger Verfahren (mehr oder minder) dieselben Rechtsfragen, die sich auch in dem Züricher Verfahren stellten2. Hinzu­kommt: Die Hamburger Staatsanwaltschaft hält sich im Moment hinsichtlich ihrer Beweise noch ziemlich bedeckt. Dem Züricher Urteil können wir dagegen entneh­men, was nicht nur die dortige Staatsanwaltschaft behauptet hat, sondern was auch das Gericht als bewiesen ansah. Wir können also Pi mal Daumen antizipieren, was die Hamburger Staatsanwaltschaft nicht nur behaupten, sondern ihrerseits – nach Gerichtsansicht – beweisen können wird.

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Anlaß sowohl des Züricher als auch des Hamburger Verfahrens ist eine kleine De­monstration, die 2017 während des Hamburger G20-Gipfels in der Altonaer Straße Rondenbarg3 gestoppt und zerschlagen wurde. Jedenfalls vordergründiger Anlaß des damaligen Polizeiangriffs waren ein paar kleinere Sachschäden, die wohl wäh­rend der Demo entstanden waren: Ein paar Absperrungen und Verkehrsschilder sol­len auf die Fahrbahn gezogen worden und der Gehweg besprüht worden sein; ein Werbedisplay soll zu Bruch gegangen sein. Des weiteren soll auf die Fassaden und Fenster der anliegenden Firmengebäude „eingewirkt“ und eine Bushaltestelle „ent­glast“ worden sein. „Im Kreuzungsbereich Schnackenburgallee/Rondenbarg soll die Gruppe auf eine Einsatzhundertschaft der Polizei getroffen sein, deren Fahrzeuge aus der Menge heraus mit Steinen, zerbrochenen Gehwegplatten und Pyros bewor­fen worden sein sollen (ohne Treffer).“ Soweit sich die Pressestelle der Hamburger Ordentlichen Gerichtsbarkeit (im folgenden kurz: Gerichts-Pressestelle) in der Lage sieht, den Schaden zu beziffern, soll er kolossale 3.500 Euro betragen.

A. Der parapsychologische Landfriedensbruch

Das alles wäre 6 ½ Jahre später nicht sonderlich interessant, würde die Staatsan­waltschaft nicht versuchen, (fast) alle damals rund 70 festgenommenen Personen und noch einige mehr für die ‚Einwirkungen‘ etc., die als Landfriedensbruch und noch einige mehr Delikte interpretiert werden, verantwortlich zu machen, obwohl keiner einzigen Person der angeklagten Personen eigenhändige Gewalttätigkeiten vorgeworfen werden.4

So war es auch schon 2021 in Zürich:

Fortsetzung in der .pdf-Datei.

 

 


 

1 Geschäftszeichen: GG200084-L (damit vereinigt GG200087-L und GG200088-L) / U.
Es gibt eines weiteres Urteil des Züricher Bezirksgericht (unter anderem) zu dem Rondenbarg-Sachver­halt – bereits vom 10. März 2021 (zum Geschäftszeichen DG200200-L / U) –, das ich aber erst heute morgen erhielt – also noch nicht analysieren konnte.

2 Das Schweizer Gericht mußte unter anderem BRD-Recht auslegen und anwenden, da die angebliche „Tat“ in der BRD stattfand.
Artikel 6 Absatz 1 und 2 des Schweizer Strafgesetzbuches: „1Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn: a. die Tat auch am Begehungs­ort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt; und b. der Täter sich in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert wird. 2Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als diejenigen nach dem Recht des Begehungsortes.“ (https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/54/757_781_799/de#art_6; Hv. hinzugefügt)

3 Nach Auskunft der Arbeitsstelle „Niedersächsisches Wörterbuch“ der Universität Göttingen handelt es sich bei der Endung „-barg“ des Straßennamens um das niederdeutsche Wort Barg = neuhochdeutsch Berg, (vgl. https://dibiki.ub.uni-kiel.de/viewer/fullscreen/PPN1750115573/145/ [urn:nbn:de:gbv:8:2-6548461, Sp. 233 – 235] und https://www.niederdeutsche-literatur.de/dwn/dwn_he_alles.php?W_ID=758&ONL=8 sowie https://resolver.sub.uni-hamburg.de/kitodo/PPN886157536/page/153) wobei das niederdeutsche und das neuhochdeutsche Wort auf denselben etymologischen Ursprung verweisen. Die sog. Senkung des kurzen Vokals /e/ zu /a/ vor /r/ sei (nicht nur) im Niederdeutschen eine ganz ver­breitete Erscheinung. „Die diachrone Linguistik versteht unter Hebung und Senkung einen vokalischen Lautwandel, der durch die Veränderung des Artikulationsortes eines Vokals durch eine höhere oder nied­rigere Zungenlage hervorgerufen wird. […]. Senkungen sind Lautentwicklungen wie /i/ > /e/, /u/ > /o/ oder /e/ > /æ/ bzw. /a/.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hebung_(Linguistik)&oldid=235128825).
Es gibt in Hamburg weitere Straßennamen, die auf -barg enden, und auch eine Straße In de Bargen“ (‚In den Bergen‘ / ‚In den Dünen‘).

4 Ein Hamburger Gerichts-Pressesprecher teilte mir am 08.12.2023 mit: „Nach meinem Kenntnisstand gibt es im Zusammenhang mit dem Vorfall am Rondenbarg bislang keine Angeklagten, denen eigenhän­dige Gewalttaten zugeordnet werden“

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kommentare

  • Die „Intelligenz“ einen G20 Gipfel im Zentrum einer Großstadt abzuhalten (mit den absehbaren Folgen und Schäden) müsste auch bewertet und die Schäden den „Ermöglichern“ zugeordnet werden (Stichwort: Politikerhaftung).
    Dann wäre das Chaos nicht passiert – hier wurde es aber trotz Warnungen – „aus Prinzip durchgezogen“.

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