vonDetlef Georgia Schulze 05.02.2025

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Als eine seiner zahlreichen Executive Orders, die US-Präsident Trump am ersten Tag seiner zweiten Amtszeit erließ, ordnete er auch an, daß künftig ein dauerhafter, rechtmäßiger Aufenthaltsstatus der Eltern Voraussetzung sein soll, um die US-Staatsangehörigkeit durch Geburt auf US-Staatsgebiet zu erlangen.

Das heutige Verfahren vor dem Bundes-District Court Maryland

Heute wurde deshalb vor einer Richterin des Bundes-District Court Maryland, die von Joe Biden, dessen Amtszeit im Januar endete, nominiert worden war, verhandelt. Das Ergebnis: eine nationwide preliminary injunction (CNN1; siehe auch: bloomberg.com2; Politico3; The Guardian).


Die Entscheidung:

https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mdd.574698/gov.uscourts.mdd.574698.66.0_1.pdf (2 Seiten und ein paar Zeilen)

Die Entscheidungsbegründung:

https://storage.courtlistener.com/recap/gov.uscourts.mdd.574698/gov.uscourts.mdd.574698.65.0.pdf (32 Seiten)

Anmerkungen folgen.


Das dortige Verfahren wurde von – nur mit Vornamen bezeichneten – Schwangeren so­wie Casa Inc., einer Organisation, die das Ziel hat, die quality of life in working-class Black, Latino/a/e, Afro-descendent, Indigenous, and immigrant communities4 zu ver­bessern, und dem Asylum Seeker Advocacy Project angestrengt.5

Die Plaintiffs (AntragsstellerInnen/KlägerInnen) beriefen sich in ihrer Motion for Temporary Restraining Order und for Preliminary Injunction – beide gewähren Eilrechtsschutz (die Order ist sehr kurzfristig; die Injunction längerfristig) – auf Absatz 1 Satz 1 des 14. Zu­satzes zur US-Verfassung, der folgendermaßen lautet:

All persons born or naturalized in the United States, and subject to the jurisdiction thereof, are citizens of the United States and of the State wherein they reside.
(https://www.govinfo.gov/content/pkg/CDOC-110hdoc50/pdf/CDOC-110hdoc50.pdf, S. 16 [gedruckte Seitenzählung] bzw. 22 [digitale Seitenzählung])

Umstritten ist insbesondere die Auslegung des Wortes „jurisdiction“. Eine übliche Über­setzung wäre insbesondereGerichtsbarkeit“; im konkreten Kontext wäre vermutlich „Gesetzes– oder Gesetzgebungshoheit“ passender; Trump würde aber anscheinend – wie unten dargestellt – and subject to the jurisdiction thereof in etwa mit, „und in einem Treue- und Schutzverhältnis zu ihnen [den Vereinigten Staaten] stehen“, übersetzen.

Die Plaintiffs argumentierten für die zweite Lesart: people physically present within a State must necessarily submit to the rule of U.S. law (Motion, S. 10 der gedruckten bzw. S. 12 der digitalen Seitenzählung).

Die Trump-Regierung behauptet demgegenüber: Plaintiffs equate ‚jurisdiction‘ with something akin to regulatory power, arguing that it means anyone who ‚must necessar­ily submit to the rule of U.S. law.‘ Br. at 10. That interpretation is incorrect. (Re­sponse in Opposition re Motion for …, S. 9 bzw. 11; Hv. hinzugefügt). Es gäbe nämlich sehr wohl – sowohl vom US-Supreme Court als auch von den Plaintiffs anerkannt – Ausnahmen von dem Grundsatz, daß diejenigen, die sich auf US-Hoheitsgebiet befin­den, auch der jurisdiction der USA unterliegen.

In der Tat beriefen sich die Plaintiffs auf die Supreme Court-Entscheidung United States v. Wong Kim Ark, 169 U.S. 649 aus dem Jahr 1898:

In Wong Kim Ark, the Supreme Court held that the Citizenship Clause’s qualifica­tion that the child must be ‚subject to the jurisdiction‘ of the United States was in­tended merely ‚to exclude, by the fewest and fittest words,‘ the existing common law exceptions to birthright citizenship for ‚children born of alien enemies in hostile occu­pation‘ and ‚children of diplomatic representatives of a foreign state.‘ Id. at 6826. In keeping with those common law exceptions, the Court further excluded from the reach of birthright citizenship children born aboard foreign ships in U.S. waters and children born to Indian tribes, given that those classes of people, under the law of that time, fell within the power of a separate sovereign.
(Motion, S. 9 bzw. 11)

Das heißt: Der nächste Streitpunkt ist, ob die Aufzählung dieser vier Ausnahmen7 als abschließend oder beispielhaft zu verstehen ist. Die Plaintiffs sagen: ‚abschließend‘; die Trump-Regierung sagt: ‚beispielhaft‘. Das eigentliche Kriterium sei nämlich, so die Re­gierung, „allegiance“ (Treue). Dafür beruft sich die Trump-Regierung u.a. auf zehn Wör­ter in der bereits zitierten Entscheidung des US-Supreme Court [*], auf die sich im übrigen aber die anderen Seite des Streits beruft:

The Fourteenth Amendment affirms the ancient and fundamental rule of citizenship by birth within the territory, in the allegiance and under the protection of the country, including all children here born of resident aliens, with the exceptions or qualifications (as old as the rule itself) of children of foreign sovereigns or their min­isters, or born on foreign public8 ships, or of enemies within and during a hostile oc­cupation of part of our territory, and with the single additional exception of children of members of the Indian tribes owing direct allegiance to their several tribes.9

Die Trump-Regierung möchte also in the allegiance and under the protection of the country als Synonym zur Formulierung des 14. Verfassungszusatzes, subject to the jurisdiction [of the United States] verstehen – und das Treue (allegiance)-Erfordernis soll weitere Ausnahme vom Staatsangehörigkeits-Erwerb durch Geburt auf US-Boden rechtfertigen – zusätzlich zu denen, die in dem zitierten Supreme Court-Satz eh schon genannt sind.

Dagegen wandten die Plaintiffs ein, die Position der Trump-Regierung zur Frage der „Treue“ sei in sich widersprüchlich (internally inconsistent [Reply to Response to Mo­tion …, S. 6 bzw. 8]): Mal verlange die Regierung eine ausschließe Treue im Sinne je­des Ausschlusses einer fremden Staatsangehörigkeit; dann wären aber selbst in den USA geborenen Kinder von AusländerInnen mit dauerhaftem, rechtmäßigen Aufenthalt von der Staatsangehörigkeit durch Geburt auf US-Boden ausgeschlossen. Dann wieder stelle die Trump-Regierung darauf ab, ob der Aufenthalt der Eltern rechtmäßig und daue­rhaft sei oder nicht. In dieser Variante sei dann aber nicht mehr die ausschließe Treue im Sinne jedes Ausschlusses einer fremden Staatsangehörigkeit das Kriterium. Aber davon, daß es auf den Aufenthaltsstatus ankommen solle, steht nun definitiv nichts im 14. Verfassungszusatz. Dort ist vielmehr von Unterworfenheit unter die US-ju­risdiction die Rede. Der US-jurisdiction sind aber alle Menschen auf US-Boden unter­worfen, es sei denn sie haben diplomatische Immunität oder ähnliches (ausländische Schiffe), eine Art Teil-Autonomie (native Americans) oder sind für die USA im fraglichen Moment nicht greifbar (hypothetische Besatzungstruppen auf US-Boden). Wird zusätz­lich zum Verfassungs-Wortlaut eine ausschließliche Unterworfenheit unter die US-juris­diction verlangt, dann wären zwar Kinder von AusländerInnen ohne rechtmäßi­gem Auf­enthalt ausgeschlossen, aber die Kinder aller anderen AusländerInnen eben­falls, weil auch diese einer zweiten jurisdiction (nämlich der des elterlichen Heimatlandes) unter­liegen.


Ergänzung aus den Entscheidungsgründen:

Die Richterin ihrerseits hält der Regierungs-Lesart der Wong Kim Ark-Entscheidung entgegen:

„The government [siehe meine – ebenfalls nachgetragene – *-Fußnote vor Beginn der numerierten Fußnoten] misconstrues the language in Wong Kim Ark. As the Court explained: ‚The fundamental principle of the common law with regard to English nationality was birth within the ‚The fundamental principle of the common law“,

das mit dem 14. Verfassungszusatz auch für die amerikanische Republik sinngemäß bekräftigt werden sollte („the fundamental principle of citizenship by birth within the dominion was reaffirmed in the most explicit and comprehensive terms“ [United States v. Wong Kim Ark, 169 U.S. 649, 675 = S. 27 der Datei]),

„with regard to English nationality was birth within the allegiance – also called ›ligealty,‹ ›obedience,‹ ›faith,‹ or ›power‹ – of the king. The principle embraced all persons born within the king’s allegiance ….‘ 169 U.S. at 655 (emphasis added). Put differently, ‚[a]ll persons born in the allegiance of the king are natural-born subjects, and all persons born in the allegiance of the United States are natural-born citizens.‘ Id. at 662 (quoting Rhodes, 27 F. Cas. at 790). That is to say, ‚every man born within its jurisdiction is a subject of the sovereign of the country where he is born.‘“
(kursive Hv. durch das Gericht in Maryland; fette Hv. und Hyperlinks im Zitat von mir, dgs; die Supreme Court-Zitate im Zitat sind in der Datei auf S. 7 und 14)

In der Entscheidung Rhodes, 27 F. Cas. geht es unmittelbar nach der Formulierung, „[a]ll persons born in the allegiance of the king are natural-born subjects, and all persons born in the allegiance of the United States are natural-born citizens“, wie folgt weiter:

„Birth and allegiance go together. Such is the rule of the common law, and it is the common law of this country, as well as of England. There are two exceptions, and only two, to the universality of its application. The children of ambassadors are in theory born in the allegiance of the powers the ambassadors represent, and slaves, in legal contemplation, are property, and not persons. 2 Kent, Comm. 1; Calvin’s Case, 7 Coke. 1; 1 Bl. Comm. 366; Lynch v. Clarke, 1 Sand. Ch. 583.“
(https://www.courtlistener.com/opinion/8659543/united-states-v-rhodes/)


Vor der District Court-Richterin in Maryland hat die Regierung mit ihrer Argumentation also erst einmal Schiffbruch erlitten. Gegen die heutige Entschei­dung kann die Regierung aber – bereits im Eilverfahren – den 4. Bundes-Appeal Court anrufen.10

Das morigige Verfahren vor dem District Court für den Western District des Bundesstaates Washington

Bereits vor knapp zwei Wochen hatte die Regierung eine Niederlage vor dem District Court für den Western District des Bundesstaates Washington erlitten. Der dort zustän­dige Richter, der in den 1980er Jahren vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan nominiert worden war, erließ auf Antrag der Bundesstaaten Washington, Oregon, Arizona und Illinois eine auf 14 Tage befristete Temporary Restraining Order. Morgen wird auch dort eine mündliche Verhandlung stattfinden und danach entschie­den, ob auch dieses Gericht nunmehr eine Preliminary Injunction für länger erläßt. Aber auch das wird – wie eingangs schon gesagt – noch nicht die Hauptsache-Entscheidung des Gerichts erster Instanz sein wird11. Am Donnerstag werden neben den vier genann­ten Bundesstaaten und der Trump-Regierung auch drei von AnwältInnen des Northwest Im­migrant Rights Project vertretene Schwangere mit unsicherem Aufenthaltsstatus da­bei sein12. Gegen die Entscheidung, die am Donnerstag fallen wird, kann der 9. Bundes-Appeal Court angerufen werden, der für Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Bundes-Districts Courts in den westlichen Bundesstaaten zuständig ist.

Weitere Verfahren

Am Freitag geht es dann in Massachusetts vor einem Bundesrichter, der 2014 vom damaligen Präsidenten Obama nominiert worden war, weiter. Er ist parallel für die Rechtsbehelfe von 18 Bundesstaaten (u.a. New Jersey) einerseits sowie einer – an­onym bleibenden – Schwangeren („O. Doe“) sowie dem Brazilian Worker Center und La Colaborativa, die sich für social, environmental, and economic health13 einsetzt14, andererseits zuständig.

Schließlich wird am Montag in New Hampshire vor einem 2007 von George W. Bush nominierten Bundes-District Court-Richter verhandelt. Das dortige Verfahren wurde vom New Hampshire Indonesian Community Support (NHICS) und der League of United Latin American Citizens, die sich seit 1929 für die BürgerInnenrechte von Latino-Famili­en einsetzt, und Make the Road New York eingeleitet. Die letztgenannte Organisation verfolgt das Ziel, die power of immigrant and working class communities15 zu stärken, um „Würde und Gerechtigkeit“ zu erreichen.16 Unterstützend ist die American Civil Lib­erties Union (ACLU) an dem Verfahren in New Hampshire beteiligt.

Für Rechtsmittel gegen die Entscheidungen der District Courts in Massachusetts und New Hampshire wird der 1. Bundes-Appeal Court zuständig sein.

Es sind weitere Verfahren anhängig, für die aber noch keine mündlichen Verhandlungen terminiert wurden.


Siehe außerdem:

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