vonDetlef Georgia Schulze 25.02.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Wie hier schon mehrfach berichtet und kommentiert ist der Redakteur von Radio Dreyeck­land, Fabian Kienert, vor dem Landgericht Karlsruhe angeklagt, weil er im Sommer 2023 in einem Artikel auf der Webseite des Senders das Archiv von linksunten.indymedia ver­linkt hat. Darin sieht die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine Unterstützung eines verbotenen Vereins – und das Oberlandesgerichts Stuttgart hält dies zumindest für „über­wiegend wahrscheinlich“.

Dieser verbotenen Verein soll der (alte) BetreiberInnenkreis der Webseite linksunten.indy­media.org sein – vielleicht auch – kurioserweise – die Webseite selbst; so ganz klar ist das nicht. Letzteres wäre allerdings schon von vornherein absurd, denn das Bundesverwal­tungsgericht hat 2020 entschieden:

„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internet­adresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskus­sionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschluss­es ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“
(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).

Gehen wir also davon aus, es sei der alte BetreiberInnenkreis gemeint. Eine der entschei­denden Fragen ist, ob dieser noch existierte, als Fabian Kienert seinen Artikel veröffent­lichte. Denn nur existierende Vereine können unterstützt werden. Auch den Fortbestand des „Vereins“ hält das Oberlandesgericht (OLG) für überwiegend wahrscheinlich:

„Das Fortbestehen dieser Vereinigung, das für die Erfüllung des Tatbestandes des § 85 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 StGB erforderlich ist, weil eine nichtexistente Vereinigung nicht un­terstützt werden kann, ist bei Betrachtung des gesamten Geschehens überwiegend wahrscheinlich.“
(OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.06.2023 zum Az. 2 Ws 2/23, Textziffer 47)

Den Fortbestand des Vereins hält das OLG mit folgender Begründung für überwiegend wahrscheinlich:

„es [ist] wahrscheinlich, dass das erkennende Gericht nach Durchführung der Beweis­aufnahme zur Auffassung gelangen wird, dass die verbotene Vereinigung noch existiert und ihren Willen, ihre verbotene Internetpräsenz fortzuführen, nicht aufgegeben hat. Mit diesem Schluss sind die Erkenntnisse weitaus besser in Einklang zu bringen, als mit einer Auflösung der Gruppe und der Aufgabe der Vereinstätigkeit. So wurde die ver­botene Website niemals gelöscht oder endgültig nicht mehr betrieben.“
(OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.06.2023 zum Az. 2 Ws 2/23, Textziffer 49)

Ab dem Frühjahr soll nun das Landgericht Karlsruhe herausfinden, ob das, was das Ober­landesgericht Stuttgart für „überwiegend wahrscheinlich“ hält, tatsächlich der Fall ist.

Ich habe deshalb – seit Ende letzten Jahres – noch einmal ziemlich viel Zeit investiert, um beim Oberlandesgericht Stuttgart in Erfahrungen zu bringen:

  • Wie kam das OLG auf die Idee, die Website sei „niemals gelöscht“ worden? (Denn ziemlich lange war die Website jedenfalls nicht erreichbar. Heißt das nicht, daß die Website – jedenfalls zwischenzeitlich – gelöscht war?)
  • Was stellt sich das OLG eigentlich unter ‚Löschung einer Website‘ vor?
  • Was sagt zu dieser Vorstellung die Informatik – als die für diese Frage zuständige Wissenschaft? (Dazu habe ich Prof. Dr. Matthias Wählisch vom Institut für System­architektur an der Fakultät Informatik der Technischen Universität Dresden befragt.)
  • Auch das Bundesinnenministerium und die Staatsanwaltschaft Karlsruhe habe ich noch einmal mit Fragen gelöchert.

Bei meinen Recherchen stieß ich unter anderem auf einen Artikel, der 2017 – einen Tag nach der Bekanntmachung der linksunten-Verbotsverfügung – in der Neuen Züricher Zei­tung erschienen war:

„Nach dem Verbot wurde die Unter-Domain ‚linksunten.indymedia.org[‘] von einem Ser­ver in Frankreich auf Rechner in Kanada umgezogen.“
(https://www.nzz.ch/international/linksuntenindymediaorg-linksextremistische-internetplattform-meldet-sich-nach-verbot-zurueck-ld.1312818)

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Die Website zog von einem Server auf einen anderen Server um: Heißt das dann nicht auch, daß die Daten auf dem alten Server wahrscheinlich gelöscht wurden? Und: Wurden die Daten anschließend auf den „Rechner in Kanada“ wieder hochgeladen? (Fraglich ist dies deshalb, weil die alten linksunten-Artikel lange Zeit nicht angezeigt wurden. Erst seit 2020 ist das von Fabian Kienert verlinkte Archiv zugänglich.) Und: Wird für das Archiv der fragliche „Rechner in Kanada“ oder noch ein anderer Server genutzt?

Jedenfalls müssen seit 2020 für das Archiv nicht dieselben Leute verantwortlich sein wie bis 2017 für den laufenden Betrieb von linksunten.indymedia. Wenn sich aber die vom OLG behauptete Löschungs-Unterlassung nicht nachweisen läßt, es also keine Kontinuität der Website gibt – was soll dann für eine Kontinuität des BetreiberInnenkreises sprechen?

Haben das Oberlandesgericht Stuttgart, die Staatsanwaltschaft Karlsruhe und das Bun­desinnenministerium (als Verbotsbehörde) Antworten auf diese Fragen? Oder beruht die These des OLG, So wurde die verbotene Website niemals gelöscht“, auf ‚nichts genaues wissen wir nicht‘?

Die Antworten auf all diese Fragen finden sich in meinem 26-seitigen Recherche-Bericht:

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https://blogs.taz.de/theorie-praxis/schwimmen-der-staatsanwaltschaft-karlsruhe-und-dem-oberlandesgericht-stuttgart-die-felle-weg/

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