vonDetlef Georgia Schulze 11.06.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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dgs deckt in seinen/ihren hiesigen Artikeln aus letzter Zeit eine ganze Reihe von juristischen Schwachpunkten des staatlichen Vorgehens sowohl gegen Radio Dreyeckland als auch gegen die „Letzte Generation“ auf. Insbesondere an dem jüngsten Artikel stört mich allerdings die rein immanente (juristische) Kritik.

Auch wenn ich es nicht falsch ist, auch staatlichen Behörden inkompetentes oder schlampiges Verhalten nachzuweisen, so kann und sollte das meines Erachtens nicht die Hauptaufgabe einer linken Kritik sein. Denn das linke (und wohl auch liberale) Interesse ist ja wohl kaum darauf gerichtet, dass die staatliche Repression besser begründet wird, sondern darauf, dass sie zurückgedrängt wird.

Denn diese scheint mir – insbesondere im Falle „Letzte Generation“ schon ein außergewöhnliches – um nicht zu sagen: „unverhältnismäßiges“ – Ausmaß zu haben:

„Gegen die Gruppe Letzte Generation werden jetzt alle Register staatlicher Einschüchterung und Terrorisierung aufgefahren, wobei abgeklärte Journalisten gleich erkennen, dass hier mit ungewöhnlicher Robustheit und einer Strapazierung rechtsstaatlicher Regeln ein Exempel statuiert werden soll: ‚Es ist eine Ermittlungsaktion, die so brachial ist, dass ihre Unverhältnismässigkeit ins Auge sticht.‘ (Steinke, SZ) Da fragt sich doch glatt, in welchem Verhältnis denn staatliche Gewalt im Umgang mit Kritikern stehen darf, so dass auch Vertreter der Mainstream-Medien aus der Abteilung liberale Bedenkenträger zufrieden sind.“
(https://www.xn--untergrund-blttle-2qb.ch/politik/deutschland/letzte-generation-ein-lehrstueck-zum-umgang-mit-kritikern-7724.html)

Mir scheint dgs berücksichtigt nicht, dass eine juristische Position nicht schon dadurch zurückgedrängt wird, dass sie widerlegt wird.

Kritik an staatlicher Repression sollte meines Erachtens im Zusammenhang mit dem ‚linken‘ Ziel der Systemtranszendierung verbunden werden. Dieser Begriff ist im 21. Jahrhundert erklärungsbedürftig, denn der politische (und wirtschaftliche) Bankrott des Stalinismus im Osten und der Stadtguerilla in den westlichen Metropolen hat die Systemkonkurrenz scheinbar obsolet gemacht. Trotzdem halten Linke daran fest, dass der Kapitalismus, unter welcher politischen Form auch immer, nicht die beste aller Welten ist. Dass dies zur Zeit eine marginale Mindermeinung in der Gesamtgesellschaft ist, ist mir durchaus bewusst. Deshalb bin ich der Auffassung, dass linke Kritik an staatlicher Repression kein bloßer Reparaturbetrieb für staatliche Behörden zu sein hat.

Letzteres ist vermutlich auch nicht das Ziel von dgs. Vielmehr verstehe ich den Artikel vom 8. Juni dahingehend, dass dgs auf die besondere Schikane hinweisen will, die darin liege, dass das juristische Verfahren gegen den RDL-Kollegen Fabian Kienert dadurch in die Länge zu ziehen, dass die Staatsanwaltschaft Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts, das Hauptverfahren gegen Kienert nicht zu eröffnen, einlegt – aber sich nicht einmal mit den Argumenten des Landgerichts auseinandersetzt.

Dieses Anliegen ist auch vollkommen berechtigt; und zwar nicht nur juristisch, sondern auch politisch. Es bleibt aber auf der Ebene der rein immanenten Kritik und zieht nicht die Verbindung zur Bedeutung der Staatsfrage. Eine solche Verbindung ist meines Erachtens aber gerade in Bezug auf Antirepressions-Arbeit im Falle „Die Letzte Generation“ geboten. Denn deren Aktionen setzen durchaus nicht nur auf Habermas‘ zwanglosem Zwang des besseren Arguments (auch wenn sie als ziviler Ungehorsam mit offenem Visier durchgeführt werden – und nicht als Widerstand, dessen AkteurInnen zu vermeiden versuchen, vom Staat identifiziert zu werden):

„Im Gegensatz zu den Fridays for Future, die mit ihren Schulstreiks auf das Problem der Klimaveränderung hinweisen und die Menschen aufrütteln wollten, um dahin zu kommen, dass sich alle in ihrem Konsumverhalten ändern (so zumindest der Mainstream dieses Protestes und sein Verständnis von ‚system change‘), macht die Letzte Generation einen Unterschied zwischen den Machern der Politik, die alles Wesentliche bestimmen, und den Bürgern, die dazu aufgefordert sind, die Machthaber zur Einhaltung ihrer Versprechen zu zwingen. […]
Mit der Störung des Strassenverkehrs und den Farbaktionen geben sie sich im Gegensatz zu üblichen Demonstrationen nicht damit zufrieden, bloss ihre Unzufriedenheit mit der Politik kundzutun und dann wieder nach Hause zu gehen. Die Störungen sollen über eine unverbindliche Meinungsäusserung hinausgehen, indem sie zur Störung des Alltags werden, auf die die Politik reagieren muss.“
(untergrund-blättle, aaO.)

Genauso scheint mir wenig wahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft ihre Beschwerde gegen die landgerichtliche Nicht-Eröffnung des Hauptverfahrens gegen Fabian Kienert (Radio Dreyeckland) nur deshalb macht, weil sie gerade Langeweile hat.

Die Zeiten der friedlichen bürgerliche Demokratie, in der sich die Lager die Waage halten (in Deutschland war die Linke immer schwach und das rechte, autoritäre Lager immer mehr mainstream als die bürgerliche Demokratie), sind wohl schon länger vorbei – auch wenn ich im Moment noch nicht so weit gehe, zu sagen, dass der Staatsapparat generell eine AfD-isierung von Staat und Gesellschaft anstrebe.1 Die linken Bewegungen (der Plural ist nicht willkürlich gewählt) sollten sich also überlegen, wie sie auf diese veränderte Situation reagieren wollen.

Meines Erachtens kann uns nur eine breitere Organisierung davor schützen, der Repression hilflos (und demoralisiert2) gegenüber zu stehen. Die Propagierung von Organisierung mag in Zeiten der Unverbindlichkeit und sicherlich auch berechtigter Angst vor Repression und Kriminalisierung kontraintuitiv sein (denn es geht ja sowohl in dem Dresdner Lina-Verfahren als auch in dem Münchener Verfahren u.a. um den Vorwurf der Bildung einer Kriminellen Vereinigung, und das linksunten-Verbot erfolgte unter Berufung auf das Vereinsrecht), aber Organisierung ist die einzige Möglichkeit, Kräfte zu bündeln, die sonst relativ einzeln umherfluktuieren. Durch Letzteres mag die persönliche Unabhängigkeit gewahrt werden, aber was zählt die persönliche Unabhängigkeit, wenn wir ansonsten zu politischer Ohnmacht verurteilt sind?

Deshalb möchte ich dafür plädieren, – der aktuellen Schwäche der linken Bewegungen
Rechnung tragend – die juristische Kritik an staatlicher Repression und den Kampf für eine liberale (in westeuropäisch-nordamerikanischer Tradition3) – statt deutsch-„freiheitliche“ – Demokratie4 (die ihre ‚unschönheitliche‘ unfreie repressive Seite als ‚Freiheitlichkeit‘ bemäntelt) mit einem strategischen Kampf für eine Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zu verbinden. Dass dies in der Epoche der linken Dauerkrise und Dauerschwäche nicht einfach ist, liegt auf Hand.


1 Siehe meinen Text: Repression und Staatsapparat – Überlegungen zu einem weiteren ‚linken Dilemma‘; https://de.indymedia.org/node/283282.

2 https://kappaleipzig.noblogs.org/.

3 Dass auch westeuropäisch-nordamerikanischen Demokratien keine „reine Demokratie“ im Sinne Karl Kautskys (dessen Idee an dem – von ihm ignorierten – Zusammenhang von Staatlichkeit und gesellschaftlichen Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnissen bricht), sondern Demokratien mit kapitalistischer, rassistischer (post-kolonialer) und patriarchaler bias sind, steht auf einem anderen Blatt – ändert aber nichts daran, dass es dort eine bis heute prägende Tradition erfolgreicher bürgerlicher (und insbesondere in Frankreich und den USA auch: republikanisch-antimonarchistischer) Revolutionen gibt, die in Deutschland fehlt.

4 Siehe zum Unterschied zwischen deutscher „freiheitlicher“ und angelsächsischer „liberaler“ Demokratie das Ende meines EmRaWi-Artikels vom 20.05.2023: https://emrawi.org/?BRD-Pleite-fur-die-Karlsruher-Staatsanwaltschaft-vor-dem-dortigen-Landgericht-2647.

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https://blogs.taz.de/theorie-praxis/von-der-juristischen-kritik-zur-staatskritik/

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kommentare

  • Antwort auf den Gast-Kommentar

    I. Deinem Plädoyer für ein Festhalten am „Ziel der Systemtranszendierung“ stimme ich zu.

    II. Trotzdem überzeugt mich Deine Kritik nicht richtig – und zwar aus einem prinzipielleren und einem spezifischeren Grund.

    1. Der prinzipielle Grund:

    a) Linke sind dann mit Repression konfrontiert, wenn sie nicht in der Lage sind, den Kräften des status quo überlegene Kräfte entgegen zu setzen. [1] (Wären sie bereits überlegen, dann wären sie nicht mehr diejenigen, die die Repression erleiden, sondern diejenigen, die gegebenenfalls gegen KonterrevolutionärInnen Repression ausüben.)

    Das heißt b): Daß es aktuell anti-linke Repression gibt, schließt ein, daß Linke – allein gestützt auf die eigenen Kräfte – kurzfristig nicht in der Lage sind, die Repression abzuwehren.

    c) Es bedarf also nicht-linker (erst recht: nicht-linksradikal; nicht-revolutionärlinker) BündnispartnerInnen-PartnerInnen (auch Liberale im allgemeinen und Linksliberale insbesondere seien in dem Sinne als „nicht-links“ klassifiziert; auch Grüne sind heutzutage vielfach eher Mitte als links) – also bspw. solcher Organisationen, die ich in meinen hiesigen Artikel vom 11.02.2022 und meinem Artikel vom 31.05.2023 an anderer Stelle zitiert hatte: Bundesverband der Zeitungsverleger (BDZV), Chaos Computer Club (CCC), Deutscher Journalistenverband, Landtagsabgeordneten von Grünen und FDP.

    Diese werden aber nicht als BündnispartnerInnen gewonnen, indem ihnen das „‚linke‘ Ziel der Systemtranszendierung“ vor die Nase gesetzt wird oder indem ihnen gesagt wird „linke Kritik“ solle „kein bloßer Reparaturbetrieb für staatliche Behörden“ sein, sondern indem – sofern es ihnen nicht ohnehin selbst auffällt – aufgezeigt wird, daß in bestimmten Fällen die staatliche Repression auch einer „rein immanente[n] (juristische[n]) Kritik“ nicht standhält; daß es also bereits im Rahmen der geltenden Rechtsordnung ‚Reparaturbedarf‘ gibt.

    d) Nun magst Du sagen, daß Linke dafür aber nicht ihre eigenen Inhalte aufgeben sollten – nicht selbst zu Liberalen werden sollten. Ich stimme Dir insoweit zu.

    e) Aber im Gegenzusatz zu vielen anderen Linken und auch Linksliberalen, die sich mit juristischen und rechtspolitischen Fragen beschäftigen, lege ich ja auf eine deutliche Unterscheidung zwischen einer juristisch-analytischen Fragestellung und einer politisch-programmatischen Perspektive wert – das heißt: Ich ersetze die letztere nicht durch die erstere – auch wenn nicht in jedem Artikel die ganze Welt erklärt werden kann und beim Schreiben von Texten die im jeweiligen Fall angestrebte LeserInnenschaft in den Blick genommen werden sollte (bei manchen LeserInnen kann manches als selbstverständlich vorausgesetzt werden; bei anderen LeserInnen müßte dasselbe unter Umständen erst aufwendig erklärt werden, wenn es denn unbedingt angesprochen werden soll).

    f) Nun magst Du sagen, ich solle meine Zeit doch trotzdem lieber für die Produktion von Texten der zweiten Art (politisch-programmatischen Perspektive) statt für die Produktion von Texten der ersteren Art (juristisch-analytischen Fragestellung) verwenden.

    g) Das stößt aber auf mehrere Probleme:

    aa) Soviel fällt mir zur politisch-programmatischen Perspektive zur Zeit nicht ein. Das, was wir beide 2011 bis 2013 im NaO-Prozeß und in der ersten Zeit danach – mehr oder minder gemeinsam – vorgeschlagen hatten, hat ja nun nicht soviel Leute überzeugt… – ich habe aber auch keine neuen Ideen/Vorschläge.

    bb) Die gängige linke Verquickung von politischer Haltung und juristischer Analyse und Strategie ist meines Erachtens schädlich für den Erfolg linker Antirepressionsarbeit. Das heißt: Ich sehe auch eine politisch-pragmatische Notwendigkeit, eine abweichende juristische Argumentationslinie vorzuschlagen.

    cc) Es ist nicht nur die radikale und revolutionäre Linke in den letzten Jahrzehnten schwächer geworden, sondern auch das Spektrum der linksliberalen und linkssozialdemokratischen BürgerInnenrechtgruppen, das vielleicht nicht gleich die kommunistische Weltrevolution auf das geltende Recht projiziert, ist schwächer geworden. Das heißt: Davon abgesehen, daß auch dieses Spektrum nicht frei ist von – meines Erachtens kritisierenswertem – juristischen Voluntarismus ist, bleibt auch viel Arbeit liegen: Es ist ja nun nicht so, daß unheimlich viel Kritiken an der juristischen Argumentation der Staatsanwaltschaften in den Fällen „Radio Dreyeckland“ und „Letzte Generation“ – zumal in thematisch etwas breiter aufgestellten (nicht nur netzpolitischen, juristischen oder medienpolitischen Fachblättern) Medien – publiziert wurden.

    2. Das spezifischere Argument:

    a) Es gibt einen Unterschied zwischen Repression gegen unstreitig illegale linke Praxis (z.B.: Nazis zusammenschlagen, ohne Notwehr-Situation im juristischen Sinne) und Repression gegen linke Praxis, die objektiv nicht illegal ist (z.B.: Fabian Kienerts Artikel auf der RDL-Webseite) oder jedenfalls nicht in dem Maß illegal ist, wie Ermittlungsbehörden meinen (die Aktionen der „Letzten Generation“).

    aa) In Bezug auf Aktionen der ersten Art sehe ich ein, daß eine juristisch-positivistische Argumentation nicht viel rausholen kann (außer vielleicht beim Strafmaß und in manchen Fällen bei Vereinigungskonstrukten oder beim Unterschied zwischen Terroristischen und Kriminellen Vereinigungen) – und sich deshalb auf die politische Verteidigung der Aktionen konzentriert werden sollte (sofern sie denn richtig sind [auch dann, wenn Aktionen nicht richtig sind, besteht immer noch ein Unterschied zwischen GenossInnen, die Fehler machen, und der Gegenseite, die der Fehler ist).

    bb) In Bezug auf Aktionen oder gar bloßen Äußerungen der zweiten Art ist aber positivistisch-juristische Kritik möglich. Theoretisch ist sogar denkbar, daß sich Staatsanwalt Graulich – falls er die taz-Blogs liest –, von der Kritik überzeugen läßt und seine Anklage gegen Fabian Kienert zurücknimmt.

    cc) Nun mag zwar sein, daß der Karlsruher Staatsanwalt sein Privatlinie fährt – aber das spräche dann umso mehr für die Auffassung, daß juristische Kritik nicht von vornherein für die Katz ist.

    dd) α) Und in der Tat argumentierte das Landgericht in seinem Nicht-Eröffnungs-Beschluß zu den Fragen, ob eine nicht mehr existierende Vereinigung noch unterstützt werden kann und ob Fabian Kienerts Artikel eine Zueigenmachung von linksunten-Positionen enthält, sehr ähnlich wie ich. – Dagegen argumentierte das Landgericht zur Auslegung der Grundrechte und Grundrechtsschranken aus Artikel 5 Absatz 1 und 2 Grundgesetz anders als ich – aber das war auch nicht überraschend, da diesbzgl. meines Erachtens der Fehler schon auf Seiten des Bundesverfassungsgerichts liegt und wenig wahrscheinlich ist, daß da ein Landgericht gegen rebellieren wird. Aber eine solche ‚Rebellion‘ war auch nicht nötig, um die Anklage erst einmal abzuwehren. – Wie nun das Oberlandesgericht entscheiden wird, läßt sich selbstverständlich nicht voraussagen – aber es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, daß es den Nicht-Eröffnungs-Beschluß des Landgerichts bestätigen wird.

    β) Es sei gerne zugestanden, daß sich daraus keine Strategie zur Erreichung des „‚linken‘ Ziel[s] der Systemtranszendierung“ ergibt – aber das ist ja auch nicht die Aufgabe von Antirepressionsarbeit [siehe oben II. 1. a) bis c)]. Deren Aufgabe ist vielmehr die Repression abzuwehren.

    Diese Aufgabe rechtfertigt zwar wiederum weder politischen noch theoretischen Oppportunismus, aber deshalb betone ich ja gerade den Unterschied zwischen juristischer Erkenntnisproduktion [2] und politischer Kritik (Bewertung) [siehe noch einmal II. 1. g) bb)]: (‚Opportunistische‘ [3]) Rechtsillusionen werden nicht durch sorgfältige juristische Analyse erzeugt, sondern wenn die eigenen politischen Wünsche (die als Wünsche per definitionem [noch] nicht erfüllt sind) auf das aktuell geltende Recht projiziert werden.)

    γ) Außerdem sei gerne noch zugestanden: Auf den Nicht-Eröffnungs-Beschluß des Landgerichts Karlsruhe kann sich nicht verlassen werden. Leute können ihre Meinung ändern; Mehrheitsverhältnisse in RichterInnenwahlausschüssen können sich ändern; die Gerichte entscheiden nicht einheitlich, die Zusammensetzung von Spruchkörpern kann sich ändern usw. – aber das passiert doch nicht jenseits der Argumente, die in der gesellschaftlichen Diskussion vorgebracht werden; – und schon gar nicht geschieht es durch Entscheidung eines Zentral-Subjekts, das heute liberale und morgen autoritäre Rechtsprechung anweist.

    Deshalb ist die „rein immanente (juristische) Kritik“ meines Erachtens unverzichtbarer Bestandteil von Antirepressionsarbeit, die nicht nur jammert, daß der Staat gemein ist, sondern Erfolgsaussicht haben soll – also einem strategischen Konzept folgt.

    III. Und was Dein Plädoyer für mehr gemeinsame Organisierung anbelangt – schön und gut. Aber die Rote Hilfe hat ja relativ viele Mitglieder. Aber jedenfalls für die thematisch breiter gestellte Organisierung stellt sich doch die Frage: Mit welcher – gemeinsamen(?) – inhaltlich-politischen und strategischen Linie?

    —–

    [1] Staatliche Repression gegen Linke ist also nicht absurd oder „albern“ (vgl. https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/04/Schill_interviewt_Schulze_Teil_II.pdf, S. 11 f.), weil weil die Linke eh schwach ist.
    Die ratio der staatlichen Repression ist – im Grenzfall – schlicht, der Tatsache Rechnung zu tragen, daß ein beanspruchtes Gewaltmonopol nicht aufrechterhalten werden kann, wenn es nicht weitgehend durchgesetzt wird – anderenfalls wird es irgendwann auch von denen, sie sich bisher ‚freiwillig‘ dran halten, nicht mehr ernstgenommen.
    Deshalb ‚muß‘ der bürgerliche Staat Linke bestrafen, die Nazis ohne Notwehrlage verprügeln (und dabei erwischt werden) – auch wenn von diesen Linken keine akute Revolutionsgefahr ausgeht.

    [2] Vgl. meine Kritik am Schummeln, Nebelkerzen werfen und sinnentstellendem Zitieren: http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/03/Blindflug_nach_Karlsruhe.pdf.

    [3] Vgl.:

    „Ein solches pragmatisches (um nicht mit Mao zu sagen: praktizistisches) und unreflektiertes Verhältnis zum Recht und einen solchen (sowohl juristisch als auch politisch) opportunistischen Umgang mit dem Recht gibt es m.E. nicht nur in der (reformistischen) Gewerkschaftsbewegung, sondern – mit anderen politischen Vorzeichen – auch in der linksradikalen oder sich als linksradikal verstehenden Szene“ (https://de.indymedia.org/sites/default/files/2023/03/Schill_interviewt_Schulze_T_I-1_-_T_I-3.pdf, S. 17)

    „Mag auch der gewerkschaftliche Umgang mit dem Recht weitgehend von Legalismus und der von Linksradikalen dagegen weitgehend von Rechtsnihilismus geprägt sein, so sind sich doch beide Seiten in einem Rechtsvoluntarismus einig: ‚Der eigene Wille und laut-tönende Rhetorik werden es schon richten.‘ (Voluntarismus zu lat. voluntas = Wille; Voluntarismus = Auffassung, der Wille sei der ausschlaggebende Faktor)“ (ebd., 18 f.)

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