vonDetlef Georgia Schulze 11.02.2023

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Der Freiburger Sender Radio Dreyeckland (rdl) gab am Montag auf einer Pressekonferenz [1] bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Karlsruhe versucht habe, von der Strato AG die IP-Adressen derjenigen, die seit dem „30.07.2022“ die – von der Strato AG gehostete – rdl-Webseite besucht haben, zu erfahren. Dies ergebe sich aus der gewährten Einsicht in die Akten eines gegen zwei Redakteure des Senders geführten Ermittlungsverfahrens.

„Sie [Gemeint: Die Staatsanwaltschaft] haben explizit nach aktuellen IP-Adressen gefragt, nicht eingeschränkt auf den Artikel“, sagte ein Vertreter des Senders. Ein anderer ergänzte: „Es gibt allerdings eine zeitliche Einschränkung: Die ist rück zur Erstpublikation des Artikels am 30.07.“ (In Wirklichkeit bezieht sich die Einschränkung auf die Zeit ab dem 15.07. [siehe Bild zum Artikel] – es geht also sogar um zwei Wochen mehr.)

Das Vorgehen gegen rdl – ein singuläres Vorgehen?

Aus Anlaß der rdl-Darstellung [2] befragt,

„Sind Ihnen frühere, ähnliche Anfragen von Polizei oder Staatsanwaltschaften an Web-Hosting-Unternehmen bekannt, in denen nach den IP-Adressen von BesucherInnen von Webseiten von Presseunternehmen gefragt wurde?“

antwortete der Bundesverband der Zeitungsverleger (BDZV) am Freitag:

„Nein, bisher hat uns beim BDZV ein solches Ansinnen noch nicht ereilt.“

Wörtlich war in dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Karlsruhe an Strato von „Aktuelle[n] IP-Zugriffe[n]“ (nicht: „-Adressen“) die Rede – also jedenfalls im Plural („Zugriffe“) und nicht auf einen bestimmten Tag oder einen kurzen Zeitraum begrenzt (sondern auf die ganze Zeit seit dem 15. Juli des vergangenen Jahres bezogen).

Ich hatte am Freitag neben der Kommunikation mit der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, Radio Dreyeckland und der Schlußredaktion des Textes leider keine Gelegenheit mehr, dem BDZV den letzten Sachstand, der sich seitens der Staatsanwaltschaft erst um 16:16 Uhr einstellte, mitzuteilen. Vielleicht wäre die Antwort des BDZV etwas anders ausgefallen, wenn ich Gelegenheit gehabt hätte, die im Laufe des Tages recherchierten Details noch nachzutragen.

Anlaß für das Ganze ist der rdl-Artikel „Ermittlungsverfahren nach Indymedia Linksunten Verbot wegen ‚Bildung krimineller Vereinigung‘ eingestellt“. Stein des staatsanwaltlichen Anstoßes ist vor allem der letzte Satz des Artikels: „Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite.“

Mit diesem Satz sollen sich die an der Publikation Beteiligten – insbesondere der inzwischen namentlich bekannte Autor „fk“ und eventuell der medienrechtlich Verantwortliche des Senders – der Unterstützung einer „Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung […]“ richtet, strafbar gemacht haben. Strafrahmen: „Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder […] Geldstrafe“ (§ 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch) [3]

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe fühlt sich mißverstanden



Dieser Artikel als .pdf-Datei: http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/02/rdl-IP-Adressen.pdf (23 Seiten)


Zu der Darstellung von Radio Dreyeckland („nach aktuellen IP-Adressen [von LeserInnen der Webseite] gefragt“) um eine Stellungnahme gebeten, bestritt die Staatsanwaltschaft Freitagmorgen (zunächst), nach IP-Adressen (von LeserInnen bzw. HörerInnen) gefragt zu haben:

„Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat in dem angesprochenen Verfahren zu keinem Zeitpunkt die IP-Adressen von Hörern o.ä., die über die Webseite von Radio Dreyeckland auf Programminhalte zugreifen, abzufragen versucht. Anderslautende Verlautbarungen sind falsch. Es wurden auch keine sonstigen Daten von Hörern bzw. ‚normalen‘ Webseitenbesuchern erfragt. Nur der Vollständigkeit halber: Entsprechende Daten wären für das vorliegende Verfahren auch – erkennbar – ohne jede Relevanz.“

Sodann mit einem Ausschnitt aus dem staatsanwaltlichen Schreiben an Strato konfrontiert, ruderte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe (etwas) zurück. Die Antwort lautete nun:

„§ 100j StPO stellt eine Befugnisnorm für das Auskunftsverlangen der Strafverfolgungsbehörden bezüglich personenbezogener Bestandsdaten dar und verweist im Weiteren (u.a.) auf §§ 172 ff. TKG, wo das den eigentlich Verpflichteten treffende Auskunftsverfahren geregelt ist.
Dazu, dass Teil von ‚Bestandsdaten‘ auch die in hiesigem Ersuchen – beschränkt auf administrative Zugriffe – abgefragte zugeteilte letzte IP-Adresse ist, darf ich beispielhaft auf die beigefügte Kommentierung zu § 100j StPO verweisen.“

Es wird nun also behauptet, es sei nur die „zugeteilte letzte IP-Adresse“ abgefragt worden – und dies sei rechtmäßig gewesen. Tatsächlich war aber im staatsanwaltlichen Schreiben – wie schon zitiert – von „Aktuelle[n] IP-Zugriffe[n]“ (im Plural) die Rede. Von einer Beschränkung auf „administrative Zugriffe“ war dagegen – jedenfalls in dem mir bekannten Ausschnitt – nicht die Rede. (Die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit sei zunächst einmal zurückgestellt; versuchen wir erst einmal zu klären, was tatsächlich passiert ist.)

Zu unterscheiden ist zwischen:

  • der IP-Adresse, die ein Telekommunikationsunternehmen einem bestimmten Kunden oder einer bestimmten Kundin (z.B. rdl) zuordnet,

    und

  • den IP-Adressen, die dasselbe oder auch andere Telekommunikationsnternehmen anderen KundInnen (z.B.: mir) zuordnen – und die dann gespeichert werden können, wenn diese anderen KundInnen auf die Webseite von rdl zugreifen.

Folglich ist auch zu unterscheiden, wo welche Information zu erhalten ist:

  • Meine (z.B. letzte) IP-Adresse ist bei meinem Telekommunikations-provider erhältlich;

  • vielleicht bei Strato oder bei rdl selbst ist dagegen die Information, ob mit der mir zugeteilten IP-Adressen auf die Webseite von rdl zugegriffen wurde, erhältlich.

Das heißt:

  • Für die erste Variante muß die Staatsanwaltschaft wissen, wie ich heiße, und in Erfahrung bringen, mit welcher Telekommunikationsfirma ich kontrahiert habe. Diese weiß, welche IP-Nummern sie mir zu bestimmten Zeitpunkten zugeteilt hat – und kann das an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ausplaudern.

  • In der anderen Variante, weiß Strato (was nicht mein internet-Zugangs-provider ist!) vielleicht, von welchen IP-Adressen auf die Webseite von rdl zugegriffen wurde – und kann dies an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ausplaudern. – Diese muß dann, wenn sie mit der Information etwas anfangen will, herausfinden, welcher Person diese IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt zugeordnet war.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe übersieht
oder ignoriert
den Unterschied zwischen den Bestandsdaten zu dem Telemedium-Hosting-Vertrag zwischen rdl und Strato einerseits
und andererseits den Bestandsdaten zu dem oder den Telekommunikationsvertrag/-verträgen von rdl mit welchen Unternehmen auch immer

Wenn es nun also um die „Bestandsdaten“ von rdl bei Strato geht, dann wären das – abgesehen von der (statischen) IP-Adresse des rdl-Servers bei Strato, mit der er im öffentlichen Internet erreichbar ist und die folglich öffentlich einsehbar ist (um diese IP-Adresse festzustellen, hätte die Staatsanwaltschaft also gar nicht erst Strato fragen müssen) – allenfalls IP-Adressen, die rdl für seinen eigenen internet-Anschluß in Freiburg zu bestimmten Zeitpunkten zugeteilt bekommen hat – vorausgesetzt, Strato würde (Konjunktiv!) nicht nur das Hosting für rdl machen, sondern würde (Konjunktiv!) auch den internet-Zugang für rdl bereitstellen [4]. Damit ist aber noch nichts über die Zugriffe auf die Homepage von rdl gesagt.

Letzteres ist eine ganz andere Frage: Mit letzterem befinden wir uns nicht mehr im Bereich der Bestandsdaten zu dem Telekommunikationsvertrag von rdl mit Strato (den es nicht gibt [siehe FN 4]!) oder wem auch immer (vielleicht O2 oder Vodafone oder noch ein ganz anderes Unternehmen – das muß hier nicht ausgetratscht werden), sondern im Bereich der Nutzungsdaten der Leute, die die Webseite von rdl aufrufen. Das kann selbstverständlich auch rdl selbst sein. Aber das sind dann trotzdem keine Bestandsdaten zu dem Telekommunikationsvertrag, sondern Nutzungsdaten in Bezug auf das Telemedium, das Strato für rdl bereithält.

Wenn die Staatsanwaltschaft Karlsruhe allgemein nach „Aktuell[n] IP-Zugriffe[n]“ auf die Webseite von rdl fragt, dann fragt sie also nach beliebigen Leuten, die auf die Webseite zugegriffen haben. Damit befinden wir uns aber nicht im Bereich des – von der Pressestelle angeführten – § 100j StPO, sondern im Bereich des § 100k StPO (zu diesem Unterschied siehe unten den entsprechenden Abschnitt).

Zu dem StPO-Kommentar von Meyer-Goßner/Schmitt
sowie
zu dem Unterschied zwischen statischen und dynamischen IP-Adressen

Kommen wir nun zu der von Pressestelle der Staatsanwaltschaft Karlsruhe in Bezug genommen Kommentar-Stelle; es handelt sich um diese:


Schaubild 1: Köhler, in: Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, 202265, § 100j, Randnummer 2

Wie diese Kommentarstelle auch immer ansonsten zu beurteilen sein mag – eines ist jedenfalls bei der hier gemeinten statischen IP-Adresse klar: Um ein Telekommunikations-Bestandsdatum zu einem Vertrag von rdl handelt es sich nur dann, wenn es sich um die rdl von seinem Telekommunikations-provider dauerhaft zugeteilte (statische) IP-Adresse handelt. (In der Tat hat rdl einen Telekommunikations-provider – aber dabei handelt es [wie bereits gesagt] – nicht um Strato; die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat aber Strato gefragt: Dort gibt es aber keine Telekommunikations-Bestandsdaten über rdl (sondern vielleicht Nutzungsdaten über die LeserInnen der Webseite von rdl [die „IP-Zugriffe“, nach denen gefragt wurde] und außerdem – ganz sicher – Webhosting-Bestandsdaten über rdl.)

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat sich an die Strato AG in deren Eigenschaft als Hoster der Webseite (also eines Telemediums) von rdl gewandt (also nicht an Strato, in dessen – nicht existierender (s. FN 4) – Eigenschaft als Telekommunikations-provider von rdl).

Wenn nach „IP-Zugriffe[n]“ auf die Webseite von rdl gefragt wird, dann wird – wie bereits gesagt – nicht nach Bestandsdaten über rdl als Telekommunikationsnutzer gefragt, sondern nach Nutzungsdaten über das von rdl angebotene Telemedium (Webseite)!

Hinzukommt:

  • In Bezug auf eine statische (Köhler: „fest zugeteilte“) IP-Adresse mag gesagt werden, sie sei ein Bestandsdatum.

  • Aber: In dem Schreiben der Staatsanwaltschaft Karlsruhe an Strato wurde nicht nach der (einen) statischen IP-Adresse von rdl gefragt, sondern ganz allgemein nach „IP-Zugriffe[n]“ (Plural – egal ob seitens statischer und dynamischer IP-Adressen).

Kommen wir nun noch zu dem Unterschied zwischen dynamischen und statischen IP-Adressen:

  • Vermutlich haben in der Bundesrepublik die meisten Leute dynamische IP-Adressen: „Bei DSL-Anbindung des Kunden verwenden die Provider meist […] dynamisch vergebene IPs.“ Das heißt: Die provider verteilen den ihnen zugeteilten IP-Nummernraum immer wieder mal neu unter ihrer Kundschaft. „Vorteil der dynamischen Adressierung ist, dass im Durchschnitt deutlich weniger als eine IP-Adresse pro Kunde benötigt wird, da nie alle Kunden gleichzeitig online sind.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=IP-Adresse&oldid=228044130#Dynamische_Adressierung)

  • Eine statische IP wird dagegen einmal bei Vertragsbeginn zugeteilt und bleibt dann dauerhaft gleich (noch einmal Köhler: „fest zugeteilt“). (Der/die AutorIn des vorliegenden Artikels hatte ein zeitlang in Spanien gelebt und dort einen internet-Anschluß über das Fernseh-Kabel und dabei eine feste IP-Adresse.)

Es ist öffentlich nicht einmal bekannt, ob rdl für seinen eigenen internet-Anschluß eine statische oder dynamische IP-Adresse hat; das Entscheidende ist allerdings:

  • Diese Frage hat auch nichts mit dem Webhosting-Vertrag zwischen rdl und Strato zu tun.

Noch entscheidender ist:

  • Die Staatsanwaltschaft fragte objektiv – egal, was sie subjektiv vielleicht fragen wollte – nach „IP-Zugriffe[n]“ (Plural) auf die Webseite www.rdl.de (siehe Bild am Artikel-Anfang);

  • diese Frage ist von der Frage zu unterscheiden, welche IP-Adresse rdl selbst hat, um auf seine eigene, aber auch ganz andere Webseiten zuzugreifen.

Nun stellt sich die Frage: Ist die Berufung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe auf die oben abgebildete Kommentierung nur eine nachträgliche Ausflucht? Oder hatte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe einfach keine Ahnung, was sie macht, wenn sie Strato allgemeinen nach „Aktuelle[n] Zugriffen“ auf die Webseite von rdl fragt?

Wenn wir nicht technischen Unverstand unterstellen wollen, liegt folgende Frage nahe: Warum wollte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe die IP-Zugriffe überhaupt in Erfahrung bringen? Denn die Staatsanwaltschaft teilte ja in ihrer ersten Antwort selbst mit: „Entsprechende Daten [IP-Adressen der BesucherInnen der Webseite von rdl] wären für das vorliegende Verfahren auch – erkennbar – ohne jede Relevanz.“

Verfolgt die Staatsanwaltschaft einen heimlichen Nebenzweck?

Die Frage nach dem Zweck des allgemeinen Ersuchens nach Informationen über „Aktuelle IP-Zugriffe“ auf die Webseite von rdl stellt sich um so mehr, weil das Ersuchen nicht auf die Zeit vom 15. bis 30.07.2022 begrenzt war (sondern die ganze Zeit seit dem 15.07.2022 betraf). Offiziell sollte es darum gehen, die Autorschaft für den fraglichen – am 30.07.2022 veröffentlichten – Artikel zu verifizieren. Es liegt also die Vermutung nahe, daß mit der staatsanwaltlichen Anfrage noch ein zweiter – nicht offengelegter – Zweck verfolgt wurde, z.B. aus den Webseiten-BesucherInnen (nach irgendeinem Rasterverfahren [5]) diejenigen herauszufiltern, die dafür in Betracht kommen, das von rdl verlinkte Archiv Anfang 2020 online gestellt zu haben.

Auf die – im Zuge der Recherchen zum vorliegenden Artikel gestellte – Frage, Kann eine derartige Anfrage der Staatsanwaltschaft – technisch – überhaupt Erfolg haben?“, erläuterte Linus Neumann vom Chaos Computer Club:

„Das kommt darauf an, wie genau RDL die Website von Strato hosten lässt. Wenn Strato die Server betreibt (Webhosting-Paket, Plesk o.ä.), dann konfiguriert Strato auch das Logging und die Vorhaltezeiten. Grundsätzlich hätte Strato in diesem Fall die Möglichkeit, die Zugriffe zu loggen und würde das üblicherweise auch tun. Wenn der Server vollständig selbst administriert ist (vServer, dedicated Server o.ä., aber kein Plesk), dann sollte Strato üblicherweise keine Logs anfertigen – es sei denn, es werden aktive Maßnahmen zur Überwachung ergriffen.“ [6]

Nach dem, was bei der rdl-Pressekonferenz gesagt wurde, ist der rdl-Server einer der zweiten Art.

In Betracht kämen aber auch in letzterem Falle folgende Verfahren: „Grundsätzlich wäre es möglich, durch direkten administrativen Zugriff auf die Datenbank einen Admin-Account zu erstellen oder zu verändern, so dass ein Zugriff möglich wird. Das übliche Vorgehen wäre aber eher die Beschlagnahme sämtlicher Daten auf dem Server, um dann eine Kopie der Daten in Ruhe untersuchen zu können.“

Sofern dann nicht nur der Teil des Servers mit dem Web-Inhalt, sondern auch der, wo etwaige IP-Adressen von BesucherInnen der Seite gespeichert sind, unverschlüsselt ist, können diese Adressen dann problemlos aus der Kopie ausgelesen werden – wie beliebige Daten auf einem unverschlüsselten USB-Stick oder einer unverschlüsselten externen Festplatte.

Nach Angaben von Radio Dreyeckland wurden – aus technischen Gründen – IP-Adressen teilweise gespeichert: „IP-Adressen wurden zum Teil geloggt, zum Teil nicht. Auch das hat wieder verschiedene technische Gründe.“

Auch diese Daten konnten von der Staatsanwaltschaft aber wohl bisher nicht erlangt werden. Diese sagte den Anwältinnen von rdl mündlich zu, von der Anfrage Abstand zu nehmen. Eine schriftliche Bestätigung gibt es dafür nach Sender-Angaben aber (bisher) nicht.

Mir teilte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe am Freitag mit:

„die Rücknahme des Ersuchens [der Staatsanwaltschaft an Strato erfolgte], weil aufgrund zwischenzeitlich gewonnener neuer Erkenntnisse (Angaben eines Beschuldigten und Erkenntnisse aus Durchsuchungsmaßnahmen) auf der Durchführung des Ersuchens kein zusätzlicher Erkenntnisgewinn zu erwarten war, so dass auch zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit auf die weitere Ausführung verzichtet wurde. Insoweit gab es auch telefonischen Kontakt bzw. Rücksprache mit einer Rechtsanwältin eines der Beschuldigten.“

Anfrage ohne Rechtsgrundlage

Nach Darstellung von rdl versuchte sich die Staatsanwaltschaft bei ihrer Anfrage an Strato auf die Norm(en) zu stützen, die eine Bestandsdaten-Abfragen erlauben – das wären dann also die § 100j Strafprozeßordnung i.V.m. § 172 Telekommunikationsgesetz (also die Paragraphen, die auch in der oben zitierten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft genannt sind) sowie § 2 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz [7].

§ 100j Absatz 1 Satz 1 Strafprozeßordnung

In der Tat erlaubt § 100j Absatz 1 Satz 1 Strafprozeßordnung:

„Soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich ist, darf Auskunft verlangt werden
1. über Bestandsdaten gemäß § 3 Nummer 6 des Telekommunikationsgesetzes und über die nach § 172 des Telekommunikationsgesetzes erhobenen Daten (§ 174 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes) von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste [8] erbringt oder daran mitwirkt, und
2. über Bestandsdaten gemäß § 2 Absatz 2 Nummer 2 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes (§ 22 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes) von demjenigen, der geschäftsmäßig eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt.“
(http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__100j.html)

Für die Webseite von rdl ist das Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz relevant. [9] Denn Strato hält „geschäftsmäßig […] fremde Telemedien zur Nutzung bereit“ – vorliegend die Webseite von Radio Dreyeckland. Die Strato AG ist damit diejenige (juristische) Person, von der die Auskunft gemäß Nummer 2 verlangt darf.

  • „Bestandsdaten“ gemäß § 2 Absatz 2 Nummer 2 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDG) sind aber bloß „die personenbezogenen Daten, deren Verarbeitung zum Zweck der Begründung, inhaltlichen Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Anbieter von Telemedien und dem Nutzer über die Nutzung von Telemedien erforderlich ist“ [10].

Bei dem Begriff der Bestandsdaten geht es also

  • nicht um die Vertragsverhältnisse, in denen diejenige Person, die „geschäftsmäßig […] fremde Telemedien zur Nutzung bereithält“, steht,

  • sondern um die Vertragsverhältnisse, in denen die AnbieterInnen von Telemedien stehen – vorliegend rdl. [11]

Mit anderen anderen Worten:

  • Zwar ist rdl (außer Rundfunksender) auch ein Anbieter eines Telemediums – nämlich seiner Webseite.

  • Auch sind die BesucherInnen dieser Webseite NutzerInnen dieses Telemediums.

  • Da die Webseite von rdl kostenlos und ohne Anmeldung genutzt werden kann ist, ist aber fraglich, ob zwischen NutzerInnen und rdl ein Vertrag zustande kommt (vielleicht insoweit als die etwaige Zustimmung zur rdl-Datenschutzerklärung durch Nutzung der Webseite zustande kommt) – und falls ja, ob für „Begründung, inhaltliche Ausgestaltung oder Änderung“ dieses etwaigen Vertragsverhältnisses irgendwelche personenbezogenen Daten erforderlich sind.

    In den rechtswissenschaftlichen Kommentierungen zum aktuellen Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz, die ich bisher sichten konnte, wird diese Frage nicht erörtert. Zur entsprechenden Formulierung im alten § 14 Telemediengesetz hieß es aber (ganz im Sinne meines Bedenkens):

    „Der Begriff der Bestandsdaten setzt […] voraus, dass überhaupt ein Vertragsverhältnis zwischen dem Diensteanbieter und dem Nutzer über die Nutzung von Telemedien besteht. […]. Beispiele für solche Telemediennutzungsverträge sind: Einrichtung eines Accounts auf einer Auktionsplattform (Vertragsverhältnis zwischen Plattformbetreiber und Plattformnutzer, nicht aber Verträge zwischen Versteigerer und Bieter) oder bei einem Social Network (z.B. Facebook, StudiVZ, Xing, etc.), Verträge über Online-Datenbankrecherchen, Verträge über den Download von Software, Musik oder Filmen, Verträge über die Teilnahme an Online-Spielen (wie z.B. World of Warcraft oder Second Life).“
    (Heckmann, juris-Praxiskommentar lnternetrecht, 20144, Kapitel 9, Randnummer 317 [S. 1127]).

    Webseiten, die – wie die Webseite von Radio Dreyeckland – kostenlos und ohne Anmeldung benutzbar (lesbar) sind, sind in dem juristischen Kommentar dagegen nicht als Beispiele für Fälle, bei denen Bestandsdaten über ein Vertragsverhältnis über die Nutzung eines Telemediums anfallen können, genannt.

  • Sofern es überhaupt Verträge (zwischen rdl und den NutzerInnen [Webseiten-BesucherInnen]) und dazu Bestandsdaten gibt [12], werden diese jedenfalls eher bei rdl als bei Strato gespeichert sein (außer rdl speichert auch solche Daten auf einem Strato-Server).

  • Jedenfalls sind – und das ist nun der wichtigste Punkt in Bezug auf die „IP-Zugriffe“-Abfrage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe – die Bestandsdaten nach §  2 Absatz 2 Nr. 2 von den Nutzungsdaten nach § 2 Absatz 2 Nr. 3 [13] Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz zu unterscheiden:

    „Die Bestandsdaten sind vor allem von den Nutzungsdaten gem. § 2 Abs. 2 Nr. 3 abzugrenzen […]. Bestandsdaten sind Daten, die unabhängig von der Nutzung eines Telemediendienstes anfallen. Diese Daten identifizieren den Kunden eines Telemediendienstes, sagen aber weder direkt noch indirekt etwas darüber aus, wie der Kunde den Telemediendienst genutzt hat.“
    (Assion, in: Heidelberger Kommentar zum Telekommunikation-Telemedien-Datenschutzgesetz, 20221, § 2 TTDSG, Randnummer 21)

  • Die Angabe von welchen IP-Adressen eine bestimmte Webseite zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgerufen wurde, gehört dagegen zu den Nutzungsdaten [14]:

    „Bestandsdaten sind nach der Legaldefinition in § 2 Abs. 2 Nr. 2 TTDSG die personenbezogenen Daten, deren Verarbeitung zum Zweck der Begründung, inhaltlichen Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Anbieter von Telemedien und dem Nutzer über die Nutzung von Telemedien erforderlich ist. Dazu gehören Name, E-Mail-Adresse und Telefonnummer des Nutzers, nicht aber die IP-Adressen, von denen aus die Inhalte hochgeladen wurden. Dieses sind Nutzungsdaten im Sinne der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 Nr. 3 TTDSG, wonach Nutzungsdaten die personenbezogenen Daten eines Nutzers von Telemedien [sind], deren Verarbeitung erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen.“
    (OLG Schleswig, Beschl. v. 23.03.2022 zu, Az. 9 Wx 23/21 [15]; Textziffer 41)

§ 100k Absatz 1 Satz 1 Strafprozeßordnung

Allerdings dürfen auch Nutzungsdaten (also auch IP-Adressen) abgefragt werden, aber unter engeren Voraussetzungen. Dies ist in § 100k Absatz 1 Satz 1 StPO geregelt:

„Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Absatz 2 bezeichnete Straftat, begangen hat, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat oder durch eine Straftat vorbereitet hat, dürfen von demjenigen, der geschäftsmäßig eigene oder fremde Telemedien zur Nutzung bereithält oder den Zugang zur Nutzung vermittelt, Nutzungsdaten (§ 2 Absatz 2 Nummer 3 des Telekommunikation- Telemedien-Datenschutz-Gesetzes) erhoben werden, soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.“

Sehen wir uns die Tatbestandsvoraussetzungen für beide Abfrage-Varianten im Vergleich an:

§ 100j Absatz 1 Satz 1
(Bestandsdaten-Abfrage)

§ 100k Absatz 1 Satz 1
(Nutzungsdaten-Abfrage)

Soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts [16] oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten erforderlich ist,

Begründen bestimmte Tatsachen den Verdacht, dass jemand als Täter oder Teilnehmer eine Straftat von auch im Einzelfall erheblicher Bedeutung, insbesondere eine in § 100a Absatz 2 bezeichnete Straftat, begangen hat, in Fällen, in denen der Versuch strafbar ist, zu begehen versucht hat oder durch eine Straftat vorbereitet hat, […] soweit dies für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist und die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht.

  • Kommen wir zuerst zu dem Verweis auf § 100a Absatz 2 StPO [17]: § 85 Strafgesetzbuch ist dort genannt. Das heißt: Grundsätzlich paßt auch § 100k Absatz 1 StPO auf den rdl-Fall – sofern denn die ‚rdl-Tat‘ eine der Tatbestandsvarianten des § 85 StGB erfüllt…

  • Allerdings wird vertreten: „Ausreichend sind Vergehen mittlerer Schwere, wofür eine Strafrahmenobergrenze von mehr als drei Jahren zu fordern ist.“ [18] Dies würde heißen: Aus dem § 85 StGB kommen nur die Taten der „Rädelsführer und Hinterm[ä]nner“ aus Absatz 1 (Strafobergrenze: 5 Jahre), nicht aber die einfache mitgliedschaftliche Betätigung und die Unterstützung aus Absatz 2 (Strafobergrenze 3 Jahre) in Betracht. (Denn drei Jahre sind nicht mehr als drei Jahre.)

  • Eine weitere Einschränkung für die Abfrage von Nutzungsdaten ergibt sich aus dem Ende von § 100k Absatz 1 Satz 1 StPO: „soweit […] die Erhebung der Daten in einem angemessenen Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht“.

  • Übereinstimmend verlangen der hier interessierende § 100k Absatz 1 Satz 1 StPO und der zuvor diskutierte § 100j Absatz 1 Satz 1 StPO, daß die jeweilige Daten-Abfrage „für die Erforschung des Sachverhalts erforderlich ist“. Damit sind wir wieder bei dem grundlegenden Bedenken: Inwiefern soll die Abfrage der IP-Adressen der LeserInnen der Webseite von rdl – zumal aus der Zeit nach dem 30.07.2022 – erforderlich sein, um zu erforschen, welche Personen an der Veröffentlichung des Artikels am 30.07.2022 beteiligt waren?

Am gewichtigste ist freilich die Bestimmung in § 101a Absatz 1a Strafprozeßordnung:

Bei der Erhebung und Beauskunftung von Nutzungsdaten eines Telemediendienstes nach § 100k gilt § 100a Absatz 3 und 4, bei der Erhebung von Nutzungsdaten nach § 100k Absatz 1 und 2 zudem § 100e Absatz 1 und 3 bis 5 entsprechend mit der Maßgabe, dass in der Entscheidungsformel nach § 100e Absatz 3 Satz 2 an die Stelle der Rufnummer (§ 100e Absatz 3 Satz 2 Nummer 5), soweit möglich eine eindeutige Kennung des Nutzerkontos des Betroffenen, ansonsten eine möglichst genaue Bezeichnung des Telemediendienstes tritt, auf den sich das Auskunftsverlangen bezieht.“
(http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__101a.html)

Daran ist zunächst einmal der Verweis auf § 102 Absatz 3 StPO wichtig; dessen ersten Sätze lauten:

„Maßnahmen nach den §§ 100b und 100c dürfen nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch die in § 74a Absatz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannte Kammer des Landgerichts angeordnet werden, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft ihren Sitz hat. Bei Gefahr im Verzug kann diese Anordnung auch durch den Vorsitzenden getroffen werden. Dessen Anordnung tritt außer Kraft, wenn sie nicht binnen drei Werktagen von der Strafkammer bestätigt wird.“
(http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__100e.html)

Einen solchen Vorbehalt der gerichtlichen Entscheidung gibt es dagegen für eine einfache Bestandsdaten-Abfrage nicht; diese darf die Staatsanwaltschaft anordnen.

Allerdings macht Absatz 3 von § 100k StPO von diesem Vorbehalt der gerichtlichen Entscheidung wiederum eine Ausnahme:

„Abweichend von Absatz 1 und 2 darf die Staatsanwaltschaft ausschließlich zur Identifikation des Nutzers Auskunft über die nach § 2 Absatz 2 Nummer 3 Buchstabe a des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes erhobenen Daten verlangen, wenn ihr der Inhalt der Nutzung des Telemediendienstes bereits bekannt ist.“

Dazu wird folgende Auffassung vertreten:

„Solche Merkmale zur Identifikation eines Nutzers sind etwa sein Benutzername und Passwort, seine angegebene E-Mail-Adresse oder seine IP-Adresse der Nutzer (vgl. Plath/Hullen/Roggenkamp TMG § 15 Rn. 7 mwN).“
(Bär, in: BeckOK StPO, 46. Edition, 01.01.2023, § 100k, RN 35)

Sofern dieser Auffassung zu folgen ist, käme es dann für den rdl-Fall nicht auf den Vorbehalt der gerichtlichen Entscheidung an, sondern nur auf die zuvor genannten Unterschiede zwischen § 100j Absatz 1 Satz StPO und § 100k Absatz 1 Satz 1 StPO (‚Erheblichkeit‘ der Straftat; ‚angemessenes‘ Verhältnis zwischen Bedeutung der Straftat und der belastenden Ermittlungs-Maßnahme [19]).

Außerdem ist für den rdl-Fall der Verweis in § 101a Absatz 1a StPO auf § 100a Absatz 3 StPO wichtig; dieser lautet:

„Die Anordnung darf sich nur gegen den Beschuldigten oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss oder ihr informationstechnisches System benutzt.“
(http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__100a.html)

Dies kann jedenfalls nicht auf die Gesamtheit der BesucherInnen der Webseite von Radio Dreyeckland zutreffen, sondern allenfalls auf einige von diesen.

Zusammenfassung

  • IP-Adressen unbekannter Personen sind keine Bestandsdaten, sondern Nutzungsdaten.

  • Jedenfalls in Bezug auf Nutzungsdaten ist eine Abfrage nur in Bezug auf Beschuldigte und ‚Nachrichten-MittlerInnen‘ [20] und nicht auch in Bezug auf Dritte zulässig. [21]

  • Es muß sich um eine Straftat von im „Einzelfall erheblicher Bedeutung“ handeln; dies ist im Falle einer Strafobergrenze von drei Jahren (wie im Falle des Tatvorwurfs gegen die rdl-Redakteure) jedenfalls fraglich.

  • Für eine bloße Bestandsdaten-Abfrage genügt zwar ein einfacher Anfangsverdacht (s. FN 16); aber § 100j Absatz 1 Satz 1 StPO, wo die Bestandsdaten-Abfrage geregelt ist, verweist [22] auf § 2 Absatz 2 Nummer 2 Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz. Dort geht es aber um „Daten, deren Verarbeitung zum Zweck der Begründung, inhaltlichen Ausgestaltung oder Änderung eines Vertragsverhältnisses zwischen dem Anbieter von Telemedien und dem Nutzer über die Nutzung von Telemedien erforderlich ist“. – Es geht dort dagegen nicht um das Vertragsverhältnis zwischen dem Telemedien-Anbieter (rdl) und der Hosting-Firma (Strato). Der Verweis in § 100j Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 StPO scheint also weitgehend ins Leere zu gehen… [23]

  • Hätte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe ausschließlich nach der statischen IP-Adresse von rdl selbst gefragt, dann wäre dies wahrscheinlich nach § 100j Absatz 1 Satz 1 StPO zulässig gewesen. Aber die Staatsanwaltschaft hat vielmehr nach „IP-Zugriffe[n]“ (Plural) auf die Webseite (!) von rdl gefragt.
    Zwischen beidem besteht ein fundamentaler Unterschied; für das, was die Staatsanwaltschaft Karlsruhe tatsächlich gemacht hat (auch wenn sie vielleicht gar nicht verstanden hat, was sie gemacht hat – und etwas anderes machen wollte) hätte sich die Staatsanwaltschaft Karlsruhe auf § 100k StPO (und nicht auf den mir genannten § 100j StPO) berufen müssen.
    § 100k StPO erlaubt solche Daten-Abfragen aber nur in Bezug auf Beschuldigte und deren ‚Nachrichten-MittlerInnen‘ – aber nicht in Bezug auf unbeteiligte Dritte.

Gibt es das Verbotsobjekt eigentlich noch?

Abgesehen von den computer-technischen und juristischen Details stellt sich hinsichtlich des zugrundeliegenden Ermittlungsverfahrens die Frage: Gibt es das Verbotsobjekt eigentlich noch?

Denn strafbar ist nicht die Unterstützung von irgendwem und irgendetwas, sondern gerade die Unterstützung des Verbotsobjekts [24] – Existiert das Verbotsobjekt nicht mehr, kann es auch kein strafrechtlich relevantes Unterstützungsobjekt mehr geben. Die etwaige Unterstützung würde strafrechtlich ins Leere gehen – es könnte sich maximal um einen (allerdings nicht strafbaren und noch dazu untauglichen) Versuch [25] handeln.

BMI: „keine Erkenntnisse über eine Fortführung […] der […] Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘

Das Bundesinnenministerium teilte auf Anfrage mit, daß ihm „keine Erkenntnisse über eine Fortführung oder über eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ vor[liegen]“ (meine Hv.)

Meine Wenigkeit: Ebenfalls keine Erkenntnisse über eine Fortführung des alten BetreiberInnen-Kreises von linksunten.indymedia [26]

Alles andere wäre auch erstaunlich. Denn allein, daß die alten Mitglieder – vermutlich – noch leben (und vielleicht sogar ab und an ein Bier oder einen Fruchtsaft zusammen trinken gehen) genügt nicht; [27] vielmehr muß Organisationsidentität vorliegen [28] – und dafür, daß eine verbotene Partei oder verbotene Vereinigung unterstützt werden kann, ist – schon nach dem Gesetzestext – erforderlich, daß ein „organisatiorischer Zusammenhalt“ oder eine „Betätigung“ der Partei oder Vereinigung gegeben ist [29].

Die vermeintliche Vereinigung „linksunten.indymedia“ trat aber schon vor ihrem Verbot ausschließlich durch eine publizistischen Tätigkeit – das Betreiben (die Herausgabe) der internet-Zeitung linksunten.indymedia – in Erscheinung. (Weder gab es, z.B. merchandising-T-Shirts mit dem linksunten-Logo zu kaufen noch traten bei Demonstrationen linksunten-Blöcke auf.)

Selbst

  • wenn – nicht ganz fernliegend, aber keinesfalls bewiesen – auch die Änderungen des Inhalts unter der Adresse linksunten.indymedia.org, die 2017 kurz nach dem Verbot vorgenommen wurden – noch dem alten HerausgeberInnen-Kreis zugerechnet werden

und sogar

  • wenn – schon hochgradig spekulativ – auch die (Wieder)Veröffentlichung des Archivs von linksunten.indymedia Anfang 2020 noch dem alten HerausgeberInnen-Kreis zuzurechnen wäre,

ist

  • schon das Archiv nicht identisch mit alten Webseite (es können keine neuen Artikel mehr gepostet werden; statt der alten Startseite mit den jeweils neusten und wichtigsten Artikeln ist nun ein historisierendes [30] Vorwort vorangestellt; die Links „Kontakt“, „Account“ und „Publizieren“ wurden im neuen header nicht reproduziert; auch der Link „Über uns“, unter dem verschiedene Texte des alten BetreiberInnen-Kreises zu finden waren, wurde entfernt; statt gibt es nun den Link „Idee, der das alte – datierte („Stand: 24.08.08“) – „Mission Statement“ dokumentiert. Hinzugekommen ist ein „Inhaltsverzeichnis“, das die alten Texte nach verschiedenen formalen / archivalischen Kriterien erschließt).

Seit 2020 – dem Jahr der (Wieder)Veröffentlichung des Archivs – scheint auch nichts mehr geändert worden zu sein.

Auch andere Texte – unabhängig von der alten URL und dem Archiv –, in denen sie (die Mitglieder des BetreiberInnen-Kreises der illegalisierten Webseite) bspw. ihren Umgang mit dem Verbot erklären, scheint es aus der Zeit nach 2017 nicht zu geben.

Auch von ‚Mitgliederversammlungen‘, ‚Vorstands-‘ oder ‚Zentralkomitee-Sitzungen‘ – was allessamt Kuriositäten für eine linksradikal-autonome Struktur wären – ist jedenfalls öffentlich nichts bekannt; und auch das Bundesinnenministerium behauptet nicht, daß es solche Treffen gäbe.

Daher kann sich der/die AutorIn dieser Zeilen mit voller Überzeugung dem statement des BMI anschließen: Erkenntnisse über eine Fortführung oder über eine Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ liegen nicht vor.

Ich möchte hinzufügen: Also kann diese Vereinigung auch nicht mehr strafrechtlich relevant [31] unterstützt werden. (Ob auch dies das Bundesinnenministerium so sieht, hatte ich vergessen, zu fragen.)

Staatsanwaltschaft Karlsruhe: „Es handelt sich [bei § 85 StGB] um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das keinen konkreten Erfolg voraussetzt.“

Ich stellte der Staatsanwaltschaft Karlsruhe deshalb am Freitagmorgen [31] auch folgenden Frage:

„1. Entspricht der Kenntnisstand des BMI auch dem Kenntnisstand Ihres Hauses? Oder liegen Ihnen andere Informationen vor, oder bewerten Sie die auch dem BMI vorliegenden Informationen juristisch anders als das BMI?
2. Falls ‚keine anderen Informationen & keine andere juristische Bewertung‘: Wie soll es dann möglich sein, diese nicht mehr existierende (oder: jedenfalls nicht mehr nachweisbar existierende) Vereinigung noch i.S.d. § 85 II zu StGB zu unterstützen?“

Nachdem diese Frage bei Beantwortung meiner anderen Fragen (zu den IP-Adressen) erst einmal untergegangen waren, hatte ich die gerade zitierten Fragen um 14:55 Uhr als „Fragen […] nach der Fortexistenz oder Nicht-Fortexistenz des Verbotsobjekts und ob Sie das Ermittlungsverfahren auf der Grundlage der Annahme führen, auch eine nicht mehr existierende Vereinigung könne noch unterstützt werden“, paraphrasiert.

Darauf bekam ich dann folgende Antwort:

„Ausreichend für eine Strafbarkeit nach § 85 StGB ist eine Handlung, die auf die Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhangs abzielt und die insoweit geeignet ist, eine vorteilhafte Wirkung hervorzurufen (etwa indem der ursprüngliche Vereinszweck weiter unterstützt und gefördert wird). Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das keinen konkreten Erfolg voraussetzt.
Seit dem Jahr 2009 bis zur Einstellung des Auftritts im Jahr 2017 waren über das Archiv ‚linksunten.indymedia‘ zahlreiche Veröffentlichungen mit Bezug zum Linksextremismus und zu linksextremistischen Straftaten abrufbar. Gegenstand der Veröffentlichungen waren unter anderem Tatbekennungen oder befürwortende Kommentare zu begangenen Straftaten, aber auch Aufrufe zur Begehung künftiger Taten.
Die veröffentlichte Verlinkung enthält ein vollständiges statisches Archiv mit über 200.000 Artikeln, Fotos und Kommentaren, die zwischen 2009 bis zum Zeitpunkt des Vereinsverbots im Jahr 2017 publiziert wurden. Das verlinkte Archiv enthält somit alle Artikel mit Tatbekennungen oder befürwortenden Kommentaren zu begangenen Straftaten, aber auch Aufrufe zur Begehung künftiger Taten, die bereits Gegenstand der Verbotsverfügung des Bundesministeriums aus dem Jahr 2017 sind. Diese strafbewehrten Artikel bzw. Inhalte sind beispielhaft hier aufgeführt:
https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html

Dies können wir wohl dahingehend verstehen, daß auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nicht bestreitet, daß der vormals hinter dem Veröffentlichungs- und Diskussionsportal unter der Adresse http://linksunten.indymedia.org „stehenden Personenzusammenschluss“ (Bundesverwaltungsgericht) [32] nicht mehr existiert.

Im übrigen ist zu dem Zitat folgendes anzumerken:

  • Ja, § 85 StGB ist ein sog. „abstraktes Gefährdungsdelikt“. Das heißt aber bloß, daß nicht nachgewiesen werden muß, daß die Vereinigung dem „demokratischen Rechtsstaat“ [33] tatsächlich einen Schaden zufügt; es genügt, daß die Vereinigung trotz des Verbotes noch existiert, daß sich Leute dort mitgliedschaftlich betätigen oder daß Leute den „organisatorischen Zusammenhalt“ oder die „weitere Betätigung“ der verbotenen Vereinigung unterstützen (Absatz 2) oder daß es sog. „Rädelsführer und Hinterm[ä]nn[er]“ (Absatz 1) gibt.

  • Das ändert aber nichts daran, daß die Vereinigung existieren muß, damit es möglich ist, sich in dieser mitgliedschaftlich zu betätigen oder sie zu unterstützen, dort das Zepter zu schwingen (RädelführerInnen) oder sie von außen zu steuern („Hintermann“).

  • Das, was im Falle des § 85 StGB bestraft wird, ist nicht die Gefährlichkeit ‚falscher‘ Meinungen, sondern die Kombination von ‚falscher‘ Meinung + Gefährlichkeit (Schlagkraft) von kollektiver Organisierung. Das, was das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf verbotene Parteien entschieden hat, gilt entsprechend auch für verbotene Vereinigungen:

    „Der Einzelne wird […] nicht betroffen, soweit er selbst bestimmte politische Ziele anstrebt und vertritt. Es wird ihm nur verwehrt, dies durch Förderung einer verfassungsfeindlichen Organisation und der ihr eigenen Wirkungsmöglichkeiten zu tun. Sein Handeln wird gefährlich durch die von der Organisation ausgehende Wirkung.“
    (BVerfGE 25, 44 – 64 [57 = DFR-Tz. 47]; https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv025044.html#057; meine Hv.)

  • Wenn es also um „die von der Organisation ausgehende Wirkung“ bzw. Gefährlichkeit geht, dann muß die Organisation (nach § 84 StGB: Partei; nach § 85 StGB: Vereinigung) existieren, damit bestraft werden kann: „Begangen ist die Unterstützung, ebenso wie jede Beihilfe, am Ort der Haupttat [RGSt. 74, 55, 60), bei § 90 a Abs. 2 StGB [34] also da, wo die trotz Verbots unterstützte Organisation besteht.“ [35]
    In dem Zitat geht es zwar speziell um die Tatortfrage; trotzdem impliziert das Zitat die Notwendigkeit der Existenz der Organisation als Voraussetzung für die Strafbarkeit der Unterstützung.

  • Folglich haben die „Strafgerichte […] darüber zu befinden, ob zwischen einer vom BVerfG verbotenen und einer tatsächlich existierenden Organisation eine hinreichende Identität besteht, […].“ (Becker, in: Matt/Renzikowski, StGB, 2013, § 84, RN 3)
    Wiederum gilt das Entsprechende für eine innenministeriell verbotene Vereinigung: Es muß eine Organisation „tatsächlich existieren“ (Becker), um unterstützt werden zu können; und diese muß „hinreichende Identität“ (Becker) mit der verbotenen Organisation aufweisen, damit die vermeintliche Unterstützungshandlung strafbar ist.

Autor-Ermittlung anhand von IP-Adressen von LeserInnen – eine Idee, die „von fundamentaler juristischer und technischer Unkenntnis“ zeugt (CCC)

Deshalb kann sich schließlich der/die AutorIn der hiesigen Zeilen der Stellungnahme des Chaos Computer Clubs zu der Abfrage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe von „IP-Zugriffe[n]“ auf die Webseite Radio Dreyeckland nur anschließen:

„Das [Die Anfrage] ist vollkommen übertrieben und nach unserer Auffassung nicht begründbar. Schon das Setzen des Links halten wir nicht für strafbar. Selbst wenn es das wäre, gibt es keinen Anlass sämtliche Besucherinnen verfolgen zu wollen, die beanstandete Seite mit dem Link besucht haben. Darüber hinaus können wir auch nicht erkennen, was die Staatsanwaltschaft denn mit den IP-Adressen anstellen möchte?
Allein die Idee zeugt von fundamentaler juristischer und technischer Unkenntnis.“


Veränderungshinweis:

Die Bildunterschrift zu dem Bild im Hintergrund der Überschrift des Artikels lautete ursprünglich:

Die Staatsanwaltschaft bat die Strato AG um Auskunft über „IP-Zugriffe“ (Plural) auf die Webseite von Radio Dreyeckland (rdl) – und meint nun, sie habe bloß die IP-Adresse von rdl selbst gemeint, die es aber – als Telekommunikations-Vertrags-„Bestandsdatum“ (darauf kommt es hier an) – nicht bei dem Hosting-Unternehmen für die Webseite, sondern – falls überhaupt – bei dem/der VertragspartnerIn für den internet-Anschluß von rdl (internet-access-provider) oder bei rdl selbst gibt. –
([Andere] Webseiten-AnbieterInnen speichern zwar teilweise die IP-Adressen von BesucherInnen, aber wissen nicht, zu welcher Person sie gehören [es sei denn es handelt sich um Leute, die einen account bei der jeweiligen Webseite haben] – auch wenn sie Nutzungs-Profile [z.B.: ‚interessiert sich das Telekommunikationsgeheimnis‘] zu den IP-Adressen erstellen können. Es müssen also zwei Konstellationen unterschieden werden 1. Die Person [z.B. rdl] ist bekannt, und es wird dazu die IP gesucht. 2. Die IP [z.B. von bestimmten WebseitenbesucherInnen] ist bekannt und dazu wird die Person gesucht.) –
Die Echtheit des hier gezeigten Ausschnittes bestreitet die Staatsanwaltschaft Karlsruhe nicht. Die taz-roten Unterstreichungen stammen allerdings von dem/der AutorIn des vorliegenden Artikels.

Dies ist zwar auch korrekt, aber vielleicht unnötig kompliziert ausgedrückt.

Außerdem wurden nachträglich einige Tippfehler-Korrekturen vorgenommen sowie ein Formatisierungsfehler beseitigt und die Zahlen der letzten fünf Anmerkungen korrigiert ([32] fehlte bei den Anmerkungen; [36] gab es statt dessen doppelt).


Anmerkungen

[1] Vgl. dazu außerdem noch:

[2] Ich leitete meine Frage wie folgt ein: „Radio Dreyeckland (rdl) gab gestern auf einer Pressekonferenz bekannt, daß die Staatsanwaltschaft Karlsruhe versucht hat, von der Strato AG die IP-Adressen derjenigen, die seit dem 30.07.2022 die – von der Strato AG gehostete – rdl-Webseite besucht haben, zu erfahren.“

[3] Hintergrund dieses Vorwurfes ist, daß der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière laut Pressemitteilung vom 25.08.2017 beansprucht, die „Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst“ (https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2017/08/vereinsverbot.html) zu haben.
Demgegenüber hatte das Bundesverwaltungsgericht später in seinem Urteil vom 29.01.2020 die Auffassung vertreten: „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).
Wie auch immer – irgendetwas ist jedenfalls verboten; und gegen das Verbot zu verstoßen ist strafbar.

[4] Auf meine diesbezüglich Anfrage teilte mir ein rdl-Vertreter am Freitag um 23:15 Uhr mit, daß die Verträge über die internet-Anschlüsse von rdl nicht mit Strato, sondern einem anderen Unternehmen abgeschlossen seien.

[5] „Die Rasterfahndung ist ein Verfahren der Massendatenverarbeitung, bei dem automatisiert Informationen aus Fremddatenbeständen mit anderen Datenbeständen abgeglichen werden, um bestimmte Personen zu ermitteln. Dabei werden bestimmte Personengruppen aus öffentlichen oder privaten Datenbanken herausgefiltert, indem man nach Merkmalen sucht, von denen man annimmt, dass sie auch auf die gesuchte Person zutreffen. Ziel ist es, die Gruppe der zu überprüfenden Personen einzuschränken, da es im Gegensatz zu einer konventionellen Fahndung keine bekannte Zielperson gibt.“ (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Rasterfahndung&oldid=226334725)

[6] Ein „dedicated Server“ ist auch physisch ein bestimmtes Gerät, das einem bestimmten Nutzer oder einer bestimmten Nutzerin (wobei es sich aber auch um institutionelle NutzerInnen handeln kann) zugeordnet ist; ein „v“ oder „virtueller Server“ wird zwar von mehreren KundInnen der Hosting-Firma gemeinsam genutzt ist, ist aber software-seitig so konfiguiert, daß die den einzelnen KundenInnen zugeordneten Teile jeweils als separate Geräte erscheinen. Durch diese physische oder software-seitige Abschottung können den einzelnen KundInnen mehr administrative Rechte gegeben werden.
Fehlt es dagegen an dieser Abschottung, bedarf es einer den KundInnen übergeordneten Administration.

[7] rdl selbst nannte die Paragraphennummern und die StPO nicht und verwechselte das Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz bzw. Telekommunikationsgesetz mit dem Telemediengesetz (dessen Name statt der tatsächlich einschlägigen Gesetze genannt wurde).

[8] „Telekommunikationsdienste“ sind gemäß § 3 Nr. 61 Telekommunikationsgesetz: „in der Regel gegen Entgelt über Telekommunikationsnetze erbrachte Dienste, die – mit der Ausnahme von Diensten, die Inhalte über Telekommunikationsnetze und -dienste anbieten oder eine redaktionelle Kontrolle über sie ausüben – folgende Dienste umfassen:
a) Internetzugangsdienste,
b) interpersonelle Telekommunikationsdienste und
c) Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen bestehen, wie Übertragungsdienste, die für Maschine-Maschine-Kommunikation und für den Rundfunk genutzt werden“ (http://www.gesetze-im-internet.de/tkg_2021/__3.html).
Telekommunikations-DienstleisterIn ist also das Unternehmen, von dem Radio Dreyeckland der Telefon- und internet-Anschluß bereitgestellt wird.
Zum Begriff „interpersonelle Telekommunikationsdienste“ siehe: Carlo Piltz / Philipp Quiel, Was sind „interpersonelle Kommunikationsdienste“? Erste Gedanken zum Anwendungsbereich und den Ausnahmen, in: Computer & Recht 4/2022, 263 – 268.

[9] § 172 Absatz 1 Satz 1 Telekommunikationsgesetz betrifft dagegen diejenigen, „die nummerngebundene interpersonelle Telekommunikationsdienste, Internetzugangsdienste oder Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen bestehen, erbring[en] und dabei Rufnummern oder andere Anschlusskennungen verg[e]b[en] oder Telekommunikationsanschlüsse für von anderen vergebene Rufnummern oder andere Anschlusskennungen bereitstell[en]“ (http://www.gesetze-im-internet.de/tkg_2021/__172.html).
Zum Begriff „Telekommunikationsdienste“ siehe vorstehende FN 8.

[10] http://www.gesetze-im-internet.de/ttdsg/__2.html.

[11] Die hier in Rede stehende Anfrage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe wurde aber nicht an rdl, sondern an Strato geschickt – und in der Tat ist ja auch Strato (nicht rdl!) nach § 100k Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 StPO auskunftsverpflichtet. (Strato ist – wie gesagt – eine juristische Person, die „geschäftsmäßig […] fremde Telemedien zur Nutzung bereithält.“)
Das heißt: Mir scheint der Verweis in § 100k Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 StPO ist verunglückt:

  • Statt auf § 2 Absatz 2 Nummer 2 TTDG zu verweisen (wo es um das Vertragsverhältnis ‚Telemedium-AnbieterIn – NutzerInnen‘ geht), wäre sinnvoll gewesen, auf eine Norm zu verweisen, in der es um das Vertragsverhältnis ‚Telemedium-AnbieterIn – Hoster‘ geht. Denn nur für letzteres Vertragsverhältnis sind Bestandsdaten bei dem Hoster zu erwarten.
    (Bestandsdaten für das Vertragsverhältnis ‚Telemedium-AnbieterIn – NutzerInnen‘ sind dagegen allenfalls bei dem/der AnbieterInnen [und den NutzerInnen] zu erwarten.) –

  • Oder aber: Wenn tatsächlich Bestandsdaten über NutzerInnen des Telemediums erlangt werden sollen, dann wäre sinnvoll, in § 100k Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 StPO nicht den Hoster, sondern die AnbieterInnen von Telemedien zu nennen – und dann wäre der Verweis auf § 2 Absatz 2 Nummer 2 TTDG passend (der bei der jetzigen Rede in § 100k Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 StPO von Hostern unpassend ist).

[12] Verträge und Bestandsdaten sind – wie gerade schon gesagt – eher ein typisches Phänomen für kostenpflichtige Angebote und sog. social media (soziale Netzwerke).
AnbieterInnen von kostenpflichtigen Telemedien werden ihr Telemedium vielleicht (genauso wie andere AnbieterInnen ihre jeweilige Webseiten) fremd-hosten lassen; aber das heißt noch lange nicht, daß erstere auch ihre KundInnen-Datenbank in einer cloud – zumal: beim selben Unternehmen wie die Webseite – speichern. Solche Daten werden vermutlich – vielleicht je nach Größe des/der jeweiligen Anbieters/in – weiterhin eher auf lokalen Rechnern gespeichert.

[13] „Nutzungsdaten“ sind nach der genannten Nummer 3: „die personenbezogenen Daten eines Nutzers von Telemedien, deren Verarbeitung erforderlich ist, um die Inanspruchnahme von Telemedien zu ermöglichen und abzurechnen; dazu gehören insbesondere
a) Merkmale zur Identifikation des Nutzers,
b) Angaben über Beginn und Ende sowie Umfang der jeweiligen Nutzung und
c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien“.

[14] Erst in einem zweiten Schritt kann dann eventuell die Person ermittelt werden, die diese IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt genutzt hatte:

  • Die Information von welchen IP-Adressen eine bestimmte Webseite zu einem bestimmten Zeitpunkt aufgerufen wurde, hat der/die SeitenbetreiberIn oder dessen/deren Hosting-Dienstleister – sofern denn diese Information gespeichert wird;
  • die Information, wie sie ihren IP-Nummernraum auf ihre Kundschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt verteilt haben, haben dagegen die verschiedenen internet-Zugangs-Provider.

Nur um diesen zweiten Schritt geht es in § 100j Absatz 3 Satz 1 StPO: „Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden“. Es geht auch dort um Bestandsdaten „nach Absatz 1“, die „anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse“ abgefragt werden. Dies läßt „nur die Deutung zu[…], dass die IP-Adresse die bekannte und die Identität der Person die unbekannte Größe sein muss“ (Greco, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, 20236, Randnummer 15).
Das heißt: Die IP-Adresse ist bereits bekannt – und die Anfrage zielt darauf, den zugehörigen Namen etc. zu erhalten.

[15] https://www.gesetze-rechtsprechung.sh.juris.de/jportal/?quelle=jlink&docid=KORE251292022&psml=bsshoprod.psml&max=true.

[16] Auch im Rahmen von § 100j Absatz 1 Satz 1 StPO genügen allerdings nicht beliebige Sachverhalte. Vielmehr muß die Datenabfrage im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens stattfinden – es müssen also „tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine Straftat (sog. Anfangsverdacht) vorliegen: „Sie [Die Staatsanwaltschaft] ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.“ (§ 152 Absatz 2 StPO: http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__152.html)
„Einzige materielle Voraussetzung für die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs“ nach § 100j Absatz 1 Satz 1 StPO „ist, dass die entsprechenden Informationen für die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten oder zur Erforschung des Sachverhalts erforderlich sind. Notwendig ist damit ein Verfahrensbezug, also konkrete Ermittlungen zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten, in dem die Bestandsdatenauskunft für die weitere repressive Tätigkeit benötigt wird. Dies ist immer dann gegeben, wenn im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen oder polizeilichen Sachverhaltsfeststellungen die Notwendigkeit der Zuordnung einer Rufnummer, einer E-Mail-Adresse, einer IMEI-Nummer eines Mobiltelefons zu einer konkreten Person erforderlich ist, also letztlich ein Anfangsverdacht i.S.d. § 152 Abs. 2 für eine Straftat besteht in Form von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten für eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit (Dalby CR 2013, 361).“ (Bär, in: KMR – Kommentar zur Strafprozessordnung, Lfg. 113 vom 15.06.2022, § 100j, Randnummer 15; erste Hv. i.O.; zweite und dritte Hv. von mir)

[17] http://www.gesetze-im-internet.de/stpo/__100a.html.

[18] Rückert, in: Münchener Kommentar zur Strafprozessordnung, 20232, § 100k, Randnummer 36; meine Hv.

[19] Das sind freilich – wie meine einfachen [distanzierenden] Anführungszeichen andeuten sollen – sehr vage Kriterien, die für jede politische Wetterwendigkeit anfällig sind.

[20] „dass sie für den Beschuldigten bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass der Beschuldigte ihren Anschluss oder ihr informationstechnisches System benutzt“.

[21] In Bezug auf bloße Bestandsdatenabfragen ist dies dagegen umstritten.

[22] abgesehen von dem Verweis auf das Telekommunikationsgesetz (siehe zu diesem FN 8).

[23] Dies ist allerdings bisher nur mein ‚Privat-Eindruck‘; ich habe zu diesem Problem in der juristischen Fachliteratur bisher keine Informationen/Stellungnahmen gefunden.

[24] So heißt es zur Unterstützung verbotener Parteien (§ 84 StGB): „Entscheidend für die Abgrenzung ist […], ob die organisatorische Identität der verbotenen Partei örtlich oder überörtlich weiterbesteht.“ Die „organisatorische Identität“ wird zwar einerseits durch eine bloße Umbenennung nicht in Frage gestellt, aber andererseits gilt:
Um der Gefahr zu begegnen, dass das dem § 84 zugrundeliegende Verbotsprinzip [= eine Bestrafung darf erst erfolgen, wenn zuvor ein Verbot ausgesprochen wurde] durch vorschnelle Annahme von Identität oder Teilidentität ausgehöhlt wird, bedarf es im Einzelfall, insbesondere bei der Aufspaltung einer verbotenen Vereinigung, einer genauen Abgrenzung zwischen der verbotenen Organisation eventuell mit der teilidentischen Vereinigung einerseits und andererseits mit der möglicherweise inhaltlich und rechtlich gleichgerichteten, damit aber nicht identischen Organisation.“
Außerdem gilt: „Ein Aufrechterhalten des organisatorischen Zusammenhalts ist auch dann zu verneinen, wenn eine weiterbestehende Verbundenheit früherer Parteimitglieder zwar auf ihre frühere Zugehörigkeit zu der verbotenen Partei zurückzuführen ist, aber nicht mehr der Verfolgung der Ziele dient, die zu dem Verbot geführt haben“ (alle Zitate von: Steinsiek, in: Strafgesetzbuch. Leipziger Kommentar, 202313, § 84, Randnummer 10 und 12).
Alldies ist auf den für den rdl-Fall relevanten § 85 StGB zu übertragen, weil dort das strukturelle Verhältnis zwischen Unterstützung und Unterstützungsobjekt das gleiche ist – nur die Zuständigkeit für den Verbotsausspruch ist für Parteien (Bundesverfassungsgericht) und Vereinen/Vereinigungen (Innenministerien) unterschiedlich geregelt:
Gemeinsamer Bezugspunkt der Tatbestände des § 85 Abs. 1 und 2 ist die Existenz bestimmter […] Vereinigungen, die unanfechtbar verboten worden sind.“
(Zöller, in: Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 20199, § 85, Randnummer 2)

[25] „Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.“ (§ 23 Absatz 1 Strafgesetzbuch)
Alle Tatbestände des § 85 StGB sind aber ein bloßes Vergehen, da der Strafrahmen mit Geldstrafe (was äquivalent zu weniger als einem Jahr Freiheitsstrafe ist) beginnt: „Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.“ (§ 12 Absatz 1 Strafgesetzbuch)

[26] Und schon gar nicht über eine Fortführung einer „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“.

[27] „Schlichte Personen-(Teil-)Identität ist nur ein Indiz, aber kein Nachweis der Tatbestandsmäßigkeit, da – überspitzt gesprochen – eine Gleichgerichtetheit der Steckenpferde (Sport, Musizieren etc.), neben der kriminalisierten gemeinsamen politisch-organisatorischen Weltsicht, nicht v[on] vornherein ausgeschlossen werden kann.“ (Paeffgen, in: Nomos Kommentar zum Strafgesetzbuch, 20134, § 84, RN 12)

[28] Vgl. z.B. – dort allerdings in Bezug auf Parteien –: „Staatsanwaltschaft und Strafgericht müssen […] in eigener Verantwortung entscheiden, ob […] es sich bei der betreffenden Vereinigung um die nämliche Partei handelt, die trotz Verbots nach Art. 21 Abs. 2 GG fortbesteht. […]. Voraussetzung für eine derartige Identität ist, dass der organisatorische Apparat und seine Träger im Wesentlichen dieselben geblieben sind.“ (Steinmetz, in: MüKo-StGB, 20173, § 84, RN 8; Hv. hinzugefügt)

[29] Der für den ‚rdl-Fall‘ relevante § 85 Absatz StGB lautet: „Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ (meine Hv.)–
Allein in Bezug auf Kriminelle Vereinigungen i.S.v. § 129 StGB und Terroristische Vereinigungen i.S.v. § 129a StGB – und entsprechend in Bezug auf Kriminelle und Terroristische Vereinigungen im Ausland i.S.v. § 129b StGB – genügt ‚Unterstützung‘ sans phrase.

[30] „niemand wird unsere Geschichte erzählen, wenn wir es nicht selbst tun“. – Das ‚Wir‘, das dort von „unsere[r] Geschichte“ spricht, ist nicht das alte HerausgeberInnen-Kollektiv, sondern ein ‚Wir‘, das im Namen einer breiteren link(sradikal)en Bewegung spricht: „Bewegungen müssen Spuren ihrer Leidenschaft für zukünftige Generationen hinterlassen, denn vergessene Kämpfe sind verlorene Kämpfe.“

[31] Selbst wenn die alte Vereinigung unbemerkt noch existieren sollte, würde eine Verurteilung wegen deren Unterstützung voraussetzen, daß der Nachweis der Existenz der Vereinigung geführt werden kann. – Daran fehlt es hier.

[32] Die Frage konnte ich nicht früher stellen, weil ich die Antwort des Bundesinnenministeriums erst am Donnerstagabend – deutlich nach Feierabend – erhielt. Meine Ausgangsfragen hatte ich der Staatsanwaltschaft Karlsruhe am Mittwochmittag geschickt; darauf kamen die Antworten Freitagvormittag.

[33] „Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“ (https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).

[34] Der sog. „Titel“ des StGB in dem § 85 StGB steht, trägt die Überschrift: „Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates“.

[35] § 90a StGB damaliger Fassung war die Vorläufernorm des heutigen § 84 StGB. Wiederum ist also das im Zitat über verbotene Parteien Gesagte, auf verbotene Vereinigungen zu übertragen.

[36] BGH NJW 1965, 260 – 261 (261); meine Hv.

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