Vor rund zehn Tagen wurden die Redaktionsräume und die Wohnungen zweier Redaktionsmitglieder des Freiburger Senders „Radio Dreyeckland“ (rdl) durchsucht.
Zweck der Aktion: Es sollten „Schriftstücke, Aufzeichnungen und Dateien sichergestellt werden, die auf einen Verstoß gegen ein Vereinigungsverbot [1] gemäß § 85 StGB [2] durch die Beschuldigten am 30.06.2022 mittels Verlinkung eines ‚Archiv‘ der verbotenen Vereinigung ‚www.linksunten.indymedia.org‘ auf der Webseite ‚rdl.de‘ schließen lassen,“ sichergestellt werden (Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 13.12.2022 zum Az. 540 Gs 44796/22, S. 1 f.).
Im ersten Teil der hiesigen Artikel-Serie ging es um die durch die Formulierung, „Vereinigung ‚www.linksunten.indymedia.org‘“, in dem Beschluß hervorgerufene Frage: Wie soll eine internet-Adresse ein Verein sein können?
Im hiesigen zweiten Teil soll es nun um die Frage gehen: Wie soll die Betätigung oder der organisatorische Zusammenhalt eines vermeintlichen Vereins in strafrechtlich relevanter Weise unterstützt werden können, wenn der vermeintliche Verein, jedenfalls in der Weise, die zur Begründung seines Verbotes herangezogen wurde, gar nicht mehr tätig ist?
Diese Frage ergibt sich aus dem Umstand,
- daß es unter der – vom Amtsgericht genannten – Adresse keine Inhalte gibt (und vermutlich noch nie gab)und
- auch unter der korrekten Adresse linksunten.indymedia.org bzw. https://linksunten.indymedia.org [3] seit 2017 – abgesehen von dem Vorwort zu dem Archiv (das 2020 wiederveröffentlicht wurde) – keine neuen Inhalte mehr gepostet wurden.
- Es ist auch nicht bekannt, welche Leute das Archiv wieder online gestellt haben. Theoretisch kann es eine kollektive Entscheidung des alten HerausgeberInnen-Kollektivs gewesen sein; es können aber auch einzelne Leute aus dem Kollektiv gewesen sein – oder auch ganz andere Leute oder eine einzelne Person, die sich die Daten bspw. vor dem Verbot aus dem internet gesichert hatte(n).
Für diese Möglichkeiten interessiert sich das Amtsgericht Karlsruhe aber in seinem immerhin 17-seitige Durchsuchungsbeschluß überhaupt nicht.
Dabei sind die Fragen,
- ob auch nicht (mehr) existierende Organisationen unterstützt werden könnenund
- folglich ob es eine Strafbarkeit der Unterstützung verbotener, aber nicht mehr existierender Vereinigungen geben kann,
für die bundesrepublikanische Rechtsprechung nicht neu – nur hat das Amtsgericht Karlsruhe diese ältere Rechtsprechung – aus Unwissenheit oder Vorsatz – in seinem Beschluß nicht berücksichtigt.
Zu beachten ist, daß zwischen
- – im Sinne von Art. 21 Absatz 2 und 4 Grundgesetz [4] – für verfassungswidrig erklärten Parteien,
- – im Sinne von Art. 9 Absatz 2 Grundgesetz [5] – verbotenen Vereinigungen (erstere und letztere werden von der Strafnorm den §§ 84 und 85 Strafgesetzbuch erfaßt (siehe noch einmal Anmerkung [2])und
- kriminellen und terroristischen Vereinigungen im Sinne der § 129 ff. StGB [6]
zu unterscheiden ist [7].
Das strukturelle Verhältnis zwischen Unterstützung (oder auch Werbung – beides ist zu unterscheiden!) und jeweiliger Unterstützungsempfängerin ist aber gleich. Deshalb kann das, was die Gerichte bereits zu verbotenen Parteien und terroristischen Vereinigungen entschieden haben, insofern auch auf verbotene Vereinigungen übertragen werden.
Der Bundesgerichtshof – in Bezug auf die illegalisierte KPD
Vor allem in den 1950er und 1960er Jahren stellte sich die Frage: Was von dem, was (ehemalige) Mitglieder der 1956 für verfassungswidrig erklärten KPD eventuell weiterhin (gemeinsam) machen, ist eine Fortführung einer für verfassungswidrig erklärten Partei, was die Bildung einer Ersatzorganisation für eine solche Partei und was ist Unterstützung für eine solche Partei oder Ersatzorganisation?
Der von Alt-Nazis durchsetzte Bundesgerichtshof, dessen Rechtsprechung zum damaligen Politischen Strafrecht alles andere als liberal war, entschied immerhin:
„Geht der Zusammenhalt ehemaliger Mitglieder zwar auf ihre frühere Zugehörigkeit zu der Partei usw. zurück, beruht er aber nicht mehr auf ihrem Willen, Ziele zu verfolgen, die zum Verbot geführt haben, sondern auf persönlichen Beziehungen (Freundschaften, geselliger Verkehr usw), so fehlt es am ‚organisatorischen‘ Zusammenhalt. Daß die Beziehungen auf der gemeinsamen politischen Gesinnung der früheren Mitglieder beruhen, erfüllt den Tatbestand des Gesetzes für sich allein noch nicht. Im Rechtsstaat gibt es kein Gesinnungsstrafrecht. Die früheren Mitglieder sind nicht gehindert, sich zu einer neuen Vereinigung zusammenzuschließen, die nicht die verbotenen Ziele weiterverfolgt […]. Insofern bleibt das Grundrecht der Mitglieder der verbotenen Vereinigung, Vereine und Gesellschaften zu bilden, unangetastet.“
(BGHSt 20, 287 – 292 [289]; https://research.wolterskluwer-online.de/document/ca514a79-f54b-4405-bdb6-8fb6f4af47cc, Textziffer 16)
Auch an dieser Entscheidung, die – trotz der zitierten Passage – den „Angeklagte wegen Verstosses gegen das KPD-Verbot (§ 90 a Abs. 2 StGB) in Tateinheit mit Beihilfe zur Geheimbündelei, begangen in verfassungsfeindlicher Absicht, (§§ 128, 49, 94 StGB) verurteilt[e]“, wirkten unter anderem Richter Kurt Weber [8] und Richter Dr. Heinz Wiefels mit. Letzterer war ab 1933 Mitglied der NSDAP; ersterer folgte 1934 seiner jüdischen Geliebten nicht ins niederländische Exil; statt dessen trat er 1934 in den NS-Rechtswahrerbund, 1936 in die NS-Volkswohlfahrt (NSV), 1937 in die NSDAP und in das NS-Kraftfahrkorps ein. [9]
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde:
„Der Angeklagte, seit 1945 Mitglied der KPD und bis zum Verbot der Partei kommunistischer Stadtrat in Mainz sowie Mitglied der KPD-Landesleitung, war einer der 34 sog. Direktkandidaten, die sich im Sommer 1961 als ‚kommunistische Einzelkandidaten‘ am Bundestagswahlkampf beteiligten. Im Wahlkreis Mainz-Bingen auftretend, warb er in einem Rundbrief und in einem Flugblatt für seine Kandidatur. Seine Wahlbewerbung wurde jedoch vom Kreis- und Landeswahlausschuß nicht zugelassen. Daraufhin riet er in einem Aufruf, der noch in der Druckerei beschlagnahmt werden konnte, und in einem Gespräch, das er mit der kommunistisch eingestellten Zeitung ‚Mainzer Ruf‘ führte und von ihr veröffentlichen ließ, zur Wahl der DFU, wie dies damals alle kommunistischen Einzelkandidaten, meist der Weisung der KPD folgend, taten. – Schon im Herbst 1959 hatte der Angeklagte den Philipp Lott, der in der für Rheinland-Pfalz gebildeten Untergliederung des ‚Gesamtdeutschen Arbeitskreises für Landwirtschaft und Forsten‘ (GALF) tätig war, mit dem von Ost-Berlin gekommenen KPD-Funktionär G. zusammengebracht.“
(https://research.wolterskluwer-online.de/document/ca514a79-f54b-4405-bdb6-8fb6f4af47cc, Textziffer 1)
Das Bayerische Oberste Landesgericht – in Bezug auf die RAF
Das Bayerische Oberste Landesgericht hatte sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahren – zu einem Zeitpunkt, als die RAF schon längere Zeit mehr keine Aktionen durchführte, die die Tatbestandsmerkmalen des § 129a StGB damaliger Fassung erfüllten – mit der Frage zu beschäftigen, ob für die RAF nun noch in strafbarer Weise „geworben“ werden kann. Das Gericht entschied dazu:
„Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 129a III StGB wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bestraft, wer u. a. für eine in Absatz 1 bezeichnete Vereinigung wirbt, also für eine solche, ‚deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf gerichtet sind‘, eine der unter den Ziff. 1 – 3 aufgeführten Katalogtaten (u. a. Mord- und Totschlag) zu begehen. Nach diesem klaren Gesetzeswortlaut setzt das Werben für eine terroristische Vereinigung die objektive Existenz nicht nur irgendeiner, sondern gerade einer solchen Vereinigung voraus, die nach den im Gesetz aufgeführten Merkmalen als terroristisch gekennzeichnet ist.“
„Dem Senat liegen jedenfalls keine zureichenden Beweismittel dafür vor, daß zur Tatzeit wenigstens noch eine – wenn auch nicht mehr terroristisch handelnde – funktionsfähige Gruppierung existiere, deren Mitglieder als Nachfolgegeneration der RAF-Gründer angesehen werden können. Dagegen spricht jedenfalls die Äußerung im Papier vom 9.12.1996: ‚Das RAF-Konzept ist überholt.‘ Da somit der Fortbestand der RAF als organisatorischer Zusammenschluß nicht nachweisbar ist und von der Existenz der RAF als terroristische Vereinigung zur Tatzeit erst recht nicht ausgegangen werden kann, kommt eine Verurteilung des Angekl. im Sinne des Anklagevorwurfs (§ 129 a III StGB) nicht in Betracht. Der (untaugliche) Versuch der Werbung für eine terroristische Vereinigung ist nicht strafbar (§ 23 I StGB).“
(Bay. Ob. LG, NJW 1998, 2542 – 2544 [2542 f., 2544]; Hv. i.O.)
Nun also meine zweite Frage an das Amtsgericht Karlsruhe
Wie, liebes Amtsgericht Karlsruhe, konnten Sie also auf die Idee kommen, den Verdacht einer Unterstützung der „Vereinigung ‚www.linksunten.indymedia.org‘“ (oder auch des früheren BetreiberInnen-Kreises der Webseite linksunten.indymedia.org, der aber vielmehr „IMC Linksunten“ hieß) zu bejahen, ohne auch nur zur zu prüfen, ob das Verbotsobjekt überhaupt (noch) existiert – also (weiterhin) unterstützt kann?
Anmerkungen
[1] „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html)
[2] „(1) Wer als Rädelsführer oder Hintermann im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes den organisatorischen Zusammenhalt
1. einer Partei oder Vereinigung, von der im Verfahren nach § 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei ist, oder
2. einer Vereinigung, die unanfechtbar verboten ist, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung ist,
aufrechterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Der Versuch ist strafbar.
(2) Wer sich in einer Partei oder Vereinigung der in Absatz 1 bezeichneten Art als Mitglied betätigt oder wer ihren organisatorischen Zusammenhalt oder ihre weitere Betätigung unterstützt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(3) § 84 Abs. 4 und 5 gilt entsprechend.“ (http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__85.html)
[3] Üblicherweise werden Webseiten mit Subdomain so strukturiert, daß der Name der Subdomain das „www.“ substituiert. Zum Beispiel
• funktioniert auch die Angabe von https://dip.bundestag.de und dip.bundestag.de in der Browser-Adresszeile
• aber https://www.dip.bundestag.de führt zu keinem Inhalt.
[4] „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“ / „Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.“
[5] „Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“
[6] http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129.html / http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129a.html / http://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__129b.html.
[7] Siehe das Interview, das ich am Montagabend dem Freien Sender-Kombinat (FSK) Hamburg gegeben hatte (https://www.freie-radios.net/119906, – einleitend – ab circa Minute 11:00 und vor allem ab Minute 15:00).
[8] Es gab auch einen BGH-Richter Reinhold Weber (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Richter_am_Bundesgerichtshof#W), der allerdings auch NSDAP-Mitglied war.
[9] https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kurt_Weber_(Richter,_1907)&oldid=227247160.
[10] Biographische Angaben zu den beiden genannten, beteiligten Richtern:
- Klaus Schäfer, Der Prozess gegen Otto John. Ein Beitrag zur Justizgeschichte der frühen Bundesrepublik, Tectum: Marburg, 2009 [zugleich Diss. Uni Frankfurt am Main, 2009],
- S. 162 – 166: Abschnitt J. II. 2. Kurt Weber als Untersuchungsrichter
- S. 172: Abschnitt J. II. 7. Heinz Wiefels (dort die Angabe: „Eintritt in die NSDAP als Referendar in Krefeld am 1.5.1933).
- Ulf Gutfleisch, Staatsschutzstrafrecht in der Bundesrepublik Deutschland 1951-1968, BWV: Berlin, 2014, S. 340 – 342, 343: Siebentes Kapitel Zentrale Protagonisten des Staatsschutzstrafrechts.
Die Fragen sind sehr interessant, toller Einblick;)
Gruß
Fred