vonutopiensucht 26.02.2021

Utopiensucht

Alltagsbanalität trifft auf sprachliche Vielfalt. Und wie Achtsamkeit der Gegenwart die Socken auszieht.

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„Eisenach?“

„Eisenach.“

„Eisenach?“

„Eisenach!“

„Joa, des is bestimmt ne schöne Gegend!“

„Wollten wir nich auch dahin?“

„Joa.“

„Ja hömma, hört sich jut an!“

„Eisenach…“

Nachdenklich, sehnsüchtig klingt das letzte „Eisenach“.

„Wo liegt denn das?“

„Irgendwo im Osten.“

 

In Thüringen liegt das.

War ich da mal?

Nein, aber ich weiß sowas. Mein Kopf ist voller Faktenwissen. Ich laufe durch die Einkaufsstraße von Köln-Porz, die diesem Namen kaum würdig ist. Was will ich nochmal hier? Und mit abgesetzten Kopfhörern, die mich sonst durch langweilige Welten tragen, höre ich zwangsläufig den Volksmündern zu. Durch Dr. Daniel Glaser (einem ehemaligen Neurowissenschaftler, der einen tollen Podcast gemacht hat) weiß ich nämlich, dass wir Sinneseindrücke höchstens ausblenden können, wenn unser Kopf vor lauter Input komplett überfordert ist.

Ich war also aufmerksam. Ich war auch nicht eingenommen vom Träumen von Gestern oder Plänen von morgen. Selbst dabei hätte ich dieses bizarre Gezwitscher zweier grauhaariger Paare wahrgenommen. Der Sinn sprachlicher Fertigkeit ist definitiv nicht allein durch reine Informationsvermittlung zu definieren. Alle sie kannten Eisenach. Also vom Namen her. Aber alle mussten sich dessen erstmal vergewissern, indem sie sich das Wort auf den Lippen zergehen ließen.

Eisenach… Langsam packt es auch mich.

Und ihren Worten nach war auch niemand von ihnen bisher da. Es ist auch für sie ein Nicht-Ort, ein Sehnsuchts-Ort. (Die Erwartungen an die Urlaubswünsche passen sich wohl den Umständen an.) „Eisenach“ ist also auch bisher nur ein Wort. Genauer: Es ist Faktenwissen. Es ist Information, so nichtssagend diese Konversation auch gewesen sein mag.

Ich schaue zurück und ich sehe sie sich in ihren FFP2s auf der Kirchenmauer im Sonnenschein niederlassen. Der Straßenmusiker daneben stimmt auf dem Akkordeon ein bekanntes Gedudel an.

Diese Szene werde ich so schnell nicht vergessen. Aber das liegt nicht an dem funktionalen System in meinem Gehirn, das Informationen speichert. Wie ich ebenso von Dr. Daniel Glaser vom King’s College London weiß, speichert sich die lebhafte Erinnerung ins prozedurale Gedächtnis ein, nicht ins Fakten-System. Und was diese Informationen ausmacht, ist ja gerade, dass sie eigentlich gar keine Informationen sind. Sie sind Eindrücke, Gefühle in einem erlebten, oder zumindest eingebildet lebhaften Kontext.

Gibt es also da kleine abgespeicherte Filmchen in unserem Kopf? Natürlich nicht. Aus dem Podcast weiß ich ebenfalls, dass man im Prinzip eine abstrahierte Version von Erinnerung im Kopf hat. Und jedes Mal, wenn ich mich erinnere, vergegenwärtige ich die Szene von Neuem. Im Prinzip erschaffe und erlebe ich sie jedes Mal neu!

Und das jedes Mal natürlich auch in einem etwas veränderten Zustand. Und dabei kann ich sogar das Gerüst der abstrahierten Version etwas umbauen. Mir im Prinzip meine Vorstellung meiner Vergangenheit umbauen – meine persönliche Geschichte aktualisieren.

Ich laufe weiter auf der dreckigen Einkaufsstraße von Porz. Hier ist wieder was los und ich lass die Kopfhörer draußen. Da hat sich eine kleine Gruppe Menschen, denen die OP-Masken lose ums Kinn schlackern, um zwei ferkelgroße Hündchen gebildet, die nicht aufhören wollen zu kläffen – was wohl ihre Frau- und Herrchen wenig interessiert, die ein angeregtes Gespräch führen.

 

„Mops?“

„Pekinese!“

„Mops!“

„Vielleicht beides.“

„Pekinese?“

„Oder so ein Zwischending?“

„Joa, vielleicht.“

„Mops-Pekinese!“

„Aber Möpse sehen doch anders aus.“

„Ne.“

„Na doch!“

 

Es war ein Pekinese. Belesene BildungsbürgerInnen wissen aus dem schlauen Internet: „Das Wesen des Pekinesen vereint Wachsamkeit und Selbstbewusstsein mit Anhänglichkeit. Seinen Menschen gegenüber ist er treu ergeben, auf Fremde reagiert der Pekinese häufig mit arrogant wirkender Distanz.“

Das ist schon irgendwie lustig hier.

Aber will ich das Gerede von Pekinesen/Möpsen und Eisenach als Sehnsuchtsort mehr als einmal hören? Bin ich hier bei „meinen Menschen“, sprich meinem Rudel, oder bin ich hier bei „Fremden“? Lebt das Wesen der Porzer wie das seiner Hunde auch von Wachsamkeit, Selbstbewusstsein und Fremdenhass?

Ich glaube, ich laufe mal wieder Gefahr, mich mit Klischees zufrieden zu geben. Ein klarer Fortschritt, dass ich das mittlerweile meist im Prozess schon bemerke. Trotzdem mag ich Gespräche mit Substanz, und Wölfe mag ich lieber als Handtaschen-Hunde. Vielleicht packt mich ja auch der Trend auf’s Land zu ziehen.

Mein prozedurales Gedächtnis macht nostalgische Purzelbäume hin zu meinem Best of Naturmomente…

Und Berlin war mal für mich einfach nur die Hauptstadt von Deutschland, bevor ich dahingezogen bin. Jetzt weiß ich, nächsten Monat bin ich (endlich) da weg. Ist das nun noch Faktenwissen? Die propagierte Klarheit von Fakten scheint mir zunehmend schwammiger als gedacht.

Irgendwie auch erleichternd.

Ich glaub die Grauhaarigen hatten auch gar nicht von Eisenach geredet. Vielleicht war es Andernach? Aber in meiner Erinnerung hört sich Eisenach jetzt halt am besten an.

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