vondie verantwortlichen 20.01.2020

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Der Hambacher Forst ist in den letzten Jahren zum Symbol für die deutsche Klimapolitik geworden. Und er ist ein Ort, mit dem sich all die Bewegungen identifizieren, die für den Schutz von Wäldern und für ihre Zukunft kämpfen.

Mit dem Kabinettsbeschluss zum Kohlekompromiss hat die Bundesregierung entschieden, dass die Bäume im Hambacher Forst stehen bleiben. Die Verantwortung für die Details allerdings werden zwischen der Landesregierung von NRW und RWE hin und her geschoben. Von dort wiederum kommt die Mitteilung, man werde die umliegenden Dörfer abbaggern. Die Verbindung zum Grundwasser würde damit gekappt, die Bäume können so nicht überleben.

Der ehemalige Wald stünde, wenn man die RWE-Pläne ernst nimmt,  deutlich erhöht, wie eine Insel in der Mondlandschaft des Tagebaus. Er wäre kilometerweit sichtbar, ein Wallfahrsort aus toten Bäumen, mit dem Festland durch eine Landbrücke verbunden. Er würde zu einem symbolischen Arrangement, einem Bild, ähnlich wie z. B. das vom  Mont Saint-Michel in der Bretagne, die Frankreich-Fans kennen ihn. Nur eben sehr viel trauriger. Nordrhein-Westfalen hätte dann der katastrophalen Energiepolitik der letzten Jahrzehnte ein weiteres Denkmal errichtet, nach dem „Schnellen Brüter“ in Kalkar, dessen Rohbau inzwischen immerhin als Spaßbad dient, oder auch dem Atomkraftwerk Mühlheim-Kärlich, das vor 40 Jahren entgegen allen Warnungen in einer erdbebengefährdeten Region errichtet worden war und derzeit wieder abgerissen wird, ohne jemals Strom eingespeist zu haben.

Jetzt also die Idee mit dem Totwalddenkmal. Sie wird eine globale Ausstrahlung haben.

Wie kann es passieren, dass eine demokratisch gewählte Regierung mitten im Land ein Symbol für die eigene Planungs- und Zukunftsunfähigkeit errichtet? Eine Antwort könnte sein: Die MinisterInnen von SPD und CDU/CSU gehen davon aus, dass der Teil der WählerInnen, der Klimaschutz wichtig findet, schon zu den Grünen abgewandert ist. Also befriedigt man andere politiknahe Klientele, ein paar Gewerkschaftsfunktionäre zum Beispiel, und die Interessenvertreter der alten Energiewirtschaft. Das aufgeregte Volk, so mag man sich denken, wird dann irgendwann wieder normal werden. Man beschließt also einfach irgendetwas, um die Sache vom Tisch zu kriegen.

Die zweite Möglichkeit: Die Dadaisten der 1920er Jahre sind wieder auferstanden. Oder das Zentrum für Politische Schönheit hat sich an den Kabinettstisch geschlichen und die Vorlage manipuliert. Übersetzt in den Polit-Alltag: Die MinisterInnen wussten nicht, was sie beschlossen haben. Im Dauerstreit zwischen den Anhängern der Energiewende im Umwelt- und ihren Gegnern im Wirtschaftsministerium ist die Kontrolle verloren gegangen, der Apparat dreht leer. Das ist leider überhaupt nicht komisch. Denn es bedeutet ja: Wenn Frau Merkel gerade mit etwas anderem beschäftigt ist (z. B. Libyen), ist kein Erwachsener mehr im Raum, der die Mindeststandards rationaler Regierungsarbeit garantieren könnte.

Es ist ein schlimmer Beschluss. Wie gesagt: Nicht wegen des Waldes, um den es schade ist, aber Wälder werden auch anderswo abgeholzt. Auch nicht wegen der verschenkten Steuergelder für Kraftwerke, die durch die CO2-Abgaben ohnehin unrentabel geworden wären. Und auch nicht wegen der Aufkündigung des (durch die Entwicklungen des letzten Jahres ohnehin überholten) Kohlekompromisses durch die Regierung. Sondern wegen seiner Wirkung auf die Menschen. Denn er  macht allen aufgeweckten, klugen und für das Gemeinwesen engagierten Bürgerinnen und Bürgern die Mitteilung: Ihr seid uns vollkommen egal. Was Ihr denkt, was Ihr euch wünscht, das ihr fürchtet und empfindet, wie immer ihr Euch Eure Zukunft vorstellt, es interessiert uns nicht.

Die Botschaft ist bereits angekommen. Fotos von brennenden Barrikaden machen die Runde. Wenn manche Verfassungsschützer vor einem neuem Linksterrorismus warnen zu müssen glauben: Hier könnten sie live erleben, wie eine Regierung einen sinnlosen, gleichzeitig aber hoch brisanten Konflikt sehenden Auges schürt.

Dass so irgendein reales wirtschaftliches oder politisches Ziel erreicht werden wird, z. B. längere Laufzeiten für die Kohle, ist höchst unwahrscheinlich. Diese Gesellschaft ist längst zu klug und zu wach, als dass sie auf Dauer derart mit sich und ihrer Klimazukunft umspringen ließe. Bevor die RWE-Pläne Wirklichkeit werden können, müssen Verwaltungen und Gerichte eingeschaltet werden. Das wird so also nicht kommen.

Es geht längst beim Hambacher Forst längst nicht mehr um die politische Vermittlung zwischen gegensätzlichen Interessen – es geht um ein Symbol für die Gestaltung eines Konfliktes. Bundes- und Landesregierung und der Vorstand der RWE haben damit einen großen Teil der Verantwortung übernommen, falls demnächst Einzelne oder Gruppen von meist sehr begabten, sensiblen und jungen Leuten das Abwarten nicht mehr aushalten und stattdessen ihre eigene Biographie ruinieren. Wenn sie der  Illusion aufsitzen, radikalere Mittel könnten in einer Demokratie mehr Menschen überzeugen (alle Erfahrungen beweisen das Gegenteil). Wenn sie auf den Zynismus von RWE  und die Absurdität der Vorschläge mit ebenso absurder Gewalt antworten.

Dann allerdings könnte der Konflikt den schrumpfenden ehemaligen Volksparteien helfen, sich doch wieder zu regenerieren. Nicht als Schützer des Klimas und Gestalter der Zukunft, sondern schlicht als Ordnungsmächte.

Deshalb hängt die Zukunft des Hambacher Forsts jetzt von den AktivistInnen ab. Nämlich: Von ihrer radikalen Geduld.

 

 

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