vondie verantwortlichen 12.02.2020

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Als vor einigen Wochen Alexander Gauland im Hamburger Rathaus über Konservatismus sprechen sollte – die AfD-Fraktion hatte ihn eingeladen –, da kannte er nur ein Thema: Die Zusammenarbeit der Afd mit den „bürgerlichen“ Parteien gegen die anderen, die nicht „bürgerlichen“. Seit den jüngsten Erdrutschen geistert dieses Wort wie ein Irrlicht durch die Öffentlichkeit.

Was bedeutet es für den, der in Deutschland die Deutungshoheit beansprucht? Gaulands  Erzählung beginnt auch hier mit einem Opfermythos: Bürgerlichkeit sei ein „verlorener Posten“, so sagte er in Hamburg, sie sei nahezu verschwunden, insbesondere die Bildungsbürger seien marginalisiert. Wie „bürgerliche“ Parteien dann Mehrheiten bilden können, wäre insofern ein Rätsel. Er übergeht dieses Problem, indem er das Wort als reinen  Gegenbegriff verwendet. Er grenzt damit je nach aktueller Situation ab, wen er zu den  Freunden und wen er zu den Feinden zählen möchte.

In Wirklichkeit hat das Wort “bürgerlich” viele Schichten alter Bedeutungen längst abgestreift. In linken und linksradikalen Milieus beschrieb es bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts die „andere Seite“: die Reichen und Kapitalisten, die Villenbewohner, die Leute mit Abitur, die Frauen im Kostüm und Kinder mit Geigenkasten. Dabei ging es um Lebensstildifferenzen, die sich längst in der Mehrheitsgesellschaft verschliffen haben. Politischer waren die Diskussionen über eine „bürgerliche“ Wissenschaft und eine „bürgerliche Klassenjustiz“, die angeblich denen unten die Sichtweisen, die Moral und die Interessen derer oben aufzwang. Inzwischen ist das Schnee von gestern. Nicht, weil die Privilegien der Bessergestellten oder die Benachteiligung von Unterschichten verschwunden wären, sondern weil sie niemand mehr als Klassengegensätze beschreibt.

Tatsächlich hat sich die bürgerliche Welt längst in die modernen Gesellschaften hinein aufgelöst. Wir alle leben in einer Bürgergesellschaft, einer Gesellschaft prinzipiell gleicher Rechte. Die doppelte Abgrenzung des Bürgertums sowohl nach oben, gegen Geburtsprivilegien des Adels, als auch nach unten, gegen Bauern, Arme, Handwerksgesellen, ist hinfällig geworden. Sie hatte ihren Sinn, als nur „bürgerliche“ Menschen Eigentum besaßen, das ihnen das Bürgerrecht einer Stadt sicherte, deshalb das Wahlrecht erhielten, das Recht zu heiraten, Leute, die mindestens ein Dienstmädchen beschäftigten, die Kirche besuchten und sich um höhere Bildung bemühten. In einer Stadt wie Wien zählte man um 1800 unter 300.000 Stadtbewohnern nur 37. 590 Ehen, uneheliche Geburt war infolgedessen alltäglich, für die Betroffenen, die um ein legitimes Leben als Paar und Familie rangen, aber eine Katastrophe. Die Nicht-Bürgerlichen standen für soziale Unruhe, öffentliche Unsicherheit, sexuelle Unordnung, häufigen Hunger, Analphabetismus und mangelnden Glauben. All das änderte sich Schritt für Schritt, insbesondere durch die Freigabe des Eherechts 1875, durch die demokratischen Verfassungen von 1918 und 1949, seit ein paar Jahren haben wir die staatlich sanktionierte Ehe für alle. Das Bürgertum im ursprünglichen Sinn war hingegen immer eine kleine Schicht, noch in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts machten nur 3-5 % der Bevölkerung ein Abitur.

Die Politik lief diesen sozialen Veränderungen lange hinterher. Die „bürgerlichen“ Parteien, also CDU und FDP versuchten noch in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts, ihre Klientel durch Abgrenzung „nach unten“ zu mobilisieren, indem sie Sozialdemokraten und andere Linke als „vaterlandslose Gesellen“, rote Socken, angebliche Hilfstruppen des kommunistischen Ostblocks, anprangerten.

Nur hatte das Wort da seinen Sinn längst verloren. Gleiche Rechte sind nicht mehr an einen sozialen Status gebunden, und inzwischen macht die Hälfte der Jugendlichen einen höheren Bildungsabschluss. Zwar sind die Einkommensunterschiede zuletzt wieder gewachsen, kleine Selbstständige verdienen aber meist schlechter als die „verbürgerlichte“ Arbeiterklasse. Die Dienstboten sind verschwunden, die Wohnungen der „Besserverdienenden“ werden von Menschen geputzt, die über eigene Wohnungen verfügten. Bauern, soweit es sie noch gibt, sind Unternehmer, und auch auf dem Land wird nicht mehr gehungert.

Die von der AfD versuchte Konstruktion eines „bürgerlichen Lagers“ versucht zwar, die alten Ab- und Ausgrenzungsmechanismen politisch wieder wirksam zu machen. Oder sie neu zu erfinden – wie Gauland, für den es „nicht bürgerlich“ ist, „Entscheidungen an übernationale Institutionen zu delegieren“. Mit den programmatischen Unterschieden zwischen den Parteien hat sie nichts mehr zu tun.

Tatsächlich genügt ein Blick nach Europa. Frankreichs „bürgerliche“ Konservative haben sich nach einem Versuch, den rechtsextremistischen Front National rassistisch zu überbieten, de facto aufgelöst. In Italien schluckt Salvinis rassistische Lega die konservativen Parteien. „Bürgerlich“ ist dort, wie in Großbritannien, längst keine Bezeichnung für demokratische oder überhaupt für Vernunft, sondern für das Gegenteil: für die extremistische Zuspitzung von Gegensätzen bis zur rechtsextremen Hegemonie.

Der überaus „bürgerlich“ auftretende Gauland ist bekanntlich in Deutschland der strategische Kopf hinter dieser Jagd nach der Macht. Und er plaudert gern aus dem Nähkästchen. Bürgerliche seien früher nicht nur „konservativ“, sondern auch liberal gewesen. Das habe zu dem Irrtum seiner Generation geführt, die Linken und Linksliberalen zu fördern. Linksgrüne sozialistische Vorstellungen seien deshalb in sämtliche Institutionen eingedrungen. Noch einmal Hamburg: Gefragt, ob es möglich sei, die vor dem Versammlungssaal protestierenden Jugendlichen später zu „integrieren“, kennt der 78-jährige alte Herr deren Zukunft: Das brauche man nicht zu versuchen, das sei unmöglich. Vielmehr müsse man in allen Institutionen künftig dafür sorgen, dass solche Leute nichts zu sagen hätten. In Deutschland sei dieser Kampf auch in den Medien verloren, selbst „Welt“ und FAZ seien inzwischen auf der anderen Seite, es gebe nur noch die NZZ.  Was bürgerlicher Konservatismus sei, erklärt er anhand der aktuellen „Klimahysterie“, die Konservative nicht mitmachten. Schließlich sei es „närrisch“, aufgrund von „Hypothesen“ den Wohlstand des Landes aufs Spiel zu setzen. 96 % der CO2-Emissionen seien natürlichen Ursprungs, Deutschland sei nur für 2 % von den restlichen 4 % verantwortlich, da brauche es keine Klimapolitik. Am Ende bekam er stehende Ovationen. Als der kulturpolitische Sprecher seiner Partei anschließend die Forderung nach einer „Kulturrevolution“ erhob, um die Institutionen aus dem Griff der Linken zu befreien, wurde er ebenfalls lebhaft beklatscht.

Man kann nach alledem nicht behaupten, dass die politische Idee hinter dem Appell zur Zusammenarbeit der „bürgerlichen“ Parteien mit der „konservativ-demokratischen“ AfD schwer zu verstehen sei. Sie spielt verbal mit eben jenen Gegensätzen, die auch CDU und FDP in besseren Zeiten nutzten, obwohl sie ihre gesellschaftliche Grundlage schon damals längst verloren hatten.  Hier hingegen geht es um die Konstruktion einer neuen politischen Spaltungslinie, die der Partei Zugang zur Macht verschaffen soll. Dass sie diese Macht zur Ausgrenzung  von Andersdenkenden verwenden will, kündigt sie offen an.

Es wäre demnach politisch an der Zeit, sich auf eine Erkenntnis zu einigen, sie bedeutet einen seltenen Erfolg der Zivilität: Es gibt in Deutschland nur noch bürgerlich-demokratische Parteien. Mit einer Ausnahme: der AfD.

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