vondie verantwortlichen 26.06.2020

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Wer in Deutschland Zugang zu den Medien hat, kannte das Problem seit langem. Überbelegte Baracken, extreme Arbeitsbelastung, keinerlei Rechte – das ist es, was das Leben von „Vertragsarbeitern“ aus Osteuropa in Deutschland üblicherweise prägt.

Es kannten also alle die Infektionsgefahr. Die Behörden, hier also die Kreis- und die Landesverwaltung, haben trotzdem keinen Anlass gesehen, bei Tönnies in Gütersloh zu kontrollieren. Das Tönnies-Management wird das geahnt und sich auch deshalb den Aufwand mit den Schutzmaßnahmen gespart haben.

Die erste Frage lautet also: Wer ist für den akuten Ausbruch verantwortlich? Wer hätte in den letzten Wochen die Pflicht gehabt, vorsorgend zu handeln und hat es unterlassen?

Zu klären ist aber auch, wer die durch Corona noch deutlicher sichtbar gewordenen Verhältnisse zu verantworten hat. Wer persönlich bzw. welche Parteien und Institutionen – sie seit Jahrzehnten gefördert, geschützt, rechtlich gedeckt, öffentlich verteidigt und davon profitiert  haben.

Wie gesagt: Die Medienöffentlichkeit hat, was den ersten Punkt angeht ihre Arbeit vorbildlich erledigt. Sie hat uns informiert: Menschen aus Osteuropa wohnen zu zehnt auf 50 Quadratmetern, die Firmen, „Subunternehmer“, die sie an Tönnies weiterverkaufen, kassieren 300 Euro pro Bett, 3000 Euro im Monat pro Wohnung. Das alles steht jetzt wieder in allen Zeitungen. Die miese Bezahlung und die extremen Belastungen bei der Arbeit, der banale Trick mit den Werkverträgen, der den ArbeitnehmerInnen sämtliche Rechte nimmt. Proteste der Gewerkschaften, die ignoriert und gefühlt zehntausend Anträge von Grünen und Linken in den Parlamenten, die niedergestimmt wurden.

Jetzt allerdings sind die Herren Herren Laschet und Laumann, der Landrat Adenauer, die zuständigen MinisterInnen der Berliner GroKo ernsthaft empört. Vor allem über Herrn Tönnies, dem „vertraut“ jetzt niemand mehr. Als ob es um „Vertrauen“ unter Männern ginge, und nicht um Rechtsstaat und soziale Selbstverständlichkeiten. Darum. dass Menschen von weit her angekarrt und und hemmungslos ausgebeutet werden. Leute, die vor Ort niemand kennt, die einfach ausgetauscht werden können, wenn sie Probleme machen oder krank werden. Die jetzt aber plötzlichernst genommen werden müssen, weil sie Virenträger sind und damit gefährlich. Da wird der Landrat doch noch vorsorgend tätig, er hat angekündigt, die Polizeistreifen um die Baracken zu verstärken.

Donald Trump hat einmal von „shithole countries“ gesprochen, darüber haben sich auch in Deutschland viele aufgeregt. Dabei hat Deutschland längst seine eigenen „shitholes“ eingerichtet, Fleischbetriebe und Schlachthöfe z. B., in denen kein Biodeutscher arbeiten will. Die Menschen, die dort, in Gütersloh, aber auch in Flensburg oder Cloppenburg und anderswo arbeiten, kommen aus Osteuropa, vorwiegend Polen und Rumänien. Aus jenem Osteuropa, das Deutschland vor 75 Jahren kolonisieren und versklaven wollte. Millionen aus ihrer Großelterngeneration wurden damals zur Zwangsarbeit hierher verschleppt. Deutschland hat dann zwar den Krieg verloren, die Heimatländer der Arbeitssklaven aber hatten mit den Zerstörungen zu kämpfen und wurden im Ostblock an ihrer Entwicklung gehindert. Deshalb stärken sie jetzt, im demokratischen Europa,  die deutsche Wirtschaft als Billiglöhner. Während ihre Frauen putzen oder die Alten pflegen. Gewiss, historische Gerechtigkeit ist eine Illusion. Aber ein Minimum an Fairness wäre schon viel – in einem Land, das auf seine Erinnerungskultur so besonders stolz ist.

In einer glänzenden Reportage der Süddeutschen Zeitung vom Montag wird Peter Kossen zitiert, ein katholischer Pfarrer aus Lengerich. Kossen spricht von einer Mafia, also einer illegitimen Interessenverflechtung zwischen Wirtschaftsakteuren, Politik und Behörden. Deshalb glaubt er nicht, dass die aktuelle Aufregung etwas ändern wird. Stattdessen macht er sich Sorgen über die rassistischen Anfeindungen, denen Arbeiter jetzt verstärkt ausgesetzt seien – eine deutsche Traditionslinie, die auch von den handelnden Politikern weiter am Leben gehalten wird.

Der Bundesarbeitsminister hat unterdessen angekündigt, er wolle bis Ende des Jahres die Umgehung von Arbeitsschutzgesetzen mittels Werkverträgen verbieten. Herr Tönnies findet das prima, er wird bis dahin längst selbst ohne solche Verträge auskommen. Wie er das machen und welche „Kompromisse“, die dann ja viele Millionen Menschen betreffen, die Politik vorschlagen wird, darf man gespannt sein. Es muss sich schließlich etwas ändern, damit es bleiben kann, wie es ist.

Die politische Verantwortung für den Corona-Ausbruch und für die elenden Zustände, die ihn ermöglicht haben, wird unterdessen mit allen Mitteln der politischen Maskerade in den Hintergrund geschoben.

Das ist das einzig wirklich Überraschende an der Corona-Krise in Gütersloh: Dass, vom Firmeneigner Tönnies abgesehen – dem das egal sein kann – niemand öffentlich zur Verantwortung gezogen wird. Nicht Landrat Sven-Georg Adenauer, der so stolz ist auf seine guten Beziehungen zu Herrn Tönnies und dessen Wohnungsamt seit vielen Jahren die unsäglichen Wohnverhältnisse duldet – jene überbelegten Baracken, in denen jetzt 7000 Menschen für 14 Tage eingesperrt werden. Nicht der Gesundheitsminister Laumann, dessen Beamte auf Kontrollen im größten Fleischbetrieb des Landes auch dann noch verzichtet haben, als aus anderen Bundesländern bekannt war, dass dort ein hotspot liegen würde. Nicht Ministerpräsident Laschet, der das alles weglächelt und hofft, dadurch Bundeskanzler zu werden. Und schon gar nicht die Bundesregierung oder die sie tragenden Parteien, die sich inzwischen als scharfe KritikerInnen maskiert haben.

Ja, richtig, es gibt die Medien, denen wir all das Wissen verdanken. Nur vernachlässigen diese glänzenden Berichterstatter sträflich den zweiten Teil ihrer Aufgabe: Die Aufklärung über Verantwortlichkeiten und das Einfordern politischer Konsequenzen. Und was die Opposition betrifft, möchte sie im Gefolge des Corona-Burgfriedens wohl nicht allzu persönlich werden. Anstatt Namen zu nennen beschuldigt man lieber eine fiktionale Figur namens „wir alle“. „Wir alle“ meint dabei natürlich in Wahrheit nicht uns selbst sondern einen Teil der Bevölkerung, der Fleisch oder gar Billigfleisch isst, also unsere hohen sozialmoralischen Standards nicht respektiert – was auch daran liegen könnte, dass er über weniger Geld verfügt. Mit „wir alle“ ist der eigentlich Schuldige an der Quälhaltung in der Tiere wie an der Ausbeutung der Menschen gefunden. Wer, wie die Grünen im Bundestag, den Gedanken noch radikal „zuspitzen“ möchte, fordert dann auch noch, Tönnies-Produkte zu boykottieren. Nach dieser eigentlich neoliberalen Logik ist der Staat von seiner Verantwortung entlastet, schließlich entscheiden ja die KundInnen. Die übrigens, als BürgerInnen befragt, diese Art der Fleischproduktion mit überwältigender Mehrheit abschaffen würden. Es fragt sie aber niemand. Offenbar ist es gemütlicher, über Konsumkultur zu philosophieren, als Interessenverflechtungen, staatliche Kontrollpflichten, ArbeitnehmerInnenrechte, Tierschutzgesetze oder ähnlich unangenehme Themen zu bearbeiten.

Bequemer kann man es den Verantwortlichen nicht machen.

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