vondie verantwortlichen 20.10.2020

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Man kann über einen Gegenstand sprechen, man kann aber auch darüber sprechen, wie über den Gegenstand gesprochen wird. Die Analyse von Diskursen ist eine Lieblingsbeschäftigung von Journalistinnen und Intellektuellen, und das völlig zu Recht. Sie kann Zusammenhänge und Machtverhältnisse sichtbar machen, die sonst verborgen blieben. Leider kann sie aber auch machtvoll dazu verwendet werden, Probleme zu umgehen und stattdessen neue zu erfinden.

Ein Problem sei in Deutschland, so war in den letzten Monaten immer wieder zu lesen und zu hören, die „Moralisierung“ der Klimafrage. Zuletzt hat in der Süddeutschen der Autor Hilmar Klute in dieses Horn geblasen.  Greta Thunberg, so stellt er fest, sei es dadurch gelungen, sich als „personifiziertes Weltgewissen“ zu etablieren,  „hohe staatliche Ehrungen“ zu erhalten und „von Regierungschefs weltweit empfangen“ zu werden.

Nun redet Greta Thunberg nicht über Moral, sondern über die Klimakrise, insbesondere also über Emissionen und darüber, was Staat, Gesellschaft und jede und jeder Einzelne tun sollten, um sie zu vermindern. Als „moralisch“ wird ihre Sprache von anderen qualifiziert. So auch von Hilmar Klute: „Abgesehen von der naturgegebenen Unsicherheit gilt die Zukunft heute vor allem durch den Klimawandel als gefährdet, weshalb ja moralisches Gewissen direkt auf das Alltagsverhalten zielt.“Exemplarisch  ist diese Formulierung aus zwei Gründen. Zum einen: Klute zufolge „gilt“ die Zukunft – „vor allem durch den Klimawandel“ als gefährdet. Ob sie es ist oder nicht, lässt der Autor offen. Der menschengemachte Klimawandel erscheint insofern nicht als Tatsache, sondern als eine von mehreren möglichen Meinungen. Würde er im ersten Teil des Satzes feststellen, dass tatsächlich „… die Zukunft heute vor allem durch den Klimawandel gefährdet“ IST, würde aus der Forderung nach Veränderung des Alltagsverhaltens eine logische Schlussfolgerung – und allenfalls in zweiter Linie eine moralische Gewissensfrage. Man könnte dann zwar über die Details, über das „wie“ diskutieren, aber nicht über das „ob“.  Der Vorwurf an Fridays for Future, den öffentlichen Diskurs durch moralisierende Zumutungen zu überladen, basiert also letztlich auf der Entscheidung, die Frage nach der Wirklichkeit der Klimakrise offen zu lassen.

Nun kommt es in Deutschland oder Europa nicht gut an, die menschengemachte Klimaveränderung zu leugnen. Sie so ernst zu nehmen, wie Greta Thunberg und Fridays for Future das tun, aber erst recht nicht. Die Klimakrise als historische Wirklichkeit zu behandeln und entsprechende Schlussfolgerungen öffentlich hörbar zu formulieren, erzeugt einen enormen Druck, es erschüttert Gesellschaft und Politik in ihren Grundfesten. Schließlich basiert unsere politische Ordnung nicht nur auf regelmäßig gezahlten Gehältern sondern auch auf dem Versprechen des Staates, die gemeinsame Zukunft zu sichern. Wirtschaft und Institutionen wären also schnellstmöglich klimafreundlich umzubauen. Dabei würde dann allerdings nicht über Moral geredet sondern über Regeln, die selbstverständlich und für alle gelten, über wirksame Gesetze und intensive internationale Verhandlungen.

Bleibt der Klimawandel hingegen im coronageschüttelten Vielerlei die Meinung nur eines Teils der Gesellschaft, braucht man sich mit den entsprechenden Vorschlägen nicht ernsthaft auseinander zu setzen. Der „eigentümliche zwanglose Zwang des besseren Arguments“, überhaupt jedes Argument ist aus dem Spiel. Stattdessen liegt es nahe, gebildet zu sagen: Davon verstehe ich nichts, das ist für die Profis. Klimapolitisch verantwortliches Handeln ist dann eine private Frage, die Vermeidung klimaschädlicher Emissionen ins individuelle, „moralische“ Belieben gestellt. Und denen, die mit Klimapolitik ernst machen wollen, kann man vorwerfen, sie nutzten sie als moralischen Hebel. In Wahrheit gehe es darum, dass ein Teil der Gesellschaft  die eigenen privaten Normen allen anderen aufzuzwingen wolle.

Das Reden von der „Moralisierng” der Klimadebatte hat insofern eine Entscheidung zur Voraussetzung:  Es behandelt die wissenschaftlichen Prognosen und Analysen als „Meinungen“, die zu ignorieren man jedes Recht hat, wenn man anderer „Meinung“ ist. Es ist eine Ausweichbewegung: Getarnt als Diskurskritik schafft es einen vernebelten Raum, in dem die Gesellschaft sich weder über die Sache selbst noch über die daraus zu ziehenden Konsequenzen klar werden muss. Schließlich ist Klimaveränderung ja was mit Naturwissenschaften. Das muss nicht jede/r verstehen, und vieles ist sowieso umstritten. Wie es Donald Trumps Kandidatin für den Supreme Court zum Thema sagte: “I will not express a view on a matter of public policy, especially one that is politically controversial.” So reden die Leute in Trumps Amerika.

Hierzulande macht man stattdessen die angeblichen Methoden zum Thema, mit deren Hilfe neue junge  Eliten Moral und Gewissen nutzbringend einsetzen, Macht erlangen und bei wichtigen Leuten Gesprächstermine bekommen. „Gehlen“, „Hypermoral“, war da nicht was? Genau. Irgendwas. Irgendwie.

Aus den AktivistInnen von Fridays for Future wird so eine unangenehme und im Zweifel auch gefährlich radikale Spezies von  von MoralpredigerInnen, die sich in unseren Alltag einmischen und  dabei den Diskurs verweigern, indem sie unsere Autos, Flugzeuge, Nahrungsmittel oder Kleidungsstücke nach „gut“ und „böse“ unterscheiden – als ob sie nicht seit einem Jahr mit Verantwortlichen fast jeder Couleur längst im Gespräch wären.

Oder eine neue Sorte von „Apokalyptikern“, ebenfalls ein bildungsgeschichtlich bewährtes Motiv, über das der jeweilige Autor manches gelesen hat, Greta Thunberg hingegen eher nicht. Das Einpassen der aktuellen Klimakrise in ein jahrtausendealtes Schema und der Rückgriff auf historische Lektüren haben dabei noch einen angenehmen Nebeneffekt: Sie beruhigen. Vor allem die gute alte  Apokalypse, die ja schließlich nicht stattgefunden hat. Klimapanik: kennen wir schon! Nichts Neues unter der Sonne!

Sich auf das Neue und messbar Reale dieser globalen Krise und der welthistorischen Veränderung einzulassen, die sie erzwingt, könnte Angst machen. So hingegen behalten die jeweiligen AutorInnen, ModeratorInnen und sonstigen ThemensetzerInnen die Sache im Griff. Und dürfen als Schiedsrichter die Haltungsnoten vergeben.

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