vondie verantwortlichen 03.01.2020

Die Verantwortlichen

Roland Schaeffer fragt sich, warum vieles schief läuft und manches gut. Und wer dafür verantwortlich ist.

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Was ist los bei uns? Für Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen “eskaliert” das verballhornte Kinderlied “… den Diskurs als Konfrontation”. Also nimmt er es zum Anlass, für das nächste Jahrzehnt eine “Renaissance der Debattenkultur” zu fordern.

Aber geht es bei dem Lied wirklich um eine Debatte? Wie wäre es mit dieser These: Die Gesellschaft hält das Warten nicht mehr aus. Je gelassener die Regierung hinnimmt, dass die deutschen Klimaziele gerissen und das 1,5 Grad-Ziel unerreichbar werden, desto heftiger geht es im Alltag, zwischen den Menschen, zur Sache. Zumal inzwischen die friedliche Bilder von den Freitagsdemonstrationen durch die Katastrophenfilme aus Amerika und Australien abgelöst worden sind, auf denen alle sehen, wie die Klimazukunft aussehen könnte. Also macht sich die Gesellschaft, oder ihr mobilerer Teil, selbst auf den Weg.  Sie  reist mit der Bahn, schämt sich zu fliegen (tut es häufig trotzdem) und bringt eigene Gefäße zum Abfüllen des Frischkäses auf den Wochenmarkt mit, während führende JournalistInnen ihre Bekehrung zum veganen Leben schildern. Das alles geschieht nicht, weil die Menschen glauben, dass es wirklich hilft, sondern weil es das einzige ist, was man tun kann. Verzweifelt und individuell, jede/r für sich.

Es sind die alltäglichsten Verrichtungen, die heute immer weniger zukunftsfähig erscheinen. Zahllose Details sind umstritten – von der Schweinehaltung und dem Fleischkonsum über die Plastikverpackungen und die Dieselemissionen bis zur Energienutzung.  Dabei gibt keine geraden Konfliktlinien, etwa: BürgerInnen gegen Wirtschaft. Während die Autoindustrie mit ihrer Elektro-Strategie darauf setzt, endlich CO2-freie Mobilität anbieten zu können und dafür einen anderen Strommix braucht, gönnt sich dieses superreiche Land 18 Jahre für den Kohleausstieg. Und es geht rund: LandwirtInnen  gegen Wasserwirtschaft und Insekten, VerbraucherschützerInnen gegen Autokonzerne, Verpackungsindustrie gegen Umweltverbände. Staat und Politik müssten handeln, und weil sie es nicht tun, hauen BürgerInnen und Interessengruppen auf einander ein. Einen Ausweg aus der Sackgasse gibt es für sie nicht: Als Einzelne können wir den Rahmen nicht setzen, der die Zukunft sichert.

Also entstehen, und da sind wir dann bei der Umweltsau, ständig neue Fronten. Schließlich können gerade die harmlosesten Handlungen auch als Aggression gelesen werden. Auf Fleisch verzichten, z. B., (oder Fleisch essen), nicht mehr Auto fahren, zum Verzicht aufs Fliegen aufrufen – was immer ich tue, ich transportiere damit immer zugleich ein ganzes Bündel von sozialen Bedeutungen, sende sie als Botschaften an alle Andern. Ich tue etwas, weil ich es richtig finde, weil ich es mir leisten kann (andere nicht), weil es schön ist und Spaß macht. Oder auch: Weil sonst die Welt zerstört wird, weil es in immer gefährlicher wird, hier zu leben, weil es meine Pflicht als BürgerIn ist.

Das ist gewiss nicht neu: Schließlich wurden Konsumentscheidungen schon immer mit dem Blick auf die Nachbarn getroffen. Und man ließ man die Haare nicht nur deshalb länger wachsen, weil sie dann besser wärmten oder schöner anzusehen waren, sondern auch, um zu provozieren.

Neu ist aber, dass immer mehr Alltagsentscheidungen mit dem Anspruch getroffen werden, Entscheidungen über das Gute schlechthin zu sein, das Überleben der Menschheit, die Zukunft der Kinder, millionenfache Tierquälerei, globale Ausbeutung.  Da kommt schon eine gewisse Strenge auf. Und weil Entscheidungen für etwas auch immer solche gegen etwas anderes sind, gibt es Menschen, die sich angegriffen fühlen. Leute wie jener polnische Außenminister, der schon vor ein paar Jahren vor einer Welt von Radfahrern und Vegetariern warnte, die sich gegen die nationalen polnischen Werte richte. Er hat seither zahllose Anhänger gewonnen. Die einen wollen für sich alles richtig machen, für ihre Ökobilanz und ihr soziales Gewissen. Und die anderen fühlen sich dadurch heftig kritisiert und bedroht. Wir können uns über einfachste Dinge nicht mehr einigen: Kotelett essen, Motorrad fahren, SUV kaufen – die Umweltsau war längst geboren, als sie vor Weihnachten bedichtet wurden.

So bewegt sich der gesellschaftliche Alltag auf der Schneide einer Rasierklinge, während die Regierung in der Abenddämmerung des letzten Merkelkabinetts so tut, als würde sie von alledem nichts merken.

Der Kindervers allerdings hat es jetzt geschafft, mit Armin Laschet einen aussichtsreichen Kanzlerkandidaten zu mobilisieren. Nur nimmt er nicht als Politiker Stellung, der dann für angemessene Problemlösungen verantwortlich wäre, sondern macht sich sorgen um die guten Sitten. „Wo sind Maß und Mitte geblieben?“, fragt er in der ZEIT. Und er konzediert: „Ja, es muss Debatten geben über den besten Weg zum Klimaschutz“. Wie wäre es mit dieser Erklärung: Maß und Mitte sind verloren gegangen, weil es diese Debatten schon viel zu lange gibt und jede/r wissen kann, was zu tun ist. Weil aber entsprechende Taten (und die daraus entstehenden notwendigen und vernünftigen Konflikte über reale politische Alternativen) fehlen, muss ein deutscher Ministerpräsident damit anfangen, Kinderverse zu korrigieren. Die  rechtsextremen Trolle, mit all ihrer Expertise für Feindschaften und Spaltungslinien, haben den Konflikt ohnehin längst bemerkt.

Es ist paradox: Wenn die Politik ihre ureigenste Aufgabe – die Sicherung der Zukunft – einer individualisierten Gesellschaft zuschiebt, erzeugt sie eben die Ängste, die sie durch ihr Nicht-Handeln zu vermeiden versucht. Und während der Neoliberalismus in allen Reden offiziell zu Grabe getragen wird, bestimmt er in Deutschland weiterhin den Alltag. Wir selbst sollen, jede/r für sich, über Fleischqualität, Plastiknutzung oder Wärmedämmung entscheiden. Jede/r ist seines und vor allem seiner Mitwelt Glückes Schmied. Jede/r versucht, seine Ökobilanz zu regeln, wohl wissend, dass er oder sie damit schon beim täglichen Einkauf ziemlich albern aussieht. Und jede/r findet es unerträglich, wie die anderen sich verhalten.

„There is no such thing as society.“ So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht, sagte vor vielen Jahren die neoliberale Vorkämpferin Margaret Thatcher. Richtig daran ist: Eine Gesellschaft gibt es nur, wenn sie sich durch gemeinsames Handeln politisch selbst gestaltet. Sonst löst sie sich auf.

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