vonmaggie 08.12.2025

Widerhaken

Literaturkritiken. Oder: ein Versuch, nicht den Kopf zu verlieren, zwischen all den Worten die so herumirren in unserer wundervollen Welt.

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Inhalt

Piotr Niewiadomski ist ein Mann im mittleren Alter, ledig, Analphabet. Er arbeitet als Bahnhofsgehilfe in einem kleinen Dorf in östlichen Teil des Landes der habsburgischen Monarchie. Er hat kaum Ziele, sein Leben ist unspektakulär und einfach. Seine Gedanken verirren sich oft zwischen der Beziehung zwischen sich und dem Kaiser, dem Verwechseln der linken Seite mit der rechen Seite und den wenigen Freuden, die ihm das Leben zu bieten hat.

Dann bricht der Krieg aus. Der Roman zeigt ihn eher als „Verwaltungsentscheidung“ und in jedem winzigen Zahnrad, das in Bewegung gesetzt wird. Piotr ist dabei weder Held noch Rebell. Doch es braucht keinen Spannungsbogen, um über das Auseinanderbrechen des Habsburgischen Reiches und die brutale Anonymität des Krieges zu lesen.

 

Zum Autor

Józef Wittlin wurde 1896 in Galizien geboren, welches damals zu Österreich-Ungarn gehörte. Für den Ersten Weltkrieg meldete er sich freiwillig, nach seinem Ende war er als freier Schriftsteller und Publizist tätig. Obwohl in Warschau lebend, befand er sich beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in Paris und schaffte die Flucht über Spanien nach New York, wo er bis zu seinem Tod lebte. Er war ein guter Freund von Joseph Roth, dessen Werke er teilweise übersetze. Außerdem übersetzte er Werke wie „Steppenwolf“ von Hermann Hesse und die Odyssee ins Polnische. „Das Salz der Erde“ zog schon bei seiner Veröffentlichung viel Aufmerksamkeit auf sich und wurde für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Es blieb das einzige Werk einer geplanten Trilogie „Die Geschichte des geduldigen Infanteristen“.

 

Hintergrund

Obwohl man sich schwer mit dem Hauptcharakter identifizieren kann, erlebt man das Geschehen hautnah mit; die Sprache ist intensiv, fast poetisch. Die Beschreibungen und vielschichtigen Charaktere sind so präzise beschrieben, dass man das Gefühl hat, in seinen eigenen Erinnerungen zu graben – exakt was Wittlin vermitteln konnte.

„Das Salz der Erde“ gehört zu den bedeutendsten Büchern aus der Zwischenkriegszeit. Fragen, die wir heute mit dem Krieg verbinden, stellen sich in dem Buch nicht – es gibt keine Identität, die Seele der Menschen gehört Gott, der Körper gehört dem Kaiser. Menschen werden zu Werkzeugen, die sich den Zwängen von Militarismus und Monarchie-Herrschaft unterordnen muss. Diese genaue Darstellung, wie auch die Fragen, die den Hauptcharakter umtreiben, machen den kompromisslos humanistischen Ansatz Wittlins deutlich. Aus diesem können wir heute allemal lernen. Es wird eine Gesellschaft gezeigt, in denen die Soldaten keine Art der Mitentscheidung haben. Heute wird eine Wehrpflichtdebatte in erster Linie über die potenziell Wehrpflichtigen geführt, anstatt mit ihnen.

Auch unter dieser aktuellen Debatte entfaltet der Roman eine besondere Wirkung. Er richtet weder gut noch schlecht über den Krieg, sondern zeigt ihn in einer Intensität, die für sich selbst spricht.


ISBN: 978-3-596-90580-5

Hier zu Wehrpflicht und Bundeswehr weiterlesen: https://taz.de/Bundeswehr/!t5008725/

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