vonmaggie 26.12.2025

Widerhaken

Literaturkritiken. Oder: ein Versuch, nicht den Kopf zu verlieren, zwischen all den Worten die so herumirren in unserer wundervollen Welt.

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Inhalt

1950er Jahre, Rand von Paris – da finden wir das Krätzeviertel. Jeden Morgen pendeln die Bewohner in die Stadt, um als Dreher, Schuster, Laufbursche oder auf dem Bau zu arbeiten. Das Krätzeviertel selbst ist eine heruntergekommene Ecke ohne Wasseranschluss, mit Pflastersteinstraße, maroden Gebäuden und einem Tanzlokal. Die Jugendlichen aus dem Krätzeviertel arbeiten von früh bis spät, um ihre Familien zu unterstützen, abends wird getanzt, manchmal schlagen sie sich mit dem Jungs aus dem anschließenden Viertel, Champclauson. Im Zentrum der Geschichte steht Jaquot. Er ist der Anführer der Clique aus dem Krätzeviertel, frisch arbeitslos, ein Draufgänger, besser mit Fäusten als mit Worten. Zumindest vorerst. Doch dann kommt der Winter, und der Winter kann tödlich sein im Krätzeviertel. Eine schlechte Wirtschaftslage und auf Wiederaufrüsten Deutschlands kommen hinzu. Jeder kratzt alles nur menschenmögliche zusammen, um die kranken Kinder, alten Frauen, fleißigen Hausfrauen, arbeitssuchenden Söhne und stillen Männer zu unterstützen. Sie alle rücken näher zusammen. Und über diesen Winter müssen die Jugendlichen erwachsen werden.

 

Zum Autor

Jean Pierre-Chabrol wurde am 11. Juni 1925 in einem kleinen Dorf in Südfrankreich geboren. Während des zweiten Weltkriegs kämpfte er in der Resistance, später war er Mitarbeiter der kommunistischen französischen Tageszeitung Hummanité. Dort wurde er auch zum Schreiben von Romanen ermuntert. Ab 1953 schrieb er etwa 40 solcher Bände. „Die Clique aus dem Krätzeviertel“ wurde 1957 vom Aufbauverlag in Ostberlin, nebst einigen anderen Werken von Chabrol verlegt. Seitdem ist es eher auf deutschen Dachböden als in Buchläden zu finden.

 

Hintergrund

Das „Krätzeviertel“ würde heute umgangssprachlich als Slum, korrekterweise, als irreguläre Siedlung bezeichnet werden. Sie bezeichnen Wohnumgebungen, die ohne Kontrolle und Unterstützung des Staates gebaut wurden. Das bedeutet, es existiert keine staatliche Infrastruktur wie beispielsweise Abwasser-, Strom oder Adresssystem. Ähnlich wie soziale Infrastruktur, wie Kindergärten, Parks oder Läden. Die Häuser sind meist selbstgebaut und wenig stabil. Sie werden errichtet, weil die Städteplanung zu langsam für den Andrang der Menschen ist, die in den Städten leben wollen, meist aufgrund des besseren Arbeitsmarktes. Heute sind irreguläre Siedlungen nahezu vollständig aus Europa verschwunden, auch wenn diese in der Zeit der Industrialisierung um Großstädte herum entstanden waren. In anderen Regionen der Welt sind jedoch noch ein fester Bestandteil von großen Städten. 2025 schätzt das UN-Habitat, dass etwa 1,12 Milliarden Menschen in informellen Siedlungen leben. Die Lebenssituation dieser Menschen zu verbessern ist eine Angelegenheit, die die gesamte Weltgemeinschaft betrifft.

Ein Buch, wie „Die Clique aus dem Krätzeviertel“ zeigt erstens, wie nah Lebenszustände zeitlich doch sind, die uns mittlerweile undenkbar erscheinen. Zweitens kann einen Blick über den Tellerrand Europa ermöglichen – einen, der Europa nicht heraushebt, sondern alles ein wenig ins Verhältnis rückt.

ASIN: B003UA5KVQ

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