vonDarius Hamidzadeh Hamudi 14.11.2023

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In der Presseerklärung vom 3. November 2023 versichert die Regierung Meloni, dass der Gesetzentwurf zur Verfassungsreform von dem Gedanken inspiriert sei, die bestehende Verfassung nur minimal zu verändern. Von Kontinuität mit der italienischen Verfassungs- und Parlamentstradition ist die Rede, die Vorrechte des italienischen Staatspräsidenten, dieser Schlüsselfigur der nationalen Einheit, sollen in höchstem Maße gewahrt werden.¹

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Der Gesetzentwurf wird öffentlich unter dem irreführenden Schlagwort »Premierato all’Italiana« diskutiert und passt auf eine luftig bedruckte Doppelseite. Doch diese fünf dürren Artikel haben es in sich, dahinter verbirgt sich der radikale Umbau der italienischen parlamentarischen Demokratie zu einem quasi-präsidentiellen System, das den Staatspräsidenten zu einer Art Notar schrumpft, wohingegen die Regierungschefin mit einer unvergleichlichen Machtfülle ausgestattet wird. Die Chuzpe, mit der in der eingangs zitierten Pressemitteilung gelogen wird, sucht sogar im postfaktischen Zeitalter Donald Trumps ihresgleichen.

1. Direktwahl des Regierungschefs auf einem Stimmzettel

Nach den traumatischen Erfahrungen mit faschistischen Diktaturen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lag sowohl in Italien als auch in Deutschland das Augenmerk auf einer ausgewogenen Machtbalance. Die Italienische Republik ist seit ihrer Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland eine parlamentarische Demokratie (ital. »Premierato«), d.h. der Regierungschef bzw. die Regierungschefin wird vom Parlament gewählt. Die älteste parlamentarische Demokratie ist Großbritannien. Boris Johnson fiel, als seine Tories ihm die Gefolgschaft versagten. Olaf Scholz’ Macht steht und fällt mit der Unterstützung seiner Regierungskoalition. Regierungschefs in parlamentarischen Demokratien sind also abhängig von einer Mehrheit im Parlament.

Melonis »Premierato« sieht hingegen die Direktwahl der Ministerpräsidentin, der »Presidente del Consiglio« vor. Ob man bei einer solchen Konstellation überhaupt noch von einer parlamentarischen Demokratie sprechen kann, ist höchst fragwürdig, schließlich ist die Direktwahl des Regierungschefs ein sehr wichtiges Kriterium präsidentieller Demokratien. Abgesehen von dieser politikwissenschaftlichen Unterscheidung käme eine direkt gewählte italienische Regierungschefin mit einer außerordentlich hohen demokratischen Legitimation ins Amt. Der Gesetzentwurf zur Verfassungsreform sieht zwar vor, dass die von der Ministerpräsidentin gebildete Regierung sich in beiden Parlamentskammern einer Vertrauenabstimmung stellen muss. Doch dabei handelt es sich aufgrund der geplanten Veränderung des Wahlsystems wohl nur um Formalitäten.

2. Parteien: Politische Akteure werden zu Steigbügelhaltern

Bei der vergangenen und allen vorigen Parlamentswahlen in Italien repräsentierten Parteien die unterschiedlichen politischen Strömungen, warben um Unterstützung und bildeten nach der Wahl eine Koalition, so wie wir es aus Deutschland kennen. Sollte Melonis Verfassungsreform durchkommen, stünden auf einem einzigen Wahlzettel (»un’unica scheda elettorale«) Kandidat:innen für die Position der Regierungschefin zur Wahl. Die Parteilisten wären an bestimmte Spitzenkandidaturen gebunden.

Der politische Wettbewerb würde sich auf die Spitzenkandidat:innen konzentrieren, was die Parteien zu zweitrangigen Akteuren in einem stark personalisisierten Wahlkampf zurückstufen würde. Ihre politisch wichtigste Aufgabe bestünde dann wohl noch darin, sich auf aussichtsreiche Kandidat:innen für das Amt der Regierungschefin zu verständigen, was an die USA erinnert. Auch in Anbetracht der sich verändernden Medienlandschaft würde die Direktwahl der Regierungschefin populistische Demoagoginnen auf die Überholspur setzen. Die Bedeutung der Parteien für die politische Willens- und Urteilsbildung würde hingegen empfindlich geschwächt werden.

3. Staatspräsident: Der integre und angesehene Krisenmanager …

Der Italienische Staatspräsident schwebt über dem politischen Tagesgeschäft, verkörpert als Staatsoberhaupt wie kein anderer die Italienische Republik und wird von beiden Parlamentskammern und Vertreter:innen der Regionen gewählt. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit gewährleistet, dass nur präsidiable Kandidat:innen von hoher persönlicher Integrität infrage kommen. Im Gegensatz zum Bundespräsidenten befehligt der Italienische Staatspräsident die Streitkräfte, verfügt aber ansonsten wie sein deutscher Amtkollege im Regelfall nur über geringe Machtbefugnisse.

In Zeiten von Regierungskrisen schlüpft der Staatspräsident jedoch regelmäßig in die Rolle des Krisenmanagers. Bislang ist er verfassungsrechtlich an keine Vorgaben gebunden, wen er zum Ministerpräsidenten bzw. zur Ministerpräsidentin ernennt. Außerdem kann er beide oder auch nur eine Parlamentskammer auflösen. So wurde beispielsweise während der Covid-Pandemie der parteilose ehemalige Zentralbankchef Mario Draghi zum Regierungschef ernannt und der installierte ein Kabinett, das vorwiegend aus Technokrat:innen bestand.

… wird zu einer Art Notar degradiert

Die Regierung Meloni möchte diese weiten Befugnisse des Staatspräsidenten in Krisenzeiten zurechtstutzen und »plötzliche politische Mehrheitssänderungen (›ribaltoni‹), den Spielen des Verfassungsgerichts, dem Transformismus, den Regenbogenmehrheiten und den Technokratenregierungen«² ein Ende setzen. Falls die Verfassungsreform gelingt, verliert der Staatspräsident das wichtige Recht, die Regierungschefin zu ernennen. Stattdessen käme ihm nur noch die formelle Pflicht zu, der gewählten Ministerpräsidentin die Aufgabe der Regierungsbildung zu übertragen und auf ihren Vorschlag hin die Minister:innen zu ernennen.

Auch im Falle einer Regierungskrise verlöre der Staatspräsident sämtliche Handlungsspielräume: Entweder er übertrüge die Aufgabe der Regierungsbildung der zurückgetretenen gewählten Regierungschefin oder einem bzw. einer anderen Abgeordneten aus ihrem Parteienbündnis. Würde eine gewählte Ministerpräsidentin mit ihrem Kabinett bei der Vertrauensabstimmung im Parlament zwei Mal scheitern (siehe nächster Abschnitt), was mehr als unwahrscheinlich wäre, dann müsste der Staatspräsident beide Kammern auflösen.

4. Parlament: Gewählte Mandatsträger:innen werden zu Gefolgsleuten

Der Gesetzentwurf zur Verfassungsreform sieht vor, dass die Parteilisten, die an den gewählten Regierungschef gebunden sind, durch eine Bonusklausel im Wahlrecht 55 Prozent der Sitze im Parlament erhalten würden. Die exakte Neugestaltung des Wahlrechts steht zwar noch in den Sternen, aber Abgeordnete der Regierungskoalition würden im Falle einer erfolgreichen Verfassungsreform ihr Mandat mit hoher Wahrscheinlichkeit der Verbindung zum gewählten Regierungschef (»collegamento al Presidente eletto«) verdanken, was ziemlich wenig mit der Idee des freien Mandats zu tun hat. Mit ihrer demokratischen Legitimation verlieren die Abgeordneten auch ihre Unabhängigkeit von der Regierung, was sie mit hoher Wahrscheinlichkeit zu politischen Gefolgsleuten ihrer Spitzenkandidat:innen werden lässt.

Sollte eine Regierungschefin im Laufe der Legislaturperiode aus dem Amt scheiden, verfügt das Parlament gemäß dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Verfassungsreform nicht über das Recht, frei eine:n Nachfolger:in zu wählen. Nur die gewählte Ministerpräsidentin selbst oder ein:e andere:r Abgeordnete:r ihres Wahlbündnisses kämen in Frage. Letztere:r wäre sogar noch an das vorherige Regierungsprogramm gebunden.³ Diese Schwächung des Prinzips der repräsentativen Demokratie würde gravierend die politischen Gestaltungsmöglichkeiten des Parlaments beschneiden – zugunsten der direkt gewählten Regierungschefin.

Melonis Italien nach der Reform im internationalen Vergleich

Die Macht amerikanischer Präsidenten wird durch einen mächtigen Kongress begrenzt; die direkt gewählten Mandatsträger üben die legislative Gewalt aus und bestimmen über den Haushalt. Der französische Präsident muss sich ebenfalls mit einer selbstbewussten Nationalversammlung von gewählten Abgeordneten arrangieren. Die Macht eines deutschen Bundeskanzlers wird einerseits durch den Bundesrat eingehegt und ist andererseits stets an die Unterstützung seiner Regierungskoalition gebunden.

Falls Melonis Verfassungsreform durchkommt, wäre künftig die Machtfülle einer italienischen Regierungschefin gigantisch. Gemäß den Reformplänen würden italienische Abgeordnete in Zukunft im Schlepptau der direkt gewählten Regierungschefin in ein Parlament gelangen, das zunächst einmal nur die Befugnis hat, einer bereits gewählten Ministerpräsidentin das Vertrauen auszusprechen. Die Parteien teilen das Schicksal des Staatspräsidenten und büßen weitgehend ihre Bedeutung als eigenständige politische Akteure ein.

Ist Giorgia Meloni auf dem Weg in den Führerinnenstaat?

Giorgia Meloni bezeichnet den Gesetzentwurf zur Verfassungsreform als »Mutter aller Reformen«. Daran wird deutlich, dass dieses Projekt für ihre Regierung einen hohen Stellenwert genießt. Die Änderungen sind geeignet, das politische System Italiens auf den Kopf stellen. Ob Italien, wenn die Pläne der Regierung Meloni durchkommen, tatsächlich zu einem Führerinnenstaat wird, ist allerdings offen. Denn Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit sind immer zwei Paar Schuhe.

Donald Trumps (vorerst) gescheiterter Staatsstreich hat allerdings gezeigt, wie wichtig starke demokratische Institutionen sind, die im Ernstfall der Machtfülle eines Regierungschefs Einhalt gebieten können. Giorgia Meloni schickt sich an, die austarierte Machtbalance der Italienischen Republik massiv zu Gunsten der Ministerpräsidentin zu verschieben.

Die Postfaschistin ist beliebt, deshalb ist es keineswegs sicher, dass sie mit ihrem Vorhaben scheitern wird.

 

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Fußnoten

¹Il testo si ispira a un criterio “minimale” di modifica della Costituzione vigente, in modo da operare in continuità con la tradizione costituzionale e parlamentare italiana e da preservare al massimo grado le prerogative del Presidente della Repubblica, figura chiave dell’unità nazionale (Comunicato Stampa, Consiglio dei Ministri N.57, 3/11/2023).

² “… mettendo fine alla stagione dei ribaltoni, dei giochi di palazzo, del trasformismo, delle maggioranze arcobaleno e dei governi tecnici.”

³ “In caso di cessazione dalla carica del Presidente del Consiglio, il Presidente delle Repubblica può conferire l’incarico di formare il Governo al Presidente del Consiglio dimissionario o a un altro parlamentare eletto in collegamento al Presidente eletto, per attuare le dichiarazioni relative all’indirizzo politico e agli impegni programmatici su cui il Governo del Presidente eletto ha chiesto la fiducia delle Camere.”

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Bildnachweis

Governo italiano: Giorgia Meloni Official 2023 mit Creative Commons Attribution 3.0 Italy – Lizenz via Wikimedia Commons (bearbeitet).

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