vonDarius Hamidzadeh Hamudi 31.08.2025

Zylinderkopf-Dichtung

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Minstrel bedeutet wörtlich übersetzt »kleiner Diener« und wurde zur Bezeichnung von US-amerikanischer Unterhaltungsmusik, die von weißen Darstellern ab den 1830er Jahren aufgeführt wurde. Der Schauspieler Thomas D. Rice ist der Erfinder und Wegbereiter der Minstrel Shows. Für einen Auftritt in Pittsburgh kostümierte er sich erstmals als Stereotyp eines Afroamerikaners, indem er verbrannten Kork über sein Gesicht verteilte, zerfetzte Kleidung und geflickte Schuhe anzog sowie eine verfilzte schwarze Perücke und einen Strohhut aufsetzte. Dann sang er eine Version des Liedes »Jim Crow«, das er von einem Sklaven in Cincinnati gehört hatte. Das weiße Publikum reagierte mit großer Begeisterung.

Vorher – Nachher: Die Verwandlung des Schauspielers Thomas D. Rice in eine rassistische Bühnenfigur.

Diese aus heutiger Sicht in mehrfacher Hinsicht völlig inakzeptablen Bühnenshows hatten ein Gutes: Sie bahnten schwarzen Künstlern und Musikern erstmals einen Zugang zur Bühne. Besonders seit dem Ende des 19. Jahrhunderts färbten immer mehr afroamerikanische Musiker ihr Gesicht schwarz, übermalten in clownesker Weise die Mundpartie rot und traten selbst in Minstrel Shows auf. Doch die Schwarzen mussten für diese Erfolge mit ihrer Würde bezahlen.  Auch Scott Joplin trat als junger Mann in Minstrel Shows auf.

»Swipesy Cakewalk«

Er und die Jungs von den Texarkana-Minstrels standen im Kreuzfeuer der Kritik. Noch vor wenigen Wochen waren sie von der ganzen Stadt gefeiert worden. Scott Joplin zündete einen Korken an und sah zu, wie er langsam herunterbrannte. Am besten der Reihe nach.

Die Show war super gelaufen. Zunächst hatten Isaac, Will, Hugh und Pleasant ihren Cakewalk aufgeführt. Früher hatte derjenige Sklave einen Kuchen bekommen, der seinen Master am besten imitierte. Das war zum Glück Geschichte … Bei der Lokomotiven-Nummer waren alle Jungs auf der Bühne und machten eine Lok nach: Anfahrt – Beschleunigen – Bremsen … Danach verpasste Will mal wieder seinen Einsatz. Zum Glück konnte Pleasant die Zeit mit dummen Faxen überbrücken … Auch die Plantagen-Nummer zog. Scott spielte die Fidel, Isaac begleitete ihn am Banjo und Will belustigte das Publikum mit seinen überdrehten Tanzeinlagen. Die Dialoge waren platt und absehbar. Doch den Leuten gefiel’s. Schließlich bestätigten die Darbietungen ihre stereotypen Vorstellungen von Schwarz und Weiß … Der Lucy-Song war der Höhepunkt der Show: Pleasant in Frauenkleidern, mit treudoofem Blick. Dave saß in einem Boot und wurde zur neuen Farm im Süden verschifft; der Massa hatte ihn verkauft. Er hatte Lucy bei der Baumwollernte kennengelernt und sang über seine Liebe zu ihr. Sie war untröstlich, vermisste ihn, wurde krank und starb. Das Publikum konnte sich kaum halten vor Lachen. Pleasant als sterbender Schwan! Die Weißen johlten, klatschten und schlugen sich die Schenkel.

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Mit der Asche des Korkens schminkte sich Scott Joplin pechschwarz. Früher hatten weiße Darsteller sich in den Shows über die Schwarzen lustig gemacht. Nunmehr imitierten die Schwarzen die Weißen, wie sie sich über die Schwarzen lustig machten. Und die Weißen zahlten sogar dafür! … Nie und nimmer hätte Scott sich träumen lassen, dass diese Begeisterung in kurzer Zeit in Zorn und Hass umschlagen könnte. Die Texarkana-Minstrels hatten einfach Pech gehabt. Nach dem erfolgreichen Spektakel kam dieses unschlagbare Angebot für eine Benefiz-Show: Vierzig Prozent der Einnahmen waren sicher, kein Risiko! Wie hätten sie das ablehnen sollen? Doch es hätte nicht schlimmer kommen können! Denn es ging um ein Treffen von Südstaaten-Veteranen. Und der gute Zweck war ein Denkmal für Jeff Davis, ihren Ober-Sklavenhalter!

Eine Welle der Empörung schwappte durch den Ort. Wo die Texarkana-Minstrels auftauchten, wurden sie mit Verachtung gestraft. Sogar die überregionalen Zeitungen berichteten. Der South-Western Christian Advocate kommentierte am 30. Juli 1891: »Es ist eine Schande, dass mit den Auftritten junger N* Jefferson Davis ein Denkmal gesetzt werden soll. Der hat auf dem Rücken der armen Schwarzen schon viel zu viele Wundmale hinterlassen.«

Das würde Scott Joplins letzte Minstrel-Show sein. Er öffnete das Fenster und verstreute die übriggebliebene Asche.

Historischer Hintergrund

Musik von Scott Joplin

Die historische Einspielung des »Swipesy Cake Walk« wurde mit Hilfe einer Piano Roll, einer Art Lochkarte für Klavierautomaten, aufgezeichnet. Bei der Neu-Veröffentlichung in den 1970er-Jahren wurde sie dem Komponisten zugeschrieben. Während »The Entertainer« in Folge 1 dieser Serie tatsächlich von Scott Joplin eingespielt wurde, ist das bei dem Stück »Swipesy« eher fraglich. Sicher ist, dass Scott Joplins Cake Walk auch Takte in Moll aufweist. Dadurch erhält der eigentlich fröhliche Tanz eine nachdenklich-melancholische Note. Wollten Scott Joplin und Arthur Marshall auf diese Weise die Unterdrückung der Sklaven auf den Feldern kommentieren?

 

Cover der Sheet-Music Originalausgabe des Swipesy Cakewalk (1900)

Über die Serie »Ragtime Stories«

Ragtime Stories erzählen kurze Episoden aus dem Leben von Scott Joplin. So entsteht nach und nach eine literarische Biografie über den us-amerikanischen Komponisten und seine Zeit. Die einzelnen Folgen tragen Titel von Scott Joplins Musikstücken und ergeben somit auch eine kleine Werkschau des bedeutenden Musikers.

Literatur und Links

Bild- und Tonnachweise

  • Das Artikelfoto ist eine eigene Bildcollage:
    • Foto von Scott Joplin (1903) in der Wikipedia (gemeinfrei)
    • Originalausgabe Swipesy Cake Walk, Seite 1, Library of Congress, Music Division.
    • Typografie teilweise mit künstlicher Intelligenz generiert.
  • Die Bildcollage Thomas D. Rice verwendet die folgenden Bildvorlagen:
  • Historischer Hintergrund: Infotafel Jim-Crow-Gesetze
    • Jim Crow von Edward Williams Clay – Institute for Advanced Technology in the Humanities at the University of Virginia, Public Domain via WikimediaCommons.
  • Sheet-Musik-Cover: Swipesy Cakewalk, John Stark & Son. Public Domain via Wikimedia Commons.
  • Historisches Tondokument: Swipesy Cakewalk im Internet Archive.
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