vonChristian Ihle 30.05.2011

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Zwar hat das Popblog bereits vor vier Jahren eine Abhandlung über Radiohead’sche Verlogenheit geschrieben, aber wir freuen uns ja immer wenn die britischen Kollegen vom NME zustimmen. Ein kleiner Ausschnitt aus einem zweiseitigen Artikel des NME über Radioheads „King Of Limbs“ – und seine Marketingmasche:

„Radiohead’s views on the music biz are more than simplistic and insulting. (…) Their whole „Us Versus The Music Business Capitalists“ schtick is paper-thin rhetoric with zero basis in reality and boils down to nothing more than a marketing gimmick to help them sell more copies of Radiohead albums.
Another fact: everything Radiohead do is a marketing gimmick.
(…) What they are certainly not doing is providing any answers – or going by the new album, any music – with any substance. The truth is they have made a crap album no-one wants to say is crap. (…) Ever get the feeling you’ve been cheated?

…so Hamish MacBain im britischen NME, in dem in der Tiefe auch noch auf die pay-what-you-want-Idee zum „In Rainbows“-Release eingegangen wird.

Eine Kritik, die vor vier Jahren genauso aktuell war wie heute:

„Dank einer Reihe unumstrittener Albummeisterwerke (von The Bends bis Amnesiac) erreichten Radiohead eine sakrosankte Stellung in der heutigen Musikszene. Sänger Thom Yorke gerierte sich dabei immer als Vorkämpfer für eine bessere Welt, als ein thinking man’s Bono, gegen das eigentlich auch nichts einzuwenden ist.

Doch das grundsätzliche Radiohead-Problem lag darin, dass sie nie bereit waren den gleichen Weg zu gehen, den sie predigten – zumindest nicht bis zum Ende. Jede Radiohead-Aktion, die ihr politisches Gewissen offen legen sollte, hatte immer den Ruch eines Marketing-Gimmicks. Als ein schlagendes Beispiel soll nur Radioheads „Zelttour“ durch England genannt werden, bei der peinlich genau darauf geachtet wurde, dass keine „großen“, bösen Firmen ihre Produkte verkaufen, sondern alle Lizenzen an mit Naomi-Klein-Unbedenklichkeits-Siegel versehene Unternehmen ging. Prinzipiell eine lobenswerte Sache, wird sie aber doch völlig entwertet, wenn Radiohead sich auf der anderen Seite nicht scheuen, für eine horrende Summe den Headlining-Slot bei Rock im Park zu übernehmen, dem durchkommerzialisiertesten Festival auf deutschem Boden.

To Walk The Talk

Im Jahr 2007 veröffentlichen Radiohead ihr neues Album zunächst ausschließlich im Netz. Es gibt ein gut teures Boxset für 40 Pfund zu erstehen, das immerhin mit Vinyl und CD glänzt sowie eine Download-Möglichkeit für einen selbst zu definierenden Preis anbietet.
Einer Umfrage zufolge haben tatsächlich zwei Drittel der Radiohead Fans für den theoretisch kostenlosen Download eine freiwillige Summe gegeben, was eine sehr ordentliche Quote ist. Die Aufregung um das Bereitstellen des kostenlosen Downloads geschieht allerdings auch aus einer sehr weltfremden Perspektive. Es ist ja keineswegs so, dass niemand das neue Radiohead-Album kostenlos herunter geladen hätte, wäre es nicht von Radiohead angeboten worden. Die Briten kanalisieren lediglich eine Unausweichlichkeit, akzeptieren als erste die Realität und hoffen mit einem im haptischen Bereich (Box mit Vinyl und CD) herausragenden Angebot die Verluste durch die ausschließlich am Hören des Produktes (Download) Interessierten auszugleichen. Dazu ist die Bepreisung des eigentlichen Produktes circa dreimal so hoch wie eine normale Albumveröffentlichung gewesen wäre, wodurch man ebenfalls ein gewisses Polster schafft, um etwaige Download-Verluste auszugleichen, die aber – ist man ehrlich – mehr analog zu sunk costs zu betrachten sind, da sie unabhängig vom Bandangebot auch entstanden wären und schlussendlich irreversibel sind.

Der Schritt in die Wirklichkeit

Somit ist einerseits Radiohead hoch anzurechnen, dass sie als erste Band tatsächlich den Schritt in die Wirklichkeit vollzogen haben, aber ist es auch Augenwischerei, sie als Robin Hoods des Musikgeschäftes zu feiern. Interessant wird sein, wo die CD im nächsten Jahr tatsächlich veröffentlicht werden wird und ob Radiohead weiterhin unter den Fittichen eines Major-Plattenlabels bleiben. Denn sind wir mal ehrlich: für EMI oder Warner zu arbeiten, verträgt sich nicht mit Thom Yorkes Antikapitalismus-Mantra. Und dass es durchaus möglich ist, seinen eigenen Weg zu gehen, demonstriert eine Band wie Fugazi seit Jahren und das ohne eine Marktmacht wie Radiohead ihr eigen nennen zu können, die wissen, dass sie nicht nur eine der größten Bands der Welt sind, sondern darüber hinaus auch überaus loyale Fans besitzen, denen eine Entscheidung pro Boxset und gegen den Download fraglos unterstellt werden kann.

Unter dem Strich bleibt in der Analyse stehen, dass Radiohead wieder einmal einen cleveren Marketing-Gimmick angewandt haben, der auf der Oberfläche all ihr Reden untermauert, aber im Endeffekt nur ein vorweggenommenes Release-Modell darstellt, das Bands dieser Größenordnung relativ risikolos bestreiten können und in Zukunft auch vermehrt bestreiten werden.“

Inhaltsverzeichnis:
* Teil 1: Alle Schmähkritiken über Bands, Künstler und Literatur
* Teil 2: Alle Schmähkritiken über Sport, Politik, Film & Fernsehen

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https://blogs.taz.de/popblog/2011/05/30/schmaehkritik_414_radiohead/

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kommentare

  • Bei dieser entgleissten Kommerzmaschinerie (,,Popmusic“), könnt ihr angeblich Intellektuellen doch froh sein wenn eine alternativ musikmachende Band wie Radiohead überhaupt noch durch dieses perverse Mediendickicht hindurchsickert. Solch überragende schubladenlose (alternativ) Musik (Gesamtkunstwerk) ist über eure Kritik eh erhaben. Live für mich eine der besten Bands überhaupt. Und gesteht ihnen gefälligst das Recht zu ihre Kunst öffentlich darzustellen. Jonny Greenwood macht Filmmusik für Hollywood . Ist das eurer Meinung nach hauptsächlich aus kommerziellen Gründen. Nein Schwachsinn, der Mann ist einfach ein guter Musiker . Drum urteilt mal nicht zu schnell. Oder gebt ihr euch mittlerweile dem gleichen Tenor wie die verantwortungslosen Boulevardmedien hin. Ich habe neulich ein Interview von Paul Mc Cartney von 1968 über die Verantwortung der Medien gehört. Da ging es um falsches hineininterpretieren. Das ist heute bei den Medien ja schon eine harmlose Methode. Bringt etwas über Radioheads Music und Kultur , nur damit könnt ihr gerecht sein . Denn euer täglich tun ist auch täglich kritikwürdig. Eure Schreibe mag ich meistens ! Gruss Dirk

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