vonChristian Ihle 10.12.2015

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

Mehr über diesen Blog

Zugegeben, das Josh T. Pearson – Album ist nun auch schon verdammte vier Jahre alt, aber gestern absolvierte der Ex-Frontmann von Lift To Experience und Ex-Bartträger der Bartträger einen seiner seltenen Auftritte in Deutschland – und das in der kleinen 8mmBar in Berlin. Und es wurde eines der Konzerte des Jahres.

Einerseits liegt das sicher daran, dass Pearson in seinen Lyrics mitreissendes Storytelling betreibt, das auf Höhe der ganz Großen der Countrymusik ist. Diese Geschichten um Verdammnis und Erlösung trägt er überraschenderweise mit viel nuancierteren Vocals vor als auf den auf Platte gepressten Versionen seiner Lieder. Dazu hat Pearson auch eine ganz persönliche Verbindung zu Berlin und zur 8mmBar, war er doch vor einem guten Jahrzehnt für einige Jahre in Berlin gestrandet, dem Alkohol verfallen, hat eine deutsche Frau geheiratet („my friends called our marriage The Great War“), sich in der 8mmBar die Nächte mit Whiskey um die Ohren geschlagen und sich dort mit seinem Drummer geprügelt.
Nach einigen Jahren in der Wildnis in einem Kaff in Texas kehrt Pearson frisch rasiert („I know you were promised a beard. I’m sorry.“) und geläutert nach Berlin zurück und ist sichtlich übermannt von seinen Erinnerungen an die eigene Zeit in Berlin und seine Ehe, die die Grundlage für die herzzerreissenden Lyrics zu „Sweetheart, I Ain’t Your Christ“ und all die anderen minimalistischen Countryfolksongs auf seinem 2011er Album „Last of the Country Gentlemen“ bildeten.


Hier wurde ein eingebetteter Medieninhalt blockiert. Beim Laden oder Abspielen wird eine Verbindung zu den Servern des Anbieters hergestellt. Dabei können dem Anbieter personenbezogene Daten mitgeteilt werden.



Pearson ist einerseits ein ungemein sympathischer und überraschend amüsanter Entertainer auf der Bühne – und in der anderen Sekunde eine Drama Queen, die Conor Oberst wie einen Eisblock wirken lässt. Mehrfach kämpft er mit den Tränen, erzählt dazwischen Geschichten aus den Nächten in dieser Bar und von seiner zerstörten Ehe und endet ein beeindruckendes Konzert mit zwei Covern, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: zunächst „Jesus“ von Velvet Underground und dann eine absurd reduzierte Version des Sister Act 2 Gassenhauers „I Will Follow Him“. Doch ganz am Ende, wie um diese Feier der Bipolarität noch mal mit aller Härte zu demonstrieren, lässt sich Pearson von Publikum und den Kumpels hinter der Bar überreden, seinen Song „The Clash“ zu spielen, der nie von ihm richtig veröffentlicht wurde, sondern nur vor vielen Jahren in einer Liveversion auf einer Compilation des 8mmMusik-Labels enthalten war. Pearson erzählt wie er damals diesen Song zum letzten Mal im Bassy Nightclub, direkt nebenan, gespielt hatte und wie etwas in ihm dabei „kaputt ging“. Die letzte Strophe singt Pearson nicht mehr, sondern spricht über all die Freunde, die in den letzten Jahren aus dem Leben geschieden sind, und lässt ein fassungsloses Publikum zurück. Selten wird in einem Konzert eine solche Bandbreite an Emotionen durchschritten, kaum diese berührende, verstörende Mischung aus Euphorie und Verzweiflung erreicht.


Hier wurde ein eingebetteter Medieninhalt blockiert. Beim Laden oder Abspielen wird eine Verbindung zu den Servern des Anbieters hergestellt. Dabei können dem Anbieter personenbezogene Daten mitgeteilt werden.

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/popblog/2015/12/10/song-der-woche-josh-t-pearson-sweetheart-i-aint-your-christ/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert