vonfrida 08.05.2022

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

Mehr über diesen Blog

Bevor ich mich in meinem Blog weiter über die Auswirkungen und das Fühlen und Empfinden des mothering auslasse, möchte ich auch den Nicht-Eingeweihten einen kleinen Einblick ermöglichen:

 

„Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.“

Aktuell stellt eine, maximal zwei Personen dieses Dorf, manchmal unterstützt durch motivierte Verwandte oder durch unterfinanzierte Hausangestellte. Auch gibt es Bullerbü kaum noch auf unserer Welt, auch wenn viele Häuslebauer versuchen, diese Utopie im Vier-Quadratmeter-Garten der städtischen Vorstadtreihenhäuser herzustellen.

In jedem der Fälle wird übersehen, was hinter dem Wort „Dorf“ steckt. Es geht weder um die ländliche Idylle, noch um die Menschenanzahl in direkter Nachbarschaft, sondern es geht um den Gedanken, dass eine Vielzahl von Menschen mit einem Kind in Beziehung treten, Verantwortung für dieses Kind übernehmen, es umsorgen, behüten, begleiten und in die menschliche Gesellschaft integrieren unter Beachtung seiner Bedürfnisse und Fähigkeiten.

Dieses Dorf bräuchte nicht allein das Kind, denn stell dir die Kapazitäten der vielen Menschen des Dorfes vor, die aber in der typischen Kleinfamilie, dem geläufigen Ideal, von nur zwei Menschen, häufiger nur Einer, repräsentiert werden.

Was soll denn Gutes dabei rauskommen?!

 

Spielplatzstudien

Auf dem Spielplatz fällt es mir noch heute besonders ins Auge: mothernde sitzen, stehen um ihr Kind herum, beschützen, verhüten, umsorgen, bespielen, säubern, reparieren, trösten, motivieren… was auch immer das Kind zu brauchen scheint und dabei sind die Interaktionen so scheinbar unpersönlich, unpersönlich im Sinne von, dass da eigentlich noch keine Persönlichkeit im Kinde ist, mit der in irgendeiner Form interagiert werden kann. Mit drei, manche schon mit zwei, fange sie zwar an zu sprechen, aber selbst die Worte, die aus ihrem Munde kommen – irgendwann vornehmlich Fragen – sind dann trotzdem noch nicht sinnentnehmend oder sinngebend, sodass dieses Gebrabbel noch längst kein Austausch ist, auch wenn es Eltern hoffnungsvoll so erscheint. Insofern besteht die Kommunikation, das oben benannte „beschützen, verhüten, umsorgen, bespielen, säubern, reparieren, trösten, motivieren…“ eigentlich in der reinen Interpretation des mothernden in jeder Situation und ist folglich eher eine Selbst-Interaktion, ohne dass mensch sich tatsächlich um das eigene Selbst kümmern würde, ganz im Gegenteil!

Und genau dieses Bild ist in den Sandkästen vorzufinden: erwachsene Menschen interagierend, und dies seltsam unlebendig und entfremdet wegen der irgendwann sich einstellenden Routine und Wiederholungen, mit einem Lebewesen, das unheimlich viel braucht.

Klar, es gibt auch noch die mothernden, die auf Spielplätzen ihr eigenes inneres Kind ausleben können. Denen kann mensch auch mit einer gewissen Freude dabei zuschauen, doch ist dies leider auch meist an eine bestimmte Altersphase des äußeren Kindes gebunden und insofern dann doch wieder nicht selbstbestimmter Ausdruck, sondern mensch macht aus der Not das Beste. (Dies ist nebenbei bemerkt die hauptsächliche Empfehlung von VerhaltenstherapeutInnen in Mutter-/Vater-Kind-Kuren: Passen Sie Ihre Bedürfnisse an die Entwicklungsphase Ihres Kindes an und finden Sie darin Erfüllung.)

 

Draußen ist kein Ort für Kinder

Auch die heutige Umwelt ist wirklich kein Ort, in dem sich Kinder, geschweige denn Babys so einfach bewegen könnten. Aber auch mothernde wollen oder müssen ab und zu die vertrauten, sinnvoll eingerichteten und einer andauernden Prüfung unterzogenen vier Wände verlassen. Häufig schon allein deshalb, weil ihnen zuhause die Decke auf den Kopf fällt und das Kreisen ums Kind beiden hart an die Nerven geht.

Und schon wirst du mit dieser für erwachsene Menschen eingerichteten Welt mit deinem Kind im Schlepptau konfrontiert.

Am simpelsten scheint mir der Vergleich mit einem anderen häufigen menschlichen Begleiter, dem Hund, und eben nicht einfach einem Hund, sondern einem Hund mit einer extremen Ausprägung, nehmen wir zum Beispiel aggressiv oder ängstlich. Bewegt mensch sich mit solch einem Begleiter durch die Außenwelt, so muss mensch immer alles abchecken: die nahe Umgebung (Geräusche, andere Lebewesen, Fahrzeuge usw.) und den Begleiter (aktuelle Verfassung, allgemein Gemütslage, Anzeichen von Veränderungen usw.), um stressigen Situationen vorzubeugen, sie zu vermeiden oder darauf sinnvoll reagieren zu können. Hinzu kommt noch die Beachtung des Grundes, weshalb mensch unterwegs ist: muss also eine Straßenbahn oder ein bestimmter Ort erreicht, ein Termin wahrgenommen oder eine Verabredung eingehalten werden? Genau so ergeht es dir mit einem Kind.

Denn Kinder leben in einer anderen Bubbel, die schon am Beispiel Zeit wahnsinnig spannend, aber am Beispiel Termine wahnsinnig stressend ist. Nehmen wir nun weitere Bereiche wie Wahrnehmung, Interesse, Aufmerksamkeit, Gemütslage, Tagesform, Beweglichkeitsradius, Geschwindigkeit, Gewicht usw. dazu, wird äußerst deutlich, wie unterschiedlich ein simpler Spaziergang zum Becker, anspruchsvoller: ein wichtiges Meeting und das Kind muss vorher noch zur KiTa, sein kann.

Was an dem Vergleich mit dem Vierbeiner übrigens hinkt, ist die Tatsache, dass Kinder sich ständig verändern und sich zwar Routinen einstellen, die sich aber nach kurzer Zeit (zu Beginn sind es max drei Monate, dann ein halbes Jahr, irgendwann ein und mehr Jahre) völlig verändern.

Wenn du dir einen persönlichen Eindruck verschaffen möchtest, brauchst du dir nur die dir bekannten Eltern mit ihrem Kind bei einem Kontakt mit der Außenwelt betrachten oder du setzt dich für eine halbe Stunde an eine Elterneinflugschneise: Kindergarten, Mami-Cafe, Spielplatz, Spielwarenabteilung oder Supermarkt, öffentliche Verkehrsmittel oder Parkplätze.

Beachte dabei noch den Faktor, dass mothernde während ihrer beruflichen Auszeit, also der hoch gepriesenen Elternzeit, dann zwar übermüdet, aber noch relativ entspannt – selbstverständlich mit ihrer Koffeindosis in der Hand – unterwegs sind und natürlich hauptsächlich in den frühen Vormittagsstunden, zu welchen sich sonst nur Rentner und Arbeitssuchende durch die Innenstadt bewegen.

Worauf du bei deinen Studien achten könntest, ist die Stimmlage des mothernden – die Wortwahl ist häufig nebensächlich für die tatsächliche Interaktion, aber nichtsdestotrotz interessant verstörend für fremde Ohren – des Weiteren achte auf die Körperhaltung und, wenn dir möglich, betrachte dabei die innere Ruhe oder Gelassenheit des Erwachsenen, aber achte vor allem auf die Handlungen, die den Ankündigungen folgen, hierbei ist dann die vorher geäußerte Handlungsabsicht wichtig. (Meist sind diese Ankündigungen nicht zu überhören, da sie mehrmals geäußert werden.)

 

Andere Länder, andere …

Vielen klugen und reflektierenden Schriften über das Leben im mothering habe ich entnommen, dass Deutschland nochmal eine besondere Rolle dabei zuteil geworden ist. Alle bestätigen das Bild, dass die Ansprüche ans mothering hierzulande extrem hoch sind. In keinem anderen Land finden sich Eltern so pack-Esel-gleich ausstaffiert, wenn sie im Außen unterwegs sind.

Auch finden sich keinerlei Vergleiche zu Aktionsfeldern im Außen. In Deutschland werden Aktionen, Wochenendausflüge, letztendlich die Freizeitgestaltung an den altersabhängigen Bedürfnissen des Kindes orientiert, während es in anderen Ländern noch viel mehr den Anschein hat, dass Kinder in die Freizeitgestaltung ihrer Eltern integriert und einfach mitgenommen werden.

Nun sind dies auch Länder, die häufig schon bei anderen Kriterien ganz andere Maßstäbe setzen, was zum Beispiel Pünktlichkeit, Verabredungen oder Gastlichkeit und Geselligkeit angeht. Dies scheint sich insofern logisch auch auf die Ansprüche an Menschen im mothering auszuwirken, indem dieser Faktor entweder gar keine Beachtung erfährt – und der übliche Anspruch an gesellschaftlicher Teilhabe, insbesondere für den Arbeitsmarkt, weiterhin ganz, ganz hoch gehalten wird – oder der Faktor wird in eine allgemeine Unzurechnungsfähigkeit – weil ja völlig überlastet – abgesenkt. Einen „gesunden“ (das Wort ist inzwischen zu ausgelutscht), also einen sinnvollen Umgang mit solcherlei Ansprüchen scheint es für Menschen im mothering nicht zu geben, zumindest was ihnen von ihrer Umwelt in Deutschland so entgegen gebracht wird.

 

Neustart bitte…

Dies sind nun nur einige Betrachtungsfelder fürs mothering, aber ich denke, das genügt für einen Anfang. Denn sobald du deine inneren Sensoren für Wahrnehmung auf Menschen dieser Lebensphase eingestellt hast, werden dir viele weitere Dinge auffallen, die dir vorher völlig entgangen sind.

Denn das ist ja auch so eine interessante Sache bei uns Menschen, dass wir bei neu zu erobernden Gebieten, gerne den Mythen und schönen Geschichten lauschen, uns aber erst dann eine Selbstwahrnehmung zugestehen – und damit unsere individuelle Persönlichkeit mit den gesteckten Zielen abgleichen – wenn der persönliche Leidensdruck groß genug geworden ist. In diesem Falle aber leider viel, viel zu spät #regrettingmotherhood

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/frida/auch-fuer-nicht-eingeweihte/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert