vonfrida 25.11.2025

Frida, ich und du

Intimer Umgang mit Schmerz und Leid des Menschen in ihrer jeweiligen Rolle: Sozialisation, mothering, Feminist

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Gewalt gegen Frauen

Heute jährt sich dieser Tag schon wieder.

Vor zwei Jahren habe ich noch ein Gedicht dazu verfasst.

Ich war voller Erkenntnisse und voller Wut.

Wütend auf die Struktur, wütend auf den scheinbaren Einzelfall, wütend auf die ständige Wiederholung.

Wütend, um Ohnmacht und Trauer umzuwandeln in Aktivität und Handlung, statt Passivität.

Wütend bin ich noch immer, aber heute mehr traurig.

Tieftraurig.

 

Traurig darüber, was ich jetzt an Erkenntnis habe:

Wir gehen auf die Straßen, wir schreien unsere Wut raus, wir solidarisieren uns und wollen supporten.

Doch was ist dieser Support letztendlich?! Was bedeutet Solidarität?

Support in der Trauer, Support in der Verletzung.

Solidarität auf dem T-Shirt, mit dem karierten Schal, dem Herzchen unter Nachrichten oder in der intellektuellen Politgruppe?!

Wo sind die Ansätze, wo sind die Ideen, wo sind die Skills, sich schon dann zu supporten, wenn die Gewalt, wenn die Ohnmacht erlebt wird oder noch besser: um sie zu verhindern? 

 

Was hindert uns eigentlich?

Ist es die weibliche Sozialisation?

Ist es die christliche Ablehnung von Gewalt?

Ist es die Angst vor der Bewertung?

Ist es die eigene Sicherheit?

Ist es die eigene Unfähigkeit, weil wir lieber Yoga machen, anstatt Kampfsport?

 

Eine befreundete Person sagte neulich: Ich mache kein Awareness mehr, ich mache Schutz.

 

Wie verletzt muss ich sein, um Solidarität zu bekommen?

Wie heile muss ich sein, um Support geben zu können?

Wenn Support unter FLINTA* nur in Traurigkeit und Leid vorhanden ist, und nicht als Schutz vor der Gewalt, dann möchte ich lieber nicht.

Denn was ist der Support in der Trauer denn anderes als die patriarchale Komplizin, die den jungen Mädchen die Klitoris abschneiden. Auch das stabilisiert nur das patriarchale System.

Ich bin es leid, ich bin es soooo leid zu leiden und das Leid mit euch zu teilen. Es fühlt sich kurz ganz gut an, aber es ändert scheiß nochmal gar nichts!

In diesem Jahr habe ich mehr denn je das Empfinden eine unangenehme Kassandra zu sein. 

Der Faschismus kommt, der Role Back ist schon da und die institutionellen Strukturen verhärten sich, während wir noch brav demonstrieren gehen. 

Ein schöner Zeitvertreib, ein netter Abend unter Freund*innen? 

Meine Alltagsheldinnen verzetteln sich in ihrem Alltag zwischen Kindern und Beziehungspartnern. Wir haben keine Strukturen angelegt, um unsere Beziehungen untereinander ernster zu nehmen. 

Wir greifen nur darauf zurück, wenn es uns schlecht geht oder wir mal Abwechslung brauchen, aber eine tragende Ebene ist da nicht.

Das macht mich traurig, tieftraurig. 

 

Schon während meiner jungen Studienjahre habe ich die Erfahrung gemacht, dass die intensiven Freundschaftsbeziehungen nur so lange anhielten, bis wir in Partnerschaften absorbiert waren. 

Aber das ist zwanzig Jahre her. Ich dachte, wir hätten dazugelernt. 

Haben wir nicht! Wir haben nur Kinder bekommen, Berufe ergriffen, Beziehungspartner gewechselt. Wir sind Erwachsen geworden? Wir sind dem Schein erlegen, den unsere Lebenszeitrealität uns versprochen hat.

Aber ich will weitergehen, ich finde das Glück dieses Scheins ekelhaft und es macht mir immer wieder Angst.

Es macht mir Angst, weil wir uns nur gegenseitig verletzen und es uns im Gewalterleben vereinzelt. 

 

An vielen, an immer mehr Stellen wird über die erschreckend hohe Anzahl an Femiziden in Deutschland gesprochen, geschrieben und berichtet. 

Die Strukturen sind klar. Dass es jeder passieren kann, ist auch klar. Dass es keinen Schutz gibt, ebenso. 

Danach gibt es Untersuchungshaft, Anklagen, Verurteilungen, Therapeut:innen und auch Solidaritätsbekundungen. Aber verhindern tut das alles nichts.

Im Einzelfall bleibst du ausgeliefert und das alles als geregelte Struktur.

Und obwohl wir das eigentlich begriffen haben, obwohl wir flammende Reden halten und ihnen lauschen, auf Insta den Anklagenden, Aufdeckenden und Thematisierenden folgen, trotz alledem bleiben wir in der arroganten, in der weiß-bürgerlich privilegierten Haltung stecken, dass uns das schon nicht passieren wird und wir uns selbst die Nächsten sind.

Ich weiß, dass das wieder sehr „radikal“ ist, dass es unangenehm ist, dass es sich nicht gut in schmissige Parolen verpacken lässt, aber das ist gerade meine Wahrheit: Das Patriarchat ist nicht irgendwo da draußen. Die Gewalt ist nicht nur ein Problem von irgendwelchen anderen. Das Patriarchat ist in uns drin. Die Gewalt reproduzieren auch wir selbst in unseren Beziehungen zu unseren Freund*innen, zu unseren Partner*innen und zu unseren Kindern. Wir sind nämlich gar nicht so weit entfernt von der Spitze der Privilegierten. Und solange jede* sich nicht an die eigene Nase fasst und Entscheidungen trifft, Verantwortung dafür übernimmt und sich weiterentwickelt, solange habe ich keinen Bock mehr auf diese Schein-Solidarität, dann bleibe ich lieber allein.

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https://blogs.taz.de/frida/ich-will-keine-trauer-solidaritaet-mehr/

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kommentare

  • Ich kann dich gut verstehen und ich finde schon lange, dass awareness auch ein bischen entmündigen kann. Alle Mädchen oder körperlich schwachen Kinder und Jugendlichen sollten einen Selbstverteidigungskurs machen. Es bringt uns mehr in die Eigenverantwortung und ins Selbstbewustsein, dass niemand das Recht hat einem etwas an zu tun und dass man selbst in der Lage ist sich zu wehren und man lernt nein zu sagen oder gar zu schreinen. Das ist sehr wertvoll.

  • Vielleicht ein Problem unserer Zeit, dass auch der Aktivismus zu Wellen, Gesten und Klicks geschrumpft ist. Der radikale Feminismus der 60er/70er Jahre war in langwieriger, kleinteiliger Organisationsarbeit entstanden und er war über das Dach des Marxismus mit vielen anderen Emanzipationsbewegungen verknüpft und vernetzt. Ist heute kaum noch vorstellbar, aber ich teile die Meinung, dass echte Veränderung nicht durch Campact Petitionen und Solidaritätsbekundungen entsteht, sondern durch klassische Grass-Roots-Organisation, die in die Parteien und die Politik hineinreicht (ohne sich vereinnahmen zu lassen – wobei Kompromisse allerdings unvermeidlich sind) und die Kraft entwickelt dort echten Druck aufzubauen. Ich habe mich wirklich lange auch akademisch mit den Counter Cultures der Ära beschäftigt und erreicht haben die was, die 1. gut politisch organisiert waren und die 2. einen gemeinsamen „Glauben,“ eine sie tragende Ideologie hatten – ob Jesus oder Marx.

  • „…und das alles als geregelte Struktur. (…) dann bleibe ich lieber allein.“
    Wir kommen aus der Vereinzelung nicht raus und wissen ja, dass das durchaus seinen Zweck erfüllt, nämlich dass wir nicht zusammenkommen, um wenigstens (oder mindestens) parallele Strukturen zu bauen, in denen nicht der Wettbewerb und damit die Gewalt das Monopol hat, sondern wir. Gemeinsam und füreinander. Weil wir besser zueinander sein können, ohne einander für bestimmte Zwecke zu manipulieren. Das zu glauben, ist ein erster, unfassbar schwerer Schritt für mich. Wie kann ich aktiv werden für mich und andere, wenn ich aufgrund von Erfahrungswerten nicht mehr an sie glauben kann…

    Ein weiteres Problem ist, dass wir genauso wie diejenigen ganz rechts auf der Skala auf Rettung durch Führung hoffen. Auf eine Einzelperson, die uns aus der Gewalt hebt, sodass wir nur noch folgen müssen (zu mehr fehlt uns meist auch die Energie). Das wird aber nicht passieren.

    Ich wäre gerne Deine Freundin und würde Gegenentwürfe mit Dir entwickeln. Stattdessen sitze auch ich auf meiner selbsterwählten Insel, weil ich da immer noch die größte Illusion von Sicherheit leben kann. Noch.

  • „Ich dachte, wir hätten dazugelernt“. Ich weiß nicht, ob ich mich als zumindest geschlechtlich privilegierter Mann äußern sollte… aber die Worte reizen mich, es zu tun.

    Sich gegen die Strukturen für fairen Handel einsetzen – weil man bei genauem Hinschauen (und Hinfahren) unfassbares Leid erkennt? Sich gegen Verkrustungen in den Kirchen einsetzen, weil man in der Sache so viel Gutes sieht? In Gesprächen auf Alltagsdiskriminierung hinweisen, weil man das Gefühl hat, Menschen nehmen diese nicht wahr? Sich für Flüchtlinge einsetzen, weil man beim Zuhören lernt, welch endloses Leid viele ihrer Biographien in sich tragen, die ihnen jedes Recht geben, anderswo Schutz zu suchen? Aber auch im Digitalen: die Versuche, bei sozialen Medien den Kinderschutz in den Vordergrund zu rücken oder weg von Plattformen zu kommen, die ganz offensichtlich nicht das Wohl des Einzelnen oder der Gemeinschaft im Blick haben.

    All das treibt mich seit Jahren um – und an den Strukturen hole ich mir die mehr oder weniger tiefen Schrammen des Alltags. Vieles wird bejaht – gemacht wird nichts. Und das Einzige, was ich mit einer gewissen Konsequenz erlebe, ist die Verhärtung von Fronten. Man soll sie mit Datenschutz in Ruhe lassen. Männer sind eh alle Schweine (und können weder fühlen noch verstehen, was eine Frau durchmacht). Gegen die da oben kann man eh nichts machen. Usw.

    Ich fürchte, wir Menschen verabschieden uns früh und nachhaltig von der Lust am Wagnis und an der Veränderung zum Besseren. Verlernen früh, uns kritisch zu reflektieren und zu unseren menschlichen Schwächen in einer Art zu stehen, die zumindest kleine Verbesserungen erstrebenswert macht. Schon in frühkindlicher Sozialisation werden wir auf Sicherheit und Abgrenzung trainiert, verstetigen dabei nicht selten die Sünden der Vorfahren.

    Veränderung war schon immer unbequem und ein Prozess, der einen starken Willen vorraussetzt. Was heute anders ist, ist die Ebene der „gefühlten Realität“, die wir uns abstrakt und mit wenigen Fingerbewegungen zusammenbasteln. Und schon sind wir Teil einer Bewegung, irgendwer bringt den Slogan, jemand anderes ein Symbol und dann hocken wir über den Bildschirmen und tauschen gegenseitige Versicherungen aus.

    Und wo wir früher kalt wurden, weil wir die Veränderung gezwungen waren abzulehnen… können wir heute wunderbar schizophren alles Anklicken, was unser früh verloren gegangenes Idealbild des eigenen selbst gerne sehen möchte – ohne von der Wirklichkeit allzusehr verletzt zu werden. Wir kaufen bei Primark und voten für Kinderrechte, wir stehen auf für Selbstbestimmung und nutzen Tiktok, wir sprechen von Gleichberechtigung und genießen Kinofilme, in denen Klischees wie eh und je zurechtgewalzt werden.

    Und vor allem… verabschieden „wir“ uns immer mehr vom „wir“. Lassen uns echte Gemeinschaft bereitwillig von Unternehmen aus der Hand nehmen in einer Haltung, die Versorgungserwartung und Leichtgläubigkeit vermischt.

    Der Kulturpessimist in mir, den ich hier herauslasse… bezieht sich auf die Strukturen. Ich liebe (meine) Kinder, ich respektiere Freunde, egal, welches Geschlecht sie haben, ich versuche, mich zu mir selbst zu verhalten. Und (sorry) ich scheiße auf Strukturen, Soziale Medien und allem, was mir jemand meint, Vorzugeben – so es denn meinen ethischen Prinzipien zuwiderläuft.
    Und ich freue mich über jeden, der mitgeht. Aber von Strukturen zu erwarten, dass sie diesen Weg stützen – das sehe ich einfach nicht (wenn ich es denn jemals sah).

    Die Wur verstehe ich. Den Ausweg sehe ich nicht. Außer mühsam Netzwerke spinnen, ins echte Handeln zu geraten und Menschen um sich zu haben, die den Glauben nähren, dass es in uns mehr gibt als das, was die Strukturen uns manchmal zeigen. Und fest darauf zu hoffen, dass das Gute sich am Ende des Tages immer durchsetzt.

    • In diesem Beitrag hatte ich mit „wir“ eigentlich nur FLINTA*s einbezogen, aber, so wie ich auch in den eigenen Reihen es oft vermisse, dass der Menschen wahrgenommen wird, so nehme ich auch dich hierbei als Menschen wahr, den etwas in meinem Text zum fühlen und denken angeregt hat; ein schön langer Kommentar 😉

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