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Monsieur Wunsch ist ein Modell!
Die Nadel einer mechanischen Apparatur senkt sich auf eine goldene Scheibe und hinterlässt feine Rillen auf dieser. Die sonore Stimme wiederholt:
Monsieur Wunsch ist ein Modell!
Zugegebenermaßen in gewissen Einzelfällen, stellt sich auch eine Art Abnutzung des Wunsches ein. Der Mangel an Perspektiven kann durchaus als Antrieb fungieren, hingegen bringt das Ziel zuweilen eine Lebensmüdigkeit mit sich. Für diese speziellen, unvorhersehbaren Fälle wurden Anpassungsanstalten eingerichtet.
Die Nadel springt nach vorne, fräst sich hin zum Kern.
Lassen wir uns über den Kommunismus reden, also reelen Kommunismus. Der Fehler in der Vergangenheit war, davon auszugehen, dass der Kommunismus, ein Denkmodell, funktionieren kann, wenn nicht alle Menschen die gleichen Voraussetzungen mitbringen. Es wird immer welche geben, die anderen überlegen sind und die somit ihre Fähigkeiten ausnutzen. Ich werfe das hier niemanden vor, bewusst und absichtlich in Kauf genommen zu haben.
Wie die Bienen im Stock, so müsste der Mensch sein. Superbienen und das sind wir – jetzt. Der springende Punkt war und ist, dass wir nur Bienen sein konnten und können, weil wir daran glaubten und noch immer daran glauben. Und wir glauben auch an die Bienenkönigin, diese ist Crispr Clean. Das Substrat des neuen Menschen. Postmoderne Eugenik. Und nur weil wir daran glauben, besteht unser System auf diesem Baustein.
Die Nadel macht einen Schlenker.
Wenn alle Menschen, die gleichen Fähigkeiten besitzen, wird die Bedeutung von Talent aufgehoben. Wir brauchen keinen mehr, der uns vormacht, was Kunst ist, der Bücher schreibt und Denkansätze aufstellt. Wir alle sind Künstler. Eine Kolonie von Dichtern und Denkern. Alle Werke, die wir schaffen sind Meisterwerke – für die Ewigkeit bestimmt.
Tim Tan war unser Visionär, unser Pionier, unser Heilsbringer.
Das Produkt des 21. Jahrhunderts – Crispr Clean.
Aus medizinischer Sicht forschte man damals am Crispr-Verfahren, um mittels der Genschere, die Seuchen aus unserer Zeit zu verbannen. Doch Tan begriff, dass es nicht zuweit gehe, wenn man alle Menschen dieser Behandlung unterzog. Wo der Mensch ist, da ist auch die Seuche, das Siechtum unmittelbar. Wir alle sind von der Krankheit befallen, dass wir Schwächen haben, das andere besser sind als wir.
Ich verehre Tim Tan. Ich glaube, wir sind das, was sich einst Goethe unter den schönen Seelen vorstellte. Wir alle tragen sie in uns, wir alle schaffen all diese schönen Dinge – wir haben uns geschaffen.
Er müsste jetzt sehr glücklich sein. Wir sind noch nicht unsterblich, aber zur Unendlichkeit fehlt nur noch ein Schritt.
Eine Hand greift nach dem Greifarm mit der feinen Nadelspitze und beendet die Gravur. Dieselbe Hand greift nach einer Rassierklinge und trennt sich mit dieser ihren großen Zeh vom restlichen Fuß ab. Die sonore Stimme kann sich einen Seufzer nicht enthalten. Der Griff geht erneut zur Nadel, die Platte setzt sich wieder in Bewegung.
Wir sind eine Generation, nein, eine Rasse von Dichtern und Denkern.
Humanisten, Intellektuelle, Philosophen. Wir sind die Weisheit. Es gab dann natürlich noch die Anderen. Es waren nicht sonderlich viele, ein paar Überbleibsel der menschlichen Krankheit. Ich kann heute nicht mehr sagen, wieso sie keine Töchter und Söhne von Tan wurden.
Weigerten sie sich? Das ist schwer zu verstehen.
Vor einiger Zeit tagten wir, um über das Schicksal der Anderen zu referieren. Wie lässt sich eine Rotte an Individualisten, die ihre Vollkommenwerdung verweigern und dadurch die Aufhebung einer homogenen Gesellschaft in Kauf nehmen, wiederum in eine Gesellschaft von Menschen einordnen, die ihnen in jeder Hinsicht um Längen voraus sind?
Die Hand greift erneut nach der Rassierklinge und trennt den anderen großen Zeh von seinem angestammten Platz. Blut spritzt. Die sonore Stimme versucht dem Schermz keinen Raum zu geben. Die Platte läuft unentwegt weiter.
Wir großen Denker haben uns entschlossen. Es bestünde keine Aussicht, auf die Realisierung eines gemeinsamen sozialen Lebens, ohne dass die Anderen nicht darunter leiden müssten.
Der Mensch leidet, der Mensch neidet, insofern er mit Überlegenheit konfrontiert wird. Wir töteten sie, zu ihrem besten, um ihn diesen Leidensweg zu ersparen. Lange rätselten wir, wie wir den Prozess, zu ihrem Wohle realisieren könnten. Toxin, das war das Mittel unserer Wahl, es garantierte ein schmerzfreies Ableben der Anderen. Ihr Tod machte uns keine Freude, es war nur ein notwendiger Dienst an der Schwäche. Wir empfanden dabei eher wie eine kluge Mutter, die ihr Kind dabei ertappt, wie es Käfer mit dem Stein erschlägt. Wenn sich das Insekt schwer verletzt nach vorne robbt, den Drang des Lebens verspürt und sich dieser Schimäre hinzugeben vermag, da erledigt die kluge Frau, das verwundete Tier, um ihm die Qualen zu ersparen.
Die Stimme hält ihre gerade Linie, kein Zittern fährt über ihre Lippen.
Das ist das Ende. Gold ist ein beständiger Werkstoff. Sein Wert mindert sich nie über die Jahre, noch fressen die Gifte des Weltalls an seiner Struktur. Das glänzende Mettal ist seit jeher mit der menschlichen Kultur verbunden.
Eine unvollständige Geschichte ward einst in die Galaxien gesand, um die Geschichte der Menschheit zu dokumentieren. Ich schildere ihr Ende. Mein Vorhaben tat ich auf Eigeninititive, wohlwollend in Kauf nehmend, dass ich nun das letzte Mysterium unserer Generation lösen und die Anpassungsanstalten von innen zu Gesicht bekommen werde. Ich freue mich auf diese letzte Etappe, sollte ich dort den Schmerz vergessen können, den mir meine beiden fehlenden Zehen verursachen, dann ist es nicht weiter schlimm.
Zufrieden greift die Hand nach der goldenen Schallplatte und nimmt sie von der Apparatur.
[Dann murmelt die Stimme zu sich selbst:
Das intelligente Leben wird einen Bogen, um uns Verfluchte machen, bevor wir sie anstecken, mit unserer Weisheit.]