Werber, Vertriebsmann, Verleger, Gestalter, Hersteller, Herausgeber, Aktionskünstler, Autor, Erzähler, Blogger… Dies sind nur einige der Tätigkeitsfelder, die sich als Berufe oder Berufungen dieses Mannes aufzählen lassen, und für viele, ja für die meisten Menschen, reicht ein Leben für die Bewältigung dieser multiplen Tasks vermutlich nicht aus – Jörg Schröder aber, der am 24. Oktober seinen 75. Geburtstag feiert, hat sie nicht nur schon alle mit Bravour (und der hohen Kunst des erfolgreichen Scheiterns) gemeistert, er ist auch nach wie vor munter dabei. Gerade ist mit „Kriemhilds Lache“ sein neuestes Buch erschienen, mit Auszügen aus dem kulturhistorischen Mammutwerk „Schröder erzählt“, an dem er mit seiner Kooperateurin und Lebenspartnerin Barbara Kalender seit 1990 arbeitet.
Viermal im Jahr erreichen die im Desktop-Publishing liebevoll hergestellten Folgen etwa 350 Subskribenten der Serie, die mittlerweile auf über 3.000 Seiten angewachsen ist. Dass sie im Buchhandel nicht erhältlich ist, hat einen guten Grund, denn Schröder erzählt nichts Fiktionales, sondern Realgeschichte, er deutet nicht an, sondern nennt Ross und Reiter beim Namen – und das brachte ihm, nachdem er Ernst Herhaus 1972 in „Siegfried“ erzählt hatte, wie es unter der Gürtellinie des hochmögenden Literatur- und Kulturbetriebs zugeht, eine Masse an Unterlassungsklagen und Zensurforderungen ein, deren Akten ganze Regalmeter füllten. Sachlich und zurückhaltend zu bleiben, wo es doch auch direkt und persönlich geht, war Schröders Sache nicht – und so erfand er für „Schröder erzählt“ den literarischen Direktvertrieb und ist seitdem von Gerichtsklagen verschont geblieben. Die ersten Geschichten unter diesem Titel erschienen schon ab November 1982 gelegentlich in der taz, die von Schröder damals vor einer Klage bewahrt wurde, die sein Ko-Autor Uwe Nettelbeck angedroht hatte. Der Grund: wir hatten eine Schröder-Geschichte über amerikanische Atomwaffen in Vogelsberger Wasserwerken nachgedruckt, die in Uwe Nettelbecks Zeitschrift „Republik“ erschienen war – und dies nicht nur ungefragt, sondern auch mit so zahlreichen Sazzfehlern gespickt, dass der penible Republik-Herausgeber schier ausrastete und mit dem Kadi drohte. Der ebenfalls im Vogelsberg lebende taz-Autor Helmut Höge schaltete Schröder als Vermittler ein, der uns das Copyright nachträglich gewährte. So kamen wir nicht nur mit einem fehlerfreien Zweitdruck davon, sondern fuhren in der Folge auch öfter nach Fuchstal-Leeder, um uns Schröders Geschichten direkt für die taz erzählen zu lassen.
Kurz zuvor hatte er den von ihm am 18. März 1969 gegründeten legendären „März“-Verlag, den Karl-Heinz Bohrer 1972 als „den kulkturrevolutionären Verlag der BRD“ beschrieben hatte, und der dennoch (oder deswegen?) schon zweimal in die Insolvenz gegangen war, zum dritten Mal wieder gegründet – und hätten Schröders Hyper-Aktivismus und der bukowskische Lebensstil seiner frühen Jahre 1987 nicht ihren Tribut in Form von zwei Herzinfarkten gefordert, gäbe es den Verlag wohl noch heute. Denn seine Nase und sein Händchen für avantgardistische Literatur, Pop und Politik hat Jörg Schröder ebensowenig verloren wie seinen wachen Geist, sein Mundwerk und seinen Humor, mit denen er in seiner seriellen Biographie dem Zeitgeist und der Realität aufs Maul schaut. So war es selbstverständlich, dass der zum Blogwart mutierte ehemalige taz-Kulturredakteur den ehemaligen Verleger (das Foto oben zeigt beide auf der Buchmesse 1983) sofort zum Blogger machen wollte, als die taz 2006 ihre Blogs einrichtete, und es war klar, dass ein alter Medienfuchs wie Schröder die Möglichkeiten dieses neuen Mediums sofort erkennen würde. Seitdem schreibt er mit Barbara Kalender einen der meist gelesenen Blogs auf taz.de. Schon deshalb sind wir dem Jubilar zu Dank verpflichtet, darüber und weit über die taz hinaus haben aber auch Literatur und Kultur in Deutschland dem Lebenswerk Jörg Schröders viel zu verdanken – und so verbeugen wir uns vor dem Geburtstagskind, wünschen Gesundheit, Glück und Segen und singen im Chor: Ad multos annos!
(Fotos: Barbara Kalender)
Der Bär weht in südwestlicher Richtung.
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Hoch sollst du leben! Nachträglich …