Eine Zuschrift habe ich auf meinen Blogbeitrag vom 12. 11. 2019 erhalten. Ein weit gereister Herr stieß sich an dem Wort Lohnsklaverei, das ich in meinem Text verwendet hatte, und riet mir freundlich zu, es doch einmal mit der Selbstständigkeit zu versuchen. Nun, Undank ist der Welten Lohn, wie es heißt, und ich glaube nicht, dass man angestellt sein muss, um ihn zu kassieren. Die Bedeutung des Wortes Lohn ist umfassender als bloß Entgelt für Arbeitstätigkeit mit Arbeitsvertrag. So gibt es selbstständige Tätigkeiten, für die das Wort Honorarsklaverei zwar rechtlich sicherlich genauer, aber dadurch nicht treffender als Lohnsklaverei ist. Was sind denn Tagelöhner, wenn nicht prekäre Selbstständige?
Gewundert hat mich, dass niemand sich an meinem Wunsch gestoßen hat, ohne Gegenleistung genießen zu wollen. Wird diese Unverschämtheit allgemein gebilligt? Das ließe hoffen. Das Nehmen nicht ständig mit dem Geben und, umgekehrt, das Geben nicht ständig mit dem Nehmen verrechnen zu müssen, wäre vor allem eins: befreiend. Mein Dasein hat Wert, weil ich dabin, nicht, weil ich Leistungen erbringe. Würde das allgemein empfunden, dürfte es leichter fallen, mit einem System zu brechen, in dem sich noch der kleinste Dienst am Nächsten rechnen muss und das in seinem brachialen Verwertungszwang längst über jedes erträgliche Maß hinaus zerstörerisch ist.
Aber was passiert eigentlich, wenn ich drei Wochen lang nicht viel mehr tue, als aus dem Fenster zu glotzen? Das folgende kleine Tagebuch in Gedichten ist eine mögliche Antwort auf diese Frage:
Rosenstrauch mit Knospen (29. 10. 2019)
Was wird noch mit den Rosenblüten?
Die Wolkenstreifen dort sind Eis.
Dass Kräh‘n bald kahle Äste hüten,
das ist es, was man sicher weiß.
Und doch, das Laub, die rosa Flecken:
gebremste Sommerüppigkeit,
gewillt sich weiter auszustrecken,
entgegen sowie mit der Zeit.
Der Strauch steht recht geschützt nach Süden.
Vielleicht reicht hin das bisschen Licht.
Der Blütentrieb, statt zu ermüden,
solang noch Saft fließt, lässt ers nicht.
*
Hochnebel (30. 10. 2019)
Nebel legt heut seinen feuchten
Schleier allen Farben auf,
ließe sie vielleicht auch leuchten,
wär er selbst nicht trübe drauf.
Nee, was ist das unentschlossen!
Dieser Nebel ist nicht dicht.
Seine Trübsal macht verdrossen,
doch behindert kaum die Sicht.
*
Ende eines Vormittags (01. 11. 2019)
Glas, in Schränken, hinter Glas.
Fenster, die im Glas sich spiegeln.
Überall Geschmack und Maß.
Ich möcht mich zuhaus einigeln.
Licht, durch Fenster, durch den Tag.
Stunden, die im Schweigen schwinden.
Ich, der dieses Schweigen mag,
ich muss jetzt den Absprung finden.
*
Wintervögel auf dem Dach gegenüber (04. 11. 2019)
Ein Gekrähe, ein Geelster!
Schwarz behüpft verläuft der First.
Schwupp, der Schwarm (Wer war jetzt schnellster?)
flockt zur Wolke. Wo er birst.
Ein Geelster, ein Gekrähe!
Flocken werden wieder Schwarm.
Der verliert sich in der Nähe.
Draußen ists bestimmt nicht warm.
*
Herbsthimmel (05. 11. 2019)
Monochromer Wasserdampf,
eingeweht ist blasses Blau,
Laub, nur sanft mit Wind im Kampf,
steht getupft, Gelb gegen Grau.
Alles kaum bewegt und still,
mal ein Spatz im Wellenflug;
ich betracht mirs, wie ich will,
Zuzuschauen ist genug.
*
Aufziehender Schauer (06. 11. 2019)
Das Wetter schweigt. Der Tag lärmt weiter.
Man baut. Die Autos brauchen Platz.
Ich seh das Treiben, grimmig heiter.
Es scheint mir alles für die Katz.
Ein Regen naht. Und Gras grünt endlich.
Jetzt, wo das Jahr zur Neige geht.
Schafft Parkplätze! Na, selbstverständlich:
Im Sommer wird dann Staub gemäht.
*
07. 11. 2019
Blau poliert ist überwiegend
heut der Herbst und Sonne strahlt,
Jets, den Himmel quer befliegend,
heben sich aus Dunst, es kahlt
Wind die hochgereckten Zweige:
Luft wie die ist kaum stabil,
Trübungen sind Fingerzeige,
dass es regnen will. Und viel.
*
08. 11. 2019
Wolkensuppe, alles dicht.
Doch heut morgen drang das Licht
hell durch einen zarten Schleier:
Dampf der Sonnenbadefeier.
*
13. 11. 2019
Der Tag vergeht, bevor ich wach bin.
Ich schleiche um mich selbst herum.
Bekomm nur eins (mit Ach und Krach) hin,
die Zeilen hier. Frag nicht, warum.
Von meinen Pflichten – nur ein Drittel,
vom stillen Träumen – nie genug.
Zum Dichten hab ich nur dies Mittel,
aus keinem andern werd ich klug.
Ich stürz mich ungern ins Getümmel,
Betriebsamkeit befremdet mich.
Der Fleiß erschließt mir keinen Himmel,
mein Paradies bleibt liederlich.
*
Zerkratzter Himmel (14. 11. 2019)
Was eben klar war, das befiedert
sich fransig, weiß, wird undeutlich:
In Flaum liegt jetzt das Blau gegliedert,
wo Linien waren, Strich an Strich.
Doch hat ein Wind sie aufgerieben.
Und Schönheit, halb Naturgeschehn
und halb Verschmutzung, ist geblieben:
Die Flieger sind nicht mehr zu sehn.
*
Dachfenster im Niesel (18. 11. 2019)
Ein Film aus Regenwasser schliert,
von kleinen Tropfen aufgetragen,
die Scheiben abwärts, es verliert
der Durchblick sich an solchen Tagen.
Gesprenkelt Zweige und das Dach,
bei leiser Windbewegung,
gedämpft hör ich den Straßenkrach,
zu schlafen zieh ich in Erwägung.
*