vonkirschskommode 16.01.2024

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11.01.2024
Die Nachricht, dass sich einflussreiche AfD-, CDU- und andere (rechtsextreme) Politiker auf einer Tagung getroffen haben, um konkret über die Umsetzung eines Deportationsplans für „Undeutsche“ (unabhängig von deren Staatsbürgerschaft) zu sprechen, erleichtert und erheitert mich auf paradoxe Weise. Der Plan könnte auch meine persönliche Zukunft betreffen: In zehn, zwölf Jahren, mit ungefähr 75, werde ich, geht es nach der AfD, nach Nordafrika deportiert, vermutlich nach Libyen oder in die Westsahara, weil es dort am wenigsten staatliche Strukturen gibt, die Kräfte mobilisieren könnten, die Anlandung von hunderttausenden Ausgebürgerten zu verhindern. Schräge Aussichten, auf den ersten Blick kaum mehr als ein grimmig amüsiertes Kopfschütteln wert. Wieso nehme ich sie auch mit einer Art Erleichterung zur Kenntnis?

Eine Bilderrecherche im Internet ergibt, dass die Rechte die „Remigration“, die Massendeportation, seit Jahren EU-europaweit mit Plakaten, Flugblättern, Broschüren und Aufklebern bewirbt; im Grunde haben die Reporter von Correctiv nichts herausgefunden, was nicht schon lange allerorten öffentlich verkündet wird. Aber so ausführlich, mit so vielen Details ist in bürgerlichen Medien selten zu lesen gewesen, was die Rechte plant. Bei aller Aufregung darüber zurzeit, es wird wohl recht schnell wieder vergessen werden. Denn kaum jemand glaubt im Ernst, dass die AfD, einmal an der Regierung, solche Pläne umsetzen kann. Und deshalb empfinden die meisten keine reale Gefahr.

Tatsächlich jedoch macht ihre technische Undurchführbarkeit solche Pläne nicht weniger gefährlich. Was es schon lange gibt und was auf der Tagung noch einmal als zielführend für das Projekt der „Remigration“ propagiert wurde, ist eine Politik des Vergraulens aller als undeutsch Wahrgenommener bzw. Markierter. Diese Politik ist allerdings – Migrationsanreize reduzieren, Wer das Gastrecht missbraucht, hat das Gastrecht verwirkt, Clankriminalität bekämpfen – gleichzeitig parteienübergreifender Mainstream und z.B. etwas, das ganz alltäglich in Verwaltungen praktiziert wird. Mit jeder gewonnenen Wahl der AfD intensiviert und systematisiert sich diese Politik, vor allem lokal und regional. Das führt, nicht erst morgen und auch nicht erst seit gestern, zu einer Binnenflucht von undeutsch Markierten in Gegenden, meist in große Städte, in denen die Bevölkerung gemischter ist, was jedoch dort, da Wohnraum knapp ist und die öffentliche Daseinsvorsorge prekär, die Spannungen innerhalb der Bevölkerung erhöht. Sobald sich solche Spannungen gewalttätig entladen, nimmt der Druck, „undeutsche“ Bevölkerung auch aus den Ballungszentren zu vergraulen, zu; im traditionellen Parteienspektrum links von A-FDP/CDU haben sich etwa Frau Giffey und Frau Faeser als spezialdemokratisches Personal für diese Aufgabe bereits profiliert, Frau Wagenknecht steht ante portas. Über kurz oder lang wird es daher in der Diskussion über die legale Ausschaffung „Undeutscher“ (unabhängig von deren Pass) zugehen wie in den vergangenen Jahren in der Diskussion um das individuelle Recht auf Asyl, das heute politisch tot ist und das es vermutlich spätestens nach dem nächsten Wechsel der Bundesregierung nicht mehr geben wird. Die gesetzlich geregelte Aberkennung der Staatsbürgerschaft aus politischen oder, wie auch immer verklausulierten, rassischen Gründen wird also kommen – EU-weit, als EU-Kompromiss, denn wie beim Asylrecht verkauft sich das besser.

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Die größte, ernsteste Gefahr, nämlich die für Leib und Leben der Entrechteten, entsteht allerdings, weil man Leute per Gesetz zwar relativ unkompliziert entrechten, aber nicht ganz so unkompliziert deportieren kann. Deutschland (oder der EU) fehlt dazu ein großes Territorium in Übersee, also etwas sehr Handfestes, das sich nicht auf dem Papier mit einem Gesetzestext herstellen lässt. Deshalb muss dann, anstelle der Deportationen, doch wieder ein Lagersystem in Inland her, das bei Überbelastung aus seiner eigenen Dynamik heraus schnell auch seine Tötungsmaschinerie hervorbringen wird – letztere Entwicklung ist bei den von der EU mitfinanzierten Off-Shore-Lagern für Geflüchtete schon deutlich zu sehen, insbesondere in Libyen. Vielleicht ergeben sich Möglichkeiten, undeutsch Markierte unter Drogen als Kanonenfutter in kommenden Kriegen einzusetzen und darüber loszuwerden – die AfD könnte jederzeit ihre billiggasfühlige Freundschaft zu Putin aufgeben und anfangen, darüber nachzudenken.

Und trotz solch finsterer Perspektiven erleichtert und erheitert mich die Nachricht von den „Remigrations“-plänen der Rechten auf ihre Weise. Vermutlich, weil auf der Tagung unter dem Beifall aller Anwesenden klipp und klar ausgesprochen wurde, dass man die biodeutschen Unterstützer der Einwandernden und Eingewanderten, die Seenotretter und Integrationshelfer, ebenfalls mit abzuschieben habe. Das klärt die Fronten. Damit kann ich nun jedem dritten Nachbarn, den oder die ich hier treffe, unter die Nase reiben, dass die Partei, die er oder sie zu wählen gedenkt, vorhat, nette ältere Herren wie mich nach Nordafrika zu deportieren, wenn die, wie ich, über die Migrationsfrage anders denken als die Partei oder, wie ich, Pro Asyl regelmäßig Geld spenden oder, wie ich, Einwanderern seit Jahrzehnten mit Sprachunterricht aktiv dabei helfen, hier Fuß zu fassen. Wer mich, ganz konkret mich, auf Dauer als Nachbarn behalten wolle, der oder die mache, kann ich nun  sagen, bitte sein Kreuz woanders. Es geht nicht mehr abstrakt um eine nebulöse Gefahr für die Demokratie oder für die Menschenrechte anderer. Die AfD meint mich ausdrücklich mit. Ich bin aus ihrer Sicht ein verdienter zukünftiger Nordafrikaner.

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