Neulich fand ich in einem Buch (Mädchenmeute von Kirsten Fuchs) einen Satz und, um mal einen Insiderwitz zu machen (Aufklärung in: Das Magazin, Dezember 2019): Er funkelte mir Freude. Also führte ich ihn mir zu Gemüte und schwor, ihn für immer zu behalten. Der Satz lautet: In der Luft hing eine tropfenlose Idee von Regen. Aber seine Autorin muss doch geglaubt haben, ich könne ihn nicht auf Anhieb verstehen und erklärt ihn mir mit einem nächsten: Als ob die nasse Zukunft schon in die trockene Gegenwart drängte.
Auch dieser Nachsatz ist selbstverständlich schön: Es war, als hätt der Himmel, als würd die nasse Zukunft – es eichendörffelt aufs Suggestivste, die Erde wird endlos gleich von Regen geküsst. Doch für mein Empfinden bräuchte der erste Satz den zweiten nicht. Und umgekehrt. Welchen Zweck erfüllt der Nachsatz als Nachsatz?
Vielleicht ist das die Kunst der Leserlenkung. Oder vielmehr die des Hörers. Kirsten Fuchs hat ihr Handwerk auf der Lesebühne verfeinert. Funkelt ein Satz heftig, ist das innere Auge des und der Zuhörenden für Sekunden irritiert. Aber auf der Lesebühne gibt es keine Zeit, nicht einmal für Sekunden. Der Nachsatz nimmt alle, die verwundert stehengeblieben sind, sanft an der Schulter und zieht sie in den Fortgang der Handlung zurück. Sag es zweimal, wenn es schnell gehen soll.
Natürlich straft das alle Sprichwörter Lügen. Das Gute und kurz, doppelt so gut. In der Kürze liegt die Würze. Nein. Nicht immer. Nicht nur das Verdichten, auch das Wiederverdünnen will offenbar gelernt sein, der Flüssigkeit wegen. Und mir wird durch mein Leseerlebnis schlagartig klar, weshalb die gut verkäuflichen Bücher in den letzten Jahrzehnten tendenziell immer dicker geworden sind. Eben nicht obwohl, sondern ganz genau weil die meisten immer weniger Zeit zum Lesen und Durchdenken von Sätzen haben.