Das Dumme an Experimenten ist, dass sie anders ausgehen können als erhofft. In meinem Blog habe ich in den letzten Wochen zwei kleine Reihen geführt, immer im Wechsel, den einen Dienstag Gedichte zu Teilnehmern an meinen Deutschkursen, den anderen Beiträge und Reflexionen zu einem der wichtigsten deutschsprachigen Lyrikpreise, dem Feldkircher Lyrikpreis. Der innere Zusammenhang beider Reihen ist, dass ich die Überlegenheit traditioneller lyrischer Formen über den Wörter- und Zeilensalat, der jährlich in Feldkirch triumphiert, demonstrieren wollte. Und das eben nicht nur mit Spottversen zu Kollegen und Kolleginnen sondern auch mit Gegenbeispielen: fünf Sonette zu Kursteilnehmern, ein Griff in die Gegenwart mit äußerst altmodischen Mitteln.
Selbstverständlich habe ich gehofft, dass die Sonette wesentlich mehr Beachtung finden als das Kollegen-Geplänkel. Die Mutter, die Kluge, der Verbannte, der Strauchelnde – hier treten Gestalten auf, eindringlich, wahrhaftig … aber, nein, die Rauferei unter mit Lyrik Befassten stiehlt ihnen die Schau. Es ist mir eine Lehre, auch wenn ich noch nicht genau weiß, was ich daraus lerne.
Bleibt, das letzte Gedicht der Porträts von Kursteilnehmern nachzutragen, um die Reihe abzuschließen: Die Träumerin. Gefangen im Traum von einem besseren Leben, das nicht kommen will, weil es mit Arbeit nicht zu erlangen ist und doch nur Arbeit als Mittel bleibt, es zu erlangen. Das ist der Typ Migrantin, der uns bleiben wird, auch nachdem die Rassisten (und Rassistinnen) sich an den unionseuropäischen Außengrenzen durchgesetzt haben. Der Tod der Falschfarbenen und Falschgläubigen an eben jenen Grenzen bedeutet der Träumerin, dass sie dankbar zu sein hat für das Privileg, sich hier abrackern zu dürfen. Und ihre Plackerei bedeutet denen, die sich über Armutslöhne beklagen, dass es auch mit noch weniger geht. Wie alle der in dieser Reihe Vorgestellen habe ich auch Galina sehr gemocht. Für Leute wie sie will ich eine andere Welt.
Menschen, deren Spur ich verliere – Gedichte zu Kursteilnehmern (5)
Galina
Sie kanns nicht lernen, sie hat keine Zeit.
Sie liest im Deutschbuch, während sie Gemüse
verschneidet, anbrät, schmort, mit einer Prise
Gewürz versieht – als Nebenherarbeit.
Sie wirds nicht lernen, sie ist zu bereit
gleich einzuspringen, Monatsende, Miese;
das Restaurant verfährt nach der Devise,
wo fünf sein müssten, schafft mans auch zu zweit.
Sie braucht sofort ein völlig andres Leben!
Sie hat ein Kind. Daheim. Und sieht es nie.
Musik und Tanz sind Lust ihr in Vollendung.
Fürs Glück ist sie begabt, ist freizugeben!
Wenn sie von Liebe spricht, errötet sie.
Sie schuften lassen: übelste Verschwendung.