Nachhaltigkeit
Ich brauche manchmal kleine Dinge.
Der Teppich liegt, die Tür setzt auf.
In diesem Fall sinds Fitschenringe.
Der Baumarkt bietet sie zum Kauf.
In Messing, zwanzig Stück pro Schachtel,
beziehungsweise Plastikbox.
Von zwanzig brauch ich – nicht ein Achtel.
Ich stoß aufs Kleinteilparadox.
Das Kleine gibt es nur in Mengen,
zuhause hort ich Mini-Schrott.
Gefangen seh ich mich in Zwängen
des Baumarkts. Der geht sonst bankrott.
Dort gilt: ein Nagel gleich zehn Nägel,
muss auch nur einer in die Wand.
Die herrschende Verschwendungsregel
ist ökonomischer Verstand,
geschärft in Überlebenskämpfen:
Nachhaltigkeit ist schön als Ziel,
doch (um Erwartungen zu dämpfen)
kommt es drauf an, kommt viel von viel.
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29.04.2022
Ich muss jetzt einmal ganz ernst werden: Die Marktwirtschaft als evolutionär entstandenes und sich stetig weiter ausdifferenzierendes Gebilde, ist so voller gewachsener Zwänge, denen bei Strafe des Untergangs zu gehorchen gilt, dass es in ihr nahezu unmöglich ist, auch nur eine einzige ökologisch sinnvolle Auflage zu erfüllen, sollte der Regierung einfallen, sie zu verfügen. Ich kann nicht einmal einen Messingring oder einen Nagel kaufen, ohne an der Ressourcenverschwendung, also an der Weltverbrennung mitzuwirken. Aber ein Gesetz, das vorschreibt, dass die Baumärkte Kleinwaren unverpackt einzeln abzugeben hätten, würde sehr schnell zur Schließung der an die Stadtränder geklotzten Hallen führen: Sie würden unwirtschaftlich. Und so geht es in jedem denkbaren anderen Bereich, überall ein unauflösliches Geflecht von Abhängigkeiten und Verstrickungen, bei dem sich an nichts rühren lässt, ohne Ruin zu riskieren. Ich arbeite, ich kaufe und ich organisiere, ohne zu wollen und nebenbei, meinen eigenen Hitzetod.
Ich dächte nun, das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sollte relativ unumstritten sein. Nicht nur Mord, Totschlag und Körperverletzung gelten als Straftaten, sondern auch die fahrlässige Tötung oder Körperverletzung, also böse Folgen von Handlungen, die ohne böse Absichten begangen wurden. Es ist daher nicht ganz abwegig anzunehmen, dass eine Staatsregierung eine gewisse Pflicht hat, Leben und Unversehrtheit der Einwohner des ihr jeweils unterstellen Territoriums zu schonen und nicht leichthin anderen Zielen unterzuordnen. Ich würde deshalb von der Regierung meines Landes, selbst wenn ich keine der an ihr beteiligten Parteien je gewählt habe, beispielsweise immer auch verlangen wollen, dass sie keinen Krieg provoziert und sich mit einer Kriegsmacht, die Verhandlungen fordert, hinsetzt und verhandelt und zwar sogar dann, wenn es sie ankotzen sollte, von der anderen Seite zu diesen Verhandlungen durch reine, brutale Gewaltandrohung genötigt worden zu sein.
Ich gebe zu, in Deutschland, genau wie in den anderen 29 NATO-Staaten oder auch in der Ukraine, wurde in den letzten Jahren nicht sehr viel Rücksicht genommen auf Leute wie mich, die, vielleicht nur aus Genusssucht oder Gewohnheit, um ihr kleines unwichtiges Leben fürchten. Anderes, wie der Kampf um wirtschaftliche Vormacht, war viel wichtiger, eine Drohung, eine Sanktion gab die andere. Bis es nun so weit gekommen ist, wie es niemals hätte kommen dürfen. Die bekämpfte Gegenseite hat gezeigt, wie es um ihre (Gegen-)Drohungen bestellt ist: Sie waren ernst gemeint. Glaubt also noch irgendjemand auch nur eine Minute, dass Russland mit der einzigen Drohung, die ihm bleibt, die Drohung mit der Atombombe, es nicht ernst meinen könnte? Je schlechter die militärische Lage, desto wahrscheinlicher der Einsatz des letzten Mittels. Es wäre wohl an der Zeit, ohne Vorbedingungen zu verhandeln. Noch ist etwas da, worüber man verhandeln kann.
Selbstverständlich ist es unerfreulich, sich der Gewalt zu beugen. Aber es gab schon immer bloß einen einzigen, halbwegs vernünftigen Weg, ihr zu entkommen, nämlich ihr auszuweichen, vor ihr wegzulaufen, sich vor ihr zu verstecken, ob das nun besonders heldenhaft war oder ist oder nicht. Im Zeitalter der großindustriellen Organisation des Krieges, seiner Technisierung und seiner Massenvernichtungsmittel ist das Weglaufen sehr viel schwerer möglich als vor zweihundert Jahren, wo der Wald noch einen gewissen Schutz vor den herannahenden Truppen versprach. Heute müsste ein Verteidigungsministerium, das seinen Namen verdient, eigentlich minutiös planen, wie ein ganzes Land im Fall eines Überfalls sich verkriecht – nämlich ohne dass die über es hinwegziehenden Invasoren die Chance haben, auch nur die grundsätzlichsten Dinge wie Stromversorgung oder Zugverkehr wieder in Gang zu setzen, weil sie so viel Fachpersonal, das sich unidentifizierbar zwischen die Besiegten verkrümelt hat, nicht durch eigene Leute ersetzen können. Eine solche Mischung aus Flucht, Generalstreik, Boykott und passivem Ins-Leere-laufen-lassen würde sicherlich nicht jedes Massaker und nicht alle Zerstörungen verhindern, aber sie verspräche insgesamt mehr Schutz und einen besseren, rascheren Ausgang aus dem Konflikt als der bewaffnete Widerstand, die regelmäßig einsetzende Internationalisierung des Krieges und das ganze andere von Afghanistan bis Libyen, Kongo oder Jemen zu sehende Programm mit seinen normalen Laufzeiten von einigen Jahrzehnten, das schon ohne Atomwaffen fürchterlich genug ist. Kriege sind undurchführbar geworden. Eine Regierung, die Leben und Unversehrtheit der Einwohner des von ihr regierten Territoriums schonen wollte, wüsste das und trüge dem Rechnung.
Oder sie wollen nicht. Vielleicht wollen sie nicht, weil sie nicht können. Sie können so furchtbar wenig, wie sich an meinem Beispiel mit dem Nagel-, Schrauben-, oder Fitschenringkauf im Baumarkt zeigt. Sie haben nicht einmal genügend Macht, sich mit Handel und Industrie hinzusetzen und Nachhaltigkeit zu verlangen, Klimatote hin, Artensterben her. Sie erfahren, sobald sie regieren, dass sie keine Handhabe haben, die ökologische Katastrophe auch nur abzumildern. Und sie stürzen sich deshalb regelrecht auf den Krieg, er erlöst sie: Ist die absehbare Katastrophe schon nicht abwendbar, gibt es durch den russischen Angriff jetzt wenigstens einen Schuldigen für sie. So eskalieren sie, wo es nur geht. Keine Verhandlungen, ist ihr Credo, Russland muss geschlagen werden. Dass Russland seine Atomwaffen einsetzen könnte, ist ihnen am Ende recht. Denn passiert es, trifft sie keine Schuld am Unheil, dem sie da, wo sie aufgerufen sind, es zu tun, nichts entgegensetzen können. Olivgrün, sagt die Geschichte bitter-ironisch zu den an der Regierung beteiligten Grünen, ist ebenfalls ein Grün und ein nuklearer Winter stoppt die Erderwärmung auch.