Ohrabkauer, 4
Man muß sich nicht vorstellen, daß jeder Aberglaube so eine ehrwürdige Herkunft hat wie die bisher an dieser Stelle abgehandelten. Die Astrologie bringt es auf über 5000 Jahre, das Christentum auf 2000. Die Ufologie kann man mit gutem Willen als illegitimen Sproß des Fortschrittsglaubens betrachten und schon hat sie auch ein paar Jahrhunderte auf ihrer Seite; so ein Ufologe begeistert sich am Ende auch für Jules Verne oder Leonardo da Vinci. Was ist aber mit dem merkwürdigen Kraut an Vorstellungen, das in Ihrer Urbanisation Ihr deutscher Nachbar Günther Müller im Kopf hat?
Wenn ich nicht wüßte, daß er redet, wie viele reden, würde ich sagen, der Mist, den er von sich gibt, der ist kaum älter als er selbst. Die geistige Günther-Müller-Welt hätte danach 59 Jahre Günther-Müller-Tradition. Laut dieser ist Günther Müller der Größte. Leider nur der Größte am falschen Platz. Wäre die Welt vernünftiger eingerichtet, sprich: günther-müllerischer, dann wäre Günther Müller der Größte am richtigen Platz, der Chef zu Deutsch. Und alles, alles wäre in Ordnung.
Das Wasser käme aus dem Wasserhahn, der Strom aus der Steckdose. Die Ausländer blieben daheim in ihrem Ausland, wenn sie sich das Ausland nicht leisten könnten; alle die Arbeit finden wollten, fänden auch welche. Es würde wieder in die Hände gespuckt, Leistung würde wieder lohnen. Man bekäme etwas für sein gutes Geld, gepfuscht würde nirgendwo. Dabei würde Günther Müller alles in allem bei Spaniern in Spanien auch mal Fünfe grade sein lassen. Es sind ja nur Spanier, bei der ihrem Temperament kann man schließlich nicht so streng sein.
Ein bißchen hört man von fern den Reichsarbeitsdienst mit seinen Spaten durch Günther Müllers Vorstellungen klappern. Was er vielleicht nicht einmal bestreiten würde. Aber noch deutlicher ist seine felsenfeste Überzeugung, daß Reichtum von Fleiß komme und Fleiß jedermann zugänglich sei. Man möchte ihm eine Hacke geben und ein wenig Land, damit er diese These einmal praktisch überprüfen kann. Ohne ihn gleich mit der traurigen Wahrheit zu belämmern, daß der Fleißige oft genug sogar Land und Hacke entbehren muß, von einem Minimum an Ausbildung ganz zu schweigen.
Doch Günther Müller greift sowieso nicht zur Hacke. Er muß die Urbanisation ordnen. Auf der Mitgliederversammlung den Bauträger anschwärzen. Warum die Glühbirne der Straßenlaterne 27 schon Wochen kaputt ist, ein Skandal. Er sammelt Unterschriften, geht kämpferisch an die Öffentlichkeit, ruft das deutschsprachige Anzeigenblatt an. Weit kommt er nicht. Den anderen Nachbarn fehlt es am richtigen Schuß Günther-Müllerischkeit. Alles Schlappschwänze. Und sich dann noch beschweren, daß er nerve!
Mit einem Witz beikommen kann man Günther Müller leider nicht. Er versteht keinen Spaß, so lange kein Schild dran steckt: Hier darf gelacht werden. Falls Sie ihn zum Nachbarn haben, hilft also wahrscheinlich nur eins: Spanisch lernen. Oder, wollen Sie ganz sicher gehen: Valencianisch. Sobald Sie es ein wenig können, ändern Sie ihre Frisur, kleiden sich neu ein, eine andere Brille ist auch nicht verkehrt. Und klingelt wieder Herr Müller an Tür, dann wissen Sie, was Sie zu sagen haben: “Ay, ¿los Lohmann? Pero se han ido, ya no viven aquí. Somos los López. ¿No me entiende? Pues nada, lo siento. Encantado de conocerle. A-uff Wi-ädärßän, Señor.”
Dezember 2000