vonkirschskommode 14.10.2021

Kirschs Kommode

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Schlaf, Schlaf, Schlaf, was du liebst ist Schlaf. Würde ich machen können, was ich wollte, würde ich mich heute wohl daran setzten, eine möglichst lautgetreue, mitsingbare Fassung von All you need is love zu erstellen. Es würde vor allem um den Erhalt der Vokale gehen. Und darum, wenigstens einige Schlüsselwörter auf die originalen zu reimen, love – Schlaf. Das wäre eine wunderbar sinnlose Bastelei.

Die Unbildung der Gebildeten: Dass meine akademischen Leser und Leserinnen oft so erstaunlich unfähig sind, die inhaltlichen und formalen Bezüge zu erkennen, in denen ich mich bewege, kann daran liegen, dass sie sich diese nie aneignen mussten, da sie, ihrem Gefühl nach, ihnen ohnehin schon immer gehörten. Sie nehmen sie als gegebene, niemals als erarbeitete wahr und in ihrem Umgang damit sind sie nachlässig wie im Alltag mit ihrer Kleidung, die sie wenig beachten, ohne je vulgär gekleidet zu sein, und die sie jederzeit, wenn es der Anlass gebietet, stilsicher ins Repräsentative zurechtrücken können, ohne dass sie deshalb von Stil etwas verstehen müssten.

Gestern, nach einer von der Feuerwehrsirene unterbrochenen Nacht sehr zerschlagen, bin ich darauf gekommen, dass ich manchmal einfach nicht mehr will: nicht mehr nach draußen, nicht mehr unterrichten, nicht mehr reisen, nicht mehr einkaufen, nicht mehr Freunde sehen. Nicht, dass ich irgendwie ablehnen würde, das Genannte zu tun, nichts davon ist mir unangenehm oder wäre mir unwillkommen. Aber ich verspüre keinen Antrieb, es ist ganz und gar in die Ferne gerückt. Ich bin zufrieden mit meinem Aufenthalt in meinen vier Wänden, mit dem Ausblick auf die Dächer. Auf die Straße unten mit ihrem Dreck und ihren Leuten habe ich schon keine Lust mehr. Ich bin somit vollkommen ins mönchische Dasein abgeglitten, ich frage nicht mehr, was mir der Tag bringt und wie viel ich tagtäglich erreiche. Ich gehe mit der gleichen Freude am Dasein ins Bett, ob bei meinem Werkeln etwas Gutes herausgekommen ist oder nicht. Ich stehe mit der gleichen Freude auf. Ausgeglichenheit, Gleichgültigkeit, Gleichmut – ich weiß nicht, woran ich bin. Aber es ist natürlich das Ergebnis dessen, was ich Hausarrest nenne, die durch Corona fehlende Gelegenheit, ein äußeres Leben zu führen und sich seinem Rhythmus anzupassen, und zwar ohne dass ich deshalb Angst ums Überleben haben muss. Ich schmecke vom Rentnerdasein, denn ich habe es geschafft, mein vormittägliches Bummeln gegen den Zeitdruck an auf den ganzen Tag auszuweiten und so gegen keinen anderen Zeitdruck mehr anzubummeln als gegen das Ablaufen meiner Lebensfrist. Ozeanisches Gefühl. Aber es ist die Frage, ob daraus ein Gedicht zu machen möglich ist. „Ich hab mein Lehen, alle Welt, ich hab mein Lehen!“ könnte etwas unzeitgemäß daherkommen.

Ist Selbstbezogenheit nicht manchmal auch eine Form der Bescheidenheit? Es ist besser, nicht zu vergessen, dass ich keine anderen Maßstäbe habe als die meiner eingeschränkten Erfahrung und meines eingeschränkten Horizontes.

Ich hätte immer gedacht, das Wort „Überflüssigkeit“ und seine Verwandten würden meine Erfahrungen am besten zusammenfassen; die Überflüssigkeit so vieler Menschen und meine eigene im Kapitalismus: Überflüssigkeit im Überfluss. Aber psychologisch betrachtet ist es die Selektion, die mich triggert, die Angst davor und der Widerstand dagegen, aussortiert zu werden.

Ich bin gut chinesisch. Das wäre nun auch einmal zu schreiben, einerseits gegen die wachsende Kriegsgefahr und Kriegshetze, andererseits, ganz im Heineschen Sinn, der in der „Reise von München nach Genua“ erklärt „gut russisch“ zu sein, als Betrachtung darüber, welchen anderen Bundesgenossen man denn noch habe im Menschheitskampf gegen die Geißel des Kapitalismus. Es ginge nicht ohne historische Schleife, denn man muss an den Opiumkrieg erinnern, um die Widerwärtigkeit zu erkennen, die darin liegt, dass „der Westen“ die Freiheit Hongkongs verteidigt, eines den Chinesen mit Gewalt entrissenen Überseehafens, Beute aus einem bewaffneten Überfall, mit dem die Europäer ihr Recht durchgesetzt haben, die chinesische Bevölkerung mit Opium zu vergiften. Mehr als den Opiumkrieg muss niemand studieren, der wissen möchte, was „freier Welthandel“ aus europäischer Sicht in Wahrheit bedeutet.

Immer noch nicht weiter bin ich mit meinem Vorsatz, Verdikte zu schreiben, Stoßseufzer, Urteile, Kurzbegründungen des gerechten Zorns. Der primitive Instinkt der Frustrierten, die sich ihre Weltsicht aus gerade soviel Material zusammenbauen, wie sie im Kopf sortieren können, und die dabei aber sehr richtig fühlen, dass sie von Kriminellen regiert werden, trifft so genau Wahrheiten, wie die dafür gelieferten Begründungen sie wieder ins Absurde führen. Man müsste den Quark, der beispielsweise von den Corona-Leugners vertreten wird, im Grunde mit ethnologischen, religionswissenschaftlichen Maßstäben untersuchen: So wie die Donnergötter tatsächliche, aber noch unerklärliche Wetterphänomene spiegeln, so spiegelt ihre Idee von der Gesellschaft, der ihr Urteilsvermögen weggeimpft werden soll, durchaus wirkliche, aber undurchschaute Phänomene von Manipulation und verwertendem Zugriff auf und in alle Lebensbereiche.

Gangbarer Weg, eine Mehrheit jenseits der etablierten Parteien zu bekommen: Zwölf bis fünfzehn alte und neue Kleinparteien bleiben jeweils knapp unter fünf Prozent der Stimmen.

Alle Maßnahmen der ihrer freiheitlich-demokratischen Werte so bewussten Europäer zur Flüchtlingsabwehr mal zusammengefasst: Müsste den davon Schikanierten, Drangsalierten nicht schon allein dieser Maßnahmen wegen politisches Asyl zugestanden werden? Denn es ist ganz eindeutig: Die Europäische Union verfolgt Geflüchtete auf krasseste Weise, sie sperrt sie ein, foltert und tötet sie aus politischen Gründen.

Manchmal ist Eindeutschen nicht schlecht. Ich denke an „pöbeln“, das vom französischen „peuble“, „Volk“ stammt: Eine Gruppe von Rechten völkte in der Innenstadt gegen Passanten. Das Anvölken von Mandatsträgern hat 2021 erneut zugenommen. Ich schaffe deinen Müll weg und du völkst mich an? Eben Herumvölkereien allerorten, seit die Völkischen wieder erstarken. Oder sollte ich, überdeutschend, lieber „pföllken“ schreiben? Die Pföllkischen pföllken.

Solange den Gewerkschaften aus ihrer eigenen Struktur heraus Wörter wie Landesbezirksfachbereichsvorstand entstehen, ist es mit ihrer Kampfkraft vielleicht nicht immer zum besten bestellt. Oder?

Schnupfen, ein weher Arm und rutschende Hosen – ich weiß nicht, was von diesen drei Dingen am meisten beeinträchtigt und kränkt. Zusammen sind sie einfach nur perfide. Die rutschende Hose wird am schwersten zu überwinden sein, ich müsste meine Figur dazu ändern und das scheint mir ganz und gar unmöglich. Ich möchte Hosen, die nicht rutschen. Und kann mir nicht vorstellen, dass es sie geben könnte. Immerhin ist der Dauerärger mit der Hose, die nicht sitzen will, die lustigste der drei Plagen, jedenfalls aus der Distanz besehen. An einem wehen Arm reizt nichts zum Lachen, der Schnupfen ist mitsamt seinem tragischen Posen des Leidens an der Welt zu alltäglich, um mehr als mitleidiges Schmunzeln zu erregen. Aber mit der Hose gehts wirklich in die Hose, zum Debakel, nämlich des eigenen: So wirst du leben müssen! Ganz wie der Mann in Gernhards Gedicht, auf dessen Herzens Knie sich was Schweres setzt. Das ist Stoff für ein Sonett, mit parodistischen Anklängen an den Panther, du kannst im Leben nichts dran ändern, denn du müsstest dazu ohne Hosen gehen. Wer hat dieses unbequeme Kleidungsstück eigentlich erfunden? Reiter?

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