vonPeter Strack 07.07.2023

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Von Karen Gil/Zeitschrift La Brava

Seit dem Jahr 2020 ist die illegale Goldproduktion mit Macht in die Region des Tuichi und vier weiterer Flüsse im nordöstlichen Tiefland von La Paz eingedrungen. Mit schwerem Gerät wurden elf nicht genehmigte Zufahrtsstraßen angelegt, von denen sich weitere Wege abzweigen. Sie beeinträchtigen sowohl das integrierte Naturschutzgebiet wie auch den Nationalpark. Selbst die wegen der dortigen biologischen Vielfalt und angestammter indigener Völker unter höchsten Schutz gestellte Zone wird erreicht. Allein für die Wege wurde eine Fläche von der Größe von 54 Fußballfeldern entwaldet. Die nationale Behörde für die Naturschutzgebiete spricht von 32 Bergbauaktivitäten. Das Team der Online-Zeitschrit La Brava hat 22 identifizieren können, zehn davon in der besonders zu schützenden Region.

Ein großer Schaufellader schiebt sich über den engen Weg zu dem Goldbergwerk am Tuichi-Fluss, das bereits im Nationalpark und integrierten Naturschutzgebiet Madidi liegt. Unser Fahrzeug kommt vor der schweren Maschine zum stehen. Dessen junger Fahrer bewegt die zwei Meter breite Schaufel auf und ab, damit wir ihm Platz machen. Unser Fahrer weicht erschrocken an den rechten Rand aus. Doch da es auch so nicht reicht, tritt der Schaufellader in Aktion und reißt zwei Bäume nieder, um die Fahrt fortsetzen zu können.

“Das ist einer der Wege, die die Mineros erschlossen haben“, hatte mir kurz vorher noch Luis erklärt. Er ist einer der Parkwächter, mit dem wir für diese Reportage gesprochen haben und dessen wirklichen Namen wir genauso wenig nennen wie die anderer Zeugen, um ihre Sicherheit nicht zu gefährden.

Ein Schaufellader in der Durchfahrt von Limón, einer der Wege, die zum Tuichi-Fluss erschlossen wurden. Foto: Mauricio Aguilar/Revista La Brava.

Wir sind früh morgens auf dieser Route auf der zum Munizip von Apolo gehörenden Seite B des Madidi unterwegs. Bekannt als Durchfahrt Limón führt der Weg über den gleichnamigen Fluss und weiter in die Region Pintata, die schon am Tuichi-Fluss liegt. Vor dem Jahr 2020 gab es diese Erdstraße noch nicht. Sie wurde erst in den Wald geschlagen, als Bergleute auf der Suche nach Gold in die Gegend eindrangen.

Es war die Zeit, als die COVID Pandemie begann. Der Geldmangel während der strengen Quarantäne war für viele ein Auslöser, sich dem illegalen Goldabbau zu widmen. Die Goldproduktion war von der Krise weniger betroffen als die anderer Metalle.

In Bolivien stieg die Goldproduktion. 2021 standen sie im Wert schon an erster Stelle der Exporte. 2022 betrugen die Einnahmen über 3 Milliarden US Dollar. Doch der Staat bekam davon weniger als 2,5% ab.

Vor allem die Nachfrage von Zentralbanken etwa der Türkei, China und Indien nach Gold ist hoch. Bolivien verkauft vor allem an Indien. Gold dient aber auch als Leiter in Elektrogeräten und natürlich auch zur Schmuckherstellung. Ein Gramm Gold kostet heute 60 US Dollar.

Deshalb dringen bolivianische wie ausländische Goldsucher in immer neue Zonen ein, einschließlich der Naturschutzgebiete. Am Tuichi-Fluss hatten einzelne Anwohner noch vor drei Jahren handwerklich Gold geschürft. Heute kommen Bergwerksbetriebe mit schwerem Gerät.

Das Quellgebiet des Tuichi sind die Berge von Apolobamba, der andinen Region des Madidi. Der Tuichi ist einer von vier Zuflüssen dieses Naturschutzgebietes und fließt durch Apolo und San Buenaventura, zwei der fünf Munizipien, die dieses Heiligtum der Artenvielfalt bilden.

Der Madidi beherbergt 1.028 Vogelarten wie diesen Rothaubenspecht,
Foto: Mauricio Aguilar/Revista La Brava.

Wenn man über den Weg nach Azariamas im Norden des Munizips Apolo fährt, blickt man auf Trockenwald mit hochgewachsenen schmalen Bäumen, großen Kakteen und anderen Pflanzen, deren Soundtrack das Schwirren von Insekten und der Gesang der Vögel ist. Es ist eine der fünf ökologischen Zonen dieses Naturschutzgebietes, das zu den artenreichsten der Welt gehört. Und die Jaguare, Sonnentangare oder Palkachupa-Vögel und andere Tiere benötigen viel Platz, um sich frei bewegen zu können.

Der Tuichi-Fluss trennt die beiden bei der Gründung des Naturschutzgebietes im Jahr 1995 definierten Nutzungsgebiete: Auf der einen Seite der Nationalpark, der einen hohen Schutz genießen soll, und auf der anderen Seite das integrierte Naturschutzgebiet (ANMI). In letzterem dürfen die ansässigen Gemeinden die natürlichen Ressourcen solange nutzen, wie die Artenvielfalt erhalten bleibt.

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Die neu eröffneten Wege zu befahren ist beschwerlich, aber nicht so sehr wegen der Schlaglöcher, sondern aufgrund der permanenten Sorge, dass Bergleute auftauchen. Die haben nicht nur Schranken zur Abschreckung der Parkwächter errichtet, sondern stellen auch unsere Anwesenheit in Frage. Auf Rat von Anwohner*innen fahren wir deshalb nur bis zu einem entfernten Punkt, von dem aus wir jedoch den Tuichi-Fluss und zwei Goldförderstellen erkennen können.

Mindestens zwei Nebenstraßen führen zu den Bergarbeiterlagern 3 de Mayo und Mohima am Ufer des Tuichi-Flusses. Foto: Mauricio Aguilar.

Von dort beobachten wir mit Hilfe einer Drohne zwei Abzweigungen, die von unserer Straße aus direkt in die Bergarbeiterlager „3 de Mayo“ und Mohima führen. Dort stehen prekäre Unterkünfte nahe an den abgeholzten Flächen, auf denen mit schweren Maschinen nach Gold gesucht wurde.

Neue Straßen in den letzten Jahren

Pasaje Limón, ein neuer Weg führt zu den Bergarbeiterlagern am Tuichi-Fluss, Foto: Mauricio Aguilar.

“Überall haben sie neue Wege erschlossen”, hatte mir der Parkwächter Leonardo vor ein paar Wochen gesagt. Und da die für die Naturschutzgebiete zuständige Behörde (Sernap) dazu keine Informationen veröffentlicht, hat La Brava Detaills recherchiert. Mit Hilfe von Satellitenaufnahmen konnten 11 Straßen identifiziert werden, die in den letzten drei Jahren entstanden sind.

Acht davon verlaufen durch das integrierte Schutzgebiet und zwei liegen im Nationalpark nahe der Flüsse Motosolo und Mojos; einer verläuft im Zickzack durch beide Regionen. Die Mehrzahl führt an diverse Stellen am Flussufer des Tuichi, zwei an den Taruzani-Bach und zwei an den Amantala-Fluss, wo im Sektor Charopampa, am Zufluss des Laji-Flusses, ebenfalls seit kurzem Gold gefördert wird.

Ein Weg wurde vor einem Jahr angelegt und führt 29 Kilometer am streng geschützten Gebiet entlang.

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Laut Satellitenbildern sind alle elf neuen Wege zusammen etwa 126 Kilometer lang. Wenn man das mit der durchschnittlichen Breite von drei Metern multipliziert kommt man auf 0,378 Quadratkilometer entwaldete Fläche. Diese Zahl bezieht sich nur auf die größeren Straßen, nicht die Seitenwege, wie man sie mit den Drohnen auch im Lager „3 de Mayo“ beobachten kann.

Die gestrichelten roten Linien markieren neue ohne Genehmigung erschlossene Wege, grün das Naturschutzgebiet, gelb die Zone gemischter Nutzung

Keine Sorgen macht sich deshalb jedoch Einar Chávez, der Sprecher der Provinzföderation Tupaj Katari von Apolo. Sie gehört zu den Kleinbauernverbänden, deren Mitglieder den Arbeitsbereich gewechselt haben und jetzt Gold ausbeuten. Chávez versichert, dass die neuen Straßen den Kontakt unter den Gemeinden verbessern, die am Tuichi leben. “Wir haben gesehen, wie schweres Gerät herangeschafft wurde; wir haben in einigen Fällen auch gesehen, dass Wege geöffnet wurden, denn manche Gemeinden benötigen das (…). Straßen sind immer für den Fortschritt in den Gemeinden da, damit sie ihre Produkte (nach Apolo) herausbringen können,“ sagt er.

Allerdings sind die Anwohner*innen der Meinung, dass keiner dieser Wege nahe an ihren Gemeinden vorbei, sondern vielmehr direkt zu den Goldminen führt. Außerdem gibt es keine Umweltverträglichkeitsstudien für diese Wege.

Mehr als 30 illegale Förderstätten 

Am Tuichi-Fluss gibt es mindestens zwei Förderstätten, und beide verfügen über Zufahrtswege; Foto: Mauricio Aguilar.

Mit der Drohne wurde offensichtlich, dass zu der Straße zum Lager „3 de Mayo“ auf beiden Seiten noch weitere Wege kommen und die höher gelegenen Zonen des Tuichi und anderer Flüsse erschließen. Bergwerksaktivitäten gibt es vom Zusammenfluss des Amantala und des Laji im oberen Madidi bis hin nach Araiamas. Das heißt über einen Verlauf von 123 Kilometern.

Die Situation ist „sehr delikat“ meint der Umweltanwalt Rodrigo Herrera, der eine Reihe von Anzeigen zur juristischen Verteidigung des Madidi auf den Weg gebracht hat. Die Mehrzahl der 32 Bergwerksaktivitäten im Madidi, über die der SERNAP im Juni 2023 informiert hat, seien illegal. Priorität müsse deshalb haben, diese illegale Eindringen rückgängig zu machen.

Möglicherweise ist ein Teil dieser 32 Abbaustätten nicht mehr in Betrieb, denn die Unternehmen ziehen weiter auf der Suche nach dem Edelmetall. „Aber selbst wenn die Suche erfolglos bleibt, ist der Schaden angerichtet“, sagt der Waldhüter Leonardo.

La Brava hat 22 Abbaustätten identifizieren können. Fast alle unter der Verantwortung von Kooperativen, von denen die Mehrzahl jedoch Verträge mit Bergwerksunternehmen hat. Auffallend ist die Präsenz von zwei chinesischen Unternehmen. Eine davon, die Compañía Minera Amazonas Bolivia (Comabol S.A.). Sie hat eine Genehmigung, nach Gold zu suchen und arbeitet in den höheren Lagen in der Nähe von Apolobamba.

Eine andere der 22 Abbaustätten wurde erst vor kurzem in Betrieb genommen. Die Gesetzesbrecher sind – folgt man der Facebookseite La voz de la naturaleza – die gleichen, die noch vor wenigen Monaten in Charopampa aktiv waren.

Rote Punkte: Bergwerksaktivitäten am Tuichi, grün der Nationalpark, gelb die Naturschutzzone gemischter Nutzung (ANMI)

Die gut 30 von der Naturparkbehörde SERNAP registrierten Bergwerksaktivitäten machen jedoch nur einen Bruchteil der 250 Anträge auf Bergbaulizenzen aus, die derzeit der Bergbaubehörde AJAM vorliegen. Und über 20 verfügen über ein CCU-Zertifikat (Certificado de Compatibilización de Usos), mit dem der SERNAP bescheinigt, dass die Bergbauaktivität mit dem Nutzungsplan der Naturschutzgebiete im Einklang steht.

Der Direktor des SERNAP Teodoro Mamani behauptete im April in einem Interview mit dem Staatsfernsehen, dass es seit seinem Amtsantritt vor zwei Jahren keine neuen Genehmigungen von seiner Behörde gegeben habe. Der ehemalige Generalsekretär der Kleinbauernorganisation CSUTCB hob dabei hervor, dass der SERNAP sogar damit begonnen hätte, das CCU-Zerftifikat von 23 Unternehmen und Kooperativen abzuerkennen. Solche Zertifikate waren schon unter der vorherigen Regierung der „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) bis 2019 erteilt worden.

Die oppositionelle Senatorin Cecilia Requena erklärte, dass eine Reihe von Informationsanfragen beim SERNAP ergeben hätten, dass viele CCU im COVID-Jahr 2020 unter der Übergangsregierung von Janine Áñez erteilt worden seien. Aber diese Praxis sei auch von der aktuellen Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS) unter Luis Arce Catacora weitergeführt worden.

“Wir konnten feststellen, dass ein erheblicher Anteil der CCU in der Regierungszeit von Jeanine Añez erteilt wurden, aber manche auch noch während der Amtszeit von Teodoro Mamani. Außerdem hat das von der MAS kontrollierte Parlament in dieser Legislaturperiode weitere Bergbaukonzessionen genehmigt“, so Requena.

Der Limón ist einer der Flüsse im Madidi. Foto: Mauricio Aguilar.

La Brava hat bei der Bergbaubehörde Information über die Konzessionen im Madidi angefordert. Aber auch nach zwei Monaten Briefen, Anrufen, Besuchen und Befragungen der Rechtsanwälte gab es keine Antwort.

Im Mai allerdings veröffentlichte die Behörde eine Presseerklärung, nach der die einzigen Konzessionen im Madidi „vor Inkrafttreten der neuen Verfassung im Jahr 2009 und vor dem neuen Bergwerksrecht von 2014 im Madidi erteilt wurden.“ Das bedeute, dass sie an die neue Gesetzeslage angepasst werden müssten, nachdem die Umweltbehörde sich geäußert habe und die Nationalparkbehörde SERNAP die Übereinstimmung mit dem Nutzungsplan bestätigt habe.

Der Madidi liegt auf dem Territorium von fünf Munizipien im Norden von La Paz und gehört zu den artenreichsten Regionen der Welt, Foto: Mauricio Aguilar.

In Bezug auf die vorgelagerten Rechte gibt es zwei unterschiedliche Interpretationen der offiziellen Stellen. Denn anders als die Bergwerksbehörde AJAM geht die Nationalparkbehörde SERNAP davon aus, dass es nur um solche Rechte geht, die vor der Schaffung des Nationalparks 1995 bestanden hätten.

Während die AJAM das oberste Agrargericht am 24. Mai über 14 solcher Konzessionen informierte, gibt es für SERNAP nur vier Konzessionen, die anerkannt werden müssten und die auch über eine Umweltlizenz verfügen. Allerdings nur für handwerkliche Goldausbeutung. So sind auch die Betriebe als illegal anzusehen, die mit schwerem Gerät arbeiten. Nach Aussagen der Parkwächter gibt es demnach tatsächlich nur noch einen einzigen Betrieb im Madidi, der als legal angesehen werden kann.

In Apolo gibt es keine offizielle Goldannahmestelle; das Edelmetall wird in Läden oder anderen Geschäften verkauft. Foto: Marcelo Pérez/La Brava.

Das illegale Treiben beeinträchtigt nicht nur die Artenvielfalt, sondern hat auch zur Folge, dass keine Abgaben an den Staat gezahlt werden. Spezialisten schätzen, dass der illegale Goldsektor fast genauso umfangreich ist wie der legale mit seinen 3 Milliarden US Dollar Umsatz im Jahr. Es gibt aber keine genaueren Informationen, wohin das Geld fließt.

Der Vertrieb gehöre zu den dunkelsten Kapiteln der Bergwerkswirtschaft, meint der Forscher Jorge Campanini vom Dokumentations- und Informationszentrum Bolivien (CEDIB). Das gelte auch für den formalen Sektor. “Der Staat hat keine Kontrolle über die gesamte Lieferkette des Goldgeschäfts“, betont er. (Siehe hierzu auch diesen früheren Beitrag über die Swiss Better Gold-Initiative auf latinorama).

Die Bergwerkswirtschaft dringt in den Nationalpark ein und rückt auf das Kerngebiet vor

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Ein Beispiel ist die Kooperative San José in der Gemeinde Virgen del Rosario. Um dorthin zu kommen, muss man von Santa Cruz del Valle Ameno, einer der Eingänge zum Madidi, aufwärts fahren. Anders als das Goldbergwerk „3 de Mayo“, das sich noch im integrierten Teil des Naturschutzgebietes befindet, liegt San José auf der anderen Flußseite schon im Nationalpark, wie auf Satellitenbildern zu sehen ist.

Goldgewinnung der Kooperative San José auf einem Bergzug, der langsam seine ursprünglich Form verliert. Foto: La Brava

Dort gab es einen kleinen Bergzug. Videoaufnahmen aus dem Jahr 2021 zeigen mindestens zwei Schaufellader, die Erdmaterial aus den abgeholzten Flächen fortschaffen. Die Sedimente wurden nach und nach in den Fluss geschüttet. Dessen zuvor kristallklares Wasser hat inzwischen eine braune Farbe angenommen.

Diese Arbeiten wurden im Jahr 2022 noch verstärkt. Die Zeitleiste der Satellitenbilder zeigt, wie sich die Abholzung in den letzten Monaten des Jahres beschleunigt hat. Etwa neun Hektar wurden abgeholzt, so dass die Bäume dort gänzlich verschwunden sind.

“Das ist praktisch Tagebau, die schädlichste Form des Bergbaus“, analysiert der Agroökologe und Naturschutzdozent Daniel Robison, der die Gegend seit 1978 kennt. “Der Tagebau ist unvereinbar mit jeglicher Naturschutzkategorie in Bolivien“, so Robison.

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Von den 22 Bergbaubetrieben, die La Brava identifiziert hat, liegen zehn so wie San José innerhalb des Nationalparks, der Rest in der integrierten Nutzungszone (ANMI). “Das heißt, dass fast die Hälfte in einem Gebiet operieren, dessen Aufgabe die Erhaltung der Artenvielfalt ist“, ergänzt Robison.

Die Naturzerstörung anderswo ist ähnlich. Zum Beispiel in Azariamas, der letzten Gemeinde am Oberlauf des Flusses, bevor der herabzufließen beginnt, um bei San Buenaventrua in den Beni zu münden.

So wie in Virgen del Rosario befindet sich auch in Azariamas die Goldgewinnung bereits im Nationalpark. Francisco ist ein Bewohner der aus seiner Gemeinde wegen Konflikten um die Konzessionen vertrieben wurde und darum gebeten hat, seinen Namen nicht zu nennen. Er berichtet, dass im Jahr 2022 drei Firmen in diese Region gekommen seien, sowohl am Rande seiner Gemeinde, die noch im integrierten Nutzungsgebiet liegt, als auch gegenüber im Nationalpark.

Azariamas war eine der ersten Gemeinden, die sich im Jahr 2013 dazu entschlossen hatten, in den mechanisierten Goldbergbau einzusteigen. Damals beantragten Bewohner bei der Bergwerksbehörde AJAM die Konzession für 63 Rasterfelder. Da die AJAM den Antrag nicht bewilligte und auch aufgrund interner Auseinandersetzungen begannen jedoch vor zwei Jahren andere Unternehmen in der Nähe der Gemeinde mit der Goldgewinnung.

Die Maschinen arbeiten dort sowohl auf dem Land, als auch im Fluss selbst, vor allem während der Trockenzeit. Satellitenbilder zeigen, dass die Operationen 2021 begonnen haben und in der Folge zu Abholzung und auch zu einer Veränderung des Flusslaufes geführt haben.

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Und was ist mit der unberührbaren Zone?

Es gibt keine genauen Daten über illegale Aktivitäten am Tuichi-Fluss, und die Information über die unberührbare Zone im Kernbereich des Nationalparks ist noch schlechter, da die zuständigen Behörden keine Auskünfte geben. Gleichwohl haben sowohl die Bergwerksbehörde als auch die Naturparkbehörde zugegeben, dass die illegalen Aktivitäten zunehmen. Das Bergwerksministerium (Ministerio de Minería y Metalurgia y la AJAM sobrevolaron el Madidi en 2021) hat die Region 2021 überflogen, dabei Aufnahmen von illegalen Bergwerksbetrieben gemacht und Aktionen angekündigt. Die wurden aber nie durchgeführt.

Ramiro Balmaceda, der Vizepräsident der Goldkooperativen im Norden von la Paz (FECOMAN), bestätigt, dass Kooperativen die in seinem Verband organisiert sind, in der Zone aktiv sind, darunter der Zusammenschluss der Kooperativen vom Tuichi-Fluss. Alle, sagt er, versuchten, ihre Papiere in Ordnung zu bringen, denn alle hätten bewilligte Konzessionen aus der Zeit vor dem derzeit gültigen Bergwerksgesetz.

Santa Clara ist eine der Regionen, in denen sehr nahe an der absoluten Schutzzone Gold abgebaut wird. Foto: La Brava.

“Auch wenn es illegal arbeitende Kooperativen oder Betriebe gibt, können wir nicht mit Sicherheit sagen, wie viele es dort sind“, sagt Balmaceda. “Wir sind uns dessen bewusst, dass es geschützte Gebiete sind. Einige mit strengeren Einschränkungen und andere, in denen manche Aktivitäten erlaubt sind“, unterstreicht er.

Auf Satellitenbildern sind fünf Bergwerksbetriebe zu erkennen, die gemäß des Nutzungsplans von 2014 an der Grenze der unberührbaren oder streng geschützten Zone arbeiten: Die Kooperativen Dos Amigos, Real Santa Rosa und Playa Richa, die chinesische Firma Yana Kisca und der von Grover Quispe. Und am Flusslauf des Amantala gibt es mindestens zwei weitere, die der strengen Schutzzone sehr nahe kommen.

Fünf Flüsse und ein Bach werden von der Bergwerkswirtschaft beeinträchtigt

Ein Wasserbecken zum Goldwaschen nahe am Tuichi-Fluss in der Gemeinde Virgen del Rosario. Foto: La Brava

La Brava hat an fünf Flüssen des Madidi anhand von Satellitenbildern Bergwerksaktivitäten identifiziert: Tuichi, Mojos, Motosolo, Laji und Amantala. Hinzu kommt der Bach Taruzani. Das alles verletzt den Artikel 376 der bolivianischen Verfassung. “Der Staat verhindert Aktionen in den Quell- und Übergangsgebieten der Flüsse, die ökologische Schäden verursachen oder die Wassermenge verringern. Er bewahrt deren natürlichen Zustand und sorgt für Entwicklung und Wohlergehen der Bevölkerung“, heißt es in der Verfassung.

Doch seit am Tuichi mit schwerem Gerät Gold gefördert wird, kommt es nicht nur zur Sedimentierung am unteren Flusslauf, sondern es gibt auch immer weniger Fische. Das bestätigt Ruth Alípaz von der Nationalen Koordination zur Verteidigung indigener und kleinbäuerlicher Territorien und Naturschutzgebiete (CONTIOCAP) aus ihrer eigenen Erfahrung in San José de Uchupiamonas. Das heißt die Umweltzerstörung wirkt sich nicht nur an den Förderstätten, sondern auch noch flussabwärts aus.

Laut Informationen der World Conservation Society gab es allein im Tuichi bis 2020 noch 76 Fischsorten. Viele von ihnen sind auf den Madidi angewiesen, um sich reproduzieren zu können.

Die Goldgewinnung beeinträchtigt Flora und Fauna nicht nur wegen der Abholzung, sondern auch wegen der Nutzung von Quecksilber, das auch für Menschen hochgiftig ist. Bereits drei Studien haben die Vergiftung von Menschen in den indigenen Gemeinden im Madidi wie auch außerhalb nachgewiesen.

Und abgesehen von den Folgen für Artenvielfalt und Gesundheit, hat das Goldfieber auch die Gemeinden gespalten. Im Februar 2022 wurden deshalb 14 Familien – darunter die von Francisco – aus Azariamas vertrieben, ohne dass sie bis heute wenigstens ihre Habseligkeiten hätten mitnehmen können.


Der Beitrag, der im spanischen Original auf der Webseite von La Brava nachzulesen und in Kooperation mit Latinorama entstanden ist,  ist der erste Teil von zwei Reportagen des Teams von La Brava über die Folgen des Goldabbaus im Madidi.


Edition und Gestaltung: Mabel Franco.

Grafiken: Rocío Condori und Sara Vásquez.

Videos: Sara Vásquez.

Der Goldbergbau ist das höchste Risiko für den Erfolg eines von der Bundesregierung mit jährlich einer Million USD geförderten Projektes zum Schutz des Madidi, über dessen Schwierigkeiten Aleja Cuevas und Karen Gil bereits in einem früheren Beitrag für Latinorama berichtet hat. In dem Beitrag „Bergbau gegen Artenvielfalt“ in der Juli-Ausgabe 2023 der ila-Zeitschrift mit dem Schwerpunkt „Neue Kämpfe um Land“ gibt es detailliertere Informationen und kommen auch Projektverantwortliche zu Wort.

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