vonPeter Strack 15.08.2022

latin@rama

Seit 2008 Nachrichten vom anderen Ende der Welt und anderswoher.

Mehr über diesen Blog

Die Erhaltung der Artenvielfalt, der Wald- und Wasserreserven der Naturschutzgebiete scheint – trotz anderslautender Bekundungen auf internationalem Parkett – seit geraumer Zeit keine Priorität der bolivianischen Regierung zu sein. Präsident Arces Kabinett steht vielmehr unter dem Druck eines wichtigen Teils seiner sozialen Basis: Bergbaukooperativen, Siedler oder gar Bodenspekulanten dringen in die verbliebenen grünen Lungen Boliviens ein. Immer wieder kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Siedlergruppen und Kleinbauerngemeinden, zwischen indigenen Gemeinden und Bergwerkskooperativen oder Landbesetzern. Und immer wieder werden Regierungsfunktionäre oder Parlamentarier*innen gewaltsam daran gehindert, in den Schutzgebieten nach dem Rechten zu sehen. Die bolivianische Regierung selbst will im Madidi-Nationalpark zwei Staudämme bauen, um Strom nach Brasilien zu verkaufen. Laut Wirtschaftlichkeitsstudie wären diese voraussichtlich unrentabel, aber kurzfristig sind sie immer ein gutes Geschäft für alle am Bau beteiligten.

In Latinorama berichteten wir in diesem früheren Beitrag über das schwierige Vorhaben einer langfristig angelegten Unterstützung der deutschen Regierung für den bolivianischen nationalen Dienst für Schutzgebiete Servicio Nacional de Áreas Protegidas (SERNAP) und die NRO World Conservation Society zum Schutz des Madidi- und des Pilón Lajas Nationalparks.

Wie dies in dem konfliktreichen Umfeld möglich sein soll, dürfte eine der Fragen von Svenja Schulze sein. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung plant für Ende August auch einen Besuch des Madidi-Nationalparks.

Stoßen bislang auf taube Ohren: Indígenas der Gemeinden an den Flüssen Beni, Tuichi und Quiquibey bei einer Mahnwache im November 2016 gegen den Staudammbau am Bala im Madidipark, Foto: Facebook Alex Villca

Endlich gegen Drogenhandel, Bergbau und Holzpiraterie in Naturschutzgebieten vorgehen!“

Gibt es schon seit Jahren Ermahnungen von UN-Gremien, und stieß die heftige Kritik von Umweltaktivist*innen bei der Regierung bislang auf taube Ohren, so wurde Mitte Juli sogar die regierungsnahe Abspaltung des Dachverbandes der indigenen Tieflandvölker CIDOB deutlich: Sie forderte die Regierung auf, endlich gegen Drogenhandel, Bergbau und Holzpiraterie in den Naturschutzgebieten vorzugehen und die bedrohten indigenen Gemeinden und Parkwächter*innen dort zu schützen.

9. Streiktag von Parkwächter*innen aus Protest gegen SERNAP und Regierung, Quelle: Facebook Cecilia Requena

Letztere müssten auch ihre zum Teil monatelang ausstehenden Löhne ausgezahlt bekommen und die notwendigen Arbeits- und Transportmittel erhalten, um sich in den Naturparks bewegen zu können. Viele von ihnen finanzierten dies derzeit aus der eigenen Tasche.

Zwischen 2017 und 2022 wurden 20 Gerichtsverfahren gegen Mitarbeiter*innen des SERNAP eröffnet, nur weil diese ihre Pflicht erfüllt haben, die Natur zu schützen, kritisiert das CEDIB, Quelle: Facebook CEDIB

Die „böswillige“ Einschüchterung und Verfolgung des Personals, das sich für den Schutz der Natur einsetze, durch die Leitung des SERNAP müsse ein Ende haben. Vielmehr solle Präsident Arce Catacora für die Einhaltung der geltenden Gesetze sorgen und den derzeitigen nationalen Direktor des SERNAP mit sofortiger Wirkung entlassen. Der SERNAP, der auf eine Interviewanfrage von latinorama zum Thema nicht reagiert hat, tue fast nichts, um der Vergiftung der Gewässer durch Quecksilber und Bergbau Einhalt zu gebieten und nichts, um einen alternativen sanften Tourismus oder andere umweltverträgliche Maßnahmen zur Schaffung umweltverträglicher Einkommen für die angestammten Gemeinden zu fördern. Soweit die Kritik der regierungsnahen CIDOB vom 19. Juli, der noch eine Reihe von Beweisen beigefügt wurden.

Als Indigene halten sie sich für die legitimen Besitzer der Bodenschätze“

Eine Insider aus dem Bergbausektor, der nicht namentlich nicht genannt werden will, berichtet, dass der Preisverfall der Koka dazu geführt habe, dass sich jetzt noch mehr Menschen dem Goldbergbau widmen. „Es gibt Kooperativen, es gibt große Unternehmen, und es gibt aber auch Einzelpersonen, die mit dem Bergbau nur von der Hand in den Mund leben und nur wenige Gramm Gold pro Tag fördern.“  Die Goldgewinnung im Madidi-Park habe noch einmal zugenommen, seit die Goldvorkommen in der Region von Mapiri und Tipuani sich dem Ende zugeneigt hätten. Goldschürfer von dort seien in den Madidi zurückgekehrt und hätten ihre Herkunftsgemeinden davon überzeugt, selbst Gold zu fördern. Sie wehrten sich zwar gegen das Eindringen von Kooperativen aus anderen Regionen, gründeten aber eigene Betriebe oder Kooperativen. Manche ließen diese von der Bergbaubehörde registrieren, andere arbeiteten ganz ohne Genehmigungen. Als indigene Gemeinden hielten sie sich für die legitimen Besitzer der Bodenschätze.

Aber weil ihnen das nötige Kapital fehlt“, so der gute Kenner der Szene, „schließen sie Verträge mit nationalen, aber auch internationalen Firmen aus Kolumbien oder China ab.“  Was laut Gesetz eigentlich nicht erlaubt ist. „Die Firmen setzen dann das Projekt um und zahlen einen Prozentsatz an die Bewohner*innen. Meist beginnt es mit 30% der Erlöse, später sind es 50%. Die Gemeinde kontrolliert nur noch und garantiert das ungestörte Arbeiten, etwa dass den Firmen nicht die Maschinen konfisziert werden. Ähnlich wie in der Kokaanbauregion des Chapare entstehen dort kleine Staaten“, so die Gewährsperson, „die ihre Wegschranken aufbauen, wo nicht einmal die Staatsorgane Zutritt bekommen, schon gar nicht die Bergbaubehörde.“  Dabei würden auch Sprengstoff oder Waffen eingesetzt.

Anzeige vom Februar 2022: Schweres Gerät kann auch im Madidi-Nationalpark ungestört für den Goldbergbau Wald vernichten, Quelle Facebook Alex Villca

Abgesetzt wegen Kritik an illegalem Bergbau

Weil sie den illegalen Goldbergbau angezeigt habe, sei sie Ende Juni von ihrem Posten als Sub-Gouverneurin der Provinz Franz Tamayo abgesetzt worden, beklagt Genoveva Espinoza, eine „junge, dynamische Frau“, wie unsere Gewährsperson anerkennend bestätigt. Sie wurde ausgerechnet von Santos Quispe, dem Sohn des legendären Aymara-Anführers dem „Mallku“ Felipe Quispe, abgesetzt, der sich 2021 nach dem Tod seines Vaters als indigene Alternative zu Evo Morales MAS zum Gouverneur von La Paz hatte wählen lassen.

Die abgesetzte Subgouverneurin, Foto: Genoveva Espinoza

Niemand, der sich gegen die Goldproduktion im Madidi ausspricht, ist dort willkommen. Deshalb haben die Kooperativen und Gemeinden auf ihrer Entlassung bestanden“,  so unser Gesprächspartner. Da die große Mehrheit der Bevölkerung dort bereits in die Goldproduktion involviert sei, wäre es auch nicht möglich, diese zu stoppen. Besser wäre es, einige Kerngebiete effektiv zu schützen, im restlichen Naturpark die Goldausbeutung jedoch zu formalisieren, damit der Staat wenigstens Steuern einnehmen könne.

Versagen der staatlichen Kontrollinstanzen

Dabei gibt es auch innerhalb des Madidi-Parks bereits legale Goldkonzessionen. Ein Teil stamme von früher, doch selbst nach Verabschiedung des neuen Bergbaugesetzes und der neuen Verfassung, die die Rechte der „Mutter Erde“ ganz oben positioniert, habe es Genehmigungen gegeben, so die Gewährsperson. Die Bergbaubehörde schaue nicht darauf, „ob das Land als Naturpark geschützt ist oder nicht. Denn für jede Registrierung werden Gebühren erhoben.“  Damit muss der Vorgang dann an den SERNAP weiter gegeben werden, damit dieser prüft, ob das für die Konzession beantragte Territorium in einem Naturpark liegt. „Eigentlich müsste der SERNAP die Genehmigung in diesen Fällen sofort ablehnen“, erklärt unsere Gewährsperson. Mitunter werde Geld gezahlt, damit sie den Vorgang einfach ruhen lassen oder archivieren. Es gäbe Vorgänge aus dem Jahr 2016, zu denen bis heute kein Bescheid vorläge.

Und allein mit der Registrierung durch die Bergbaubehörde glaubten dann auch die Gemeinden, dass sie mit der Goldgewinnung beginnen können. Deshalb sei der Großteil der Bergwerksproduktion in Bolivien heute illegal.

Die Henne, die goldene Eier legt“

Die Bergbaubehörde ist derzeit die Henne, die goldene Eier legt. Und es ist schwer vorstellbar, dass der bolivianische Präsident nichts davon weiß. Der Bergbau ist unter Kontrolle von Vertrauten des Präsidenten. Nur wenn die Kritik zu laut wird, greifen die Staatsorgane ein. Dann werden Vor Ort-Besuche gemacht, aber die Sache bald auch wieder vergessen,“  so die Meinung des Insiders, die den wiederholten öffentlichen Ankündigungen der Bergbaubehörde und des Bergbauministeriums „frontal gegen den illegalen Bergbau vorzugehen“, widerspricht.

Im Juli hatte die Oppositionspartei Comunidad Ciudadana vor Gericht eine „Acción Popular“, ein Rechtsinstrument zur Durchsetzung von Kollektivinteressen gegen den Umweltminister, den Direktor des SERNAP, den Bergwerksminister, gegen die Direktorin der Bergbauaufsicht sowie den Gouverneur von La Paz wegen deren Untätigkeit in Bezug auf den illegalen Bergbau und zugunsten einer ökologischen Pause im Madidi auf den Weg gebracht. Zweimal wurde die Anhörung vor Gericht bereits verschoben, zuletzt wegen des Erscheinens einer Gruppe von Mitgliedern von Goldkooperativen vor Gericht, die die Abgeordneten auch noch auf dem Rückweg ins Parlament beschimpften und bedrohten, ohne dass die Polizei eingeschritten wäre. Dabei schützen wir mit der Acción Popular das Wasser auch für diejenigen, die uns heute angreifen, sagt die Senatorin Cecilia Requena.

Frösche im Madidi-Nationalpark, Plakat von Mauricio Pacheco Suarez und der Madidi Jungle Ecolodge, Quelle: Facebook Alex Villca

Im östlichen Tiefland setzen sich interinstitutionelle Parkkomitees gegen die Bedrohungen der Naturschutzgebiete ein

Im Madidi-Nationalpark geht es um Gold, in San Matías im Nordosten an der Brasilianischen Grenze um Mangan,“ sagt Freddy Rivero Antelo von der Nichtregierungsorganisation Savia, die sich für die Bewahrung der Naturschutzgebiete der Chiquitanía-Region im östlichen Tiefland einsetzt. Der Chemiker mit Zusatzausbildungen u.a. in Nutzungsformen von Naturschutzgebieten war mitverantwortlich für den Aufbau eines Netzwerks von Naturpark-Komitees der Chiquitanía, dem Chaco und der südlichen Amazonasregion. An denen beteiligen sich jeweils verantwortliche staatliche Institutionen wie auch private Organisationen aus Bolivien. Ihre Stärkung wurde zuletzt von der Europäischen Gemeinschaft, derzeit von der niederländischen Regierung unterstützt.

Als wir 2017 unsere Vereinigung gegründet haben, haben wir als erstes eine Bestandsaufnahme der Potentiale und der Gefahren gemacht und eine Planung mit Zielen erstellt. Die Potentiale mit dem Nutzen für die Menschen sind offensichtlich. Die Bedrohungen sind in allen Gebieten gleich: Zuallererst die Abholzungen im unmittelbaren Umfeld der Schutzgebiete. Aber auch innerhalb einiger Schutzgebiete gab es bereits Entwaldungsprozesse. Mit Unterstützung einer Umweltorganisation ließen wir untersuchen, welche Folgen die Prozesse der Bodenreform auf das größte Schutzgebiet Kaa-Iya haben. Das Schutzgebiet selbst war immerhin noch mit all seiner Vielfalt intakt. Aber die Umgebung ähnelte einem Schachfeld und war ernsthaft bedroht.“

Von der einfachen Missachtung der Landnutzungspläne zu Landepisten des Drogenhandels

Die Bedrohung komme nicht nur durch illegale Landbesetzungen, so Rivero. sondern auch durch legale Betriebe, die den Landnutzungsplan nicht respektieren und die Böden über Gebühr ausbeuten. Üblich ist auch eine Forstnutzung zu beantragen, für die größere Landflächen genehmigt werden als für Ackerbau, doch anschließend weitflächig abzuholzen, um etwa Soja anzubauen. Nach der eigenen Studie von 2017 hätten sich auch andere Organisationen und die Presse zunehmend für das Thema interessiert, weiß Rivero: „Sie dokumentieren immer häufiger auch Landnahmen und bedrohende Aktivitäten innerhalb der Schutzgebiete. Etwa die Drogenproduktion und der Drogenhandel im Schutzgebiet Noel Kempff Mercado an der brasilianischen Grenze. Gerade vor ein paar Wochen hat die Presse dort eine ganze Reihe geheimer Fluglandepisten aufgedeckt. Die sind nicht für Ausflüge von Tourist*innen gedacht. Und im San Matías Park sowie anderen Gebieten wie Tariquia im Süden oder dem Madidi-Nationalpark im Norden in der Amazonasregion hat die nationale Naturschutzbehörde SERNAP jüngst nicht nur Genehmigung für Entwaldungen, sondern auch für Erdgas- oder Bergbauaktivitäten erteilt.“

Konkret bedeutet das in Bezug auf den Quecksilbereinsatz Nervenerkrankungen in den ansässigen Dorfgemeinden nach Verzehr von Fisch, sowie Missbildungen bei Neugeborenen (siehe auch diesen Beitrag von Karen Gil in der ila, sowie dies Interview mit der Better Gold Initiative ). Es kann das Aussterben von Amphibien-, Vogel- oder Schmetterlingsarten, aber auch den Verlust von Heilpflanzen bedeuten, die den Bewohner*innen vor Ort über Generationen kostenlos zur Verfügung standen. Und es bedeutet auch ganz konkret Mißernten, mehr Trockenheit und Konflikte um das Wasser.

„Das Paradies ist hier“, Veröffentlichungen im Bildungszentrum der „Stiftung für den Trockenwald der Chiquitania“ in Santiago dokumentieren den Reichtum der Tiere, Nähr- und Heilpflanzen im Tucabaca Park. Foto: P.Strack

Entgegen der aktuellen Regierungslinie wollen wir weitere Schutzgebiete schaffen“

Sein Verband der Parkkomitees habe 2017 mit fünf Naturschutzgebieten begonnen, so Rivero. „Heute sind es bereits zwölf und entgegen der aktuellen Regierungslinie versuchen wir nicht nur zu verhindern, dass diese angetastet werden, sondern wir wollen auch weitere Naturschutzgebiete schaffen. Der größte Nationalpark ist der Kaa-Iya mit rund 3,4 Millionen Hektar Fläche im Chaco. Aber es gibt auch kleine munizipale Naturschutzgebiete wie das von Santa Cruz la Vieja (im Munizip San José). Es ist gerade mal 17.000 Hektar groß. Wir bemühen uns gerade um eine Ausweitung um weitere 90.000 Hektar. Zu unserer Vereinigung gehören Nationalparks wie der erwähnte Kaa-Iya, der Otuquis, das Schutzgebiet von San Matías, sowie der Naturpark Noel Kempff Mercado, alle entlang der brasilianischen Grenze. Dazu kommen dann die munizipalen Schutzgebiete wie das um die Laguna de Concepción, das zu den Munizipien Pailón und San José gehört, der Tucabaca-Park im Munizip Roboré, ein Schutzgebiet im Munizip San Rafaél, das Gebiet um die Laguna Marfil, das bolivianisches wie brasilianisches Territorium umfasst, …“

In diesem früheren Beitrag auf latinorama berichtete Zoyla Zeballos, wie erfolgreich das Komitee im Tucabaca-Park dort gegen Bergwerksprojekte oder die Holzmafia vorgegangen ist. Rivero dagegen sieht die Möglichkeiten eher begrenzt. „Wir erheben unsere Stimme und versuchen unsere Anliegen über befreundete Organisationen und die sozialen Netzwerke zu verbreiten. Aber wir oder die Nichtregierungsorganisationen haben kein Mandat, um selbst zu intervenieren.“

Vor Agroindustrie, Siedler*innen und Bergbauwirtschaft schützen. Noch ist der Tucabaca-Park eine Wasserfabrik, Foto: P.Strack

 

 

Bevor du der Soja oder der Kuh Wasser gibst, muss du zu erst selbst zu trinken haben

Die Verteidigung der Schutzgebiete muss dabei gar nicht in erster Linie der Liebe zur Natur geschuldet sein. Im Madidi-Nationalpark geht es nicht nur um den Verlust der Artenvielfalt durch Bergwerke, sondern auch um die Vergiftung des Wassers durch Quecksilber, das bei der Goldproduktion eingesetzt wird. (siehe die Reportage von Karen Gil in der Zeitschrift ila und das Interview auf Latinorama). Die Wasserversorgung ist auch eine der Hauptsorgen von Rivero in der Chiquitania. Den Klimawandel sieht Rivero als einen entscheidenden Faktor „wie ein Tunnel ohne Wiederkehr und von dem wir nicht wissen, wohin er noch führt.“  Der zweite Faktor seien die Böden, deren Fruchtbarkeit geschützt werden müsste, statt sie zu auszulaugen. Und der dritte Faktor sei die Vegetation: „Die Bäume sind Wasserfabriken. Das ist überall auf der Welt gleich. Deshalb muss versucht werden, die Politik so zu gestalten, dass alle drei Faktoren gut zusammen wirken können. Doch die Umweltgesetzgebung hat Lücken und ist teilweise unklar und widersprüchlich. Meine rechtsgelehrten Kolleg*innen sprechen von einer fehlenden Verbindung der Gesetzgebung zur sozialen Wirklichkeit und der Natur. Wenn dieser Tage schwere Maschinen in den Naturpark von San Matías eindringen, dann entspricht auch der öffentliche Diskurs einfach nicht dem, was vor Ort geschieht. Und das betrifft nicht nur die Regierenden, sondern auch die Landwirte. Die Viehzüchter von San José de Chiquitos halten derzeit etwa 200.000 Stück Vieh und wollen auf 250.000 kommen. Sie wollen mehr Fleisch produzieren, etwa für den Export nach China. Aber mit welchem Wasser können diese zusätzlichen Rinder gezüchtet werden kann, wenn die Wälder dafür abgeholzt werden? 10.000 Liter Wasser sind nötig, um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren. Und bevor du der Kuh, der Soja oder dem Sorghum Wasser gibst, musst du erst einmal selbst zu trinken haben. San José hat durchschnittliche Regenfälle zwischen 800 und 1200 ml pro Jahr. Die Provinzhauptstadt versorgte sich vor 15 Jahren noch vollständig aus dem kleinen Sutó-Fluss mit Trinkwasser. Heute kommt bereits 70% aus Tiefbohrungen.“

Gonzalo Colque von der Stiftung Tierra weist in der jüngsten Studie „Abholzungen 2016 – 2020 – Der unverantwortliche Pragmatismus der Agenda Patriótica“ darauf hin, dass die Ausweitung der Agrarflächen und Viehzucht Teil der Regierungstrategie sind: Die Agenda Patriotica aus dem Jahr 2013 sah die Ausweitung der Agrarflächen von 3 Millionen auf 13 Millionen Hektar, und die Vergrößerung des Viehbestandes von 900.000 auf 8 Millionen Rinder bis zum Jahr 2025 vor.

Viehwirtschaft in kleinem Umfang wie hier an der Überlandstraße nach Brasilien ist kein Problem, Foto: P.Strack

Kurzfristige Befriedigung der Klientel statt Vorbeugung umfassender Krisen

Mag das derzeit um die 30.000 Einwohner*innen zählende Munizip San José für die nationale Politik noch wenig relevant sein, zeichnen sich jedoch laut Rivero größere Versorgungskrisen ab, etwa in der Millionenstadt Santa Cruz: Dort  „fallen zwar immerhin zwischen 2500 und 3500 ml Regen pro Jahr. Doch die Stadt versorgt sich zu 100 Prozent aus Brunnen, die inzwischen 200 bis 300 Meter tief gebohrt werden müssen. Und 70 Prozent dieses Grundwassers kommt aus dem Nationalpark Amboró. Dessen Waldbestände sind jedoch ebenfalls bedroht. Dieses Jahr wurde der Kipp-Punkt erreicht, dass die Nachfrage nach Wasser größer ist, als dessen Generierung im Amboró.“

Die regierungsnahen Bauernverbände, die unter Polizeischutz wochenlang die Straßen blockiert hatten und derzeit mit dem Präsidenten verhandeln, ficht das anscheinend nicht an. So wie die Goldproduzenten im Madidi-Nationalpark ein Recht auf Arbeit und Einkommen reklamieren, fordern diese Bauernorganisationen die Änderung der Naturschutz- und Agrargesetzgebung zu ihren Gunsten. Unter anderem wollen sie die Umwandlung von Forstreservaten in landwirtschaftliche Flächen. Nur drei Wochen zuvor hatte die Regierung der ihr selbst nahestehenden Fraktion des Dachverbandes der Tieflandvölker CIDOB das Gegenteil zugesagt: Endlich das geltende Recht umzusetzen.

 

Für Hinweise zur Überarbeitung des Beitrags bedanke ich mich bei Julia Gabriela Strack Diaz.

Territorium und Würde: Endlich das geltende Recht durchzusetzen, forderte Anfang des Jahres vor der historischen Fassade Kirche aus den Jesuitenreduktionen auch die indigene Volksversammlung des Munizips San José, Foto: Camila Paredes Faldin

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/latinorama/wasserfabriken-und-heimstaetten-der-artenvielfalt/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert