10. Glasvegas – It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry (demo)
Sind Demos überhaupt erlaubt in Endjahrescharts? Gibt es einen Endjahreschartsnazi, der die Einhaltung imaginärer Endjahreschartrules überwacht? Egal, Glasvegas veröffentlichten bisher lediglich die limitierte Debütsingle „Daddy’s Gone“, die bereits für einiges Aufsehen auf der Insel sorgte, toppen aber jenen wirklich bemerkenswerten Debütversuch mit „It’s My Own Cheating Heart That Makes Me Cry“ noch einmal bei weitem. Nicht nur ist der Titel annähernd der beste des Jahres, auch funktioniert die Melange aus Jesus & Mary Chain White Noise mit The Ronettes Drums und einer Spur eines Oasis-Chorus bei diesem Lied noch besser. Brillant.
Charts: unveröffentlicht
9. Black Lips – Bad Kids
Schon lange unterwegs sind dagegen die Black Lips, die auf dem Weg zu ihrem diesjährigen, besten Album ihrer Karriere bereits ein Bandmitglied an Gevatter Tod während einer Tour verloren (und diese trotzdem zu Ende spielten). Diese Widmung an den Rock’n’Roll bricht sich auf dem neuen Album „Good Bad Not Evil“ endgültig Bahn und transzendiert die bekannten Garage-Punk-Roots, in dem sie das Repertoire auffächern und mit „Bad Kids“ einen 60er Jahre Song mit den besten Background Vocals des Jahres auffahren (backing vox: „Smoke cigs“ – lead vox: „In the bathroom stall!“ – backing vox: „Spray paint“ – lead vox: „A Penis on the wall!“). Ein Song gewordener „Ferris macht blau“. Ansteckend! Einmal gehört, nie mehr vergessen!
Charts: nur Albumtrack
8 Joe Lean & The Jing Jang Jong – Lucio Starts Fires
Ist schon wieder der 27. August 2001? Veröffentlichen die Strokes noch einmal „Is This It“? Nein, es ist tatsächlich nur die Band mit dem behämmertsten Namen des Jahres: Joe Lean und seine Jing Jang Jongs. Nach einer kurzen Karriere als Drummer in der Pipettes-Backing-Band und Versuchen als Schauspieler kehrte Joe Lean Ende 2007 mit seiner Debütsingle „Lucio Starts Fires“ zurück und selbst wenn das so anachronistisch wie nur etwas klingen mag: es war ohne Zweifel eine der besten Debütsingles des Jahres. Ob Joe Lean zu Julian Casablancas oder Johnny Borrell wird, muss die Zeit zeigen, für nun freuen wir uns dass behämmerte Namen und begeisternde Musik sich nicht ausschließen müssen. Überhaupt, was heißt schon behämmerte Titel – immerhin klingt „Lucio Starts Fires“ noch um Längen besser als „Demichelis Starts Fires“, nicht?
Charts: nur Veröffentlichtung als limitierte Single
7 Tocotronic – Kapitulation
Zunächst knallten uns Tocotronic als Promosingle „Sag Alles Ab“ vor den Latz, die uns geradewegs in Jochens Ghettowelt circa 1992 zurückschleuderte, nur um direkt danach mit „Kapitulation“ den formvollendeten Popsong ihrer Karriere als „richtige“ Lead-Single des gleichnamigen Albums zu präsentieren. Alles richtig gemacht, die Kapitulation muss noch warten. Ein Manifest des Anderssein in Pop.
Charts: D: #69 / UK: –
6 The Indelicates – Julia we don’t live in the 60ies
Als wir vor mehr als zwei Jahren die ersten Demos der Indelicates aus dem Netz fischten, konnten wir nicht glauben, wie eine Band derart fantastische kleine Indiepopsongs mit so überlebensgroßen Texten schreiben kann und trotzdem keinen Plattenvertrag hat! Seitdem verfolgen wir das Wirken der Indelicates, nannten sie eine der größten Hoffnungen für 2007, ließen sie Essays über Nationalismus und Dandyism im Popblog schreiben und freuen uns bollegleich, dass sie erstmals den Charme der frühen Demos mit einer richtig produzierten Single sogar übertrafen. “Julia, We Don’t Live In The 60ies” hat nicht nur den besten Textabsatz des Jahres („And people die when towers fall / I’ve tried but I hardly even care at all / I’ve seen you angry and I’ve seen you cry / Life goes fitfully flitting by / And I would love to climb a barricade / Like every other boy you know / But the wars at home have been betrayed / By too many boys on barricades”), sondern dreht im Vergleich zum alten Demo auch die Geschwindigkeitsschraube eine ganze Ecke weiter, so dass wir nicht mal still stehen könnten, wenn wir um alles in der Welt wollten.
Charts: D:- / UK:-
5 Die Türen – Indie Stadt
„Indie Stadt“ ist die Hymne des Jahres. In den ersten 50 Sekunden sprechen Die Türen jeden, aber auch wirklich jeden an – „für den Intro-Trendchecker“, „für den Robinson Club“, „fürs Roxy“, „für den Ausbildungsplatz bei dem HandWERker“ – und sie haben allen „einen Hit mitgebracht“. Und das haben sie. Eine brillante Hymne über das Woanders sein, das in die große Stadt ziehen wollen, die nur von einer Band, die bereits in Berlin lebt, so gesungen werden kann, weil Die Türen wissen: hier ist es genauso scheiße wie anderswo.
Aber mit den Türen macht der Tanz im Prekariat mehr Spaß als mit irgendjemand anders. Die legitimen Erben der Sterne und Schamonis dieser Welt.
Charts: D:- / UK:-
4 Babyshambles – There She Goes (A Little Heartache)
Man hätte sich den Mut gewünscht, statt der mediokren Rocknummer “You Talk“ dieses Barjazz-Kleinod als zweite Single der Babyshambles auszukoppeln. Auf einem guten Album ist „There She Goes (a little heartache)“ der große – und für viele – überraschende Höhepunkt. Bereits vor vier Jahren veröffentlichte Pete Doherty eine Akustikversion dieses Songs kostenlos im Netz und zum ersten Mal gelingt es ihm, den Glanz und die Intimität einer Akustiknummer in einen richtig produzierten Song zu überführen und ihn diesmal sogar noch zu verbessern. „There She Goes“ sollte Pflichtprogramm für alle Doherty-Haterz werden.
Charts: nur Albumtrack
3 M.I.A. – Paper Planes
Die multinationale Maya Arulpragasam aka M.I.A. war 2007 Stammgast in hiesigen Feuilletons. Neben wilden Bollywood-Covern und der unverfrorenen Plünderung der Rockgeschichte – von den Pixies bis zu Jonathan Richman musste jeder als Inspiration herhalten – war aber Paper Planes der Ausnahmesong, der jegliche Diskussion über Style over Content Fragen obsolet machte. In Paper Planes bedient sich M.I.A. der Melodielinie des The-Clash-Klassikers „Straight To Hell“ und vereint so ihre ekklektizistische Herangehensweise, das Meer an Soundeffekten (hier: das Klingeln einer Kasse und Gewehrschüsse als tragende Elemente des Refrains) mit der weltschweren Wehmut der Joe-Strummer-Melodie.„Straight To Hell“ gibt M.I.A. was sie nicht hat, während sie alles, was sie zu so einer außergewöhnlichen Kraft in der heutigen Musiklandschaft macht, weiter behalten kann. Man fragt sich nur wieder, warum die Engländer M.I.A. bekommen, während wir uns mit Mia. herumplagen müssen, Froinde!
Charts: D:- / UK:-
2 Emmy The Great – Easter Parade
Eigentlich müsste an dieser Stelle – und wie passend wäre es angesichts unserer Drittplatzierten! – der Song „MIA“ von Emmy The Great stehen, in dem Emmy von einem Autoausflug mit ihrem Freund erzählt, der mit einem Unfall endet. Der Freund liegt sterbend neben ihr, während noch das eigens für sie zusammengestellte Mixtape im Autoradio läuft und einen Song von M.I.A. spielt. Emmy liegt mit ihrem blutüberströmten Kleidchen neben ihrem sterbenden Freund und denkt daran, wie er ihr erzählt hatte, dass man M.I.A. „either mia or M.I.A.“ ausspricht. Die wundervollste, brutalste und berührendste Geschichte, die ein Song 2007 zu erzählen hatte. Da „MIA“ aber nur als Demo eine Veröffentlichung auf einer b-Seite erleben durfte, wollen wir das genauso wunderbare „Easter Parade“ an seiner Statt erwähnen, das ebenfalls auf Emmys „My Bad EP“ enthalten war und in brillanten Lyrics die Vergänglichkeit des Lebens besingt und dabei den großen William Blake paraphrasiert:
I’m grateful for the things that you’ve tried to show me dear /
but there’s no arcadia, no albion /
and there’s no jerusalem here /
and underneath your pastures green /
there’s earth and there’s ash and there’s bones /
and there are things that disappear into and then they are gone
Charts: D:- / UK:-
1 The Cribs featuring Lee Ranaldo – Be Safe
Die Cribs waren schon immer ungewöhnlich für eine britische Indieband, da ihre Heroen aus dem amerikanischen Indierock der 80er und 90er stammen. Pavement, Sebadoh, Husker Dü oder Sonic Youth heißen ihre Einflüsse, die sie mit britischem Punk der Buzzcocks zu verbinden wissen. Dass sie nun für den herausragenden Song des Jahres 2007 Sonic Youth’ Lee Ranaldo gewinnen konnten, war ein Geniestreich. Ranaldo rezitiert seine Zeilen von Blow Jobs, Shopping Lists und Hospital Deathbeds über Gitarren, die direkt aus einem frühen Pavement-Album stammen könnten. Doch wenn im Refrain Ryan Jarman „I know a place we can go where you’ll fall in love so hard that you’ll wish you were dead” singt und die Gitarrenlinie klingt als hätten wir es mit einer verlorenen Single aus der Pinkerton-Zeit von Weezer zu tun, kommen die beiden Indiewelten auf wunderbare Art und Weise zusammen und man kann gar nicht mehr aufhören, mit Lee Ranaldo gegen Ende des Songs „open aaall the boxes! open aaall the boxes! open aaall the boxes! open aaaaaaall the boxes!“ zu schreien. Die überraschendsten sechs Minuten des Jahres.
Charts: nur Albumtrack
Und letztes Jahr?
1. The Strokes: “Heart In A Cage”
2. Love Is All: “Spinning & Scratching”
3. Dirty Pretty Things: “Bang Bang You’re Dead”
4. Guillemots: “Trains To Brazil”
5. Clap Your Hands Say Yeah: “Upon This Tidal Wave Of Young Blood”
Mit Text? hier
[…] gewordenen „Ferris macht blau“ habe ich damals bei Veröffentlichung schon geliebt (2007 auf #9 in meinen Songs des Jahres) und finde ich auch heute noch so stark in seiner Kombination aus Punk, 60s Beat und Doo Wop […]