vonChristian Ihle 28.10.2010

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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Nachdem alle in hektischer Aufregung ihre Jahrzehntcharts zusammenstellten, zog sich das Popblog in ein einsames Programmkino zurück und tüftelte einige Monate an seiner definitiven “Die besten 50 Filme der letzten zehn Jahre” – Liste. Ausgiebiges Debattieren und Abstimmen später ist die „besten Filme des Jahrzehnt“- Liste nun vollständig.


(Die bisherigen Folgen Platz 50 – 35, Platz 34 – 21 und Platz 20-11 verbergen sich hinter den jeweiligen Links)


Der Countdown kann beginnen:

10. Oldboy (Regie: Chan-Wook Park, Südkorea, 2003)

oldboy

„Oldboy“ war ein Ungetüm. Auf den ersten Blick war der koreanische Cannes-Sieger nur ein Genrefilm, ein Vengeancemovie, ein Rachestreifen. Doch als uns Chan-Wook Park nach 40 Minuten mit der Auflösung des „wer?“ zum ersten Mal den Boden unter den Füßen weggezogen hatte, dämmerte uns, dass wir hier keinem Film, sondern einem Ereignis beiwohnen – in dem (selten genug!) nach einem „warum?“ gefragt wird. Und der koreanische Meisterregisseur, vielleicht der talentierteste Bilder-Arrangeur seiner Generation, hat auch in den kommenden eineinhalb Stunden seiner Geschichte von shakespear’schen Ausmaßen nicht nachgelassen, uns zu überraschen, zu überwältigen und – wie die Hauptfigur selbst – sprachlos zurückzulassen, weil uns das offene Ende, nach allen möglichen Brutalitäten zuvor, aus dem Kino hinauslächelte und wir nicht wussten, ob wir gerade tatsächlich das letzte verbliebene Tabu gut heißen sollten.


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=Wha0brbb_44&feature=related[/youtube]

Dass Park dazu zweimal eine Neudefinition von Poetik in Kampfszenen lieferte, ist dabei nur eine Randnotiz im Vergleich zur Größe der Geschichte. (CI)

9. 28 Days Later… (Regie: Danny Boyle, UK 2002)

28 days later

Das letzte Jahrzehnt läutete in mehrfacher Hinsicht das furiose Comeback des britischen Regisseurs Danny Boyle ein, der mit „The Beach“ nach Hollywood ausgezogen war, nur um dann mit der gescheiterten Literaturverfilmung bei seinen Fans und Kritikern baden zu gehen. Vielleicht waren seine nachfolgenden Filme deshalb alle meilenweit von der Traumfabrik entfernt angesiedelt. Das Bollywood-Märchen „Slumdog Millionaire“ spielt in Indien, der Sci-Fi-Horrorfilm „Sunshine“ sogar im Weltall und der Endzeit-Horrorthriller „28 Days Later“ erneut in England. Und ein schöneres filmisches Denkmal hätte Boyle seiner alten Heimat auch gar nicht setzen können, als in der grandiosen Anfangssequenz London komplett in Schutt und Asche zu legen! Ähnlich ästhetisch brillant auch der Rest der Apokalypse-Odyssee (übrigens einer der ersten digital gefilmten Kinofilme), mit dem der Filmemacher nicht nur das Zombiegenre entstaubte, sondern nebenbei auch noch ein regelrechtes Revival der Untoten einläutete. Wie gesagt, das letzte Jahrzehnt läutete gleich in mehrfacher Hinsicht das furiose Comeback von Danny Boyle ein. (KP)


8. Lost In Translation (Regie: Sofia Coppola, USA 2003)


Lost In Translation


Die letzte Dekade war für Sofia Coppola von Aufstieg („The Virgin Suicides“) und Fall („Marie Antoinette“) geprägt. Ein Film, auf den sich aber noch alle einigen konnten, war die von ihr geschriebene, zweite Regiearbeit „Lost in Translation“. Der oscarprämierte Überraschungshit aus dem Jahr 2003 erzählt die außergewöhnliche Liebesgeschichte zwischen Bill Murray (in seiner Lieblingsrolle) und Scarlett Johansson (in pinken Unterhosen), die – untermalt von langen Kamerafahrten und dem Soundtrack von My Bloody Valentine – durchs nächtliche Tokyo und einsame Hotellobbies streifen.
Außergewöhnlich deshalb, weil Coppola eben nicht in Woody Allen-Manier (alter Mann trifft auf junges Mädchen und erlebt durch dieses seinen zweiten Frühling) die vollkommen unprätentiöse Love Story zwischen zwei Fremden erzählt, sondern endlich ein Filmpaar geschaffen hat, bei dem man sich nicht unwohl fühlen muss, sobald diese sich auf der Leinwand annähern. Wobei das Tolle an „Lost In Translation“ ist, dass sie das streng genommen noch nicht einmal tun. Selbst der Kuss am Ende stand nicht im Drehbuch! (KP)


7. The Diving Bell & Butterfly (Regie: Julian Schnabel, Frankreich 2007, dt. Titel: Schmetterling & Taucherglocke, OT: Le scaphandre et le papillon)


Der Maler Julian Schnabel ist auch Filmregisseur – so herum muss man es wohl erzählen, weil erst dann klar wird, was der Film „Schmetterling und Taucherglocke“ eigentlich erzählt. Nach einem Schlaganfall leidet der Chefredakteur der französischen Zeitschrift Elle, Jean-Dominique Bauby, am sogenannten Locked-in-Syndrom und kann nur noch ein Auge bewegen. Der Rest des Körper ist starre, bleierne Unbeweglichkeit. Aus Bauby’s kleinem Guckloch heraus erzählt Schnabel von der Herrlichkeit des Lebens, den Farben, der Natur – und vor allem von den Frauen, die in diesem Film so leidenschaftlich geliebt werden wie bei Francois Ozon. Das traurigste und gleichzeitig mutigste an diesem Film ist die Tatsache, dass alles ganz real ist: der echte Bauby starb 1997 in Garches. (RH)


6. No Country For Old Men (Regie: Ethan & Joel Coen, USA 2007)



2007 war das Jahr, in dem das amerikanische Autorenkino eine Renaissance erlebte. Mit „There Will Be Blood“ und „No Country For Old Men“ räumten gleich zwei sperrige, abseits vom Hollywood-Mainstream gedrehte Filmproduktionen bei den angestaubten Academy Awards ab. Im Gegensatz zum Ölgräberdrama von Paul Thomas Anderson war „No Country For Old Men“ ein blutrünstiger Spätwestern der Coen-Brüder. Blut gab es in der düsteren Literaturverfilmung nach Cormac McCarthy nämlich reichlich.
Noch präsenter als die Unausweichlichkeit des Schicksals war vielleicht nur noch die Helmfrisur von Javier Bardem, der sich als das ultimative personifizierte Böse (Bardem spielt einen mit einem Bolzenschussgerät ausgestatteten psychopatischer Killer) in die Filmgeschichte eingeschrieben hat. Ein Film wie ein Hieb in die Magengrube. Radikaleres hat man in der letzten Dekade nicht auf der großen Leinwand gesehen. (KP)


5. Das weisse Band – Eine deutsche Kindergeschichte (Regie: Michael Haneke, Deutschland 2009)


das weiße band


Die Hoffnung stirbt zuletzt. Ein Satz, der auf „Das Weisse Band“ nicht zutrifft. Ein bisschen Frieden sucht man in dem protestantischen Dorf in Norddeutschland am Vorabend des Ersten Weltkrieges vergeblich. Eine schauerliche Mordserie durchzieht das nur scheinbar friedliche Dorfleben, in dem die Kinder ihre Eltern noch mit „Herr Vater“ ansprechen und jedes kleinste Vergehen sofort sanktioniert wird. Gegen
Hanekes (wunderbar fotografierte) Schwarz/Weiß-Welt würde selbst noch der Katholizismus wie ein farbenfroher Kindergeburtstag wirken. Denn ähnlich wie Lars von Trier zuvor in „Dogville“, benutzt auch Haneke die Dorfgemeinschaft als Mikrokosmos für seine (durchaus auch universal lesbare) beklemmende Gesellschaftsstudie, an der sich retrospektiv die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges ablesen lassen. Und ähnlich wie Lars von Trier sieht auch Haneke im Menschen nicht das Schlimmste, sondern das allerschlimmste. Ein faszinierender Film über den Kreislauf von Gewalt und Ursache. Auch ohne Oscarauszeichnung, Hanekes großer Wurf. (KP)


4. The Wrestler (Regie: Darren Aronofsky, USA 2008)

Was für ein großes Glück, dass nicht wie geplant Nicolas Cage für die Rolle des Wrestler-Losers engagiert wurde. Sein zur Leidensmiene verzerrtes Gesicht hätte diese Geschichte zum vor Kitsch triefendem Melodram gemacht. Bei Mickey Rourke ist es anders. Dieser Mann zeigt als abgehalfterter Star gerade soviel Restwürde, dass klar wird, wie viel Ruhm ihm selbst eigentlich einmal zuteil geworden war. Und sieht man ihn als Randy „The Ram“ Robinson im Ring stehen, müde und gezeichnet vom schnellen, exzessiven Leben, das hinter ihm liegt, kommt man trotz allem Bemühen, Schauspieler nicht mit ihren Rollen zu verwechseln, nicht dagegen an, Parallelen zu ziehen. Vielleicht ist es sogar das, was diesen Film so herzergreifend macht. (SW)


3. 24 Hour Party People (Regie: Michael Winterbottom, UK 2002)


Auf den ersten Blick mag es der Musiklastigkeit eines Popblogs geschuldet sein, dass sich ein Film über die Musikszene Manchesters so weit oben auf Rang 3 platzieren kann. Doch dem wollen und müssen wir entschieden entgegentreten: „24 Hour Party People“ steht auf diesem Platz, weil es kaum einen Film gab, der so scharf geschriebene Dialoge hatte. Weil er es verstand, Figuren wie Tony Wilson (Factory Plattenlabelchef) oder Ian Curtis (Joy Division – Sänger) ihrem Mythos entsprechend zu überhöhen und gleichzeitig die Mythenbildung der Dekonstruktion freigab. Weil „24 Hour Party People“ das Glück hatte, mit der Entwicklung von Factory Records eine Geschichte erzählen zu können, die besser war, als man sie sich je hätte ausdenken können. Weil Regisseur Michael Winterbottom den Punkspirit nicht abbilden wollte, sondern einfangen konnte. (CI)


2. Gegen Die Wand (Regie: Fatih Akin, Deutschland 2004)


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=gGd6RaoYPxo[/youtube]

Mit dem Auto gegen die Wand, mit der Rasierklinge ins Handgelenk, mit der flachen Hand ins Gesicht, mit dem Messer in die Brust. Mit diesem Film hat Fatih Akin Emotionen ins deutsche Kino gebracht, die so vorher nicht existiert hatten. Alles an diesem Film ist extrem: die Liebe zwischen Sibel (Sibel Kekilli) und Cahit (Birol Ünel), das Leben in Hamburg-Altona, die hybride Existenz zwischen nichtrichtigtürkisch und nichtrichtigdeutsch, der Gegensatz zwischen Elternliebe und Freiheitsdrang.


gegen die wand


Auf Betroffenheitsgeschichten hat Fatih Akin allerdings keinen Bock – er haut uns das komplizierte Leben der zweiten Generation von Deutschtürken lieber in Form einer kompromisslosen, körperlich spürbaren und knallharten Liebesgeschichte um die Ohren. Es ist ein positiver Schmerz. (SW)


1. Mulholland Drive (Regie: David Lynch, USA 2001)


Lynch


„Mulholland Drive“ war der Schwesterfilm zu dem von Lynch Ende der 90er gedrehten „Lost Highway“. Doch im Gegensatz zu diesem brillanten, ebenso verwirrenden, aber weitgehend ignoriertem Vexierspiel wurde „Mulholland Drive“ zu Lynchs größtem Triumph seit „Blue Velvet“, seine dritte Oscar-Nominierung inklusive (gewonnen hat er, blame it on the establishment!, natürlich nie!).


[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=VFtqxpL1sG8[/youtube]

Das größte Wunder dabei: eigentlich hätte „Mulholland Drive“ eine Fernsehserie werden sollen – und nur weil der US-Sender ABC Lynch nach ersten Mustern die Finanzierung verweigerte, schnitt er seine gedrehten Szenen zu diesem Jahrzehntfilm um. Dadurch erklären sich auch die vielen offenen Handlungsstränge, die aber die Bebilderung der Traumwelt Hollywood nur noch dringlicher machten.
Dank „Mulholland Drive“ war David Lynch auf einmal nicht nur der König von Nerdland, sondern hatte wieder (eine gewisse) Breitenwirkung wie damals, Ende der 80er, Anfang der 90er, als er mit „Blue Velvet“, „Twin Peaks“ und „Wild At Heart“ einer ganzen Generation die Tür zu einer Welt öffnete, die sie bis dahin nie betreten hatte: einer Welt, in der Hässliches neben Schönem koexistierte, in der unter der Oberfläche das Eigentliche geschah. Lynch erteilte Lehren für das Leben und bebilderte gleich noch unsere Träume mit. (CI)


Mulholland Dr


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Texte & Jury: Robert Heldner, Christian Ihle, Katja Peglow, Silvia Weber


Die bisherigen Folgen:


Plätze 11-20


11. The Filth & The Fury (Regie: Julien Temple, UK 2000)
12. The Devil’s Rejects (Regie: Rob Zombie, USA 2005)
13. It’s All About Love (Regie: Thomas Vinterberg, Dänemark 2003)
14. I’m Not There (Regie: Todd Haynes, USA 2007)
15. Inglourious Basterds (Regie: Quentin Tarantino, USA 2009)
16. Donnie Darko (Regie: Richard Kelly, USA 2001)
17. The Virgin Suicides (Regie: Sofia Coppola, USA 1999)
18. The Royal Tenenbaums (Regie: Wes Anderson, USA 2001)
19. Kill Bill Vol. 1 (Regie: Quentin Tarantino, USA 2003)
20. Der Knochenmann (Regie: Wolfgang Murnberger, Österreich 2009)


Plätze 21-34


21. Waltz With Bashir (Regie: Ari Folman, Israel 2008)
22. The Eternal Sunshine Of The Spotless Mind (Regie: Michel Gondry, USA 2004. Dt. Titel: Vergiss Mein Nicht)
23. Irréversible (Regie: Gaspar Noé, Frankreich 2002)
24. Juno (Regie: Jason Reitman, USA 2007)
25. Artificial Intelligence: AI (Regie: Steven Spielberg, USA 2001)
26. Little Children (Regie: Todd Field, USA 2006)
27. The House Of The Devil (Regie: Ti West, USA 2009)
28. In The Mood For Love (Regie: Wong Kar Wai, China 2000)
29. Der Maschinist (Regie: Brad Anderson, Spanien 2004)
30. Alle Anderen (Regie: Maren Ade, Deutschland 2009)
31. City Of God (Regie: Fernando Meirelles, Brasilien 2002)
32. [REC] (Regie: Jaume Balagueró & Paco Plaza, Spanien 2007)
33. 13 Tzameti (Regie: Géla Babluani, Frankreich 2005)
34. The Tracey Fragments (Regie: Bruce McDonald, Kanada 2007)



Plätze 35-50:


35. There Will Be Blood (Regie: Paul Thomas Anderson, USA 2007)
36. Rushmore (Regie: Wes Anderson, USA 1998)
37. Eastern Promises (Regie: David Cronenberg, Kanada 2007 / Dt. Titel: Tödliche Versprechen)
38. Death Proof (Regie: Quentin Tarantino, USA 2007)
39. American Beauty (Regie: Sam Mendes, USA 1999)
40. Little Miss Sunshine (Regie: Jonathan Dayton & Valerie Faris, USA 2009)
41. Match Point (Regie: Woody Allen, USA 2005)
42. Let The Right One In (Regie: Tomas Alfredson, Schweden 2008. Originaltitel: Låt den rätte komma in / Dt. Titel: So finster die Nacht)
43. Herr Lehmann (Regie: Leander Haußmann, Deutschland 2003)
44. (500) Days Of Summer (Regie: Marc Webb, USA 2009)
45. Elephant (Regie: Gus Van Sant, USA 2003)
46. Slumdog Millionaire (Regie: Danny Boyle, UK 2008)
47. 25th Hour (Regie: Spike Lee, USA 2002)
48. The Descent (Regie: Neil Marshall, UK 2005)
49. Nichts Bereuen (Regie: Benjamin Quabeck, Deutschland 2001)
50. Caché (Regie: Michael Haneke, Frankreich 2005)



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https://blogs.taz.de/popblog/2010/10/28/die_besten_filme_der_dekade_platz_10_-_1/

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kommentare

  • Endlich finde ich den letzten Teil – danke! Auch ich werde wohl noch Einiges nachholen muessen, fragt sich nur wann.
    Erzaehlt das mal den TuerkInnen und OesterreicherInnen, dass „2 deutsche Filme“ in den Top 5 sind, die werden sich erstaunt die Augen reiben…
    Bei aller Subjektivitaet wundert mich eine Sache: Wo ist Broken Flowers? Hatte sehr fest mit dem in den Top 3 gerechnet…?

  • Lars von Trier ist ein etwas tragischer Fall: kaum ein Regisseur hatte mehr verschiedene Filme nominiert mit Dancer In The Dark, Dogville, Antichrist, The 5 Obstructions, aber weil von Trier eben recht polarisiert, hat es in der Durchschnittswertung dann leider doch zu keinem Top-50-Film gereicht.

    (Die Liste ist in der Hinsicht eben ein „ehrliches Voting“ und kein abwägendes „müsste eigentlich auch mit drin sein“ und Nachkorriegiere…)

    die 1998er Filme waren deshalb in der Wertung, weil sie tatsächlich erst nach dem 1.1.2000 in den deutschen Kinos angelaufen waren – erstaunlich, aber wahr. Grundlage war dass ein Film vom 1.1.2000 – 31.12. 2009 seine Erstaufführung in deutschen Kinos (respetive VÖ auf DVD) haben musste.

  • @Cineast: haben Sie sich Ihren Namen überhaupt verdient, wenn Sie ‚In the Mood for Love‘ nicht gesehen haben? 😉

    Bin etwas verwundert, dass es weder Lars von Trier mit Dogville noch Jeunet mit ‚Le fabuleux destin d’Amélie Poulain‘ in die Top50 geschafft haben, hätten es meiner Ansicht Teil einer solchen Rangliste zu sein.

    PS: Warum werden teilweise Filme des Jahres 1998 ausgewählt ?

  • @ Christian :

    Ja, letzendlich ist es ja sowieso subjektiv … Station Agent und Once wären sicher noch zwei Filme die es in die Top 50 schaffen könnten, wenn sie etwas bekannter wären! Sind halt zwei „echte“ Indie-Filmchen, die aber mit „Into the Wild“ meine persönlichen Highlights der Dekade sind!

    Gegen die Wand muss ich mir auch nochmal zu Gemüte führen und In the Mood for Love will ich seit Jahren gucken, bin aber noch nicht zu gekommen!

  • Die Wirkung des Films ist unbestritten. Leider ist sie eine sehr negative, was die Völkerverständigung angeht. Leider hat Coppola soweit nicht gedacht, und ich finde sie, auch aus anderen Gründen, einfach überbewertet.

    Man stelle sich mal einen Film wie Lost in Translation vor, der zwei Japaner nach New York führt, und dort treffen sie ausschliesslich auf Einheimische, die entweder um sich schiessende Gangster-Rapper, durchgedrehte arabische Taxifahrer, oder ins Handy plärrende Investmentbanker sind. Dann würde jeder sagen: Nee, das kenne ich anders – so ist es zu eindimensional.

    Mit Japan dagegen kann man sowas durchziehen und wird noch mit Preisen überhäuft. Das ist es, was mich umtreibt.

    So, jetzt reicht es aber 😉 Der Film ist ja schon alt, ich will mich nicht zu sehr aufregen.

  • @ Cineast: so gern ich es ja irgendwie sehen würde, wenn wir einen total crazy Dekadenbestenfilm gewählt hätten, ist Mulholland Drive erstaunlicherweise auch bei Abstimmungen respektabler Magazine / Vereinigungen als bester Film des Jahrzehnts genannt worden, u.a. bei Los Angeles Film Critics Association, Cahiers du Cinéma, indieWIRE, Slant Magazine, The Village Voice und Time Out New York. Aber ums gleich hinzuzufügen: das hatte keinen Einfluß auf unsere Wahl – ich habe das erst gerade nachgeschlagen. 😉

    Unabhängig davon kann man kann wohl mit Recht sagen, dass Einfluß und Bedeutung von „Mulholland Drive“ in den 9 Jahren seit seinem Kinoeinsatz eher sogar noch gestiegen sind.

    Das schöne an der eigenen Liste: ich habe jetzt selbst wieder total Lust bekommen, mir die Top10 noch mal anzuschauen. Mulholland Drive und Gegen Die Wand gleich als Erstes!

  • Ja, in der Hinsicht mag ich dir Recht geben, Lost In Translation hat mit Sicherheit das Japan- (oder besser Tokio-)Bild vieler Menschen beeinflußt.

    (was andererseits allerdings auch eine gewisse Aussage über die Wirkung des Films hat)

  • Hallo Christian, ich stimme dir insofern zu, dass es Coppola bei Lost in Translation sicher nicht hauptsächlich darum ging, dass wir die „skurrilen Japaner“ auslachen sollen. Ich halte sie nicht für sie bösartig. Sie wollte sicher nur einen ausreichend „fremden“ Hintergrund für die Geschichte finden.

    Dennoch finde ich nicht, dass dies im Zusamenhang mit Kritik am Japanbild Coppolas steht.

    Denn auch wenn Japan hier nur als Staffage herhalten muss, so nimmt das zur Schau stellen dieser Staffage doch einiges an Spielzeit in Anspruch. Wie in den beiden verlinkten Artikeln sehr genau aufgezeigt wird, ist es eben doch zumindest als uninteressiert, dumm, und meiner Meinung nach auch quasi-rassistisch zu bezeichnen, wenn eine ethnische Gruppe derart überzeichnet und eindimensional dargestellt wird. Dass dabei auch mit Unwahrheiten hantiert wird (kein 5-Sterne Hotel in Tokio hat Duschen, unter die ein Amerikaner nicht passt), stellt eine weitere Schwierigkeit dar.

    Ich habe viele Bekannte, deren ganzes Japanbild auf Lost in Translation aufbaut. Der Film hat viel zu einem Mißverständnis beigetragen, und Sofia Coppola wurde für ihren sehr unscharfen, verfälschenden Blick leider nie zur Rechenschaft gezogen.

  • Hm. Als Kritikpunkt könnte man doch eher sehen, dass Japan als Staffage dient. Um Japan und/oder Japaner geht es doch in Lost In Translation überhaupt nicht, sondern nur um die Bebilderung des Zustandes, für sich allein zu sein. Niemanden zu haben, zu niemandem eine Verbindung aufbauen zu können und mit niemanden reden zu können. Die eigentliche Geschichte von Lost In Translation spielt sich doch in den Figuren ab und ist praktisch ohne Ortsbezug – Japan dient doch nur als Vehikel, um die Fremdheit, die die beiden Charaktere mit der Welt fühlen, die Unfähigkeit, Verbindungen nach außen aufzubauen, in Bilder zu kleiden.

  • Schade, dass es Lost in Translation immer wieder schafft, so hoch bewertet zu werden. Das hat dieser wenig verholen rassistische, von dümmlichsten Orientalismus triefende Mädchentraum nicht verdient.

    Ich halte ihn für den überbewertetsten Film der letzten 10 Jahre. Im Grunde ist nur Bill Murray positiv hervorzuheben. Ansonsten scheint der Film nämlich nur so bekannt geworden zu sein, weil er vorgibt, einen intimen Einblick in die Japanische Gesellschaft zu ermöglichen. Und da wird es gefährlich. Denn durch seine Hipness hat es der Film irgendwie geschafft, dass ihm die ganzen alten, üblen Klischees über Japaner (oder besser, Ostasiaten), die er wiederholt, nachgesehen werden.

    Auch hier wird der Japaner wieder als ausschliesslich skurriler, kleinwüchsiger Perverser dargestellt. Ich will hier nicht ausufern, denn das haben Andere schon umfassend getan. Wer an der Argumentation interessiert ist, kann hier mehr erfahren:

    http://farorientalism.blogspot.com/2009/10/lost-in-orientalism.html
    http://www.asianamericanfilm.com/archives/000602.html

    Jetzt werden viele sagen: „Wen interessiert, wie die Japaner dargestellt werden“. Genau das ist der Punkt. Sofia Coppola interessiert es anscheinend nicht.

  • Wow. Bin grad auf diese Liste gestoßen … und will einfach nur loben.
    Es ist und bleibt subjektiv geschmäcklerisch. Dass bestimmte Filme auftauchen, freut mich sehr (Oldboy, Wrestler, Eternal Sunshine, City of God, Match Point, (500) Days of Summer), über einige würde ich gerne streiten (Slumdog Millionaire, Artificial Intelligence, Inglourious Basterds und ja, auch über Lost in Translation oder Mulholland Drive), manche Filme fehlen mir (Children of Men, Memento, Requiem for a Dream, Mystic River, Sin City) usw. Aber insgesamt ist es schlicht eine tolle Liste, die zwei absolut positive Effekte besitzt: ich schätze das letzte Jahrzehnt filmisch sehr hoch ein und ich werde mir ein paar der hier gelisteten Filme anschauen, die schon zuvor auf meiner Agenda standen (Let the right one in, Eastern Promises, Alle anderen, Waltz with Bashir). Danke.

  • Oha, mit Mullholland Drive auf der Eins traut ihr euch was! Ich fand den Film allerdings alles andere als gut… Hatte viel mehr erwartet. Sicherlich gibt es viele höchstinteressante Interpretationsansätze im Internet. Bei Interesse mal Determinismus googlen…

    Ansonsten sind echt viele Perlen dabei! Und zwei deutsche Filme in den Top 5 beweisen, dass das deutsche Kino sehr wohl mit den großen, meist amerikanischen Produktionen mithalten kann!

    Schmetterling & Taucherglocke auf der 7 hat mich übrigens auch sehr gerfreut! Einer der emotionalsten Filme, den ich je gesehen habe… Großartig.

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