vonChristian Ihle 24.03.2016

Monarchie & Alltag

Neue Bands und wichtige Filme: „As long as the music’s loud enough, we won’t hear the world falling apart“.

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„Gegen Los Angeles war Berlin wie ein Kuraufenthalt. Man konnte bei diesem Griechen auf der Hauptstraße in Schöneberg den Studententeller für fünf Mark bestellen, und im Supermarkt ganz in der Nähe war der Wodka so billig, dass man ihn nicht mal klauen musste. Das wichtigste aber war: Wir wurden in Ruhe gelassen. Keiner kümmerte sich um uns. Selbst in diesen Diskos am Kurfürstendamm, mit denen ich so diesen aufgetakelten Provinzschick verbinde, blieben wir unerkannt. Da haben wir Studio 54 gespielt. Eben Sekt auf Eis.

Einen der verrücktesten Momente habe ich in der Nürnberger Straße erlebt, in der Nähe des Dschungels, des berühmten Klubs. Irgendein Witzbold hatte einen Spezialschlüssel, mit dem man die gelben Telefonzellen abschließen konnte. Ich war komplett zugeknallt und mit massenweise Stoff in den Taschen in dieser Zelle eingesperrt. Die Paranoia hatte mich im Griff, bis eine Polizeistreife kam und mich befreite. Ohne auch nur ein Wort zu meinem Zustand zu verlieren! Ohne mich gar zu durchzusuchen! Ich habe heute noch eine kleine Meldung aus der „Bild“-Zeitung: „Polizei befreit Rockstar aus Telefonzelle!“


(Iggy Pop im Interview mit Ralf Niemczyk in der WELT)


Edit:
Wolfgang Müller hat die gleiche Szene übrigens auch in seinem Buch „Subkultur Westberlin“ vor ein paar Jahren aufgeschrieben, dort klingt es so:

„Iggy Pop war gefangen in einer gelben Westberliner Telefonzelle. Er kam nicht mehr heraus. Er drückte gegen die Tür und hämmerte an die Scheiben. Niemand eilte ihm zu Hilfe. Sicher gingen die vorbeieilenden Bürger von einer der zahllosen spontanen Performances aus, die sich in Westberlin tagtäglich, auch undokumentiert, ohne Super-8 bzw. Videokamera oder Fottoapparat ereigneten. Sind das verzweifelte Klopfen an der Scheibe und die entsprechende Mimik Bestandteile eine Selbstfindungsaktion, zu einer Suche nach Identität gehörend? Wieder so eine komische, unverständliche, völlig überflüssige Kunstperformance? Da möchte niemand im hypertoleranten Westberlin eingreifen und unnötig stören.“ (S. 92)

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https://blogs.taz.de/popblog/2016/03/24/dont-mention-the-war-iggy-pop-ueber-berlin-vs-los-angeles/

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kommentare

  • Stimmt. Wolfgang Müller hat die gleiche Szene ja auch in seinem „Subkultur Westberlin“ Buch vor ein paar Jahren aufgeschrieben, dort klingt es so:
    „Iggy Pop war gefangen in einer gelben Westberliner Telefonzelle. Er kam nicht mehr heraus. Er drückte gegen die Tür und hämmerte an die Scheiben. Niemand eilte ihm zu Hilfe. Sicher gingen die vorbeieilenden Bürger von einer der zahllosen spontanen Performances aus, die sich in Westberlin tagtäglich, auch undokumentiert, ohne Super-8 bzw. Videokamera oder Fottoapparat ereigneten. Sind das verzweifelte Klopfen an der Scheibe und die entsprechende Mimik Bestandteile eine Selbstfindungsaktion, zu einer Suche nach Identität gehörend? Wieder so eine komische, unverständliche, völlig überflüssige Kunstperformance? Da möchte niemand im hypertoleranten Westberlin eingreifen und unnötig stören.“ (S. 92)

  • Irgendwie rührend, festzustellen, dass auch Rockstars ihre Anekdoten immer wieder und wieder wiederholen. „Verrückt“. Die Telefonstory ist inzwischen schon Pop-Allgemeinwissen…

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