Ja, Panik – Apocalypse Or Revolution
Am 1. Januar um 0.01 Uhr das Gefühl zu haben, den besten Song des Jahres zu hören, wirkt zugegebenermaßen voreilig, aber andererseits: wie verdammt gut ist die Rückkehr von Ja, Panik? Was für ein brillantes vertontes Gedicht hat Andreas Spechtl hier geschrieben? Wie perfekt findet die Band genau den richtigen Punkt zwischen Song und Nichtablenkung der Lyrics? Mein meistgehörter Song in diesem Jahr. Textzeilen, die an jede Häuserwand geschrieben gehören.
wenn du wartest auf die nacht
aber das licht niemals erlischt
wenn du dich fühlst
wie ein tschick
der sich von selber raucht
wie ein ich das plötzlich wir schreit
und ein wir das jetzt ein ich braucht
International Music – Insel der Verlassenheit
Pedro & Peter kehren nach der Düsseldorf Düsterboys Platte wieder zu Joel mit International Music zurück und finden sich auf der „Insel der Verlassenheit“ gleich wieder in den Krautrockrhythmen des Debütalbums ein (unsere Platte des Jahres!), dreht aber die 60s-Psychedelic noch zusätzlich auf, was zum gewohnt absurden doch tiefen Text wie Kaffee auf Küche passt.
Die Regierung – Tiefe Tiefe Liebe
Nach 23 Jahren Regierungspause haut Tilman Rossmy nun schon das dritte Regierung-Album in vier Jahren raus: neben Albumopener „Der Witz ist“ ist dem newwavige „Tiefe Tiefe Liebe“ der Höhepunkt. (Übrigens: die aktuelle Folge in Jan Müllers Reflektor-Podcast mit Tilman Rossmy ist eine der bemerkenswertesten. Sehr hörenswert.)
Chuckamuck – Sayonara
Lange Zeit haben Chuckamuck an ihrem Greatest Hits Album in acht verschiedenen Fremdsprachen gebastelt und einer der Höhepunkte ist das japanisch eingesungene „Sayonara“ geworden, das wie ein verlorener New Wave Track von 1982 klingt.
Kynsy – Happyness Isn’t A Fixed State
Die junge Irin Kynsy hat sich schön eine Seite aus dem Strokes-Playbook genommen und mit ihren beiden Debütsingles „Cold Blue Light“ sowie „Happiness Isn’t A Fixed State“ besten New-York-Pop aufgenommen.
Sleaford Mods feat. Amy Taylor – Nudge It
Wie gehabt: schimpfwortgesättigte Spoken-Word-Hip-Hop-Rants über minimalistische Beats in Punk Attitude. Aber diesmal noch besser und mit „Mork N Mindy“ und „Nudge It“ mit zwei richtigen Hits im Angebot, die beide durch die Unterstützung von Billy Nomates und Amy Taylor deutlich gewinnen. Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet in diesem Two-Blokes-and-a-Drummachine-Format der Sleafords weibliche Vocals so gut passen und einen solchen Mehrwert bieten?
Viagra Boys – Ain’t Nice
Zwar findet sich mit „Ain’t Nice“ der Hit spotifytauglich an erster Stelle des Albums, aber insbesondere die zweite Hälfte, die häufig vom etablierten Krautrock-Postpunk der Schweden abweicht und sogar in Countrygebiete reitet, macht das ganze Album hörenswert.
Shame – Snow Day
Auch wenn „Snow Day“ nicht unbedingt der beispielhafteste Song für das neue Album der britischen Post-Punk-Band ist, habe ich einfach eine Schwäche für jene Lieder, in denen Sänger Charlie Steen mehr spricht als shoutet (siehe auch „The Lick“ vom Debüt).
The Vaccines – No One Knows
Das ist zumindest originell. Ein Queens Of The Stone Age Cover durch die Vaccines, mehr stoned im Geist von Laidbacks „Bakerman“ als Stoner Rock.
Sloe Paul feat. Vitiko Schell – L’amour de l’escargot
Sloe Paul ist mir erstmals mit der hervorragenden „Sweaty But I Love It / Warum Können Wir Nicht Zusammen Leben“-Single aufgefallen (letzteres übrigens ein Rework des Timmy Thomas Soulklassikers), die er gemeinsam mit Peter Muffin von den Nerven aufgenommen hat. Sloe Paul spielt hypnagogic pop, ist ein smooth operator zwischen Metronomy, Prince – und eben Timmy Thomas.
The Weather Station – Robber
Die kanadische Singer/Songwriterin Tamara Lindeman aka The Weather Station ist mit „Robber“ ein Folksong gelungen, der dank Einsatz von Bar-Jazz-Elementen aus der Masse heraussticht und an die besten Momente von Suzanne Vega erinnert.
Dagobert – For The Love Of Marie
Der Schweizer ‚Schlagerbarde‘ Dagobert hat mit seinem Album „Jäger“ offensichtlich ein neues Kapitel aufgeschlagen: düsterer im Text, musikalisch deutlich breiter gefächert: von der Klavierballade (Ich will noch mal) über Metronomy-Funkyness (Nie wieder arbeiten) zum NDW-Hit (Wunderwerk der Natur). Der 60s Baroque Pop Marke Walker Brothers von „For The Love Of Marie“ als Opener ist dann aber doch mein Liebling.
Buck Meek – Pareidolia
Gemeinsam mit Adrienne Lenker gründete Buck Meek die US-Indie-Rockband Big Thief, die zuletzt mit „Not“ einen der größten Songs aus diesem Genre veröffentlicht hat. Bereits vor Big Thief hat Meek eigene Platten aufgenommen und bewegt sich hier mehr im Americana-Umfeld und klingt wie alte The Band – Demos.
Natalie Bergman – Talk To The Lord
Als Solokünstlerin steht Natalie Bergman kurz vor ihrem Debüt, das im Mai auf Jack Whites „Third Man Records“-Label erscheinen wird. In den letzten Jahren war Bergman bereits in Bands wie Nomo und Wild Belle aktiv. Letztere bestand aus Natalie und ihrem Bruder Elliot Bergman und veröffentlichte von 2012 bis 2019 drei Alben.
Ihre Debütsolosingle „Talk To The Lord“ wirkt, als hätte Nina Persson von den Cardigans den Gospel entdeckt, und das dazugehörige Video hat einen so wunderbaren 60s Patina-Anstrich, dass es beinah schon unverschämt ist.
For Those I Love – I Have A Love (Overmono Remix)
Großen Eindruck hinterlässt zur Zeit „I Have A Love“ von For Those I Lov mit seiner euphorischen Melancholie der frühen The Streets – Platten bei mir. David Balfes Song über einen verstorbenen Bandfreund hat den intensivsten Text:
I have a love, and it never fades
From red garden sheds
To watching lads on steds knocking heads.
From the 2×2 fuck you punk stage
To a warehouse rave,
with a bloke we met on the way
dancing til day.
The KLF – Atlanta To Mobile
1992 zogen THE KLF ihren Back Catalog zurück und waren damit offiziell out of print. 2021 kündigten sie einen digitalen Rework in fünf Kapiteln an. Bemerkenswerter noch als die bisher erschienene „Solid State Logik 1“ (ihre „Greatest Stadium Trance Hits“ Platte) ist „Come Down Dawn“, eine Neupräsentation ihres legendären „Chill Out“ – Albums, das in neuem Mastering auch wirklich neue Form annimmt. Zwar vermisse ich das eine oder andere, anscheinend nicht zu bekommende Sample wie in „Elvis On The Radio, Steel Guitar On My Mind“, doch ergibt sich so ein tatsächlich neues KLF-Album, das durch Remastering und Umarrangierung der Einzelstücke als eigenes Werk besteht.
Einen Song aus „Chill Out“ bzw. „Come Down Dawn“ herauszupicken geht natürlich gegen die Idee dieser Platte und deshalb sei dieser Track hier nur stellvertretend dafür gemeint, dass man sich doch bitte alles anhören solle.
Black Country, New Road – Sunglasses
Dass eine so experimentelle Band wie Black Country, New Road mit ihrem Debütalbum auf #4 in die britischen Charts einsteigt, das ist schon bemerkenswert. Aber eben auch: verdient. Ein Album, das als Ganzes so viel besser wirkt als seine Einzelteile und dennoch mit „Sunglasses“ den einen Song für die Ewigkeit bereithält (man kann darüber streiten, ob die ursprüngliche Single-Aufnahme nicht die noch bessere war, aber hey!).