vonDetlef Georgia Schulze 09.05.2024

Theorie als Praxis

Hier bloggt Detlef Georgia Schulze über theoretische Aspekte des Politischen.

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Am 29.07.2022 teilte die Autonome Antifa Freiburg mit:

„Fast fünf Jahre nach dem Verbot von Indymedia linksunten wurde das Ermittlungs­verfahren wegen Bildung krimineller Vereinigungen am 12. Juli nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. […]. […] die Staatsanwaltschaft [konnte] keine Beweise finden und hatte damit keinen genügenden Anlass zur Erhebung einer öffentlichen Klage. Bis heute konnte offenbar keiner der bei den linksunten-Razzien im August 2017 be­schlagnahmten Datenträger entschlüsselt werden.“
(https://autonome-antifa.org/breve8379)

Dies hörte sich danach an,

  • als ob die Einstellung des Verfahrens vor allem an der Nicht-Einschlüsselung der Datenträger,
  • und also daran, daß die Mitgliedschaft der Beschuldigten in der Kriminellen Ver­einigung nicht habe bewiesen werden können,

hänge (die von linksunten.indymedia veröffentlichten Artikel waren ja eh im Internet allgemein zugänglich; um diese kennen, bedurfte es nicht erst der Entschlüsselung von beschlagnahmten Datenträgern).

Schon 2023 hatte mir die Staatsanwaltschaft Karlsruhe eine andere Version der Ge­schichte erzählt (ich berichtete damals bei de.indymedia [Abschnitt „Eine zweite – er­freuliche – Neuigkeit“] darüber):

„die im Zuge des Ermittlungsverfahrens gewonnenen Erkenntnisse ließen jedenfalls darauf schließen lassen, dass sich die Beschuldigten am Aufbau und Betrieb der In­ternetplattform ‚linksunten.indymedia.org‘ beteiligt hatten. Im Ergebnis kam es hier­auf aber nicht (mehr) an, weil bereits der gesicherte Nachweis einer kriminellen Ver­einigung aus den von mir erwähnten Gründen verneint wurde.“

Und die „von mir“ – also dem Pressesprecher der Karlsruher Staatsanwaltschaft waren – „erwähnten Gründen“ waren:

„Nach Durchführung der Ermittlungen ließ sich nicht mit der für eine Anklageerhe­bung notwendigen hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit nachweisen, dass es sich bei dem u.a. von den Beschuldigten gebildeten Zusammenschluss mehrerer Personen zum Betrieb und zur Aufrechterhaltung der Internetplattform ‚linksunten.in­dymedia.org‘ um eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB (in der a.F. bis zum 23.08.2017) gehandelt hat.
Es war nicht feststellbar, dass die auf der betreffenden Internetseite eingebrachten strafbewehrten Äußerungen nach ihrem Inhalt und ihrem Umfang derart dominie­rend waren, dass sie als ein bestimmender und prägender Zweck der Internetplatt­form ‚linksunten.indymedia.org‘ zu bewerten gewesen wären, d.h. dass der Zusam­menschluss der Betreiber als Vereinigung also gerade mit der Zielsetzung der Bege­hung von Straftaten – hier in Form von Äußerungsdelikten – erfolgt wäre.“

Nun wurde kürzlich – in der mündlichen Verhandlung gegen den Radio Dreyeckland-Journalisten Fabian Kienert – die vollständige Einstellungserklärung verlesen. Ich konn­te selbst leider nicht dasein – aber Minh Schredle von der Stuttgart Wochenzeitung Kontext gab mir dazu vorletzte Woche ein Interview und bestätigte hinsichtlich des Ver­lesenen im Kern die Version der Staatsanwaltschaft. Er sagte:

„Offenbar ist es den Ermittlungsbehörden nicht gelungen, verschlüsselte Datenträ­ger, die ihm Zuge von Hausdurchsuchungen bei den verdächtigten Personen be­schlagnahmt worden sind, auszuwerten. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe spricht allerdings von Erkenntnissen des Bundesinnenministeriums, die den Schluss zulie­ßen, der beschuldigte Personenkreis sei tatsächlich am Aufbau und Betrieb der Plattform beteiligt gewesen. Es sei aber nicht gelungen, mit der erforderlichen Si­cherheit nachzuweisen, dass es sich bei den Verdächtigten um eine kriminelle Ver­einigung handelt.“

Inzwischen habe ich von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe einen fünfseitigen Auszug – den Abschnitt „Entschließung“ der Einstellungsverfügung – aus dem verlesenen Text er­halten. „Auszüge“ schreibe ich deshalb, weil Minh Schredle bei Kontext berichtet hatte: „Eine geschlagene Stunde lang wird vor Gericht ein Einstellungsbescheid aus dem Juli 2022 verlesen.“

Es dauert ja aber nicht eine Stunden fünf DIN A 4-Seiten vorzulesen. Die Staatsanwalt­schaft selbst hat mir ausdrücklich mitgeteilt, daß sie mir Zitate aus Schreiben o.ä. von anderen Behörden, die in der Einstellungsverfügung angeführt werden, nicht mitteilt. Solche Auslassungen sind in den mir übermittelten fünf Seiten aber nicht kenntlich ge­macht.

Ich vermute daher, daß diese Zitate in anderen Abschnitten der Verfügung befinden; die mir übermittelten fünf Seiten enthalten auch keinen Briefkopf, Betreff oder ähnliches – es scheint sich also vielleicht um die letzten verlesenen Seiten (sozusagen das ‚Ergeb­nis‘ / Resümee der Verfügung) zu handeln.

Auf der ersten dieser fünf Seiten heißt es unter anderem: Es bleibe

„offen, inwieweit die auf der betreffenden Internetseite eingebrachten strafbewehrten Äußerungen nach ihrem Inhalt und ihrem Umfang derart dominierend waren, als dass sie ein bestimmender und prägender Zweck der Internetplattform linksunten.in­dymedia.org zu bewerten sind, der Zusammenschluss der Betreiber als Vereinigung also gerade mit der Zielsetzung der Begehung von Straftaten – hier in Form von Äu­ßerungsdelikten – erfolgt ist“.

Auf Seite 2 der mir übermittelten fünf Seiten ist die Rede von „Auswertevermerke aus dem verwaltungsrechtlichen Verbotsverfahren, die darauf schließen lassen, dass sich XXX, XXX und XXX tatsächlich am Aufbau und Betrieb der Internetplattform ‚linksun­ten.indymedia.org‘ beteiligt haben“ (Anonymisierungen [„XXX“] bereits in dem mir über­sandten Auszug).

Es werden auch ein paar Indizien angeführt, die für die These, daß die drei Beschuldig­ten am „Aufbau und Betrieb der Internetplattform ‚linksunten.indymedia.org‘ beteiligt“ waren, sprechen. Zwingend ist diese Interpretation der Indizien nicht gerade – aber falls die GenossInnen tatsächlich beteiligt waren, hatte die Konspiration schon ein paar Schwachpunkte, an die die Staatsanwaltschaft mit ihrer Interpretation ansetzen kann. –

Wie dem auch sei – ich finde es ja gar nicht ehrenrührig, sondern politisch sehr begrü­ßenswert, wenn sich Leute jahrelang für den Betrieb von linksunten.indymedia enga­giert haben.

Aber ich verstehe immer noch nicht, warum die Autonome Antifa Freiburg vor rund zwei Jahren in ihrer Mitteilung den wichtigsten Teil der Einstellungsverfügung ausließ – dieser lautet:

„Nach Durchführung der Ermittlungen lässt sich insbesondere nicht mit der für eine Anklageerhebung notwendigen hinreichenden Verurteilungswahrscheinlichkeit nach­weisen, dass es sich bei dem von den Beschuldigten gebildeten Zusammenschluss mehrerer Personen zum Betrieb und zur Aufrechterhaltung der Internetplattform linksunten.indymedia.org um eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB (in der a.F. bis zum 23.08.2017) handelt. [… Offen bleibt insbesondere,] inwieweit die auf der betreffenden Internetseite eingebrachten strafbewehrten Äußerungen nach ihrem Inhalt und ihrem Umfang derart dominierend waren, als dass sie ein bestim­mender und prägender Zweck der Internetplattform linksunten.indymedia.org zu be­werten sind, der Zusammenschluss der Betreiber als Vereinigung also gerade mit der Zielsetzung der Begehung von Straftaten – hier in Form von Äußerungsdelikten – erfolgt ist.“

Wäre es den GenossInnen lieber, – statt, daß die Staatsanwaltschaft den Beschuldigen bescheinigt, sie seien wahrscheinlich schon Mitglieder der Vereinigung gewesen, aber ihre Vereinigung sei keine Kriminelle gewesen – bescheinigt hätte, ihre Vereinigung sei sehr wohl eine dem Staat recht gefährliche Kriminelle Vereinigung gewesen – aber sie hätten dem Staat Dank Super-Festplatten-Verschlüsselung trotzdem ein Schnippchen geschlagen, da ihnen die Mitgliedschaft nicht nachgewiesen werden könne?

Was soll der Quatsch? Wie ich schon im vergangenen Jahr bei de.indymedia schrieb, liegt der erfreuliche Aspekte der Einstellungsverfügung vielmehr darin, daß auch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe bestätigt, daß Zeitungsredaktionen und BetreiberInnen­kreise von Webseiten allein schon dadurch, daß sie ab und an Billigungen von und Auf­ruf zu Straftaten, die von dritter Seite verfaßt sind, veröffentlichen, nicht gleich zu einer Kriminellen Vereinigung im Sinne des § 129 Strafgesetzbuch werden.

Linke Erfolge an der Justizfront sind eh selten – sie dann auch noch durch die eigene Öffentlichkeitsarbeit aufzugeben, erscheint wenig sinnvoll…

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