Bundesinnenministerium: Medienverbot via Vereinsverbot
Am 25. August 2017 hatte das Bundesministerium im Bundesanzeiger eine Verfügung veröffentlicht, in der es hieß: „1. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ läuft nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider und richtet sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung. 2. Der Verein ‚linksunten.indymedia‘ ist verboten und wird aufgelöst.“
Nur hatte bis dahin niemandE von einem „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ gewußt (vor allem dessen vermeintlichen Mitglieder nicht!); bekannt war dagegen die auch von Linksradikalen genutzt internet-Zeitung linksunten.indymedia – und so hatte es durchaus eine (politische) ‚Logik‘, daß das Bundesinnenministerium in seiner die Verbotsverfügung begleitende Presseerklärung behauptete: „Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière hat heute die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ auf Grundlage des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst.“
Und so, wie es in der Presseerklärung stand, wurde es auch von den Medien aufgegriffen:
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Die Tagesschau stellte ihren Filmbericht über das Verbot unter die Überschrift „‚linksunten.indymedia.org‘: Innenministerium verbietet Internet-Plattform“ (https://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-321591.html)
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Die FAZ stellte zwei ihrer Berichte über das Verbot unter die Dachzeile „Verbotene Website ‚linksunten‘“ bzw. „Verbot von Internetseite“; in dem ersten dieser Berichte (vom 25.08.2017) hieß es: „Die für Gewaltaufrufe bekannte Internetseite linksunten.indymedia wurde verboten“; in dem zweiten Artikel (vom Folgetag) hieß es: „am Freitag hat Bundesinnenminister Thomas De Maizière die linksextremistische Internetplattform ‚linksunten.indymedia‘ verboten“ [1]. In einem weiteren Artikel vom 25.08.2017 sprach – im speziellen auch der für die juristische Berichterstattung der FAZ verantwortliche – Redakteur Reinhard Müller [2] von „Verbot der Internetseite ‚linksunten.indymedia‘“.
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Auch die taz titelte damals: „‚linksunten.indymedia‘: De Maizière verbietet linke Website“ (https://taz.de/linksuntenindymedia/!5442202).
Weitaus weniger Aufmerksamkeit als das Verbot erlangte, daß das Bundesverwaltungsgericht 2020 – auf Klage der VerbotsadressatInnen – entschieden hatte:
„Regelungsgegenstand des Verbotsbescheids ist nicht das Verbot des unter der Internetadresse ‚http://linksunten.indymedia.org‘ betriebenen Veröffentlichungs- und Diskussionsportals, sondern das Verbot des dahinter stehenden Personenzusammenschlusses ‚linksunten.indymedia‘ als Organisation“.
(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 33).
Nur war damit weder dem „Veröffentlichungs- und Diskussionsportal“ noch den KlägerInnen geholfen:
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Dem Medium war nicht geholfen, weil sich keine neue Leute fanden, die bereit waren, das Medium nunmehr – an Stelle der verbotenen alten BetreiberInnen-Struktur – herauszugeben.
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Den KlägerInnen war damit nicht geholfen, da sie nicht gegen die Presseerklärung des BMI klagen konnten, sondern, wenn sie juristisch etwas gegen das Verbot tun wollten, gegen die Verbotsverfügung, die ihnen zugestellt worden war, klagen mußten – darin, war aber nicht von Verbot einer internet-Plattform, sondern Verbot eines Vereins die Rede.
Bundesverwaltungsgericht: Nur Vereine, aber nicht deren Mitglieder dürfen gegen ein etwaiges Verbot des jeweiligen Vereins klagen
Nun ist es allerdings gar nicht so einfach, gegen ein Vereinsverbot zu klagen. Denn das Bundesverwaltungsgericht hatte schon 1984 – in einem Verfahren wegen des damaligen Verbots von DevSol (s. https://de.wikipedia.org/wiki/Devrimci_Sol) – entschieden:
„Die Klage ist unzulässig und daher abzuweisen; dem Kläger [das war auch im dortigen Verfahren derjenige, dem das Verbot zugestellt worden war] fehlt die für die vorliegende Anfechtungsklage nötige Klagebefugnis. Nach § 42 Abs. 2 VwGO ist eine Anfechtungsklage vorbehaltlich einer hier nicht gegebenen anderweitigen gesetzlichen Regelung nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Hieran fehlt es hier, weil der mit der vorliegenden Klage erhobene Rechtsanspruch auf Aufhebung des angegriffenen Vereinsverbots nicht dem Kläger, sondern nur der verbotenen Vereinigung selbst zustehen kann.“
(https://research.wolterskluwer-online.de/document/f83b126c-1984-476b-b55a-88742219622e, Textziffer 6)
Später hat das Bundesverwaltungsgericht seine Rechtsprechung insofern etwas gelockert, als Einzelpersonen, denen ein Verbot zugestellt wird, geltend machen dürfen,
- sie gehörten gar nicht zu dem Verein (was aber nicht in der Lage ist, das Vereinsverbot zu kippen, sondern nur die Individuen ‚rettet‘, falls sie mit ihrer Klage erfolgreich sind)
oder
- daß sie zwar zu dem in Rede stehenden Personenzusammenhang gehören, daß dieser aber so locker strukturiert sei, daß dieser Personenzusammenhang nicht unter das Vereinsgesetz falle.
Die Vereinsförmigkeit war in Bezug auf DevSol nicht strittig; deshalb spielte dieser ‚Schlenker‘ in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht damals noch keine Rolle.
In Bezug auf die HerausgeberInnen-Struktur von linksunten war dann zwar die Vereinsförmigkeit strittig; die Erfolgsaussichten dafür, die Vereinsförmigkeit der BetreiberInnenstruktur zu bestreiten, waren aber prekär, da der Vereins-Begriff des – hier einschlägigen – Vereinsgesetzes (der von dem Vereins-Begriff des Bürgerlichen Gesetzbuches [BGB] zu unterscheiden ist) jedenfalls sehr weit ist:
„Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.“
(http://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)
Daß irgendwelchen losen Zusammenhänge der autonom-linksradikalen Szene darunter fallen, kann aber trotzdem mit Fug und Recht bestritten werden:
„Gerade die diffuse Szene der sog. ‚Autonomen’ widersetzt sich jeder Art vereinsmäßige Fühlung miteinander, um dadurch ein Höchstmaß an Spontaneität und Flexibilität zu erreichen. […]. Autonome sind trotz ihrer zum Großteil in Gruppen durchgeführten spektakulären Aktionen keine Vereine. Hier fehlt es bereits am Merkmal des Zusammenschlusses.“
(Deres, in: Verwaltungsrundschau 1992, 421 – 431 [424])
Wie dem auch sei – das Bundesverwaltungsgericht sah im Fall des HerausgeberInnen-Kreises von linksunten die Vereinsförmigkeit als gegeben an [3] – und hielt im übrigen an seiner alten Rechtsprechung fest:
„Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zur Anfechtung des Verbots einer Vereinigung regelmäßig nur die verbotene Vereinigung befugt, nicht hingegen ein Mitglied.“
(https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 15)
Da im Falle von linksunten aber nicht der vermeintliche Verein, sondern bloß die individuellen VerbotsadressatInnen klagten, prüfte das Bundesverwaltungsgericht also nicht, ob die Verbotsgründe überhaupt vorliegen. Um eine solche Überprüfung zu erreichen, hätte der vermeintliche Verein gegen das Verbot klagen müssen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 01. Februar 2023
Gegen dieses Ergebnis wandten sich die VerbotsadressatInnen und KlägerInnen vor dem Bundesverwaltungsgericht mit anschließender Verfassungsbeschwerde.
Aufgrund eines Berichts der Legal Tribune Online (LTO) von Freitag wurde nun die bereits am 1. Februar 2023 ergangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über diese Verfassungsbeschwerde bekannt. Der Schlüsselsatz des Beschlusses lautet:
„Eine mögliche Grundrechtsverletzung gerade durch die gerichtlichen Entscheidungen wird […] nicht substantiiert. Insbesondere die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 1 GG gestatte dem einzelnen Mitglied nicht, die Verbotsverfügung in eigenem Namen anzugreifen, wird nicht substantiiert angegriffen (vgl. kritisch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Auflage 2022, Art. 9 Rn. 12; Höfling, in: Sachs, GG, 9. Auflage, Art. 9 Rn. 36; s.a. BVerfGE 80, 244 <253>).“
(https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2023/02/rk20230201_1bvr133620.html, Text 12)
Mit den Literaturhinweisen gibt das Bundesverfassungsgericht zu erkennen, daß es vielleicht sogar bereit gewesen wäre, die – gerade dargestellte – langjährige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu kippen. Nur – das vernichtende Urteil über die Verfassungsbeschwerde lautet: Die BeschwerdeführerInnen (das heißt: deren AnwältInnen) haben zu diesem Punkt „nicht substantiiert“ vorgetragen.
Daß die Sache so ausgeht, war vollständig absehbar: Am 12. Juni 2020 sagte ich – kurz nachdem die AnwältInnen der Betroffenen ihre Verfassungsbeschwerde mittels einer Presseerklärung bekannt gemacht und vorgestellt hatten – in einem Interview mit Radio Dreyeckland (RDL) auf eine Frage nach den Erfolgsaussichten der Verfassungsbeschwerde:
„Ich bin nicht sonderlich optimistisch – auf der Grundlage der Argumentation, die die AnwältInnen ihrer Presseerklärung vorgestellt haben. […] Davon ausgehend, daß ich davon ausgehe, daß die Betroffenen ihre Prozeßstrategie unter dem Gesichtspunkt, daß sie nichts zur Mitgliedschaft sagen wollen, nicht ändern wollen und daß es juristisch auch gar nichts bringen würde, wenn sie sie jetzt im letzten Schritt vor dem Bundesverfassungsgericht ändern würden (da […] werden sozusagen die Rollen fortgeschrieben, die es in dem Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gab), … – wenn wir das mal als Ausgangspunkt nehmen: Dann müßte meines Erachtens der zentrale Punkt, der vor dem Bundesverfassungsgericht angegriffen wird, die Argumentation oder die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts sein, daß wenn ein Verein verboten wird, der Verein in seinem angeblichen Recht auf Bestehen verletzt ist und nicht die einzelnen Mitglieder.“
(https://rdl.de/beitrag/kritik-prozesstaktik-und-magelnder-reaktion-auf-verbot; ab Min. 18:09)
Im weiteren Verlauf des Interviews hatte ich
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sowohl ausgeführt, welche Argumente der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts entgegengesetzt werden können [4],
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als auch, daß dieser zentrale Punkt in der Presseerklärung der AnwältInnen zu deren Verfassungsbeschwerde meines Erachtens zu kurz komme.
Da ich das jetzt nicht alles abtippen mag, füge ich hier statt dessen einen Artikel an, den ich damals im zeitlichen Zusammenhang mit dem RDL-Interview geschrieben, aber nicht veröffentlicht hatte. Allein schon aus dokumentarischen Gründen, aber auch, weil ich keinen inhaltlichen Bedarf sehe, etwas an dem Artikel zu korrigieren, veröffentliche ich ihn hier jetzt haargenau so, wie ich ihn vor knapp zwei Jahren geschrieben hatte:
http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2023/03/Blindflug_nach_Karlsruhe.pdf
[1] https://www.faz.net/suche/?offset=&cid=&index=&query=linksunten&offset=&allboosted=&boostedresultsize=%24boostedresultsize&from=25.08.2017&to=26.08.2017&BTyp=redaktionelleInhalte&author=&username=&sort=date&resultsPerPage=20.
[2] „Seit Januar 2008 zuständig für die damals aus der Taufe gehobene Seite ‚Staat und Recht‘, […]. Seit November 2017 zudem verantwortlich für F.A.Z. Einspruch, das neu auf den Markt gebrachte Digital-Produkt für Juristen und alle, die an der Welt des Rechts interessiert sind. Pressepreis des Deutschen Anwaltvereins 2017 für seine ‚Gesamtleistung als Berichterstatter und Kommentator zu rechtspolitischen Themen‘.“ (https://www.faz.net/redaktion/reinhard-mueller-11104378.html)
[3] „Die verbotene Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘ war im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids ein Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG.“ (https://www.bverwg.de/de/290120U6A1.19.0, Textziffer 37; die These wird im folgenden – wenn auch nicht unangreifbar – begründet.)
[4] Siehe dazu auch meinen Text: Das Leipziger Landdogma und der wirkliche Artikel 9 Absatz 1 Grundgesetz, in: de.indymedia vom 30.01.2020.