Freispruch
Am 06.06.2024 hatte das Landgericht Karlsruhe den Redakteur des freien Hörfunksenders Radio Dreyeckland, Fabian Kienert, von dem staatsanwaltschaftlichen Vorwurf freigesprochen, mittels seines Artikel „Ermittlungsverfahren nach Indymedia Linksunten Verbot wegen ‚Bildung krimineller Vereinigung‘ eingestellt“ vom 30.07.2022 eine bestandskräftig verbotene verfassungswidrige Vereinigung – nämlich den angeblichen „Verein ‚linksunten.indymedia‘“ – im Sinne des § 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch „unterstützt“ zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte sich insbesondere an der Bebilderung des Artikels (ein Foto einer Freiburger Hauswand mit dem Graffito „Wir sind alle linksunten.indymedia“) und dem letzten Satz des Artikels („Im Internet findet sich linksunten.indymedia.org als Archivseite“) gestoßen.
Das Landgericht sah sich weder in der Lage, in dem Artikel eine über – zulässige (BVerfG, Beschluß vom 26.09.2006 zum Aktenzeichen 1 BvR 605/04, Textziffer 56) – Verbotskritik hinausgehende unterstützende Tendenzen für den angeblichen Verein zu erkennen; noch war nach Überzeugung der Kammer erweislich und sogar eher unwahrscheinlich, daß der angebliche Verein zum Zeitpunkt der Artikelveröffentlichung (weiterhin) existierte, was aber Voraussetzung dafür gewesen wäre, daß eine Unterstützung des Vereins überhaupt möglich gewesen wäre.
Bereits in einem Beschluß, mit dem die Landgerichtskammer kurz vor Ende der mündlichen Verhandlung einen Beweis(ermittlungs)antrag der Staatsanwaltschaft ablehnte, äußerte die Kammer die Überzeugung: Zwar sei „die Grundtendenz des Artikels […] – ohne weiteres erkennbar – kritisch gegenüber dem Verbot bzw. der Art des Verbots der Vereinigung ‚l…‘ und er reiht sich damit ein in eine auf der Homepage von Radio D. vorzufindende Serie von Artikeln, die sich kritisch und tadelnd mit den im Kontext des Verbots der Vereinigung ‚l…‘ ergangenen staatlichen Maßnahmen auseinandersetzt.“ „In der Gesamtbetrachtung des Artikels, mithin all seiner bereits näher beschriebenen Komponenten“ (Bebilderung, Link und noch einiges anderes, mit dem sich das Landgericht im einzelnen auseinandersetzte), weise er aber „aus Perspektive eines Durchschnittslesers keine eindeutig für die verbotene Vereinigung fürsprechende Zielrichtung aus“ (http://blogs.taz.de/theorie-praxis/files/2024/08/Beschluss_Beweisantrag_anonymisiert.pdf, S. 34).
Des weiteren hieß es in dem Beschluß:
„Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrem Beweisermittlungsantrag das Beweisziel formuliert, dass durch die Auswertung auch weitere objektive Anknüpfungspunkte dafür festgestellt und nachgewiesen werden könnten, dass die gesondert verfolgten Beschuldigten L., P., W., H. und Wo. als ursprüngliche Betreiber und Adressaten der Verbotsverfügung die verbotene Vereinigung auch nach Bekanntgabe des Vereinsverbots am 25.08.2017 als fortbestehendes Betreiberkollektiv fortführten (mit dem Ziel des Nachweises der Fortexistenz der verbotenen Vereinigung), ist zu konstatieren, dass es aufgrund des – unter dem Vorbehalt der abschließenden Urteilsberatung stehenden – Ergebnisses der bisherigen Beweisaufnahme überwiegend unwahrscheinlich ist, dass die Auswertung und Inaugenscheinnahme die Richtigkeit bzw. Verifizierung dieses Beweisziels ergibt. Die von der Staatsanwaltschaft in ihrem Antrag benannten Anknüpfungstatsachen für die Fortexistenz der Vereinigung liegen bei näherer Betrachtung sämtlich nicht vor.“
(ebd., S. 11 unten / 12 oben)
Revisionseinlegung
Gleich am Tag nach dem Freispruch legte die Staatsanwaltschaft Revision ein (siehe meinen Artikel in der jungen Welt vom 14.06.2024). Hintergrund war, daß die Revisionseinlegungsfrist (§ 341 Absatz 1 Strafprozessordnung: eine Woche) kürzer ist als die Frist für das Gericht, sein Urteil schriftlich zu begründen (§ 275 Absatz 1 StPO: je nach Dauer der mündlichen Verhandlung mindestens fünf Wochen; im RDL-Fall: sieben Wochen).
Das schriftliche Urteil war im Laufe des Juli geschrieben sowie Freigesprochenem und Staatsanwaltschaft anscheinend im Laufe des August zugestellt worden.
Revisionsrücknahme
Heute teilte mir die Staatsanwaltschaft mit: „die durch die Staatsanwaltschaft Karlsruhe zunächst eingelegte Revision wurde nach einer eingehenden Prüfung der Erfolgsaussichten zwischenzeitlich wieder zurückgenommen.“
Ebenfalls heute berichtete Radio Dreyeckland:
„Der Freispruch von RDL-Redakteur Fabian Kienert vom Vorwurf der Unterstützung der verbotenen Vereinigung Indymedia Linksunten durch das Karlsruher Landgericht ist endlich rechtskräftig. Auch einen Monat nach Zustellung des schriftlichen Urteils an die Karlsruher Staatsanwaltschaft ging beim Landgericht keine Begründung für die von der Staatsanwaltschaft eingelegte Revision ein. Mit Beschluss vom 23. September hat das Landgericht die Revision deshalb als unzulässig verworfen.“
(https://rdl.de/beitrag/sieg-f-r-die-pressefreiheit)
Diese Niederlage bescherte der Staatsanwaltschaft eine lange Postlaufzeit von Karlsruhe nach Karlsruhe: „Tatsächlich wurde die Revision auch durch Beschluss des Landgerichts Karlsruhe als unzulässig verworfen. Die schriftliche Rücknahmeerklärung lag der entscheidenden Kammer des Landgerichts Karlsruhe wohl zum Zeitpunkt der Beschlussfassung noch nicht vor“, teilte die Pressestelle der Staatsanwaltschaft auf Anfrage mit.
Die Revisionsrücknahme war dann später am 23.09.2024 – nachdem die Kammer ihren Beschluß schon gefaßt hatte – doch noch bei der Kammer eingegangen, wie mir die Pressestelle des Landgerichts Karlsruhe mitteilte.
Never ending story?
Damit sind die Fälle „Radio Dreyeckland“ und „linksunten.indymedia“ allerdings immer noch nicht abgeschlossen:
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In Kürze werden die schriftlichen Urteilsgründe des Landgerichts auch öffentlich vorliegen (Berichterstattung folgt).
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Beim Bundesverfassungsgericht ist noch eine Verfassungsbeschwerde gegen die Durchsuchung der Wohnung von Fabian Kienert anhängig (siehe taz-Blogs vom 15.12.2023), die im Zuge des Verfahrens Anfang 2023 stattgefunden hatte.
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Und bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe ist noch das Ermittlungsverfahren gegen die „gesondert verfolgten Beschuldigten L., P., W., H. und Wo.“ anhängig, die von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe verdächtigt werden, nicht nur die früheren BetreiberInnen von der linken Internetsite linksunten.indymedia gewesen, sondern auch für die – Anfang 2020 erfolgte – Veröffentlichung des Archivs der Website verantwortlich zu sein.
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Außerdem ermittelt die Berliner Staatsanwaltschaft weiterhin gegen mich, weil ich meinerseits in aller Offenheit und Öffentlichkeit das Archiv auf einer weiteren Website spiegelte; politische und juristische Apologie meines Tuns: https://web.archive.org/web/20200323125740/http://links-wieder-oben-auf.net/2020/01/20/editorial-zur-spiegelung-der-wiederveroeffentlichung-des-archivs-von-linksunten-indymedia/.
Die heutige Pressemitteilung von Radio Dreyeckland hat allerdings ein Ende – es lautet:
„Radio Dreyeckland fordert nun eine schnelle und transparente Löschung aller in diesem Fall erhobenen Daten, die Vernichtung sämtlicher ‚Objektordner‘ der Polizei über Radio Dreyeckland und politische Konsequenzen aus dem Kampf der Staatsanwaltschaft gegen die Grundrechte.“
(https://rdl.de/beitrag/sieg-f-r-die-pressefreiheit)