Das Bundesverwaltungsgericht hat heute das im Juni des vergangenen Jahres vom Bundesinnenministerium verfügte Verbot der Compact-Magazin GmbH und der Conspect Film GmbH für rechtswidrig erklärt. Das Ergebnis mag zutreffend sein, aber die Begründung ist schon im Ausgangspunkt genauso fragwürdig, wie die Begründung der vorläufigen Außervollzugsetzung des Verbotes im vergangenen Sommer.
In der Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgericht zur heutigen Entscheidung heißt es:
„Bedenken […] ergeben sich weder aus der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in der die Klägerin organisiert ist, noch aus dem Umstand, dass es sich bei ihr um ein Presse- und Medienunternehmen handelt.“
(https://www.bverwg.de/de/pm/2025/48)
Vereins-Begriff
Mit dem ersten Punkt („weder aus der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung“) hat das Bundesverwaltungsgericht recht – und auch die Begründung trifft – mehr oder minder – zu:
„Das Vereinsgesetz bezieht in § 17 Nr. 1 ausdrücklich Gesellschaften mit beschränkter Haftung als ‚Wirtschaftsvereinigungen‘ ein, wenn diese sich – worauf die Verbotsverfügung hier gestützt ist – gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten.“
In der Tat lautet in § 17 Vereinsgesetz:
„Die Vorschriften dieses Gesetzes sind auf Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, konzessionierte Wirtschaftsvereine nach § 22 des Bürgerlichen Gesetzbuches, Europäische Gesellschaften, Genossenschaften, Europäische Genossenschaften und Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit nur anzuwenden,
1. wenn sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten oder
2. wenn ihre Zwecke oder ihre Tätigkeit den in § 74a Abs. 1 oder § 120 Abs. 1 und 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Strafgesetzen oder dem § 130 des Strafgesetzbuches zuwiderlaufen oder
3. wenn sie von einem Verbot, das aus einem der in Nummer 1 oder 2 genannten Gründe erlassen wurde, nach § 3 Abs. 3 als Teilorganisation erfaßt werden, oder
4. wenn sie Ersatzorganisation eines Vereins sind, der aus einem der in Nummer 1 oder 2 genannten Gründe verboten wurde.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__17.html; Hv. hinzugefügt)
Allerdings ist zu betonen – in § 17 Vereinsgesetz steht: „nur anzuwenden“. Das „nur“ dürfte dahingehend zu verstehen sein, daß sich die Anwendungbarkeit nicht erst aus § 17 Vereinsgesetz ergibt, sondern § 17 Vereinsgesetz die sich ohnehin aus dem weiten Vereins-Begriff des § 2 Vereinsgesetz ergebende Anwendbarkeit etwas einschränkt:
„(1) Verein im Sinne dieses Gesetzes ist ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.
(2) Vereine im Sinne dieses Gesetzes sind nicht
1. politische Parteien im Sinne des Artikels 21 des Grundgesetzes,
2. Fraktionen des Deutschen Bundestages und der Parlamente der Länder.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/vereinsg/__2.html)
Jedenfalls eine GmbH, die eine gewisse Anzahl von GesellschafterInnen hat, besteht aus einer „Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen“.
GmbH haben auch einen (jedenfalls in der Regel: den GesellschaftlerInnen gemeinsamen) „Zweck“ – meistens: Profit machen; manchmal auch: eine Zeitung zu verlegen und +/- Null bei herauszukommen oder zumindest nicht allzu große Verluste zu machen. (Und im Gesellschaftsvertrag muß jedenfalls der „Gegenstand des Unternehmens“ genannt sein [§ 2 GmbHG].)
Gesellschaftsverträge werden – jedenfalls in der Regel – auch freiwillig geschlossen, und es gibt eine organisierte Willensbildung (§ 48 I 1 GmbHG: „Die Beschlüsse der Gesellschafter werden in Versammlungen gefaßt.“ § 6 I, III, 2 GmbHG: „Die Gesellschaft muß einen oder mehrere Geschäftsführer haben. […]. Die Bestellung erfolgt entweder im Gesellschaftsvertrag oder nach Maßgabe der Bestimmungen des dritten Abschnitts.“
Diese Willensbildung muß nicht einstimmung erfolgen (§ 47 I GmbHG: „Die von den Gesellschaftern in den Angelegenheiten der Gesellschaft zu treffenden Bestimmungen erfolgen durch Beschlußfassung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.“) und ist verbindlich. Insofern ist auch das Tatbestandmerkmal „einer organisierten Willensbildung unterworfen“ gegeben. (Daß dieses Tatbestandsmerkmal auch bei Personenzusammenhängen, die nach Konsensprinzip entscheidet – und deren Entscheidungsprozesse entsprechend schwerfällig sind – gegeben ist, ist dagegen zu bestreiten.)
Der ganze Aufwand wird in der Regel auch nur getrieben, wenn die Sache auf „längere Zeit“ sein soll.
Es wird in § 2 Vereingsgesetz auch ausdrücklich gesagt, daß es auf die Rechtsform nicht ankommt („ohne Rücksicht auf die Rechtsform„).
Bleibt noch der Akt des Zusammenschlusses – das ist die Unterzeichnung des Gesellschaftsvertrages.
GmbH sind also – jedenfalls in aller Regel – Vereine im Sinne des Vereinsgesetzes.
Und die Einschränkung („nur anzuwenden, […] wenn“) ist in Bezug auf die beiden eingangs genannten Verbotsobjekte kein Hindernis. Denn ihnen wurde ja vorgeworfen, „gegen die verfassungsmäßige Ordnung“ gerichtet sein. (Ob dieser Vorwurf zutreffend ist, spielt für die grundsätzliche Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes keine Rolle. Vielmehr geregelt das Vereinsgesetz u.a. in welcher Form und in welchem Verfahren der Vorwurf zu erheben und mitzuteilen ist – dann kann die Sache anschließend einer gerichtlichen Überprüfung zugeführt werden.)
Medienorganisationen
Hinsichtlich des zweiten Punktes („noch aus dem Umstand, dass es sich bei ihr um ein Presse- und Medienunternehmen handelt“) kann dem Bundesverwaltungsgericht dagegen nicht zugestimmt werden. Auch für den zweiten Punkt gibt das Gericht – zumindest halb – eine Begründung – aber sie überzeugt (mich) nicht:
Die falsche Fährte des Bundesverwaltungsgerichts
„Für den vereinsrechtlichen Zugriff auf eine als Presse- und Medienunternehmen organisierte Vereinigung mangelt es zudem [?!, dgs] nicht an der Gesetzgebungskompetenz des Bundes. Vielmehr entspricht die Differenzierung zwischen der verbotenen Organisation als solcher und den von ihr herausgegebenen Presse- und Medienerzeugnissen der Abgrenzung zwischen der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Vereinsrecht (Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG) gegenüber der Landesgesetzgebungskompetenz für das Presse- und Medienrecht (Art. 70 Abs. 1 GG). Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für das Vereinsrecht, die das von einem Kollektiv ausgehende spezifische Gefahrenpotential im Blick hat, ist ‚blind‘ für den von der jeweiligen Organisation verfolgten Zweck.“
Daß der Bund die Gesetzgebungskompetenz für das Vereinsrecht hat, ist klar.
Die wirkliche Frage
Hier sind aber nicht Art. 70, 74 GG zu interpretieren, sondern Art. 5 I, II, 9 II GG:
„(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html)
„(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.“
(https://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_9.html)
Die Frage ist, ob Personenzusammenhänge, die nichts oder fast nichts anderes machen, als Meinungen zu äußern und zu berichten, „Vereinigungen“ i.S.d. Art. 9 II GG und deshalb verboten sind, sofern „deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“.
Der entscheidende Punkt dabei ist, daß die geistigen Freiheiten in Art. 5 I, II GG stärker geschützt sind als z.B. die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Art. 8 und 9 GG, die einen (stärker) körperlichen Aspepkt haben. (Die geistigen Freiheiten in Art. 5 III sowie 4 GG [Kunst- und Wissenschafts- sowie Glaubens- und Gewissensfreiheit] sind wiederum noch stärker als die Meinungsäußerungs-, Informations- und Medienfreiheiten geschützt: gar kein Gesetzesvorbehalt; [anders als in Art. 9 II GG] auch keine gg-unmittelbare Schranke.)
Nun ist klar, daß Vereinigungen, „die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“ gerade wegen ihrer Meinungsäußerungen verboten sind.
Aber der entscheidende Punkt ist, daß Art. 9 II GG – nicht zu Unrecht – von einer besonderen Gefährlichkeit / Schlagkraft von Vereinigungen ausgeht. Deshalb sind Vereinigungen, „die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“, von Verfassungs wegen verboten, aber Meinungsäußerungen, „die die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten“, sind nicht von Verfassungs wegen verboten. Vielmehr gelten in Bezug auf Meinungsäußerungen und Berichterstattung folgende Schranken: „Vorschriften der allgemeinen Gesetze, d[ie] gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und [… das] Recht der persönlichen Ehre“.
Über die Bedeutung des Ausdrucks „allgemeinen Gesetze“ muß sich hier nicht gestritten werden (dazu hatte ich mich bereits bei früherer Gelegenheit geäußert). Klar ist:
Die Bedeutung des Zensurverbots
Jedenfalls Personen und Gruppen von natürlichen Personen, die unerwünschte Meinungen äußern, verlieren nicht ihr Existenzrecht. Art. 102 GG gilt auch für sie: „Die Todesstrafe ist abgeschafft.“
Außerdem darf ihnen (und jedenfalls dies gilt auch für juristische Personen) nicht jedwede künftige Meinungsäußerung untersagt werden – mindestens das ergibt sich aus Art. 5 I 3 GG, der – wie das Bundesverfassungsgericht erkannt hat – ein absolutes Vorzensur-Verbot statuiert:
„Mit der in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Meinung ist unter ‚Zensur‘ im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG nur die Vorzensur zu verstehen […]. Als Vor- oder Präventivzensur werden einschränkende Maßnahmen vor der Herstellung oder Verbreitung eines Geisteswerkes, insbesondere das Abhängigmachen von behördlicher Vorprüfung und Genehmigung seines Inhalts (Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) bezeichnet.“
(BVerfGE 33, 52 – 78 [71 f.])
„Das Zensurverbot stellt eine absolute Eingriffsschranke dar, die keine Ausnahme, auch nicht durch allgemeine Gesetze1 nach Art. 5 Abs. 2 GG zuläßt.“
(BVerfGE 33, 52 – 78 [52; Leitsatz 4. b)])
„es [darf] keine Ausnahme vom Zensurverbot geben, auch nicht durch ‚allgemeine Gesetze‘ nach Art. 5 Abs. 2 GG. Die Verfassung kann mit diesem kategorischen Verbot jeder Zensur nur die Vorzensur gemeint haben. Ist das Geisteswerk erst einmal an die Öffentlichkeit gelangt und vermag es Wirkung auszuüben, so gelten die allgemeinen Regeln über die Meinungs- und Pressefreiheit und ihre Schranken, wie sie sich aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 GG ergeben. Diese würden gegenstandslos, wenn das Zensurverbot auch die Nachzensur umfaßte, d. h. Kontroll- und Repressivmaßnahmen, die erst nach der Veröffentlichung eines Geisteswerkes einsetzen.“
(BVerfGE 33, 52 – 78 [72])
Es darf vielmehr folgendes gemacht werden: Es darf eine bereits erfolgte Meinungsäußerung bestraft werden, soweit sich die Meinungäußerung am Jugendschutz oder der persönlichen Ehre vergeht oder die Bestrafung von den „allgemeinen Gesetzen“ statuiert ist. Es darf vielleicht auch – so jedenfalls die ganz herrschende Meinung – zur Unterlassung der Wiederholung solcher bereits erfolgter Meinungsäußerungen und – unter bestimmten Umständen – vielleicht sogar zum Widerruf solcher Meinungsäußerungen verpflichtet werden.
Verbot von Medienorganisationen: Karlsbad hoch zwei
Aber nicht darum geht es beim Verbot von Medienorganisationen: Da wird nicht zur Unterlassung der Wiederholung bestimmter Äußerungen (oder zu deren Widerruf) verpflichtet, sondern da wird der Organisation ihre Existenz untersagt – und damit dieser Organisationen, sofern sie sich dem Verbot beugt oder der Staat es schafft, es durchzusetzen, jedwede künftige Meinungsäußerung unmöglich gemacht – und mag die Meinungsäußerung auch kreuzbrav sein.
Das ist ein viel einschneidenderer Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit als die Karlsbader Zensurbeschlüsse im frühen 19. Jahrhundert, nach denen bestimmte Publikationen vor Veröffentlichung Zensoren vorgelegt werden mußten und diese dann vielleicht den Druck erlaubten. Ein Verbot der Existenz und folglich auch der Meinungsäußerung ohne Erlaubnisvorbehalt ist weitaus mehr (weitaus einschneidender), als das Karlsbader Publikationsverbot mit Erlaubnisvorbehalt.
(Zu beachten ist allerdings, daß eine faktische Unmöglichkeit – hier mangels Existenz – etwas anderes ist als ein Verbot. Aber hier geht die faktische Unmöglichkeit auf ein Vereins[existenz]verbot zurück.)
Zurück zur vereins-spezifischen Gefährlichkeit
Ist es mit dem Befund hinsichtlich des Schutzes der geistigen Freiheiten vereinbar, Personenzusammenhänge, die nichts oder fast nichts anderes machen, als Meinungen zu äußern und zu berichten, als „Vereinigungen“ i.S.d. Art. 9 II GG anzusehen?
Ich tendiere weiterhin zu einer verneinen Antwort. (Massenorganisationen, die zwar auch Medien herausgegeben, aber nicht nur eine handvoll GesellschafterInnen, sondern zahlreiche Mitglieder haben; die ein verzweigtes Netz von Büros/Geschäftsstellen haben; die bei Demonstrationen mit eigenen Demo-Blöcken präsent sind usw., ist ein anderer Fall – da ist die von Art. 9 II GG angenommene vereinigungs-spezifischen Gefährlichkeit zweifelsohne gegeben.)
Es sei daher hier an die Stellungnahmen von Paula Rhein-Fischer und Christoph Gusy, die sie kurz nach dem hier in Rede stehenden Verbot machten, erinnert –
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Paula Rhein-Fischer im Verfassungsblog am 19.07.2024: „das Vereinsrecht [wird] bei primär auf das Presseerzeugnis selbst zielenden Verboten vom Presserecht verdrängt. […] dies ist […] Folge der insoweit vorrangigen und eben besonderen Regeln unterliegenden Pressefreiheit, insbesondere der Entscheidung für eine selbstregulative statt einer staatlichen Aufsicht über die Presse.“)
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Zitat von Prof. Gusy in der Legal Tribune Online vom 16.07.2024: „sei deshalb besondere Vorsicht geboten, weil die besonderen Schrankenbestimmungen des Art. 5 GG für Publikationsorgane ‚im Vereinsrecht nicht abgebildet werden‘. Das gilt insbesondere für das Erfordernis eines allgemeinen Gesetzes gemäß Art. 5 Abs. 2 GG und die unmissverständliche Wertung des Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG: ‚Eine Zensur findet nicht statt.'“.
und
Aber nehmen wir an, ich tendiere zu Unrecht zu einer verneinen Antwort und es ist vielmehr eine bejahrende Antwort zutreffend – dann ist zumindest der – vom Bundesverwaltungsgericht betonte – Unterschied zwischen Medien- und Vereinsrecht entsprechend auch beim Unterschied zwischen Medien und Vereinen ernstzunehmen. Das BVerwG spricht richtigerweise von
„Differenzierung zwischen der verbotenen Organisation als solcher und den von ihr herausgegebenen Presse- und Medienerzeugnissen“.
Schlußfolgerung: Auf der Grundlage von Art. 9 II GG dürfen nur Vereine verbiten werden, aber nicht Medien. Die Medien dürfen – im Fall eines Verbots des ursprünglichen Verlags – von anderen Vereinigungen und jedenfalls Einzelpersonen verlegt werden. Denn jedenfalls Individuen darf die Existenz nicht verboten werden; und das Grundrecht auf Meinungsäußerungs- und Bericherstattungsfreiheit darf ihnen nur im Wege des Art. 18 GG entzogen werden: „Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Abs. 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Abs. 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.“
Ein bißchen gibt das Bundesverwaltungsgericht meiner grundsätzlichen Position (es müsse vereinigungs-spezifische, nicht bloß geistige Gefährlichkeit vorliegen) recht – aber was Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit ist, versteht es anscheinend gar nicht
Denn immerhin sagt das Bundesverwaltungsgericht:
„Die Anwendung des Vereinsgesetzes auf die Klägerin erweist sich schließlich auch mit Blick auf den Gesetzeszweck als gerechtfertigt. Denn bei der Klägerin, die uneingeschränkt den Schutz der grundrechtlichen Medienfreiheiten genießt, handelt es sich nicht nur um ein Presse- und Medienunternehmen. Vielmehr verfolgt der maßgebliche Personenzusammenschluss nach seinem eigenen Selbstverständnis eine politische Agenda, organisiert Veranstaltungen sowie Kampagnen und versteht sich als Teil einer Bewegung, für die er auf eine Machtperspektive hinarbeitet.“ (Hv. hinzugefügt)
Insofern mag bei der Compact-Magazin und der Conspect Film GmbH tatsächlich vereins-spezifische Gefährlichkeit vorliegen – so genau kenne ich mich mit deren Aktivitäten nicht aus.
Aber auch gegen die gerade zitierte BVerwG-Passage ist etwas einzuwenden: Medien dürfen eine politische Agenda haben! Sie dürfen sogar eine –– an welchem Maßstab auch immer gemessenene –– falsche politische Agenda haben – ebendas ist Meinungs- und Pressefreiheit:
„Unbeschadet einer noch zu erörternden Besonderheit des Rundfunkwesens gehört der Rundfunk ebenso wie die Presse zu den unentbehrlichen modernen Massenkommunikationsmitteln, durch die Einfluß auf die öffentliche Meinung genommen und diese öffentliche Meinung mitgebildet wird. Der Rundfunk ist mehr als nur ‚Medium‘ der öffentlichen Meinungsbildung; er ist ein eminenter ‚Faktor‘ der öffentlichen Meinungsbildung. Diese Mitwirkung an der öffentlichen Meinungsbildung beschränkt sich keineswegs auf die Nachrichtensendungen, politischen Kommentare, Sendereihen über politische Probleme der Gegenwart, Vergangenheit oder Zukunft; Meinungsbildung geschieht ebenso in Hörspielen, musikalischen Darbietungen, Übertragungen kabarettistischer Programme bis hinein in die szenische Gestaltung einer Darbietung. Jedes Rundfunkprogramm wird durch die Auswahl und Gestaltung der Sendungen eine gewisse Tendenz haben, insbesondere soweit es um die Entscheidung darüber geht, was nicht gesendet werden soll, was die Hörer nicht zu interessieren braucht, was ohne Schaden für die öffentliche Meinungsbildung vernachlässigt werden kann, und wie das Gesendete geformt und gesagt werden soll. Bei solcher Betrachtung wird deutlich, daß für den Rundfunk als einem neben der Presse stehenden, mindestens gleich bedeutsamen, unentbehrlichen modernen Massenkommunikationsmittel und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung die institutionelle Freiheit nicht weniger wichtig ist als für die Presse.“
(BVerfGE 12, 205 – 264 (260 f.); https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv012205.html#260, Texziffer 179; Hv. hinzugefügt)
„Wenn sich der Staat jedoch, ohne verfassungsrechtlich dazu verpflichtet zu sein, zu Förderungsmaßnahmen für die Presse entschließt, wie das in Gestalt des Postzeitungsdienstes geschehen ist, verlangt Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, daß jede Einflußnahme auf Inhalt und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse sowie Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt vermieden werden. Staatliche Förderungen dürfen bestimmte Meinungen oder Tendenzen weder begünstigen noch benachteiligen.“
(BVerfGE 80, 124 – 137 (134); https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv080124.html#133; Textziffer 28; Hv. hinzugefügt)
„insbesondere ist eine freie, regelmäßig erscheinende politische Presse für die moderne Demokratie unentbehrlich. Soll der Bürger politische Entscheidungen treffen, muß er umfassend informiert sein, aber auch die Meinungen kennen und gegeneinander abwägen können, die andere sich gebildet haben. Die Presse hält diese ständige Diskussion in Gang; sie beschafft die Informationen, nimmt selbst dazu Stellung und wirkt damit als orientierende Kraft in der öffentlichen Auseinandersetzung.“
(https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv020162.html#174; Textziffer 35; Hv. hinzugefügt)
Einer der eingangs des ersten der drei Zitate angesprochenen Unterschiede zwischen dem (öffentlich-rechtlichen) Rundfunk und der Presse ist: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist binnen-pluralistisch organisiert (muß mehrere Tendenzen zu Wort kommen lassen); die Presse ist außen-pluralistisch organisiert: Eine Zeitung, ein Magazin darf auf genau eine Tendenz festlegt sein; und eine andere Zeitung oder ein anderes anderes Magazin darf genau die gegenteilige Tendenz haben; auch Parteizeitungen sind von der Pressefreiheit geschützt. Allerdings dürfen auch Zeitungen und Magazine einen gewissen Pluralismus pflegen; sie müssen nicht genau eine Tendenz haben. All das dürfen die Redaktionen (bzw. die EigentümerInnen) entscheiden, aber jedenfalls nicht der Staat (einschl. des Bundesverwaltungsgerichts).
Das dicke Ende
Nachdem das BVerwG entschieden hat, daß es sich bei den beiden genannten GmbH um „Vereinigungen“ i.S.d. des Vereingiungs-/Vereins-Begriffs des Art. 9 II GG bzw. des Vereinsgesetzes handelt, passiert das, was im Rahmen von Art. 9 II GG unweigerlich passieren muß, sofern es um die Verbotsgründe ‚gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet‘ geht: Es werden politische Meinungen von einem staatlichen Gericht bewertet.
Das Zeugnis für die beiden GmbH bzw. für deren Medien fällt leidlich gut aus –
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einerseits:
„Mit der Menschenwürde sind weder ein rechtlich abgewerteter Status noch demütigende Ungleichbehandlungen vereinbar. Dies gilt insbesondere, wenn derartige Ungleichbehandlungen gegen die Diskriminierungsverbote des Art. 3 Abs. 3 GG verstoßen. Das ist bei dem sog. ‚Remigrationskonzept‘ der Fall, das ein Vordenker der Identitären Bewegung, Martin Sellner, entworfen hat. Diese Vorstellungen missachten – jedenfalls soweit sie zwischen deutschen Staatsangehörigen mit oder ohne Migrationshintergrund unterscheiden – das sowohl durch die Menschenwürde als auch das Demokratieprinzip geschützte egalitäre Verständnis der Staatsangehörigkeit. Denn sie gehen von einer zu bewahrenden ‚ethnokulturellen Identität‘ aus und behandeln deshalb deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund als Staatsbürger zweiter Klasse.“
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andererseits:
„ein Vereinsverbot [ist] mit Blick auf das das gesamte Staatshandeln steuernde Prinzip der Verhältnismäßigkeit nur gerechtfertigt, wenn sich die verfassungswidrigen Aktivitäten für die Vereinigung als prägend erweisen. In der Gesamtwürdigung erreichen die verbotsrelevanten Äußerungen und Aktivitäten noch nicht die Schwelle der Prägung.“ (Hv. hinzugefügt)
Mir wäre es nun durchaus nicht lieber, daß Bundesverwaltungsgericht hätte ein schlechteres Zeugnis ausgestellt (ich selbst hätte zweifelsohne ein schlechteres Zeugnis ausgestellt – auch aus Gründen, die nichts mit dem Grundgesetz zu tun haben). Vielmehr wäre mir lieber, dieser Staat hätte nicht eine Verfassung, die ihm erlaubt oder sogar vorschreibt, Zeugnisse für politische Meinung auszustellen.
Das Bundesverwaltungsgericht beteuert zwar:
„Das Grundgesetz garantiert […] im Vertrauen auf die Kraft der freien gesellschaftlichen Auseinandersetzung selbst den Feinden der Freiheit die Meinungs- und Pressefreiheit. Es vertraut mit der Vereinigungsfreiheit grundsätzlich auf die freie gesellschaftliche Gruppenbildung und die Kraft des bürgerschaftlichen Engagements im freien und offenen politischen Diskurs.“ (Hv. hinzugefügt)
Aber das Wort „grundsätzlich“ macht deutlich, daß die Väter und Mütter des Grundgesetzes solche waren, die nicht der „Kraft der freien gesellschaftlichen Auseinandersetzung“ (Hv. hinzugefügt) vertrauten, sondern das letzte Wort – in Form von Art. 9 II, 18, 21 II GG – dem Staat zubilligten.
Das Ergebnis: Die Mezopotamien Verlag und MIR Multimedia GmbH und andere sind weiterhin verboten; die Compact-Magazin GmbH und Conspect Film GmbH bleiben unverboten. – Vielleicht sollten diejenigen, die ein AfD-Verbot fordern, doch mal drüber nachdenken, ob der Antifaschismus beim deutschen Staat in guten Händen ist.

Ankündigung eines eventuellen Nachschlags
Die schriftliche Urteilsbegründung gibt es noch nicht – aus diesem kommenden Anlaß dann vielleicht noch ein Nachschlag zum Hiesigen – dann vielleicht auch ausführlicher zur Menschenwürde und Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz. Hier sei nur folgende Frage aufgeworfen:
Wie soll es denn bitte sehr in Bezug auf die Sellnersche Unterscheidung „zwischen deutschen Staatsangehörigen mit oder ohne Migrationshintergrund“ auf die Menschenwürde ankommen?! – Die Menschenwürdegarantie schützt doch wohl alle Menschen – und nicht nur deutsche Staatsangehörigen, oder nicht, wertes Bundesverwaltungsgericht? Und Art. 3 III 1 GG ist auch kein Deutschen-Grundrecht, sondern lautet: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“
Mit diesen beiden Hinweisen will ich nicht sagen, daß die Unterscheidung nach Staatsangehörigkeit verfassungswidrig sei (das GG unterscheidet ja selbst an zahlreichen Stellen zwischen Deutschen- und Nicht-Deutschen). Aber das Verbot der staatlichen Differenzierungen zwischen „deutschen Staatsangehörigen mit oder ohne Migrationshintergrund“ muß anders als mit der Menschenwürdegarantier begründet werden; und der Hinweis auf Art. 3 III 1 GG müßte zumindest ausgefeilt werden – vielleicht kommt das dann ja im schriftlichen Urteil.
Eine letzte Sache sei hier – vorsichtshalber – noch betont: Bei dem Sellnerschen Remigrationskonzept handelt es sich nicht bloß um negative Meinungsäußerungen über „deutsche Staatsangehörigen mit […] Migrationshintergrund“, sondern um ein Konzept für staatliche Politik (warum es auf diesen Unterschied ankommt, läßt sich aus meiner dortigen Anmerkung 1. erschließen: Grundrechtsverpflichte sind nicht die BürgerInnen, sondern der Staat.
Um es vielleicht etwas plastisch auszudrücken: Wenn ich mich zu einer unflätigen Meinungsäußerungsäußerung über Herrn Elässer hinreißen lassen würde, dann würde das vielleicht die persönlich Ehre und vielleicht auch die Menschenwürde von Herrn Elässer beeinträchtigen, aber ich würde nicht gegen Art. 1 I GG verstoßen, weil Art. 1 I GG gar nicht mir, sondern dem Staat Pflichten auferlegt.).